Der nachstehende Text ist der Folgeartikel zum offenen Brief, den Studenten der Freien Universität (FU) Berlin an den Präsidenten ihrer Uni im Februar geschickt haben. Dieser Brief blieb bisher unbeantwortet. Offenbar ist daher davon auszugehen, dass der in diesem Brief geforderte Debattenraum zu den Corona-Maßnahmen nicht erwünscht ist. Die Uni schweigt seit März 2020, eine Kommunikation findet im Grunde nicht statt.
Zumindest nicht, wenn es sich bei den Fragenden um die eigenen Studentinnen und Studenten handelt. Der Journalist Gunnar Schupelius, der den offenen Brief auch in seiner Kolumne (1) erwähnte und die Politik der FU Berlin mit deutlichen Worten kritisierte, schrieb die Uni an. Auch wenn die Antwort, wie er schrieb, nicht zufriedenstellend war, bekam er im Gegensatz zu den Initiatoren des offenen Briefes wenigstens eine Antwort.
Dass eine Diskussion über die Corona-Maßnahmen in den Unis schwierig sein würde, zeichnete sich auch schon vorher ab. Denn schon bevor der offene Brief überhaupt entstand, wurde der Psychoanalytiker Professor Dr. Klaus-Jürgen Bruder an der FU Berlin von dem Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaft und Psychologie dafür kritisiert, E-Mails „zum Thema COVID-19 u.a. über [den] FU-Account“ verschickt zu haben.
Aus diesem Grund wurde Herr Bruder aufgefordert, den „E-Mail-Account künftig nicht mehr für derlei Mails zu verwenden“. Abschließend wurde, sollte Herr Bruder „dem nicht nachkommen“, noch mit „Konsequenzen in Bezug auf Ihr Mitgliedschaftsverhältnis“ gedroht. Auch hier wird deutlich, dass eine mögliche Diskussion über das Thema COVID nicht erwünscht ist.
Die Maßnahmen müssen von allen Beteiligten einfach hingenommen werden. Jede Frage nach der Begründung der Maßnahmen in mehreren Mails von mir an die Uni blieb unbeantwortet. Das verwundert. Denn obwohl die Studenten von den Corona-Maßnahmen betroffen sind, will ihnen gleichzeitig niemand sagen, auf welcher Basis diese Maßnahmen überhaupt getroffen wurden.
Welchen Schluss sollen die Studenten daraus ziehen? Sie werden im Studium immer wieder daran erinnert, nach wissenschaftlichen Kriterien zu arbeiten, damit sie das, was sie schreiben, auch begründen können. Doch offenbar gelten diese Kriterien nicht für alle.
Als ich dem Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Professor Dr. Peter-André Alt — ehemaliger Präsident der FU Berlin von 2010 bis 2018 —, am Freitag, dem 5. März 2021, den Text des offenen Briefes schickte, so wie er auf Rubikon abgedruckt zu finden ist (siehe oben), antwortete die HRK noch am selben Tag mit einer Pressemitteilung. Für einen Freitag ist das erstaunlich ... Leider wurde der offene Brief in der Antwort nicht weiter beachtet, doch die Pressemitteilung weckt neue Fragen, da dort folgende Aussage zu finden ist: „Wenn über Test- und Impfstrategien aber wieder mehr Präsenzlehre möglich ist, sollten diese Optionen auch genutzt werden“ (2).
Diese Aussage setzt die Annahme voraus, dass eine Rückkehr zur Präsenzlehre nur durch Tests und — man achte hier auch auf die Konjunktion — durch Impfung möglich ist. Die HRK hat den Unis also die Auflage erteilt, die Rückkehr zur Präsenzlehre an Tests und Impfungen zu koppeln.
Dies hat die HRK am 18. März in einer weiteren Pressemitteilung bekräftigt:
„Der Senat bekräftigte die Forderung des HRK-Präsidenten an Bund und Länder, bei ihren künftigen Vereinbarungen zur Pandemiebekämpfung den Hochschulbereich nicht zu ignorieren und der hohen Belastung für Lehrende und Studierende sowie der in der Pandemie wiederholt unter Beweis gestellten Leistungsfähigkeit der Hochschulen Rechnung zu tragen. Für einen substanziellen Fortschritt sei aber, so der Senat, die Entwicklung der Impfkampagne letztlich entscheidend“ (3).
Diese Forderung ist ein Skandal. Denn wenn die HRK beziehungsweise alle Universitäten in Deutschland dies wirklich durchsetzen, werden sie selbst zu der Entstehung einer Zweiklassengesellschaft beitragen: Die Studentinnen und Studenten würden sich dann in „gesunde“ — im Sinne von geimpft und/oder getestet — und „nicht gesunde“ — im Sinne von ungeimpft und/oder ungetestet — Personen aufteilen.
Dürfen dann nur noch die „gesunden“ Personen studieren, die sich impfen und testen lassen? Was passiert mit denen, die sich nicht testen und impfen lassen wollen? Müssen die ihr Studium abbrechen, oder müssen die ungeimpften Personen zu Hause bleiben und ihr Studium online fortsetzen? Wie ist das medizinisch, ethisch und rechtlich vertretbar? Sind die Tests und Impfungen überhaupt notwendig?
Die letzte Frage, die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Faktor der Impfungen — also deren Nutzen und Risiko bei den Studentinnen und Studenten —, konnte mir die HRK selbst nicht beantworten. Auch die Frage nach der Zuverlässigkeit der Tests blieb unbeantwortet. Umso wichtiger, dass diese Fragen in den Universitäten ernsthaft diskutiert werden.
Die HRK bewegt sich hier meiner Ansicht nach außerhalb der Legalität; sie setzt im Grunde ihr eigenes Recht, weil sie die Testung und Impfung von circa 3 Millionen Studentinnen und Studenten (4) fordert, ohne dass sie dies, beispielsweise mir gegenüber als betroffenem Studenten, auch nur im Geringsten begründen kann.
Aus juristischer Sicht stellt jede Impfung eine Körperverletzung dar, sofern die jeweilige Person in die Impfung nicht einwilligt. Laut der Forderung der HRK müssten die Studentinnen und Studenten demnach der Testung und Impfung zustimmen, damit sie ihr Recht auf Bildung weiterhin wahrnehmen dürfen. Dann lautet die Devise: Bildung nur gegen Impfung. Da an den Unis auch Personen studieren, die noch nicht volljährig sind, steht hier auch die Frage im Raum, ob die Unis so nicht auch in das Erziehungsrecht der Eltern eingreifen.
Impfung und Testung als Voraussetzung zum Studium
In den USA hat eine staatliche Universität, die Rutgers University im Bundesstaat New Jersey, bereits am 25. März 2021 auf ihrer Homepage Folgendes bekannt gegeben: „Proof of vaccination will be required for all students planning to attend this fall“ (5). Übersetzt bedeutet das: Alle Studenten, die diesen Herbst teilnehmen wollen, benötigen einen Impfnachweis. Aber eben nicht irgendeinen Beleg, sondern einen Impfnachweis für COVID-19 (6).
Zwei weitere Privatuniversitäten, die Brown University in Providence, Bundesstaat Rhode Island, und die Cornell University in Ithaca, Bundesstaat New York, zogen Anfang April nach und verkündeten ebenfalls die Einführung eines Impfnachweises für COVID-19 (7, 8). Wer an der Brown University als ungeimpfte Person ab Herbst studieren möchte, aber keine Ausnahmeregelung erhalten hat, muss dann einen Antrag für ein Fernstudium stellen oder sich freistellen beziehungsweise beurlauben lassen (9).
Es kursiert ein Dokument der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Bundeswehrverwaltung, im Netz, in dem die angeschriebene Person aufgefordert wird, einen negativen Schnelltest vorzulegen, bevor sie an einer Prüfung teilnehmen darf. Begründet wird das im Dokument durch das Hausrecht (10).
An der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin haben die Erstsemester, die diesen Sommer ihr Studium beginnen werden, eine Mail vom Präsidenten der HTW bekommen. Neben dem Hinweis, dass auf dem Campus die AHA-Regeln gelten und das Sommersemester 2021 digital stattfinden wird, steht dort auch Folgendes:
„Natürlich werden wir den Campus auch persönlich zurück erobern (sic!). So schnell es gefahrlos geht. Wenn wir dafür testen müssen, testen wir. Wenn wir dafür impfen müssen, impfen wir“ (Hervorhebung im Original).
Mit dem Begriff „erobern“, vor allem mit der auch fett hervorgehobenen Verbindung mit dem Begriff „Campus“ im selben Satz wird ein Szenario des Kampfes eröffnet: Hier wird mit der Rückeroberung eines Areals, in diesem Fall des Campus, argumentiert. Das ist eindeutig Kriegsrhetorik. Die HTW Berlin deutet in den nächsten drei Sätzen klar an, dass es gar nicht mehr um die Sinnhaftigkeit der Corona-Maßnahmen gehe, sondern um ein schnelles Absolvieren ebendieser. Die Maßnahmen werden quasi abgearbeitet. Unabhängig davon, wie hoch deren Nutzen und Schaden ist — was gemacht werden „muss“, wird gemacht. Für den Sieg ist jedes Mittel recht!
Doch wer bestimmt hier, was gemacht werden muss? Denn wenn die HRK und die Uni selbst die Corona-Maßnahmen nicht erklären können, bleiben im Ausschlussverfahren im Großen und Ganzen nur noch die politischen Forderungen zu den Schließungen, Testungen und Impfungen übrig. Dazu kommt, dass eine Kritik an den Corona-Maßnahmen seitens der Universitäten unweigerlich auch eine Kritik an denjenigen bedeuten würde, die die finanziellen Mittel für die Hochschulen bereitstellen, und das ist die jeweilige Landesregierung.
Die Aufgaben der Unis
In der Landesverfassung von Berlin steht unter Artikel 20:
„Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung“ (11). Im Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) steht unter § 4 Aufgaben der Hochschulen Folgendes: „Die Hochschulen dienen der Pflege und Entwicklung von Wissenschaft und Kunst durch Forschung, Lehre und Studium und der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten. Sie wirken dabei an der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates mit und tragen zur Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen bei“ (12).
Ähnliches steht im Hochschulrahmengesetz (HRG) im 1. Kapitel, Aufgaben der Hochschulen, § 2 Aufgaben (13).
Die Hochschulen stehen hier also offenbar im Konflikt mit den ihnen eigens zugeschriebenen Aufgaben und der Verfassung, wenn sie das Recht auf Bildung und körperliche Unversehrtheit an Tests und Impfungen koppeln. Eine Separierung der Studenten in geimpft/ungeimpft und getestet/ungetestet hat mit „der Erhaltung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ und einer „Verwirklichung [!] der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen“ nichts mehr zu tun!
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.bz-berlin.de/berlin/kolumne/universitaeten-bleiben-auch-nach-378-tagen-im-super-lockdown
(2) https://www.hrk.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/meldung/hrk-nach-neuesten-bund-laender-beschluessen-zur-corona-krise-studierende-und-hochschulen-mitdenken-47/ Siehe auch hier: https://www.spiegel.de/panorama/bildung/corona-pandemie-hochschulrektoren-fordern-rueckkehr-zur-praesenzlehre-a-f50de8ba-f643-46bc-aa82-af005f9719de
(3) https://www.hrk.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/meldung/hrk-zum-studium-unter-corona-bedingungen-weiterhin-praesenzangebote-nur-in-verantwortlichem-mass-4801/
(4) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Tabellen/studierende-insgesamt-bundeslaender.html Siehe auch hier: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_497_213.html
(5) https://www.rutgers.edu/president/our-path-forward Siehe auch hier: https://www.rutgers.edu/news/rutgers-require-covid-19-vaccine-students
(6) https://www.rutgers.edu/president/our-path-forward Siehe auch hier: https://www.rutgers.edu/news/rutgers-require-covid-19-vaccine-students
(7) https://www.brown.edu/news/2021-04-06/fall-2021 Siehe auch hier: https://www.browndailyherald.com/2021/04/06/brown-require-covid-19-vaccine-person-instruction-fall/
(8) https://cornellsun.com/2021/04/02/cornell-plans-for-in-person-fall-expects-to-require-vaccination/ Siehe auch hier: https://cornellsun.com/2021/04/05/your-vaccine-registration-questions-answered/
(9) https://www.browndailyherald.com/2021/04/06/brown-require-covid-19-vaccine-person-instruction-fall/
(10) https://twitter.com/AefAufklaerung/status/1377602822670319618
(11) https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/verfassung/artikel.41548.php
(12) https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-HSchulGBE2011V11P4 Siehe auch hier: https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-HSchulGBE2011rahmen
(13) https://www.gesetze-im-internet.de/hrg/BJNR001850976.html#BJNR001850976BJNG000102310
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