Vietnam war für Anjuska Weil ein Thema seit dem US-Krieg
Wie mir Anjuska Weil schrieb, war Vietnam für sie ein Thema, „seit die Bilder des US-Krieges über die noch schwarz-weißen Fernsehschirme flimmerten. Es gab nicht ein Ereignis, das da speziell im Vordergrund stand. Ich sage, jeweils seit 1966. Bei der Centrale Sanitaire Suisse Romande fand ich schon damals die Kampagne ‚Aide au Vietnam‘, die Centrale Sanitaire Suisse in der Deutschschweiz folgte auch schon bald.
Auch über Terre des Hommes kamen immer mehr Bilder kriegsversehrter Kinder herein, unter denen zahlreiche von Napalm verbrannte Kinder waren. Meine Mutter war damals bei Terre des Hommes aktiv. Jochi (der Mann von Anjuska) und ich gründeten bald darauf die Terre des Hommes Thurgau. Es kamen jedoch vor allem Kinder aus dem Maghreb in den Thurgau. Eines der Napalm-verbrannten Kinder (aus Vietnam) wurde mein kleiner Bruder. Meine Eltern nahmen den schwerst verbrannten Waisenjungen auf. Meine Finger wissen noch heute, wie Napalm-Klumpen im Gewebe eines Kindes sich anfühlen.“
„Nach dem Krieg wandten sich viele Vietnam-Bewegte anderen Themen zu — Nicaragua, Kuba, Zentralamerika generell. Ich gehörte zu denen, für welche galt: ‚Vietnam bleibt unsere Sache‘. 1982 wurde die Vereinigung Schweiz-Vietnam gegründet, 1994 wurde ich deren Präsidentin und bin es — viel zu lange schon? — noch immer. Inzwischen war ich über 30-mal in Vietnam und bin seit einiger Zeit Projektverantwortliche für die Vietnam-Projekte von medico. Der kleine Verein ‚Leprahilfeplus Vietnam‘ wurde 1991 gegründet, seither bin ich dessen Geschäftsführerin.“
Befreiung der Kriegsgefangenen — Nguyên Ngoc Dung
„Geboren wurde ich 1927 in eine kinderreiche Familie. Im Alter von sechs Jahren verlor ich den Vater, meine kleine Schwester, also die jüngste, war gerade zwei Jahre alt. Mein Vater, der jung an Tuberkulose starb, hatte in einer französischen Schiffs- und Transportfirma gearbeitet. Als mein Vater starb, konnte mein ältester Bruder Vaters Stelle übernehmen, obschon er dazu noch nicht reif war. Doch so konnte er mithelfen, die Familie zu ernähren.“
Durch einen Paten konnte Nguyên Ngoc Dung die Primarschule besuchen und später mit einem Stipendium studieren. Später engagierte sie sich im Kampf gegen den Analphabetismus.
„Die Franzosen sagten damals, dank Frankreich könnten 90 Prozent der Menschen in Vietnam lesen und schreiben, sie hätten uns die Zivilisation gebracht. Doch als ich die Schule verließ und aufs Land hinauskam, fand ich das komplette Gegenteil vor: 99 Prozent der Bevölkerung waren Analphabeten, konnten eben nicht lesen und schreiben.“
Später wurde Nguyên Ngoc Dung ausgewählt, um als Expertin an der Pariser Konferenz, die 1968 begann, zu arbeiten. Dort blieb sie fünf Jahre. 1973, nach der Unterzeichnung des Abkommens, war sie an der Umsetzung der Vereinbarung in Vietnam beteiligt, sie wurde der Gruppe für die Befreiung der Gefangenen in Südvietnam zugeteilt.
Aus der Wikipedia: „Der Vertrag von Paris vom 27. Januar 1973, in offizieller Bezeichnung ‚Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam‘, regelte den Ausstieg der USA aus dem Vietnamkrieg. Er wurde von Nordvietnam, den USA und Südvietnam unterzeichnet“ (3).
Hô Thi Thê Tan — Lebenswerk — Alphabetisierung
Hô Thi Thê Tan wurde 1931 geboren. Sie war Literaturprofessorin in einer Mittelschule in Hanoi, als Expertin für Erwachsenbildung im Bereich Alphabetisierung.
„Zu Hause haben meine Eltern mich chinesische Schriftzeichen und Vietnamesisch gelehrt, doch in meinem Umfeld war das Französische vorherrschend. In der Schule, im Lycée, war es verboten, Vietnamesisch zu sprechen. Im August 1945 fand die Revolution mit Hô Chi Minh statt. Mein Vater wurde von seinem Posten als Provinzgouverneur abgesetzt. Unsere Familie, obwohl aus der Noblesse stammend, stellte sich auf die Seite der Revolution, der Widerstandsbewegung gegen die französische Kolonialherrschaft und wechselte von Hanoi in den Maquis, in den Dschungel. Im Norden gab es freie und besetzte Zonen. Wir waren bis nach dem Sieg des Vietminh in Dien Bien Phu über die Kolonialmacht am 7. Mai 1954 in der freien Zone. Dann sind wir nach Hanoi zurückgekehrt. 1951 habe ich während der Résistance geheiratet. Mein Mann war Rechtsanwalt am Hof in Hanoi. Wir hatten fünf Kinder. Mein Mann starb 1981, also nach der Befreiung des Südens. Nach zehn Jahren als Lehrerin am Gymnasium in Hanoi folgte ich dem Weg meines Vaters, der zu einer Schlüsselfigur der Alphabetisierung in Hanoi geworden war. Nach 83 Jahren unter der französischen Kolonialherrschaft mit Elend und Hunger konnten rund 90 Prozent der vietnamesischen Bevölkerung weder lesen noch schreiben. So lief eine richtige Alphabetisierungskampagne an, die in jedes Dorf, in jeden Weiler getragen wurde. Von den 25 Millionen Einwohnern lernten so 23 Millionen einigermaßen lesen und schreiben. Nach und nach entstanden Schulen für die breite Bevölkerung. In den französischen Lycées hatten die vietnamesischen Schüler noch lernen müssen, unsere Vorfahren seien Gallier.“
Kampf gegen Malaria — Pham Huy Tien
Pham Huy Tien wurde 1932 geboren.
„1950 — ich war damals siebzehneinhalb Jahre alt — wurde damit begonnen, die Jungen über siebzehn Jahren in den besetzten Zonen für die französisch-vietnamesischen Truppen zu rekrutieren. Der Krieg war im vollen Gange. Viele meiner um ein Jahr älteren Schulkollegen wurden zur Offiziersausbildung rekrutiert. Die Vietnamesen waren zu jener Zeit entweder im Dschungel oder in den von den Franzosen besetzten Städten. Um nicht für die Armee rekrutiert zu werden, gab es nur zwei Möglichkeiten: in die befreiten Zonen zu wechseln oder das Land zu verlassen.“
Pham Huy Tiens Familie konnte es sich leisten, ihn nach Frankreich zu schicken, wo er das Gymnasium besuchte und begann, Architektur zu studieren. 1955, als das Land unabhängig geworden war, kehrte er nach Vietnam zurück und begann, Medizin zu studieren. Nach seinem Studienabschluss bekam er einen Arbeitsplatz am Institut zur Erforschung von Malaria, Parasiten und Insektenkunde und beteiligte sich an der Kampagne gegen die Ausbreitung der Malaria.
„Als der amerikanische Krieg ausbrach, wurde es schwierig, die Malariakampagne fortzusetzen. Viele Freiwillige, die aus dem Norden über die ‚Ho-Chi-Minh-Piste‘ in den Süden zogen, um an dem Befreiungskrieg teilzunehmen, erkrankten an Malaria. Diese Menschen marschierten jeden Tag zwanzig bis dreißig Kilometer und trugen dabei 30 Kilo Gepäck auf dem Rücken und wurden immer wieder bombardiert. Die Frage war, wie konnte man bereits erkrankten Menschen auf ihrem langen Marsch beistehen? Nördlich des 17. Breitengrades, in der freien Zone, wurden Lazarette errichtet, um die Kranken zu pflegen.“
In abgelegenen Bergregionen war es bei der Malariakampagne „ganz wichtig, die Menschen über die Ursache von Malaria aufzuklären, ihnen glaubhaft zu machen, dass nicht böse Geister diese Krankheit bringen würden, sondern Stechmücken. Folglich sollten sie beim Auftreten von Malaria nicht den Geistheiler, sondern einen Arzt aufsuchen.“
Nguyên Thi Phuong
Nguyên Thi Phuong wurde in Neukaledonien geboren als Tochter von vietnamesischen Immigranten, die 1939 zur Arbeit in den Nickelminen auf die Insel gekommen waren. Von klein auf hatten ihre Eltern — die Mutter war Analphabetin — ihr und ihren jüngeren Brüdern und Schwestern gegenüber ständig wiederholt, dass es das Lernen sei, das ihnen ein besseres Leben eröffnen würde. Die Familie von Nguyên Thi Phuong erwartete die baldige Rückkehr nach Vietnam, denn der Vertrag ihrer Eltern endete 1944, doch die Rückkehr verzögerte sich um Jahre. Sie selbst kehrte erst 1964 als eine der Letzten nach Vietnam zurück. In Neukaledonien konnte sie nicht studieren, engagierte sich aber stark und wurde Co-Präsidentin der vietnamesischen Jugend Neukaledoniens. In Vietnam konnte sie nicht Medizin studieren, wie sie es beabsichtigt hatte. Sie bekam aber einen Studienplatz an der Zentralen Hochschule für Kader in den Bereichen Finanzen, Buchhaltung und Banken. Sie schrieb:
„Das Studium war langwierig, es herrschte eine ungeheure Mangelsituation in der Zeit der Rationierung der Lebensmittel und der dringlichen Bedarfsgüter, zudem mussten die Bildungsstätten in den Maquis ausweichen, um sich von den amerikanischen Bomben zu schützen.“
1970, als die Verhandlungen der Pariser Friedenskonferenz vorankamen, wurde eine Radiosendung in französischer Sprache ausgestrahlt, um die Öffentlichkeit in Westeuropa zu informieren. Nguyên Thi Phuong wurde in die Redaktionsgruppe aufgenommen und war vom ersten Tag an Sprecherin; sie blieb es bis zum totalen Fall des Saigoner Regimes am 30. April 1975.
Einige Daten und Fakten aus der Geschichte Vietnams
1940 bis 1945: Das Vichy-Regime in Frankreich, verbündet mit Hitler, arbeitete mit Japan zusammen, das in Vietnam Truppen stationierte. Für die Dauer von fünf Jahren war Vietnam einer französisch-japanischen Doppelherrschaft unterworfen. Im Dezember 1944 begann der bewaffnete Kampf gegen die japanische Besatzung. Im August 1945 kapitulierte Japan.
2.September 1945: Hô Chi Minh ruft in Hanoi die Demokratische Republik Vietnam DRV aus.
23.September 1945: Französische Truppen kehren zurück und besetzen Saigon. Der Widerstand gegen die Kolonialmacht, die ein unabhängiges Vietnam nicht akzeptieren will, beginnt. Der Befreiungskrieg endet am 7. Mai 1954 mit dem Sieg in Dien Bien Phu über Frankreich.
Nach der provisorischen Teilung des Landes im Jahr 1954 in Nord- und Südvietnam sollten Wahlen stattfinden, um das Land wieder zu vereinen, die jedoch vom Süden verhindert wurden. 1955 wurde Ngo Dinh Diem Präsident Südvietnams. Er war ein Mann der Amerikaner, dessen Regime in den folgenden Jahren im Krieg gegen den Vietcong auf der Seite der USA stand. Die Vereinigten Staaten hatten Frankreich schon von 1950 an im Kampf gegen die Vietminh von Hô Chi Minh unterstützt; sie verfolgten in Vietnam das Ziel, den Kommunismus einzudämmen. Amerika befürchtete, Vietnam, Kambodscha, Laos, Indonesien, die Philippinen und andere Länder würden nach und nach wie Dominosteine umfallen und unter kommunistische Herrschaft kommen, wie 1949 China, und so der „freien Welt“ verloren gehen.
Im Dezember 1960 wurde die Nationale Befreiungsfront Südvietnams (FLN) — bekannt als Vietcong — gegründet. Schon im August 1961 begannen dann die USA, in Südvietnam Agent Orange einzusetzen, ein giftiges Entlaubungsmittel zur Zerstörung der Wälder, in denen sich die Kämpfer des Vietcongs versteckten. Nach dem von den USA inszenierten „Tonkin-Zwischenfall“ (4) von 1964 setzten die USA im großen Stil in Südvietnam Bodentruppen ein. Im Februar 1965 ließ US-Präsident Lyndon B. Johnson erstmals auch Nordvietnam bombardieren. In Vietnam standen schlussendlich 543.000 US-Soldaten und 320.000 Soldaten aus Südkorea. Nordvietnam und der Vietcong wurden durch 170.000 chinesische Soldaten unterstützt.
Im Mai 1968 begannen Friedensgespräche in Paris. Eine Großoffensive der Befreiungskräfte im Süden wurde im März 1972 eröffnet, und im Dezember 1972 bombardierten die USA Hanoi. Das Pariser Friedensabkommen kam im Januar 1973 zustande, und der Rückzug der US-Truppen begann. Am 30. April 1975 marschierten die Einheiten Nordvietnams und des Vietcongs in Saigon ein. Die Wiedervereinigung des Landes mit Wahlen von Abgeordneten für die Nationalversammlung in Süd- und Nordvietnam wurde im April 1976 eingeleitet. Nach dem Abzug ihrer Truppen verhängten die USA von 1976 bis 1989 ein Embargo gegen Vietnam, was das Land hart traf und strenge Rationierungsmaßnahmen nötig machte. Wie viele Opfer der Krieg in Vietnam, Kambodscha und Laos forderte, ist nicht bekannt, vielleicht 3 bis 5 Millionen?
Elf Jahre wütete der Krieg zwischen Nordvietnam und den USA. China und die Sowjetunion unterstützten die Vietnamesen und standen damit der Supermacht USA gegenüber. Die Amerikaner warfen im Verlauf des Krieges acht Millionen Tonnen Bomben auf Vietnam ab, mehr als doppelt so viel wie im gesamten Zweiten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Viele Vietnamesen litten außerdem unter dem Einsatz hoch giftiger Chemikalien wie dem Pflanzengift „Agent Orange“, das die Amerikaner im Dschungel versprühten (5).
Phoenix-Mordoperation des US-Geheimdienstes CIA
Während des Vietnamkriegs setzten sich Zehntausende wehrpflichtiger US-Bürger nach Kanada, Schweden und auch in die Schweiz ab; sie wollten sich nicht am Krieg in Südostasien beteiligen. Eine Ärztin aus Südvietnam, eine Botschafterin des Vietcongs, kam damals zu einem Vortrag nach Zürich. Sie schilderte, wie sie mit ihrem Mann in den Dschungel flüchten musste, weil sie erfahren hatten, dass man sie als „Verdächtige“ verhaften wollte, was damals den Tod bedeutete — es war die Zeit des Phoenix-Mordprogramms. Die Ärztin schloss sich nach ihrer Flucht aus der Stadt dem Vietcong an. Im Laufe dieser geheimen Phoenix-Mordoperation des US-Geheimdienstes CIA wurden in Südvietnam mehrere zehntausend Zivilisten ermordet.
Quellen und Anmerkungen:
(1)
Bestellungen bei info@vsv.ch oder direkt bei Anjuska Weil: a.weil@sunrise.ch, ISBN 978-3-033-09524-3.
Zu Anjuska Weil : https://www.woz.ch/1633/anjuska-weil/die-partisanentochter-kann-nicht-anders
(2) Eine Begegnung mit der Geschichte. Vorwärts (vorwaerts.ch)
(3) Vertrag von Paris (1973) — Wikipedia
(4) Tonkin-Zwischenfall — Wikipedia
(5) Chronik: Der Vietnamkrieg — die wichtigsten Daten. MDR.de
(6) https://www.globalresearch.ca/video-the-vietnam-war-and-the-phoenix-program-a-computerized-genocide/5613184
(7)
„A Computerized Genocide“. Michael Maclear’s 1975 documentary: Spooks and Cowboys, Gooks and Grunts (Part 1). By Michael Maclear and Douglas Valentine, Global Research, October 20, 2017.
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