„Hessens Polizei rüstet auf“, titelten am 5. Juli einige hessische Zeitungen und verkündeten damit die Umsetzung der Pläne des Innenministers Peter Beuth (CDU), der mehr Geld in Ausrüstung für die Polizei investieren möchte. Neben Tasern, also Elektroschockern, die eine „Lücke zwischen Schlagstock und Pfefferspray sowie Schusswaffen schließen“ sollen, erhält die Polizei zusätzlich Drohnen und 1500 zusätzliche G36-Sturmgewehre. Begründet wird das nach den Anschlägen auf „Charlie Hebdo“ auf den Weg gebrachte Maßnahmenpaket mit einer Bedrohungslage, die in Hessen ebenso wie im Rest Europas hoch sei.
Dies erklärte im vergangenen Jahr auch die Bundesregierung nach einem vereitelten Terroranschlag in Schwerin. Wenn man sich die Gefährdungslage jedoch genauer ansieht, so stellt man fest, dass der Anteil der in Deutschland verübten Anschläge im Vergleich zum Rest der Welt verschwindend gering ist. Viele Medien führen Übersichten über Terroranschläge der vergangenen Jahre, jedoch finden sich in diesen Listen auch stets viele vereitelte „mutmaßliche“ Terrorangriffe, ebenso wie „mutmaßliche“ Terrorzellen, die rechtzeitig vor einem Anschlag zerschlagen werden konnten.
„Die Zeit“ titelte schon 2016, dass die Anzahl der weltweiten Terroranschläge zurückgehe. Die US- Regierung ging davon aus, dass weltweit die Zahl der Toten durch terroristische Anschläge im Jahr 2015 bei 28.328 lag, die circa 700 Attentäter mit eingerechnet. Das sind zweifelsohne viele beklagenswerte Todesfälle. Im gleichen Jahr starben jedoch 1,25 Millionen Menschen im Straßenverkehr, davon in Deutschland 3475.
Beinahe 10.000 Menschen starben, ebenfalls 2015, bei Unfällen im Haushalt in Deutschland. Allein im Land Hessen gingen 2015 18,7 Prozent der Todesfälle unter Männern auf den Konsum von Tabak zurück.
Nach Zahlen über Tote durch Terrorismus in Deutschland für dasselbe Jahr sucht man hingegen vergeblich.
Die Gefahr, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist um ein vielfaches geringer, als im Straßenverkehr oder im Haushalt zu sterben. Dennoch wird weder der Straßenverkehr eingeschränkt, noch macht man sich Gedanken über Unfallverhütung im Eigenheim. Bei der Bekämpfung der Folgen des Tabakkonsums beschränkt man sich auf einige abschreckende Bilder auf den Zigarettenverpackungen. Währenddessen wird aber die Polizei mit G36-Sturmgewehren, Drohnen und Tasern ausgestattet.
Jedoch sollen diese Drohnen und die Taser zunächst nicht für die Terrorbekämpfung eingesetzt werden, sondern bei Überfallkommandos und in Innenstadtrevieren. Dies erscheint jedoch widersprüchlich. Das Maßnahmenpaket wurde gerade mit der hohen Bedrohungslage durch den angeblich akuten Terrorismus begründet, doch die angeschafften Mittel sollen zu dessen Bekämpfung gar nicht eingesetzt werden. Wozu sonst ist eine Aufrüstung der Polizei vonnöten?
Aufschluss geben kann hier die ausdrückliche Versicherung von Peter Beuth, die Taser würden keinen Einsatz bei Fußballspielen oder Demonstrationen finden. Von den G36-Sturmgewehren ist hier ebenso wenig die Rede wie von den Drohnen. Was Herr Beuth heute versichert, kann er allerdings morgen schon widerrufen.
Wozu benötigen Beweissicherungs- und Festnahmebeamte ausgerechnet Sturmgewehre? G36, war da nicht was? Noch vor drei Jahren erging sich die deutsche Medienlandschaft in Spott und Häme über die Mangelhaftigkeit dieses von Heckler & Koch produzierten Gewehres. Es sei ein unzureichendes Gewehr, dessen Treffgenauigkeit sich verschlechtere, wenn es heiß geschossen sei, hieß es. Damals handelte es sich um einen Skandal der Bundeswehr. Heute erhält die Polizei scheinbar protestlos dieselben Mittel, wie sie Soldaten im Krieg einsetzen.
Dass auch Taser keineswegs als „humane“ Waffe zu verstehen sind, berichtet ein Polizist aus Amerika, wo Elektroschocker im Polizeialltag bereits gang und gäbe sind. Das Gefühl, getasert zu werden, beschreibt er wie folgt:
„Es fühlt sich an, als würde ein Art Hammer elektrische Nägel in deine Wirbelsäule schlagen, immer und immer wieder – für die längsten fünf Sekunden überhaupt.“
Wer übt Gewalt aus?
Applaus für die Aufrüstung erhielt Beuth hingegen von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der Elektroschocker sei vor dem Hintergrund der steigenden Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei ein positiver Beitrag für höhere Sicherheit der Beamten. Tatsächlich steige laut BKA die Zahlen der Gewalttaten gegenüber Polizisten.
Doch wie sieht es aus mit Gewalt, die durch Polizisten begangen wurde? Schon Amnesty International und die UNO haben speziell Deutschland für derlei Fälle kritisiert. Eine hochgerüstete Polizei nutzt ihre technische Überlegenheit zudem bisweilen, um Gewalt zu provozieren, nur um sie daraufhin niederschlagen zu können – so, wie man es bereits beim G20 Gipfel in Hamburg gesehen hat, in dessen Nachspiel 152 Verfahren gegen Polizisten eingeleitet wurden.
Es sind ebenfalls Fälle bekannt geworden, bei denen Polizeibeamte vermummt in den Protestzügen mitliefen, um dann aus der Mitte heraus zu Gewalttaten gegen ihre Kollegen anzustiften, beispielsweise beim G8-Gipfel 2007. Seitdem gab es weitere Fälle. Diese Beamten nennt man Agents Provocateur. Ein Teil der Gewalttaten gegen Polizeibeamte ist also selbst inszeniert, um bei unliebsamen Demonstrationen die Kontrolle erlangen und die Veranstaltung zerschlagen zu können.
Berücksichtigen sollte man auch, dass im vergangenen Jahr das Strafgesetzbuch zum Schutz von Vollstreckungsbeamten reformiert wurde. Auf diese Weise wurde auch die Definition dessen, was rechtlich als Gewalt gegenüber Polizeibeamten zu bewerten ist, erheblich ausgeweitet. Durch dieses Gesetz wird jeder zum Gewalttäter, der nicht absoluten Gehorsam leistet.
Unverhältnismäßige Befugnisausweitung
So werden die Probleme angeblich steigender Gewalt gegen Polizeibeamte konstruiert, indem man die Definition dieser Gewalt so verwässert, dass fast alles darunter zu fassen ist, nur um dann nach einer Lösung zu verlangen und diese in Form der Aufrüstung der Beamten zu fordern.
Das soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es zweifellos Straftaten gegenüber Polizeibeamten gibt. Doch genügen diese als Begründung, die Polizei mit Sturmgewehren, Drohnen und Tasern auszustatten?
Wenn man einmal die tatsächlich sehr geringe Gefährdungslage durch den Terrorismus außer Acht lässt, ist dies die einzige Begründung, die für diese Maßnahmen übrig bleibt, vorgetragen allerdings von der GdP, nicht von der Landesregierung.
Schon die Reform des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) in Bayern hat zu erheblichen Ausweitungen der Kompetenzen der dortigen Polizei geführt. Auch in anderen Bundesländern arbeiten die Landesregierungen derzeit daran, die Polizeigesetze zu überarbeiten. Hintergrund sind Vorgaben auf europäischer Ebene zum Datenschutz sowie ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz.
Jedoch nutzte insbesondere Bayern die Gelegenheit, um die Kompetenzen der Polizei erheblich zu erweitern und das laut Kritikern schärfste Polizeigesetz seit 1945 einzuführen. So dürfen die Polizisten nicht nur anlasslos Daten erfassen und Bodycams tragen, sondern es ist ihnen auch im Ausnahmefall erlaubt, Sprengmittel zu verwenden, eine Kompetenzerweiterung, die auch in Sachsen angedacht ist. Zusätzlich schwammig werden die Befugnisse durch den Begriff der „drohenden Gefahr“.
Die schmutzige Weste der Politik
Was sich also beobachten lässt, ist, dass die Polizeibehörden rechtlich und materiell hochgerüstet werden. Nicht nur werden ihre Kompetenzen erweitert, sondern auch ihre Ausrüstung wird denen von Berufssoldaten immer ähnlicher. So ist ihnen der Einsatz von Sturmgewehren und Handgranaten erlaubt, sie dürfen Drohnen zur Überwachung benutzen und technische Daten abgreifen.
Die Begründungen dafür sind immer dieselben: Die Warnung vor dem erstarkenden Extremismus sowie die Gewalt gegen die Polizei. Sie wirken allerdings vorgeschoben, wenn man bedenkt, dass der Terrorismus in Deutschland keine echte Bedrohung darstellt und die Gewalt gegen Polizisten durch eine Verwässerung der Definition von Gewalt sowie die Einführung einer ebenfalls schwammig definierten „drohenden Gefahr“ teilweise ein selbst „herbeidefiniertes“ Problem darstellt.
Die Landesregierungen spielen also mit den Ängsten der Menschen, um eine Law and Order-Politik umzusetzen, die jeden Protest und jeden Ungehorsam im Keim ersticken kann. Das wird durchgesetzt gegen massiven Protest aus Bevölkerung und Opposition; allein in München gingen 40.000 Menschen gegen das PAG auf die Straße.
Um ihr unbeliebtes Gesetzesvorhaben auch in die Bildung zu pressen, kündigte die Spitze der CSU-Regierungsbeamten, vertreten durch Ministerpräsident Söder, offen an, „Informationsoffensiven“ und eine „Dialogreihe“ in Schulen und Hochschulen durchführen zu wollen; wir sollen also so erzogen werden, dass wir eine Ausweitung der Polizeibefugnisse gutheißen. Erziehung im Sinne eines repressiven Polizeigesetzes – von Mündigkeit kann da keine Rede mehr sein. Die Indoktrination wird uns direkt ins Gesicht gespuckt.
Zudem lässt die Aufrüstung der Polizei mit den G36-Sturmgewehren, die noch vor wenigen Jahren so in der Kritik standen, eben diese Kritik als inszenierte Kampagne erscheinen, die lediglich den Zweck hatte, die Akzeptanz für Investitionen in die Bundeswehr innerhalb der Bevölkerung zu erhöhen.
Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht
Es besteht die Gefahr, dass ein repressiver Überwachungs- und Polizeistaat, verkörpert durch Drohnen und eine soldatenähnliche, bis an die Zähne bewaffnete Polizeimacht langsam Gestalt annimmt. Dies als Maßnahmen zum Schutz vor Terrorismus zu verkaufen, ist eine Begründung, die auf fruchtbaren Boden fällt, hat sich der Terrorismus doch im Jahr 2017 zur größten Angst des Deutschen entwickelt. Und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden, weit unter jener liegt, beim Putzen im den eigenen vier Wänden zu sterben.
Es ist offensichtlich, dass Politik und Polizei hiermit Grenzen überschreiten, die mit den im Grundgesetz verankerten Rechten eines jeden Bürgers nicht länger in Einklang zu bringen sind.
Hier werden die entsprechende Gesetzgebung und die Verhältnismäßigkeit von Polizeibefugnissen ad absurdum geführt; verantwortlich ist die Politik, namentlich Landtage und Abgeordnete, die die verfassungsmäßige Ordnung von Recht und Gesetz untergraben.
Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. (Art. 20 Abs. 4 GG)
Nutzen wir unsere Rechte und protestieren auch weiterhin, wenn Recht zu Unrecht wird!
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