„Die Besten ihres Landes wurden stets zum Gespött gemacht.“ Dieser Satz aus Alex Olivaris Lied „Durch den Sturm“ diente dem Titel seiner CD als Vorlage: „Die Besten ihres Landes. Lieder über Glaube, Mut und Freiheit.“ Und in der Tat: Oft wird erst im historischen Rückblick deutlich, wer sich dem Unrecht angepasst und wer widerstanden hat; wen wir nur bedauern können, weil der Betreffende sich aus Furcht vor Ausgrenzung wegduckte, und wen wir bewundern, weil er für seine Überzeugung auch Opfer brachte. Alex Olivari dürfte zur letzteren Gruppe zählen.
Wie in vielen vergleichbaren Fällen, die die Coronakrise hervorgebracht hat, steht auch hinter seinem Aufstieg die Geschichte eines Ausstiegs. Der Gitarrist und Musiker war ein typischer Mann der „zweiten Reihe“ gewesen, arbeitete zuletzt vor allem in der Band des Schlager-Rocksängers Matthias Reim. Als seine ersten selbst produzierten Protestlieder zur Corona-Thematik bekannt wurden, hat ihn das Management eiskalt gefeuert. Reim rührte keinen Finger für seinen langjährigen Mitmusiker. Verdammt, ich helf dir nicht.
Auch Olivaris Frau Frauke Olivari, als Hintergrundsängerin die einzige Mitwirkende an seiner CD, musste ihre Band verlassen, weil sie ungeimpft bleiben wollte. Die gleiche Brutalität des neudeutschen Hygiene-Gutmenschentums. Alle anderen Instrumente auf der CD — Gitarren und Tasteninstrumente — spielte das Allroundtalent selbst. Seine Stimme ist kraftvoll, die Gitarrensoli wirken eindringlich virtuos, die Melodien einprägsam.
Ein Wunder eigentlich, dass man den Mann vorher nicht gekannt hat — es gibt kaum „Prä-Corona“-Videos im Internet. Es sieht aus, als hätte Olivari erst mit dem Corona-Protestlied seine ureigene Bestimmung gefunden.
Und er ließ sich nicht den Mund verbieten, drehte im Gegenteil mit dem Einsetzen der Verfolgung und Ausgrenzung erst richtig auf. Praktisch jeden Monat kam er mit einem neuen, komplett selbst produzierten Video heraus — einige davon durchaus visuell aufwendig. Die meisten handeln mehr oder weniger deutlich von Corona. Es scheint, als habe Alex Olivari das Schweigen der meisten Künstler zum herrschenden Freiheitsabbau und zur verheerenden Spaltung im Land im Alleingang kompensieren wollen, indem er nicht ein, nicht zwei, sondern gleich ein knappes Dutzend derartiger Lieder schrieb. „Die Besten ihres Landes“ könnte man beim Durchhören schon für ein „Best-of“-Album halten, so viele „Knaller“ gibt es, die des Künstlers glückliche Hand für eingängige Melodien und Slogans unter Beweis stellen. Dabei hat er nur die seit Beginn der Coronakrise entstandenen Lieder in annähernd chronologischer Reihenfolge auf der CD vereinigt.
Mein persönlicher Einstieg war „Helden unserer Jugend“, Olivaris Abrechnung mit den eingebetteten Groß-Rockstars unserer Epoche. Die werden zwar nicht namentlich genannt, kulturgeschichtliche Grundkenntnisse genügen jedoch, um herauszufinden, wer behauptet hat, „Hinter dem Horizont“ gehe es weiter, oder „Über den Wolken“ sei die Freiheit grenzenlos. Die Freiheitsliebe vieler domestizierter Rebellen erwies sich als höchst begrenzt. Wenn man weiß, dass Alex Olivari aus Köln stammt und dass seine Credits eine Zusammenarbeit mit der Gruppe BAP beinhalten, kann man sich denken, welcher Alt-Rocker für ihn mit die größte Enttäuschung gewesen sein dürfte. „Verdammt lang her, seit ihr mal mutig wart“, wirft Olivari einem Mann vor, der dem Volk heute in Talkshows Herrschaftsnarrative einzuimpfen versucht. Der Satz „Habt ihr die Seiten gewechselt, oder wart ihr immer schon da?“ suggeriert, für Salonlinke könnte der rebellische Habitus immer schon Attitüde gewesen sein.
Ich forschte weiter nach Olivari-Songs, anfangs waren es noch gar nicht so viele gewesen. Ich erfuhr, dass sein erster Corona-Song, „Deutschland zeig dein Gesicht“ schon ein veritabler Hit geworden und auf vielen Grundrechte-Demonstrationen erklungen war. Das Lied trifft den richtigen Ton und ist stark in der Analyse: „Mit Angst und Schrecken lässt sich’s besser regieren. Ein Riss geht durch unser Land.“ Im Kern aber ist es ein Motivations- und Mobilisierungslied, das die Gemeinschaft derer beschwört, die begonnen haben, sich zu wehren. „Auch wenn sie uns ignorieren und uns diffamieren. Wir halten durch und bleiben hier. Nehmt euch wieder in den Arm. Kommt euch wieder näher. Habt keine Angst und nehmt kein Blatt vor den Mund.“
Dabei wird so mancher schon die Verwendung des Wortes „Deutschland“ im Lied verdächtig finden. Denn — so wirft Olivari seinen politischen Gegnern entgegen — „Ihr führt Krieg gegen Vater, Mutter, Kind, erklärt alle zu Nazis, die nicht eurer Meinung sind“. Man kann sich denken, mit welchen Vorwürfen der Künstler in der Kulturszene konfrontiert war — schon weil er überhaupt „Corona-Skeptiker“ ist und dann auch, weil er bewusst ein konservatives Vokabular einsetzt. So heißt es in dem Lied „Dieb in unserem Garten“ sehr kraftvoll: „Wo ist unsere Wut, wo ist unsere Ehre? Wo steht geschrieben, man solle sich nicht wehren? Ist da noch Leidenschaft in diesen Herzen? Was ist unsere Heimat uns noch wert?“
Wer diesen Worten nicht sogleich mit einem Abwehrreflex begegnet, wird vielleicht feststellen, dass sie zu einem verschütteten, lange verleugneten Seelenanteil des Hörers sprechen. Da ist eine Kraft und Leidenschaft, eine kämpferische Verve, die viele Künstler sonst hinter zynischem Relativismus verstecken würden. Ist es denn nicht wahr, dass viele in diesem Land ihre Ehre verloren haben? Dass sie verlernt haben zu kämpfen, weil man ihnen eine weichliche Friedfertigkeit eingeredet hat, die vor allem den Mächtigen dient? Olivari motiviert uns — auch unterstützt durch kräftige Gitarrenriffs und singbare Melodien —, endlich aufzustehen und für unser Recht zu kämpfen. Gerade unsere Kinder sind es, die wir kollektiv auf das Schlimmste verraten haben. Sie liegen dem Sänger besonders am Herzen.
Und die Heimat? Alex Olivari ist Kölner mit kroatischen Wurzeln. Im Video zu „Dieb in unserem Garten“ sieht man ihn am Adria-Strand Gitarre spielen. Dennoch, so scheint der Sänger sagen zu wollen, ist auch das Festhalten an Deutschland als Heimat wichtig.
Die innere Entwurzelung der Menschen in einem langjährigen Prozess propagandistischer Beeinflussung hat mit dazu geführt, dass die meisten von uns in der Coronakrise so leicht „umzublasen“ sind, dass man jetzt über uns verfügen kann wie über seelenlose Puppen, dass wir nur noch freundlich und resigniert nicken, wenn der „Dieb in unserem Garten“ uns die Früchte unserer Arbeit stielt.
Und auch die Religion gehört für Alex Olivari zu den „konservativen“ Faktoren, die uns tragen und halten können, wenn unsere Verbindung zu ihr nicht unwiederbringlich verloren gegangen ist. „Komm mit, wir gehen gemeinsam durch den Sturm. Es ist so gut, dass wir uns haben, und wir sind von guten Mächten getragen“, heißt es in Anlehnung an Dietrich Bonhoeffer, den von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer.
Oder, noch deutlicher: „Wir werden gewinnen, denn Gott wird auf unserer Seite stehen.“ Und so ist auch materialistische Areligiosität für Olivari ein bedenkliches Symptom, da die religiöse Neigung der meisten Menschen mit ihr ja nicht völlig verschwindet, sich vielmehr den „falschen Göttern“ zuwendet. „Ihr sagt, Gott sei Opium fürs Volk. Eure Religion ist die totale Kontrolle.“
Auch das vielleicht ungewöhnlichste Lied der CD ist eines, das sich einer religiösen Metaphorik bedient: „Babylon“. Das Lied enthält einiges an mythologischen Anspielungen. „Babylon“, das ist Berlin — nicht nur in der berühmten Serie mit Volker Bruch. Dem biblischen König erschien eine geheimnisvolle Schrift an der Wand, das „Menetekel“. Ungefähr besagte sie: Die Tage deiner Herrschaft sind gezählt. Du wurdest gewogen und für zu leicht befunden. In einer dekadenten, verrohten Gesellschaft wurden dem „Moloch“, einer heidnischen Gottheit, Menschenopfer gebracht — was wiederum an Fritz Langs berühmten Film „Metropolis“ erinnert.
Die personifizierte Stadt Babylon schickt ihre Kinder auf den Strich und bläst zur Menschenjagd. Doch einige haben begonnen, sich zu wehren: „Und wir schwenken Freiheitsfahnen. Am Straßenrand da stehen die Untertanen. Ihre Augen so blind und ihr Herz aus Beton — Babylon.“
Und — konservativ oder nicht — es ist wichtig, sich zu erinnern und aus dieser Erinnerung Kraft zu ziehen, denn der Untertanengeist speist sich auch einer fast unheimlich zu nennenden Flexibilität, mit der die meisten auf Zuruf in Windeseile in die „neue Normalität“ übergewechselt sind.
Es zeigt sich eine verbreitete Unfähigkeit, an Bewährtem festzuhalten und einmal erworbene Rechte entschlossen zu verteidigen.
Daher auch der sehr schöne „Weißt du noch“-Einstieg im Lied „Finger weg von unserem Leben“: „Weißt du noch, wir spielten im Dreck völlig durchgefroren, glücklich, wild und ohne Sorgen. Und ohne Polizei.“ Oder: „Weißt du noch, wir hingen auf den Demos rum. Keiner nahm’s uns krumm. Heute wären wir Leugner.“ Der „Dieb“ hat unseren Kindern eine unbeschwerte Jugend gestohlen und uns allen Freiheit und Unbefangenheit. Und während er sein Programm der Unterwerfung und der Austreibung allen Lebens aus unserem Leben gnadenlos weiter verfolgt, bekommen wir schon Nackenschmerzen vom vielen Nicken und uns Beugen.
Nun aber zum Abschluss noch etwas Aufbauendes, womit auch die CD ausklingt. „Das Blatt wird sich wenden“ hieß der letzte Song. Und dessen mitreißender Wirkung kann man sich nur schwer entziehen. „Ich kann kaum noch atmen in diesem Land“, klagt der Sänger da. „Die Kiste flimmert, sie hat das Land betäubt, uns zu Zombies erzogen, zu Sklaven gebeugt.“ Über die Gegenwart zu klagen, ist berechtigt und auch notwendig. Aber wer hat sich schon mal bildlich vorgestellt, es gebe ein großes Freudenfest nach dem Sturz dieses alles erstickenden Corona-Regimes? Alex Olivari hat es getan: „Und wir werden jubeln, wenn die Ketten zerspringen. Wir tanzen in ihrem Palast, werden Lieder der Freiheit singen.“
Es fehlt oft an Optimismus und einer begeisternden Vision in diesem Land, das durch diktatorische Maßnahmen ganz niedergedrückt wirkt und dessen Bürger durch Gewöhnung an eine falsche Fügsamkeit schon ihr ganzes Selbstvertrauen verloren haben. Doch dieser verhängnisvolle Prozess ist umkehrbar. Demonstrationen helfen dabei, das Erleben von Gemeinschaft, das Auftauen eingefrorener Gefühle — oder eben gute Lieder. Daher ist „Das Blatt wird sich wenden“ neben anderen auch geeignet, um das neue Jahr einzuleiten. Packen wir’s an!
Quellen und Anmerkungen:
Etliche der Videos von Alex Olivari wurden bei youTube mittlerweile rauszensiert.
Sein neues Lied ist nicht mehr auf der CD enthalten: „Wir laufen für die Freiheit“:
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