Ende August gab der ukrainische Mobilfunkanbieter Kyivstar auf TikTok einen Einblick in die Verluste des ukrainischen Militärs während des Krieges gegen Russland. In einer Werbeaktion forderte der Anbieter dazu auf, den Gefallenen eine SMS mit dem Wort „Danke“ zu schicken. Auch eine Idee, wie viele das ungefähr sein könnten, gibt das Werbevideo. Das Unternehmen führt aus: „400.000 Helden werden niemals in der Lage sein, den Anruf und die Nachricht zu beantworten.“
Nachdem das Video im Internet für einigen Wirbel gesorgt hat, wurde es gelöscht. Die Zahlen sind im Verteidigungsministerium eigentlich eine Geheimsache und werden schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr herausgegeben. Indes dürfte es sich bei der Angabe nur um einen Näherungswert handeln, den das Unternehmen aus der Zahl der bei ihm registrierten, aber stillgelegten SIM-Karten abgeleitet hat. Bedenkt man, dass das Unternehmen einen Marktanteil von 43 Prozent der ukrainischen Mobilfunknummern hat, ist es, so die Zahlen denn stimmen, durchaus auch vorstellbar, dass in Wirklichkeit doppelt so viele Ukrainer ihr Leben lassen mussten. Hinzu kommen die zu dieser Zeit etwa 9.444 getöteten Zivilisten.
Nicht mitgezählt sind dabei die unzähligen Verwundeten, von denen viele bleibende Schäden davontragen. Unter den Soldaten sind diese Zahlen kaum zu ermitteln. Unter den Zivilisten sind es immerhin 16.940 Verwundete. Man muss sich zudem überlegen, wie sich das Sterben vollzieht. Denn für die wenigsten ist es wirklich ein schneller, vielleicht noch schmerzloser Tod. Viele Todesfälle gehen beispielsweise auf mangelhafte medizinische Versorgung zurück. Das kann dazu führen, dass Soldaten unter Schmerzen verbluten oder an Infektionen sterben. Dabei ist nicht nur die Erstversorgung durch qualitativ schlechte Verbände und Ausrüstung zu nennen, sondern auch die langen Wege von der Front bis zu einem der vollkommen überfüllten Lazarette oder einem Krankenhaus.
Die Verletzungen sind oft grauenhaft: Von Verbrennungen durch schwere Waffen über Schusswunden bis hin zu abgerissenen Gliedmaßen — fast scheint es unmenschlicher, zu überleben. Denn wer überlebt, hat unter Umständen sein ganzes Leben mit den Folgen zu kämpfen. Stress, posttraumatische Belastungsstörung oder körperliche Schäden schränken die Opfer dauerhaft ein. Schon Zehntausenden Menschen mussten Gliedmaßen amputiert werden.
Die Anzahl der Toten übersteigt dabei mittlerweile die Größe der ukrainischen Armee vor Beginn des Krieges. Diese hatte über etwa 400.000 Soldaten verfügt. Ersatz wird mit aller Macht beschafft. Schon lange werden immer mehr, meist sehr junge Menschen zwangsrekrutiert und nach einer kurzen Ausbildung an die Front geschickt, wo die Überlebenschancen sehr gering sind.
Bis Ende des Winters will das ukrainische Verteidigungsministerium 500.000 weitere junge Männer — eventuell auch Frauen — rekrutieren und in den Krieg schicken. Zu diesem Zweck wendet sich die ukrainische Regierung auch an die europäischen Länder, die seit Beginn des Krieges ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben, mit der Bitte, diese auszuliefern — eine Bitte, der zum Beispiel Polen bereits nachkommt. Junge Männer, teilweise noch Jugendliche, werden in einem zerstörerischen Krieg verheizt, der in vielerlei Hinsicht an den Ersten Weltkrieg erinnert, zumindest auf der Seite der Ukraine.
Auf der russischen Seite sind die Verluste ebenso schwierig zu bemessen. Kiew schätzt die Verluste Russlands auf über 200.000 tote Soldaten. Das kann indes getrost als ukrainische Propaganda abgetan werden. Eine näherungsweise realistische Schätzung ist eine Verlustquote von 1 zu 10. Das würde bedeuten, dass für einen gefallenen russischen Soldaten zehn ukrainische sterben. Der russische Verteidigungsminister Schoigu erklärte, dass Russland die medizinische Versorgung der Soldaten auf einen Standard gehoben habe, der historisch einmalig sei. So stürben nur 0,5 Prozent der Gefallenen an ihren Verletzungen, weil ein Erste-Hilfe-Punkt innerhalb von 10 Minuten von jedem Gefechtsfeld aus zu erreichen sei, ein Krankenhaus binnen eines Tages. Und auch wenn man diese Aussage nicht verifizieren kann, so scheint es doch eindeutig, dass die medizinische Versorgung auf der russischen Seite um einiges besser ist.
Kein Ende in Sicht
Doch selbst bei einer solchen Quote sind es immer noch 40.000 gestorbene russische Soldaten — wenn man die 400.000 Gefallenen der Ukraine, von denen Kyivstar berichtet, als Grundlage nimmt —, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich weit darüber hinausgeht.
Trotz dieser massiven Verluste ist kein Ende des Sterbens in Sicht. Ganz im Gegenteil, der Krieg soll weitergehen: Zuletzt forderten die USA von der Ukraine, noch härter vorzugehen. Sie soll also noch mehr Menschen opfern, damit noch mehr Menschen sterben. Der Krieg soll verlängert, noch mehr Menschen ausgelöscht werden — obwohl der Krieg für die Ukraine nicht zu gewinnen ist.
Die Verantwortlichen in Kiew, Washington und der EU, die diesen Krieg willentlich provoziert haben und ihn mit allen Mitteln am Laufen halten, interessieren sich nicht für die Opfer. Denn diese sind für sie nichts weiter als Zahlen. Der Krieg ist weit genug entfernt, um seine Auswirkungen in Form von toten und verstümmelten Menschen nicht sehen zu müssen. Nüchtern und kalt kommen diese nur als Statistik, als nackte Zahlen daher, in Artikeln und Tabellen, Berichten und Voraussagen. Das entkoppelt die Zahlen von ihrem Bezugsobjekt und macht sie abstrakt. Über Zahlen lässt sich trefflich sprechen, sie lassen sich erhöhen und herumschieben, berechnen und zur Kenntnis nehmen. Zahlen sind kein Ding für sich, sie sind ideal. Das hingegen, worauf diese Zahlen Bezug nehmen, ist durchaus real. In diesem Falle sind es Hunderttausende von Menschen, die ihr Leben lassen in einem sinnlosen Krieg.
Werden sie nur als Zahlen wahrgenommen, berührt ihr Sterben nicht. Zahlen sind für die wenigsten Menschen mit Emotionen verbunden, und so kann man über sie nach Belieben reden. Von ihrer eigentlichen Bedeutung entkoppelt, ist es überhaupt erst möglich, so kaltblütig über die Leben Hunderttausender Menschen zu bestimmen, sie umherzuschieben wie auf einem Schachbrett. Reden wir nur über Zahlen, reden wir nicht über die Leben, die dahinterstehen. Das gilt allerdings nicht nur für diejenigen, die diesen Krieg unterstützen, ihn herbeigeführt haben und vorantreiben. Das gilt auch für jene, die dem Krieg eigentlich kritisch gegenüberstehen oder die sich mit der antirussischen Position des Westens nicht anfreunden können. Auch sie reden nur nüchtern über Zahlen.
Die meisten ergreifen, ob ganz ausdrücklich oder nur insgeheim, Partei für eine der Seiten, was dazu führt, dass jeder Verlust der anderen Seite begrüßt wird.
Doch auch hinter dem Verlust der angeblichen Gegenseite steht ein Schicksal, steht ein Leben. 400.000 beziehungsweise 40.000 Tote, das sind 440.000 Leben, 440.000 Familien, Frauen, Kinder, Mütter und Väter, die einen Angehörigen verloren haben. Es sind 440.000 Geschichten des Leids und des Schmerzes. Dabei haben sich wohl die wenigsten dieser 440.000 Menschen ihr Schicksal selbst ausgesucht. Sie wurden gezwungen, an diesem Krieg teilzunehmen, in den Krieg geworfen wie Kohle in einen Ofen, der eine große Maschinerie am Laufen hält, die niemals zum Stillstand kommen darf.
Denn genau das ist es: Die Opfer des Krieges sterben für die Interessen anderer, wie Menschen in jedem Krieg für die Interessen anderer sterben. Es sind Kapitalinteressen, beispielsweise des Konzerns BlackRock, der am Wiederaufbau der Ukraine kräftig verdienen will. Doch zuvor verdient derselbe Konzern erst einmal an der Zerstörung des Landes. Denn er hat ebenso in Rüstungsfirmen wie die deutsche Rheinmetall investiert sowie in sämtliche momentan am Krieg beteiligten US-amerikanischen Rüstungskonzerne und profitiert damit von jedem gelieferten Panzer, jedem gefallenen Schuss, jeder abgefeuerten Rakete. BlackRock-Manager finden sich in der Regierung unter Präsident Joe Biden, aber auch im deutschen Wirtschaftsministerium. Es ist auch solchen Lobbyisten zu verdanken, dass die US-Regierung diesen Krieg in die Länge zieht und die deutsche Regierung, insbesondere die Grünen, auf Waffenlieferungen und eine Verlängerung des Krieges pochen.
Diese Menschen, die nur Profite wittern und dabei eben auch nur in Zahlen denken, haben überhaupt kein Problem damit, noch weitere Hunderttausende Ukrainer und Russen zu opfern. Für sie ist das eine gute Investition. Denn immerhin muss man sich nicht selbst die Hände schmutzig machen. Zahlen, vor allem wenn es sich um Geld handelt, zerstören also jede Empathie, jedes Mitgefühl, jede Menschlichkeit. Dies nimmt im Krieg nur noch größere Ausmaße an, da hier offensichtlich noch mehr Menschen sterben und bereitwillig geopfert werden.
Krieg nützt nie den Menschen, die ihn ausfechten. Sie leiden nur darunter, sterben oder werden vertrieben, ihre Heimat wird zerstört. Umso mehr gilt das für die Menschen in der Ukraine, denn viele Ukrainer haben Familie in Russland und eben auch umgekehrt. Hier bekämpft sich also eigentlich ein Volk selbst, angestachelt durch die USA, die NATO und die EU, die diesen Krieg mittels Waffenlieferungen und auch ganz realem Zwang aufrechterhalten. Denn der ukrainische Präsident ist erkennbar abhängig vom Westen.
Schon wenige Wochen nach Beginn des Krieges war er eigentlich zu Verhandlungen und Zugeständnissen bereit, ein Frieden auf dem Verhandlungswege war in greifbarer Nähe. Doch durch britische und US-amerikanische Intervention wurde der Friedensschluss in letzter Sekunde abgesagt. Die Profite sollten sprudeln. Für die Verantwortlichen sind die Verluste nichts als Zahlen.
Zahlen und Ziffern machen das Geschehen abstrakt. Die Sprache der Zahlen ist daher eine Sprache der Unmenschlichkeit, die ein destruktives System in Gang hält. Dies wird auch von den Kritikern reproduziert, weil sie sich dieser Zahlen ebenso bedienen, weil auch sie sich auf eine Seite schlagen — nur eben auf die andere. Doch wenn der Krieg ein Ende finden soll, müssen die menschlichen Schicksale in den Vordergrund gerückt werden. Niemand kann einfach über Hunderttausende Tote hinweggehen, wenn sie mehr sind als eine bloße Zahl, wenn sie ein Gesicht bekommen, eine Geschichte.
Letztlich ist es immer die Bevölkerung, die den Krieg ausficht — sei es auf dem Schlachtfeld oder an der „Heimatfront“. Damit ist es aber auch die Bevölkerung, sind es insbesondere die Soldaten, die einen jeden Krieg beenden könnten. Sie müssten nur ihre Waffen niederlegen, sich gegen ihre Vorgesetzten, ihre Regierungen wenden, und schon wäre der Krieg vorbei. Der Grund, aus dem das nicht passiert, ist, dass an der Heimatfront das menschliche Schicksal hinter Zahlen verschwindet und an der Kriegsfront ideologische Indoktrination sowie der nackte Kampf ums Überleben herrschen.
Nur Menschlichkeit könnte den Krieg beenden. Dazu müssen wir uns die menschlichen Schicksale wieder vor Augen führen. Hunderttausende Tote, das sind Hunderttausende Mütter, die um ihre Söhne weinen, Hunderttausende Frauen um ihre Männer, Kinder um ihre Väter. Was wäre, wenn dieses Schicksal uns hierzulande ereilen würde? Könnte man sich dann noch so euphorisch für den Krieg einsetzen? Könnte man dann noch Waffenlieferungen befürworten? Streumunition und Panzer? Könnte man dann noch auf einen Sieg pochen, auf eine weitere Offensive, obwohl die erste schon krachend gescheitert ist und Zehntausende von Menschenleben gekostet hat?
Man muss sich eigentlich nur selbst in die Lage derer versetzen, die dort in der Ukraine leiden und sterben, und schon wäre jeder Militarismus verschwunden. Denn das Menschliche überwindet die Logik der Zahlen, und wir, die Bevölkerungen, sind es, die tatsächlich über die Macht verfügen — nicht BlackRock-Funktionäre und Politiker. Deren Geschäftsmodell funktioniert nur, weil alle Menschen mitmachen, es unterstützen und durchsetzen. Warum tun sie das eigentlich, wenn sie selbst davon nichts haben als Tod und Leid?
Man könnte sich alternativ auch einfach mit jenen Mitmenschen zusammentun, die den anderen als Menschen sehen, nicht als Zahl. Dann fänden die Schrecken von Krieg und Kapitalismus schnell ein Ende.
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