Bei der Münchner Sicherheitskonferenz beklagte UN-Generalsekretär António Guterres die anhaltenden Kämpfe in Syrien und das Leid der Bevölkerung. Gleichzeitig lobte er Russland für seine aktive Friedenspolitik in dem Land (1). Guterres bezog sich auf die Konferenz für den nationalen Dialog in Sotschi (Januar 2018) bei der es gelungen sei, den innersyrischen Dialog anzustoßen. Eine friedliche politische Lösung des langandauernden Konfliktes sei möglich, wenn man sich dafür einsetze und es wolle. Wird der Krieg in Syrien regional eskalieren — oder wird Dialog zum Frieden führen?
Die „Teile des Landes“ von denen De Mistura sprach befinden sich in den Grenzgebieten Syriens, von wo der Krieg 2011 seinen Anfang nahm. Im Norden wollen sich die Türkei und die USA etablieren und haben sich mit sehr unterschiedlichen „Partnern am Boden“ dafür verbündet. Im Osten will die USA Syrien daran hindern, die nationalen Öl- und Gasressourcen zu kontrollieren. Außerdem wird Syrien bei Al Tanf der Zugang zur Grenze in den Irak verwehrt. Im Südwesten will Israel sein Einflussgebiet in den syrischen Provinzen Deraa und Qunaitra ausweiten und kooperiert dafür auch mit Al Khaida. Im Nordwesten soll in der syrischen Provinz Idlib – mit Unterstützung der Türkei, Golfstaaten, Israel und europäischen Ländern, Deutschland inklusive - ein neuer syrischer Staat unter Führung einer „Exil-Regierung“ entstehen.
Im Norden, entlang der syrisch-türkischen Grenze, streiten die Türkei und die USA darum, wie und mit wem ihr Einfluss in Syrien durchgesetzt werden soll. Die Türkei kooperiert mit islamistischen Kämpfern, die u.a. auch aus der Nusra Front (Al Khaida) kommen. Ihr Ziel ist, in den „befreiten Gebieten“ einen eigenen syrischen Staat gegen Damaskus aufbauen.
Die USA hat sich als Partner im so genannten „Anti-Terror-Kampf gegen den Islamischen Staat“ die kurdischen Volksverteidigungskräfte der YPG/YPJ ausgesucht. Diese gehören zu der kurdischen „Partei der demokratischen Union“ (PYD), die wiederum mit der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) verbunden ist. Ihr Projekt ist eine selbstverwaltete „Demokratische Föderation Nordsyrien“. Dafür wollen sie ihr Einflussgebiet von Qamischly im Nordosten Syriens bis nach Afrin im Westen von Aleppo ausdehnen.
Die Türkei sieht in den kurdischen „Partnern“ der US-geführten „Anti-IS-Koalition“ eine „Terrororganisation“, die „ausgelöscht“ werden muss. Um einen Anschluss von Afrin an die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten zu verhindern, besetzten türkische Truppen mit islamistischen und turkmenischen Kampfverbänden bereits im Sommer 2016 eine „Sicherheitszone“ zwischen Azaz, Jarabulus und Al Bab. Am 20. Januar 2018 griff die türkische Armee Einflussgebiet der PYD/YPG/YPJ in und um die Kleinstadt Afrin an. Ankara gibt an, aus Gründen der „Selbstverteidigung“ gegen die syrischen Kurden zu kämpfen. Völkerrechtlich haltbar ist das nicht, da die syrischen Kurden die Türkei nicht angegriffen haben. Tatsächlich war die Invasion ein Signal an die USA, die – aus Sicht Ankaras – die türkischen Sicherheitsinteressen ignoriert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan forderte, dass YPG/YPJ aus den „Syrischen Demokratischen Kräften“ entfernt würden. Alle sollten sich auf die Region östlich des Euphrat zurückziehen.
Der türkische Einmarsch nach Afrin folgte wenige Tage nachdem US-Außenminister Rex Tillerson im Hoover Institut an der Stanford Universität zu dem Thema „Der Weg nach vorne in Syrien“ die US-Perspektive in Syrien erläutert hatte.
„Ein stabiles, vereintes und unabhängiges Syrien kann nur mit einer Führung ohne Assad erfolgreich sein“, so Tillerson. Für die USA sei es „entscheidend“ in der Region (Syrien und Irak) präsent zu bleiben, um gegen terroristische Gruppen und die mögliche Wiederauferstehung des „Islamischen Staates“ kämpfen zu können. Die US-Armee werde daher „in Syrien militärisch präsent bleiben“, auch um den „bösartigen Einfluss des Iran in der Region“ zurückzudrängen. Erst wenn „Assad nicht mehr an der Macht ist, wird die USA eine Normalisierung zwischenstaatlicher wirtschaftlicher Beziehungen mit Syrien“ unterstützen. „Das wird dauern, wir sind geduldig“, so Tillerson weiter. In der Zwischenzeit werde die USA in die „Stabilisierung“ einiger Gebiete „investieren“.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow brachte es kurz vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz (16./18.2.2018) — wo alle regionalen und internationalen Akteure des Syrien-Krieges zusammenkommen — in einem Interview mit dem Fernsehsender Euronews auf den Punkt:
„Die USA sind durchgängig seit zwei oder drei Jahren in Syrien. Fast während der ganzen Zeit, in der das Militärbündnis unter Washingtons Leitung in Syrien aktiv ist und US-Spezialeinheiten und andere Truppen eingesetzt werden, geschieht dies illegal und ohne Ersuchen aus Damaskus und ohne Mandat des Weltsicherheitsrates.“ Es sei klar, dass die USA vorhabe, „sich in Syrien trotz aller vereinbarten Kompromisse dauerhaft mit ihren bewaffneten Kräften breitzumachen - so wie im Irak und in Afghanistan. Und wenn sie dauerhaft in Syrien bleiben, schließen sie große Teile des syrischen Gebietes aus und verletzen damit die Souveränität der Arabischen Republik Syrien. Dadurch schaffen sie dort so etwas wie Scheinbehörden und versuchen, zusammen mit den Kurden um jeden Preis eine Autonomieeinheit aufzubauen.“
Zurückbomben in die Steinzeit
An der US-Strategie, Syrien zu teilen und zu besetzen, orientieren sich alle NATO-Partner. Dazu gehört auch Israel, das seit 2016 mit einem offiziellen Vertreter bei der NATO in Brüssel sitzt. 2017 folgte ein NATO-Israel Abkommen über den Austausch von Geheimdienstinformationen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Zusammenarbeit zwischen NATO und Israel auf den Rüstungsbereich ausgedehnt werden soll.
Israel warnt seit Jahren vor einer angeblichen „schiitischen Gefahr“ aus dem Iran, dem „schiitischen Machtbogen“, den Teheran vom Golf bis an das Mittelmeer spannen wolle. Aus Israel kommen „Informationen“ wonach Syrien (mit Nordkorea, dem Iran und der Hisbollah) an einem neuen Chemiewaffenprogramm arbeiten soll. Zuletzt wurde verbreitet, dass der Iran sowohl in Syrien als auch im Libanon, mit der Hisbollah, Raketen baue, um Israel anzugreifen. Dutzende Male hat Israel zugunsten der Kampfgruppen mit Luftangriffen in den Krieg in Syrien interveniert. Die Angriffe werden in Tel Aviv weder dementiert noch bestätigt.
Aktuell begründet Israel seine stets „gefährdete Sicherheit“ mit der Präsenz iranischer Militärberater und der Revolutionsgarden, die seit 2012 der syrischen Armee im Kampf gegen Al Khaida zur Seite stehen. Die Präsenz des Iran in Syrien ist ebenso legitim, wie die Russlands und der libanesischen Hisbollah, denn Syrien hat sie um Hilfe gebeten. Mit Russland und der früheren Sowjetunion ist Syrien seit den 1950iger Jahren, mit dem Iran seit 1979 durch eine Vielzahl von Abkommen verbunden.
Am 10. Februar schoss ein israelischer Kampfhubschrauber eine Drohne ab, die aus Syrien gesteuert das Aufmarschgebiet von Al Nusra- und anderen Kämpfern im nördlichen Jordantal überwachte. Man habe gewartet, bis eine günstige Position den Abschuss der Drohne ermöglichte, so Brigadegeneral Tomer Bar von der Israelischen Luftwaffe.
Anschließend zerstörten israelische Kampfjets die Leitstation der Drohne in Syrien. Doch Israel hatte offenbar mit der prompten Reaktion der syrischen Luftabwehr nicht gerechnet. Ein F-16-Kampfjet wurde abgeschossen, die Piloten konnten sich retten. Luftabwehrraketen landeten weit auf israelischem Territorium und lösten Luftalarm aus. Als Antwort flogen israelische Kampfjets eine weitere Welle von Angriffen auf militärische Ziele in Syrien. Nach israelischer Darstellung soll dabei die syrische Luftabwehr zu 50 Prozent zerstört worden sein, die anderen Angriffe hätten „iranischen Zielen“ in Syrien gegolten. Von syrisch-russischer Militärseite war zu hören, dass 13 der 18 israelischen Raketen abgewehrt werden konnten.
Der russische Präsident Wladimir Putin telefonierte mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und forderte Israel auf, die staatliche und territoriale Integrität und Souveränität Syriens zu respektieren. Einzelheiten wurden nicht bekannt, doch Russland hat Israel offenbar klar gemacht, dass weitere Luftangriffe auf Syrien von Russland nicht unbeantwortet bleiben würden.
Erstmals seit 1982 hatte Syrien in Verteidigung seines Landes einen israelischen Kampfjet abgeschossen, der Zorn über die Demütigung in Tel Aviv war groß. Und richtete sich kurz darauf gegen den Libanon, der Syrien gegenüber dem UN-Sicherheitsrat den Rücken gestärkt hatte. Syrien habe das Recht, sich gegen die Angriffe Israels zu verteidigen, hieß es in Beirut. Das gleiche gelte für den Libanon, dessen Luftraum von Israel seit Jahren und immer wieder missachtet werde. Der UN-Sicherheitsrat wurde aufgefordert, Israel zur Rechenschaft zu ziehen.
„Libanon wird in die Steinzeit zurück befördert“, drohte dagegen der israelische Verkehrsminister Israel Katz nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitskabinetts in Israel, dem Katz angehört.
Man werde nicht zulassen, dass der Libanon zu einer Produktionsstätte iranischer Raketen werde. Sollte die iranische Bombenproduktion nicht gestoppt werden, werde der Schlag gegen den Libanon heftiger als im Jahr 2006. Kein Ziel werde verschont und jede Art der Infrastruktur der Hisbollah werde zerstört: „Der Libanon wird viele Jahre zurückgeworfen. Manche sagen in die Steinzeit, andere in die Zeit der Höhlenmenschen.“
Der Vorsitzende der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah wies die Drohungen Israels zurück und machte klar, dass es Israel um die Öl- und Gasreserven gehe, die im Libanon, im östlichen Mittelmeer, auf den Golan-Höhen und in Syrien vorhanden seien. Es gehe „nicht allein um eine wirtschaftliche Frage. Israel benutzt das Thema Energieversorgung, um von den USA grünes Licht dafür zu bekommen, die gesamten Golan-Höhen zu übernehmen“, sagte Nasrallah am 16.2.2018 bei einer Veranstaltung in Süd-Beirut zur Erinnerung an die Gefallenen der Hisbollah. Der Zugriff auf die syrischen Energieressourcen sei der eigentliche Grund der anhaltenden Präsenz von US-Truppen in den Gebieten östlich des Euphrats, sagte Nasrallah. Dort seien die wichtigsten Öl-und Gasvorkommen. Für die USA und den Geschäftsmann Donald Trump, der Präsident geworden sei, sei auch der Irak nicht mehr als „ein großes Fass Öl“.
Kriegstreiber im Rampenlicht
Ob der Syrien-Krieg sich regional ausweitet ist nicht ausgemacht. Wichtig ist gleichwohl, dass jetzt die eigentlichen Verursacher des Krieges endlich ins Rampenlicht treten und Klartext über ihre Interessen in Syrien sprechen. Bisher versteckten sie ihre Absichten hinter der syrischen Bevölkerung, die 2011 angeblich für den „Sturz des Regimes“ in Syrien auf die Straße gegangen sei. Tatsächlich wollten nicht die Syrier sondern die USA, Europa, die Golfstaaten, die Türkei und Israel den „Sturz des Regimes“, einen Regime-Change in Syrien. Lokale Unterstützer für diese Forderung fanden sie bei der Muslim Bruderschaft, Salafisten und Al Khaida im Irak. Diese führten den Aufstand in Syrien an, stellte im Spätsommer 2012 der Militärische Geheimdienst des US-Verteidigungsministeriums (DIA) in einem Bericht fest. Im Osten Syriens (Hasakeh, Deir Ez-Zor) könnte sich ein „salafistischen Fürstentum“ etablieren, würde die Entwicklung nicht gestoppt. Die USA, der Westen, die Türkei und die Golfstaaten unternähmen nichts, weil die Führung in Damaskus zu Fall gebracht und der Einfluss des Iran gestoppt werden solle.
Dafür wurden Milliarden US-Dollar ausgegeben, Waffen gekauft und nach Syrien geschmuggelt. Kämpfer wurden bewaffnet und ausgebildet, die Versorgung der Flüchtlinge organisiert, die vor dem Krieg davonliefen. Parlamente und die eigene Bevölkerung wurden unzureichend aufgeklärt und Medien mit einseitigen, aufbereiteten, oft unvollständigen oder auch unwahren „Informationen“ gefüttert. Ein „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ zeigte, dass der Geist, den man aus der Flasche gelassen hatte, sich verselbstständigte und mit Öl, Gas, Weizen, Wasser. Geiselnahmen und Antikenschmuggel gute Geschäfte machte. Bis zu 80.000 Männer und Frauen aus aller Welt schlossen sich an und installierten im syrisch-irakischen Grenzgebiet das „salafistische Fürstentum des Islamischen Staates“, wie es der DIA-Bericht prognostiziert hatte. Die USA gründete – ohne UN-Mandat - eine „Anti-IS-Koalition“, die täglich Millionen US-Dollar verschlang. Die Folgen ihrer „Befreiungsschläge“ sind in den Trümmern von Rakka und Mosul zu besichtigen.
Anfang 2018 war das „salafistische Fürstentum“ besiegt. Die Last des Krieges trug allerdings die syrische Armee mit ihren Verbündeten aus dem Iran und der Hisbollah. Ohne die massive, zielgerichtete militärische Unterstützung der russischen Streitkräfte seit September 2015, wäre das nicht möglich gewesen. Unterstützt von der US-geführten „Anti-IS-Allianz“ trieben auch die kurdischen Volksverteidigungskräfte YPG/YPJ den „IS“ zurück, Tausende ließen dafür ihr Leben. Nun also könnte die US-geführte Allianz sich auflösen und abziehen.
Aber die USA will bleiben, wie Außenminister Rex Tillerson unverblümt im Januar 2018 erklärte. Man müsse die „befreiten Gebiete“ militärisch, wirtschaftlich, politisch und humanitär „stabilisieren“ führte er aus. Dafür werde die USA eine Grenzschutztruppe von 30.000 Männern (und Frauen?) der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDK) ausbilden und ausrüsten. Die USA werde die Syrer beim Aufbau eigener politischer und Verwaltungsstrukturen unterstützen. Die mehr als 13 US-Militärbasen bei Al Tanf und in den von Kurden kontrollierten Gebieten, erwähnte er nicht.
„Die USA und die (Anti-IS) Koalitionsstreitkräfte (…) kontrollieren heute 30 Prozent des syrischen Territoriums und –damit verbunden – einen großen Anteil der Bevölkerung sowie der syrischen Ölquellen“, so Tillerson Mitte Februar vor Journalisten in Kuwait. Außerdem befinden sich dort rund 60 Prozent der Weizenvorräte und entlang des Euphrat und seiner Nebenflüsse Kraftwerke und Bewässerungsanlagen. Das sollte nach Ansicht von Tillerson genügend Verhandlungsmasse sein, um auf den politischen Prozess, der in Genf fortgesetzt werden solle, Einfluss zu nehmen.
Quellen und Anmerkungen:
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