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Trotz alledem

Trotz alledem

Hoffnung ist nicht die Gewissheit, dass richtiges Handeln das Gute herbeiführen kann, sondern dass es eines Tages Sinn ergeben wird.

Der innere Drang

Die Sonne schien an diesem denkwürdigen Morgen des 21. April 2021. Der Himmel war wunderbar blau, und eine frische Brise wehte mir entgegen. In mir regte sich Aufbruchstimmung. Die Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes, welche die Bundesregierung mit einschneidenden Befugnissen ausstattet, sollte heute verabschiedet werden, und eine große Demo wurde erwartet. Ich fühlte, dass es wichtiger denn je war, diese sicherlich historischen Augenblicke des Protests festzuhalten. Also schnappte ich mir meine Kamera und fuhr wieder einmal in unsere Hauptstadt.

Während ich unterwegs war, aus dem Fenster schaute und die Weite genoss, kreisten viele Gedanken in meinem Kopf: Macht das überhaupt noch Sinn, bei all den Erfahrungen, die du mittlerweile gesammelt hast? Ist es clever, dagegen aufzubegehren, wenn so eine gewaltige Medienmacht die Ereignisse sowieso wieder in ein negatives Licht rücken wird? Die Schlagzeilen sind doch vorprogrammiert.

Die meisten Menschen finden es zusätzlich sogar unverantwortlich, dort hinzugehen. „Wandere doch aus!“, sagen sie.

Auch ist es deprimierend zu realisieren, wie weit es bereits gekommen ist und wie tief die neue Normalität in den Köpfen der Menschen verwurzelt ist. Also wozu das alles? Warum gehst du da hin? Ich kann diese Fragen nicht einmal beantworten. Vielleicht ist es der Funken Hoffnung. Ähnlich wie es Martin Luther angeblich einmal sagte: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“

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Erste Eindrücke

Nach zweistündiger Fahrt erreichte ich gegen 9:30 Uhr die Straße des 17. Juni. Ein freundlicher Polizist erlaubte mir, sogar direkt hinter der Absperrung zu parken, da ich ihm mitteilte, dass ich die Demonstration fotografisch dokumentieren wolle. Noch einen Griff zur Wasserflasche, und dann ging´s geradewegs Richtung Brandenburger Tor. Ich war nicht der Einzige. Die ersten Blogger und YouTuber waren zu sehen, die das Ganze per Livestream übertrugen und begannen, Interviews zu führen. Ein freundlicher Fahrradfahrer radelte grüßend an mir vorbei. Die Worte, die aus seinen Lautsprechern tönten, waren unmissverständlich und verleiteten mich zu einem süffisanten Grinsen.

Schließlich erreichte ich die erste Menschentraube. So an die tausend dürften es gewesen sein. Es herrschte eine fröhliche Atmosphäre. Die Sonne lachte immer noch und trug sicherlich ihren Teil zur tollen Stimmung bei. Ich drückte das erste Mal den Auslöser und fragte hier und da, ob ich ein Foto machen dürfe. Manchmal kam man ins Gespräch, und ich merkte deutlich, dass die Empfindungen identisch waren. Sie alle teilten dieselben Sorgen wie ich, über die ich auch schon in vergangenen Artikeln berichtet habe; es ist nicht nötig, diese Dinge wieder und wieder vorzutragen. Ich nahm lieber die Eindrücke mit, fotografierte die Menschen und ihre Anliegen, die sie auf die selbst gebastelten Plakate und Fahnen geschrieben hatten.

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Friedlicher Protest

Die Straße füllte sich, es wurden stetig mehr. Menschen jeglicher Couleur waren zugegen. Ein bisschen fühlte es sich an wie im vergangenen Jahr, als Millionen gegen das drohende Unheilssystem protestierten an diesem Ort und alles dafür taten, dass eben genau das, was wir inzwischen vorfinden, nicht eintritt. Wer sich diesen Protest noch einmal zu Gemüte führen möchte, kann das hier tun.

Mittlerweile kamen so viele Menschen, dass die Polizei den Bereich erweitern musste. Bis sie das jedoch tat, stellte sie sich quer. Währenddessen schaute ich in das ein oder andere Auge jener Beamten und versuchte, den Menschen hinter seiner schwarzen Uniform zu sehen.

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Nach einiger Zeit sah sich die Einsatzleitung dazu gezwungen, den Bereich weiter auszubauen, und ließ die Menschen bis kurz vor der Siegessäule gewähren. Die anschließenden Freudenschreie der Demonstranten kann man sich vorstellen. Danach wurden die Menschen durch die Polzei in den Tiergarten geleitet. Die Trommler, die eine wunderbare Stimmung erzeugten, schritten voran, und die mittlerweile circa zwanzigtausend Menschen liefen hinterher. Immer wieder riefen sie Passanten, die oft Beifall klatschten, zu, dass sie sich anschließen sollten, was einige auch tatsächlich taten.

Schließlich erreichten wir eine riesige Wiese. Die Demonstranten trafen nach und nach dort ein. Was ich dann erleben musste, war wirklich schockierend:

Der junge Trommler, den ich die ganze Zeit begleitet hatte und der zehn Meter neben mir stand, wurde auf das Heftigste von der Polizei attackiert und zu Boden geworfen.

Ich habe diese rohe Gewalt gar nicht einordnen können, weil ich das Vorgehen nicht verstand. Es sah aus wie ein Exempel, das statuiert werden sollte, was so gar nicht zu meinen bisherigen Erfahrung an diesem Tag mit den Beamten passte. Plötzlich nahm ich wahr, dass immer mehr Menschen willkürlich von Beamten in Kampfmontur herausgepickt und in Gewahrsam genommen wurden. Wie kleine Stoßtrupps gingen sie vor, und das mit teilweise äußerster Gewalt, ich habe es selbst gesehen. Die Menge war empört, die Pfiffe wurden lauter und die Parolen entsprechend rauer. Zu Recht – das Geschehen war vollkommen unverständlich!

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Eskalation

Nun wollte die Masse zum Brandenburger Tor. In der Zwischenzeit dürften noch mehr Menschen dazugekommen sein, der ganze Park war voll. Eigenartig war, dass nun die Straße des 17. Juni abgesperrt wurde, als ob man die Menschen im Tiergarten lassen und einkesseln wollte. Es herrschte eine bedrohliche Atmosphäre. Ich ging ganz nach vorne, lehnte mich an die Mauer, die zwischen dem Tiergarten und dem Brandenburger Tor steht, und sah eine Unmenge an Polizisten. Kläffende Schäferhunde, Einsatztrupps, die bereit waren voranzustürmen, und die Masse an friedlich protestierenden Menschen waren schon ein ziemlich beeindruckendes Bild.

Dann kam es so, wie viele es schon ahnten:

Die Polizei rückte vor und schnappte sich systematisch Menschen, die sie brutal übermannte. Den Demonstranten schien es nun wirklich zu reichen, denn die Situation drohte zu eskalieren.

Die Rufe wurden so laut und die Energie so heftig, dass sich die Beamten eingekesselt sahen, sich zusammenrotteten und sich unter Einsatz von Pfefferspray den Rückzugsweg freikämpften. Sogar Baumstämme flogen durch die Luft, so groß war der Unmut. Solche Szenen will niemand, und Gewalt ist auch nicht der richtige Weg, da dies nur Bilder liefert, auf die die Presse doch nur wartet. Vielleicht waren es Provokateure, vielleicht nicht. Ich kann es nicht sagen. Auf jeden Fall war es eine einschneidende Situation, die nachhallt.

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Resümee

Es kam in der Folge immer wieder zu solchen Situationen, doch mit der Zeit beruhigte sich die Lage. Die Menschen liefen langsam zurück. Viele mussten das eben Erlebte erst einmal verdauen. Ich verschnaufte. Mittlerweile war es ungefähr drei Uhr, und an die tausend Bilder waren im Kasten. Später erfuhr ich dann, dass das Gesetz trotzdem verabschiedet worden war. Uns allen war klar gewesen, dass wir das nicht verhindern würden, und doch waren wir da!

Ich jedenfalls habe das für mich Richtige getan. Ich bin froh, dort gewesen zu sein und diesen Tag verewigt zu haben. Vielleicht erreichen die Aufnahmen ja doch den einen oder anderen, schließlich stirbt die Hoffnung bekanntermaßen zuletzt.


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Fotos: Earlyhaver


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Von der Hoffnung“ auf earlyhaver.com.


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