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Unerwünschte Zwischentöne

Unerwünschte Zwischentöne

In politischen Debatten nimmt die Polarisierung zu. Wer überall genötigt wird, sich zu „entscheiden“, findet nur schwer einen eigenen Weg zwischen den Extremen.

Als Newcomer in Montana/USA habe ich zum ersten Mal den US-Wahlkampf live erlebt, wenn auch aus einer Zuschauerposition heraus. Gern habe ich den Menschen beider Parteien zugehört und dabei ihre jeweiligen Sichtweisen kennengelernt, die dazugehörigen Argumente und die darunterliegenden Ängste und Befürchtungen. Es war sehr lehrreich!

Jetzt aber, nach der Wahl, wollen manche Freunde wissen, zu welcher Front ich gehöre. Zu keiner! Ich befinde mich zwischen den Fronten, aber das ist in diesem angespannten Klima keine einfache Position. Die Gespräche werden mühseliger, die Gesichter ernster und die Stimmen zögernder. Die Augen sind fragend, fast fordernd, sie warten auf eine Bestätigung der eigenen Position. Man wird vorsichtiger mir gegenüber, doch meine Geschicklichkeit in solchen Gesprächen hat zugenommen. Tapfer verteidige ich die Position der neutralen Mitte, doch die Zeit der Mitte scheint vorbei zu sein.

In solchen Gesprächen nehme ich wahr, dass der Abstand wächst und dass die Gespräche schneller enden als bisher. Noch ist es mein Ziel, mit Menschen von beiden Seiten in Kontakt zu sein, doch ich fühle, dass manche Freunde sich langsam von mir zurückziehen. Einen solchen Abbruch der Kommunikation gab es bereits in den Zeiten von COVID, auch damals gab es diese Polarisierung zwischen Freund und Feind. Es war eine Zeit der Gegensätze, die einander unversöhnlich ausschließen: Keine Kompromisse mehr und keine Zwischenräume! Entweder — oder! Okay, ich muss Farbe bekennen. Meine Freunde wollen wissen, ob ich Freund oder Feind bin: Wo stehst Du, Helene? Es gibt kein Entkommen.

Aber was soll ich antworten, wenn meine Farbe nicht Blau oder Rot ist, sondern Purpur? Purpur ist eine wunderschöne Farbe, doch sie wurde aus der Skala der Möglichkeiten entfernt. Aber ist dies wirklich so oder ist es das, was die Polarisierung mich denken und befürchten lässt?

Diese Polarisierung ist weltweit zu beobachten, in der Politik, in den Religionen, und sie bereitet mir inzwischen ernsthafte Sorgen. Mit der Polarisierung gehen die Nuancen verloren und verstummen die Zwischentöne. Polarisierung sorgt für Spannung, in Freundschaften und Familien, zwischen Kollegen und Nachbarn; sie bringt Distanzierung und Isolierung. Dann sitzt jeder in seiner „Bubble“. Dies ist für manche vielleicht gemütlich, aber es ist zugleich der Verlust des Gemeinsamen, des Zusammenhalts insgesamt.

Polarisierung ist eine kulturelle Verarmung, doch möglicherweise ist sie unsere Zukunft. Vielleicht reden wir demnächst nur noch mit Gleichgesinnten, die in derselben weltanschaulichen „Bubble“ sitzen. Oder gibt es noch eine Alternative, eine „Bubble“ mit Freunden der Mitte, die Purpur für eine tolle Farbe und für eine reale Möglichkeit halten? Menschen, die bereit sind, trotz aller Meinungsverschiedenheiten noch miteinander zu reden? Aber wäre nicht auch das eine „Bubble“?

Mit meiner Position in der Mitte habe ich durchaus einen eigenen Standpunkt, aber vor allem habe ich viele Fragen: Warum ist für manche Menschen das Trennende wichtiger als das Gemeinsame? Das menschliche Ego lebt von Abgrenzung, okay, das wissen wir, das ist nicht neu. Liegt der Grund für diese Polarisierung also im Ego? Doch Egos gibt es schon seit ewigen Zeiten, die Polarisierung dagegen ist relativ neu.

Vielleicht braucht das Ego vereinfachende Entweder-oder-Positionen, um mit der immer komplexer werdenden Welt umgehen zu können? Vielleicht braucht es einen betonharten Standpunkt, damit es sich im Recht fühlen kann?

Oder anders gefragt: Wieso denken Menschen eigentlich, dass das, woran sie „glauben“, wahr ist? Und wieso sind sie so sicher, dass sie selbst — und nur sie allein — im Besitz der politischen oder religiösen Wahrheit sind? Leider kann man Wahrheit nicht „besitzen“, man kann sie höchstens anstreben und das eigene Leben mit ihr in Einklang bringen.

Die möglicherweise wichtigste Frage betrifft jedoch den Hintergrund dieser Polarisierung: Wer hat ein Interesse an dieser Spaltung? Teile und herrsche, eine uralte politische Strategie, die bisher immer funktioniert hat. Doch wer profitiert diesmal davon? Von welcher Macht — bisher unerkannt im Hintergrund? — wird diese Strategie möglicherweise genutzt, um Menschen zu separieren und sie dann zu beherrschen? Teile und herrsche, ein uraltes Motto mit sehr alten Fragen, die jedoch dringend neu gestellt werden sollten!


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