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„Klick mich an!“

„Klick mich an!“

Die zunehmende Verwendung von Clickbait-Aufmachern bei Artikeln, Videos und Podcasts beschädigt die Medienlandschaft und zeugt von Geringschätzung gegenüber ihren Rezipienten.

Kommen Ihnen dieserart Titel in Online-Artikeln und -Videos bekannt vor?

  • „SCHOCKIEREND! Sie haben DAS mit uns vor!“
  • „Sie VERSCHWEIGEN dir DAS!“
  • „Ich bin SCHOCKIERT! Über XY musst du JETZT DAS wissen!“
  • „KATASTROPHE XY! Diese 5 Dinge musst du JETZT beachten!“
  • „7 Gründe, warum dir XY misslingt.“
  • „Ich wäre fast GESTORBEN! Aber DAS hat mich gerettet.“
  • „DAMIT habe ich AUFGEHÖRT.“
  • „Ich habe XY ausprobiert. DAS ist mir danach passiert!“
  • „Experte packt aus: DAS wird uns geschehen, wenn wir DAS nicht machen.“
  • „Ich habe XY getestet. Das Ergebnis wird dich SPRACHLOS machen!“

Die Emojis, roten Ausrufezeichen und die Grimassen der Content-Creator müssen hierbei selbstredend mitgedacht werden.

Solcherlei Aufmache ist bekannt unter der Bezeichnung „Clickbait“, zu Deutsch „Klicks ködern“, genauer gesagt „Klicks-generierende Menschen ködern“. Der Mechanismus ist dabei weitestgehend der gleiche. Die Aufmerksamkeit wird angetriggert und die Neugierde auf etwas Unglaubliches geweckt. Dieses „Unglaubliche“ erfährt der Rezipient allerdings erst durch das Anklicken des Beitrags ... nicht. Denn das angepriesene, vermeintlich so „Unglaubliche“ entpuppt sich beim Anklicken als belanglose Luftnummer. Derartige Beiträge können mit einer inflationierten Währung verglichen werden: groß aufgeblasen, aber nur durch sehr wenig bis gar keinen Gegenwert (Inhalt) gedeckt. Durch die verschleiernden, aber neugierig machenden Cliffhanger-Begriffe „DAS/DARAN/DANACH/DARUM“ entsteht jedoch der Eindruck, man würde nun und nur durch diesen Beitrag etwas „Unglaubliches“ erfahren. Auf den Kick durch den Aufmacher folgt zuverlässig die Ernüchterung.

Keine Ernüchterung stellt sich hingegen bei den Produzenten derartig aufgemachter Beiträge ein. Diese können sich der Lernresistenz der von ihnen angelockten Rezipienten sicher sein. Ein Blick auf die Klickzahlen derartiger Beiträge zeigt die ungebrochene, wenn nicht sogar steigende Erfolgsgarantie dieser Kommunikationsform.

Das ist in mehrerlei Hinsicht bedenklich. Die schon erwähnte Lernresistenz gegenüber der Nichtigkeit der vielversprechenden, aber wenig einhaltenden Beiträge zeugt bereits von einem nicht sonderlich ausgereiften kritischen Bewusstsein. Darüber hinaus zeigt der ungebrochene Erfolg von Clickbait eine zunehmende Abstumpfung vieler Rezipienten, dergestalt, dass nur noch Beiträge mit besonders reißerischen Aufmachern Aufmerksamkeit bekommen.

Nüchterne, aber umso gehaltvollere Beiträge haben dann im Grunde genommen gar keine Chance mehr, in dem sich zuspitzenden Wettbewerb innerhalb der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie zu bestehen. Gehör finden nur noch jene, die am lautesten nichts zu sagen haben.

Zum anderen zeigt sich die Wertigkeit eines Beitrags in seiner Langlebigkeit; das heißt, wie lange der Beitrag gut gealtert ist und ob er sich nach wenigen Wochen oder sogar Monaten und Jahren immer noch als weitestgehend richtig und vorausschauend erweist. Beiträge mit reißerischen Begriffen wie „EILT“, „DRINGENDE BOTSCHAFT“, „CRASH BIS SPÄTESTENS 20...“ haben meist gemein, dass sie altern wie Milch. Klickt man sie nur wenige Wochen später an, entpuppt sich der Inhalt bei weitem nicht als so dringend oder gar als etwas Neues. Und die vielfach prophezeiten Crashs sind bis heute nicht eingetreten. Vergessen wir nicht, dass zahlreiche, in der Alternativmedienszene einschlägig bekannte Finanzexperten in derartig aufgemachten Beiträgen „einen totalen Crash bis spätestens 2023“ vorhergesagt haben. Mittlerweile ist 2025 zum Greifen nah.

Und letztendlich zeugen Clickbait-Aufmacher von einer Geringschätzung der Medienschaffenden gegenüber ihren Rezipienten. Warum? Achten wir bei den Titeln mal auf die häufig genutzten Einzel-Adjektive, die ganz am Anfang stehen: „Schockierend:“, „Dringend:“, „Unfassbar:“, „Skandalös:“, „Heftig:“. Hier wird dem Betrachter vorab vorgeschrieben, welche Emotionen er beim Anklicken des Beitrages haben soll. Ob jener das Angeklickte dann wirklich als schockierend oder unfassbar empfindet, entscheidet am Ende allein dessen Gemütszustand und nicht der Medienschaffende. Doch es geht um einen anderen Punkt: Dieses regelrechte Bellen von einzelnen Wörtern, wie sie oben beispielhaft aufgelistet wurden, erinnert doch arg an die Art und Weise, wie Hundebesitzer mit ihrem vierbeinigen Begleiter sprechen: „Sitz!“ „Platz!“ „Fein!“ „Holen!“ „Aus!“ „Fass!“ Der Rezipient wird also durch „Leckerlis“ in Form von Reizwörtern wie ein Tier geködert. Das „Bait“ von „Clickbait“ heißt auch nichts anderes als „Köder“. Was sagt das über die Beziehung des Medienschaffenden gegenüber dem Rezipienten aus, wenn er ihn auf diese oder ähnliche Weise ködert? Wertschätzung und Respekt gegenüber der eigenen Zuseher- und Leserschaft sieht anders aus!

Festzuhalten ist also, dass Clickbait, egal aus welcher weltanschaulichen Richtung, irreführt, manipuliert, geringschätzt, verblödet und abstumpft.

Erzählen statt Klicks zählen

Das Problem und der Gegenentwurf dazu stecken bereits in dem Begriff „Clickbait“. Der Köder wird ausgelegt, um Menschen anzulocken, damit sie Klicks generieren. Denn um genau das geht es: um Klicks. Und Klicks sind etwas rein Numerisches, Zählbares.

Der Philosoph Byung-Chul Han bemängelte mehrmals in seinen Büchern, dass heute das, was er-zählt wird, immer mehr dem bloßen Zählen von etwas (Klicks, Abos, Follower) weicht. Clickbait ist die offensichtlichste Ausdrucksform dieser medialen Perversion.

Selbstverständlich ist bei dieser Betrachtung falsche Bescheidenheit unangebracht, denn natürlich ist die Reichweite wichtig! Sie ist konstitutiv dafür, dass das fabrizierte Medium – Text, Video, Podcast oder Musikstück – keine reine Selbstbespaßung bleibt. Natürlich möchte jeder Medienschaffende für das, was er macht, gelesen, gesehen, gehört und genossen werden. Reichweite ist ein Mittel, um das eigene Medienerzeugnis, das, was man zu erzählen hat, nachhaltig zu gestalten. Das heißt, dass man sich per Reichweiten-Ausbau einen Namen macht, Unterstützer findet, die die eigene Arbeit goutieren, dies auch in Form von finanzieller Unterstützung zeigen und damit das jeweilige Projekt in die Zukunft tragen.

Problematisch wird es dann aber ganz schnell, wenn die Reichweite von einem Mittel zu einem Selbstzweck wird. Dann rückt nämlich die Erzählung immer weiter hinter das, was zählbar ist: die Klicks. Es geht dann irgendwann nur noch um die Reichweite, aber kontinuierlich weniger um die Inhalte, die der Absender dem Empfänger über diese Reichweite „überreicht“.

Man könnte hier von einer erzählerischen Shrinkflation sprechen. Wenn der Gehalt des Contents immer weiter zurückgeht, dann muss eben die Verpackung den inhaltlichen Mangel kompensieren. Das Phänomen ist leider auch in der Szene der freien alternativen Medien immer häufiger zu beobachten: Die immer gleichen, bekannten Gäste werden zu den – fast – immer gleichen Themen immer wieder neu eingeladen. Neues zu erzählen haben sie dabei selten, weswegen das viele Alte – und damit wenig Neue – reißerisch neu verpackt werden muss. Komplett andere Gäste, gar völlig unbekannte Gesichter einzuladen, trauen sich leider zu wenige Medien. Zwar hätten diese neuen Gesichter mitunter sicherlich viel Neues zu er-zählen, aber mangels großer Namen und bekannter Gesichter kann man hierbei nicht auf hohe Klickzahlen zählen, weswegen dann nur allzu gerne auf altbekannte Gäste zurückgegriffen wird.

Ein erster Schritt weg von der Clickbait-Unkultur ist das Anerkennen dessen, dass die Höhe der Klickzahlen per se kein Wert an sich ist. Die Anzahl der Klicks ist in erster Linie eine quantitative Kategorie und nicht zwangsläufig eine qualitative. Ja, etwas kann aufgrund seiner inhaltlichen Qualität viel geklickt worden sein. Aber zwangsläufig sagt eine hohe oder niedrige Klickzahl nichts über die Qualität des Geklickten aus. Auf YouTube hat Hannah Arendts bekanntes Gespräch mit Günter Gaus „nur“ 1,4 Millionen Klicks, Jack Dohertys Prank-Video im Walmart-Store zehnmal so viel. Welches der beiden Videos qualitativ hochwertiger ist, darüber gibt es wohl – hoffentlich – keinen Zweifel.

Ein weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die Unabgeschlossenheit. Während eine Erzählung einen Anfang und einen Schluss hat, kommt das Zählen von Klicks und Followern nie zu einem Ende. Ab wann sind es denn genug Klicks? Ab wann hat man genug Follower beziehungsweise Abonnenten? Was zählt, ist das bloße Wachstum der Reichweite um – fast – jeden Preis, auch dem Preis des Inhalts. Clickbait-Thumbnails sind im Grunde genommen der weit aufgerissene Schlund einer medialen Raupe Nimmersatt. Es geht nur noch um das Mehr. Mehr, mehr, mehr.

Mehr Klicks, mehr Follower, mehr Retweets. Eine Sättigung und ein Gefühl der Zufriedenheit treten dabei nie ein – weder für den Produzenten noch für den Rezipienten. Ersterer bleibt Getriebener seiner Reichweiten-Statistik, Letzterer hangelt sich ungesättigt von einem reißerisch aufgemachten Inhalt zum nächsten, ohne je die versprochene Inhaltsfülle zu bekommen.

Wie könnte also eine Counter-Culture aussehen?

Positivbeispiele

Von Clickbait machen viele Gebrauch – aber bei weitem nicht alle. Und so gibt beziehungsweise gab es durchaus nachahmenswerte Medienschaffende, die zeigen, wie man den eigenen Inhalt in einer Weise präsentiert, die neugierig macht, aber nicht verspricht, was sie nicht halten kann.

Zu nennen wäre der letztes Jahr verstorbene Gunnar Kaiser mit seinem Kaiser TV. Die Thumbnails sind ästhetisch – nicht schrill. Der Titel besteht zumeist entweder aus einer Frage oder einer kurz ausformulierten These. Enthalten sind dabei keine Cliffhanger, die Titel sind nicht reißerisch, nicht schockierend, sondern Neugierde weckend. Das Allerwichtigste: Sie halten, was sie versprechen. Über den gesamten Videobeitrag hinweg wird die angeteaserte Frage oder These behandelt. Um in dem bereits bemühten Vergleich mit der Währung zu bleiben: Hier gibt es keine Inhaltsinflation. Die Aufmache des Beitrags ist durch den Inhalt mehr als gedeckt. Vielmehr könnte sogar von einer Deflation gesprochen werden, weil der Beitrag weitaus mehr enthält, als die Aufmache imstande gewesen wäre anzupreisen.

Noch eleganter geht der ideologiekritische Filmrezensent Wolfgang M. Schmitt auf seinem Filmanalyse-Kanal-Kanal vor: Der jeweils analysierte Film findet sich in Großbuchstaben im Titel, der wiederum aus einer zunächst nicht unmittelbar eingängigen These, Aussage oder Gegenüberstellung besteht. Beispiele:

  • „BIBI & TINA und die deutsche Flüchtlingspolitik“
  • „Nietzsche! STAR WARS 9“
  • „Neulich bei Mäces: DIE KÄNGURU-CHRONIKEN“
  • „Ein Film wie Joe Biden: THE TRIAL OF THE CHICAGO 7“
  • „Die Bundeswehr wird TRANSFORMERS 7 (…) lieben“

Diese Titel wecken Neugierde mit Irritationen statt mit reißerischen Schockern. Was haben „Bibi & Tina“ mit der deutschen Flüchtlingspolitik und die Bundeswehr mit „Transformers 7“ zu tun? Es ist das im ersten Moment Unerklärliche, das neugierig macht.

Wenn überhaupt, setzt Schmitt nur selten auf Clickbait-ähnliche Titel. Und selbst wenn er es tut, dann kann großzügig darüber hinweggesehen werden, weil die Inhalte – fast – jedes Mal die Verpackung um ein Vielfaches übertreffen. Auf Emojis oder irgendwelche schrillen Thumbnails verzichtet er seit Anbeginn seines immerhin schon 13 Jahre bestehenden, überaus seriös gehaltenen Kanals komplett. Und der Erfolg gibt ihm recht: Satte 115.000 Menschen haben ihn mittlerweile abonniert. Obwohl, oder vielleicht gerade weil Schmitt eben nicht mit Effekthascherei und marktschreierischer Rhetorik operiert, sondern mit seinem scharf durchdachten, bissigen Inhalt überzeugt.

Genau darum geht es – dass der Inhalt „Biss“ hat. Um abschließend einen bildhaften Vergleich mit Hunden zu bemühen: Wer inhaltlich nicht beißt, der muss, um Aufmerksamkeit zu erregen, laut bellen.


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