„Mann wird nicht als Frau geboren, man wird es.“
Dieser in hohem Maße polarisierende Satz stammt von der französischen Philosophin und Ikone der zweiten Feminismusbewegung, Simone de Beauvoir (1). Je nach Leser dürfte die Reaktion auf den besagten Satz sehr unterschiedlich, in jedem Fall aber wertend ausfallen. Entweder gehört man zu der anwachsenden Gruppe der Anhänger jener politischen Einstellung, die sich Feminismus nennt, und sieht dieses Zitat als richtungsweisend für eine zukünftige Gesellschaft an, in der die Unterschiede zwischen Mann und Frau auf ein Minimum reduziert sein werden. Oder aber man gehört zu der Gruppe wertkonservativer Leser, die diese Aussage wahrscheinlich als absoluten Unsinn bezeichnen würden, da sie nicht der Ansicht sind, dass sich die rein biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau durch die Überwindung des Patriarchats in irgendeiner Weise beeinflussen ließen.
Der Satz wird wahrscheinlich von beiden Gruppen missverstanden, da er, mag man das nun positiv oder negativ bewerten, nicht primär von den generellen Merkmalen oder Tätigkeiten einer Frau handelt, sondern von ihrer „Wertigkeit“. Beauvoir beschreibt in ihrem Hauptwerk ,,Das andere Geschlecht“, dass die Frau nicht das andere, defizitäre Geschlecht ist, weil sie dem Mann körperlich unterlegen ist, sondern weil ihre körperliche Unterlegenheit von der Gesellschaft als schlecht und den individuellen Wert mindernd angesehen wird. Wäre körperliche Arbeit nicht so unersetzlich zur Sicherung der eigenen Lebensgrundlage gewesen, wäre die Frau wohl nicht ab- und der Mann nicht aufgewertet worden. Mit anderen Worten: Das sogenannte Patriarchat wäre nicht entstanden.
Frauen im Neoliberalismus
Und genau dies ist auch der Grund dafür, dass sich die politische Strömung des Feminismus außerordentlich gut mit dem Kapitalismus versteht. Die körperliche Arbeit ist durch Industrialisierung, Digitalisierung und den allgemeinen wirtschaftlichen Fortschritt im Zuge der Ausbreitung des Kapitalismus am Arbeitsmarkt immer mehr in den Hintergrund gerückt. Heute sind vielmehr kognitive Fähigkeiten gefragt, die genauso gut Frauen erbringen können. Oder aber Arbeitskräfte in prekären Beschäftigungen, die sich mit niedrigen Löhnen zufriedengeben – zum Beispiel, weil sie einen Ehemann haben, der den familiären Haupterwerb erzielt.
Die Aufmerksamkeit, welches der Gleichberechtigung von Frauen und Männern von Seiten der Wirtschaft – beispielsweise durch sogenannte Girls-Days, bei denen jungen Mädchen technische Berufe nähergebracht werden sollen – zuteilwird, resultiert nicht aus einem gesellschaftlichen Gefühl für Fairness, sondern verfolgt ein ökonomisches Interesse. Das bedeutet natürlich in keinster Weise, dass Gleichberechtigung der Frau in unserer heutigen Gesellschaft nicht immens wichtig wäre und jede Unterdrückung oder sexuelle Belästigung in irgendeiner Form verharmlost oder relativiert werden könnte.
Doch das neoliberale Modell ist auf die Frau als zusätzliche Arbeitskraft angewiesen. Auch dadurch bedingt: Familien, die mindestens ein zusätzliches Einkommen benötigen. Paradoxerweise verdienen Frauen dann aber im Schnitt 20 Prozent weniger als Männer; der sogenannte Gender-Pay-Gap. Das dürfte im Grunde beweisen, dass das Engagement der Unternehmen für mehr Gleichberechtigung eher pragmatischer Natur ist und der Erfüllung eigener Profitinteressen gilt.
Die Frau ist also die doppelt günstige Arbeitskraft. Sie ist notwendig und dazu billig. Das einzige Problem, welches sich aus Sicht der Unternehmer ergibt, sind die Kinder. Frauen sind diejenigen, die den Nachwuchs auf die Welt bringen und ihn trotz weitreichender Emanzipation in den meisten Fällen nach der Geburt betreuen. Das ist ein biologisches Hindernis, welches wahrscheinlich nie ausgeräumt werden kann. Trotzdem wird Elternzeitverkürzung immer moderner. Kinder werden teilweise bereits im Alter von nur drei Monaten in eine Krabbelgruppe gegeben.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich gibt es Frauen, die ihren Beruf lieben und so schnell wie möglich wieder anfangen möchten zu arbeiten. Aber stünden sie nicht so massiv unter dem ökonomischen Druck, die Familie, die sie soeben gegründet haben, auch ernähren zu müssen, würden wahrscheinlich mehr Mütter längere Zeit mit ihren Kindern verbringen.
Ein weiterer Grund, weshalb bestimmte Industriezweige ein großes Interesse an der Erstarkung der feministischen Bewegung haben, ist, dass sich die Konsumentenzielgruppe für bestimmte Produkte stark vergrößert. Wenn beispielsweise ein Unternehmen Kleidung produziert, die von beiden Geschlechtern gleichsam gekauft und getragen wird, weil sie nicht geschlechtsspezifisch ist, kann dieses Unternehmen seinen Gewinn immens erhöhen bis verdoppeln.
Feminismus ist populär, fast schon Popkultur. Social-Media-Kampagnen wie metoo, bei denen Frauen, angestoßen durch Schauspielerinnen und andere Personen des öffentlichen Lebens, über ihre Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch berichten, beherrschen über Wochen das Netz. Über sexuellen Missbrauch zu sprechen, ihn aufzudecken und den Opfern zuzuhören, ist wichtig – doch im Fall der metoo-Debatte zeigt sich stellvertretend für die neue Form des Modefeminismus, dass irgendwann nur noch darüber debattiert wird, ob Regisseur X nun zugibt, Schauspielerin Y sexuell belästigt zu haben. Ökonomische Ungleichheiten werden hier selten thematisiert und schon gar nicht philosophische Gesellschaftsutopien.
Schröder und die Mädchenschulen
Ebenso birgt der Feminismus auf politischer Ebene die Gefahr, instrumentalisiert zu werden. Als sich Deutschland 2001 am Krieg in Afghanistan beteiligte und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Abstimmung darüber mit der Vertrauensfrage verknüpfte, begründete er den Einsatz damit, dass man das Recht auf Bildung junger Mädchen in Afghanistan stärken wolle und die Bundeswehr dort Mädchenschulen bauen solle. In einem Interview mit dem Spiegel, 10 Jahre später, begründete Schröder dies mit den Worten,
„der Verweis auf den Nato-Vertrag wäre zu abstrakt gewesen. Man musste damit argumentieren, dass da dem Treiben von Terroristen und Unterdrückern Einhalt geboten werden sollte. Es ist nichts Schlechtes, wenn die Bevölkerung in Deutschland für eine militärische Intervention eine moralische Begründung verlangt.“
Und später:
„Es hat auch keiner behauptet, dass es nur darum ging.“
Überraschend ist es tragischerweise nicht mehr, dass eine Regierung die Bevölkerung bewusst täuscht, um die moralische Legitimation für einen Krieg zu erwirken. Es zeigt aber, dass die Idee der Gleichberechtigung, so wichtig sie auch sein mag, für die Durchsetzung politischer und militärischer Interessen missbraucht wird. Wenn dann hinter der Bewegung Feminismus keine Überzeugungen, kein ausgeklügeltes Konzept und keine tiefgehenden Gedankengänge, sondern nur Modefeminismus à la metoo stehen, verliert die Bewegung an Profil und es wird schwer, sich mit einer stringenten eigenen Linie von der Instrumentalisierung aus allen Richtungen abzugrenzen.
Doch die Ideale, für die ein Feminismus à la Simone de Beauvoir einsteht, sind es wert, diese Mühen auf sich zu nehmen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau
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