Kürzlich am Bahnsteig der S-Bahn in Frankfurt: Wie überall in diesem Land, wenn man auf verspätete Züge wartet, „versüßt“ einem der Nachrichtendienst von Ströer die öde Wartezeit. Nach einem kurzen Einspieler las man den folgenden Slogan: „#WeAreAllUkrainians“, dazu eine weiße Hand auf einem gelb-blauen Hintergrund, der wohl die geographische Kontur des Landes andeuten sollte — die Werbung nimmt Bezug auf eine Initiative, die unter anderem von Wladimir Klitschko zu Beginn des Ukrainekrieges gegründet wurde. Der Rede wert ist das freilich nicht, viele Unternehmen werben mit Solidarität — Moralismus ist zu einem Werbemittel „aufgestiegen“. Warum sollte also nicht auch Ströer diesem Projekt ein wenig Aufmerksamkeit gewähren? Jeder sollte schließlich werben dürfen — das kann man doch keinem vorenthalten. Das Problem mit Ströer ist nun allerdings, dass das Unternehmen in Nachrichten macht. Neben dem Jugendmagazin watson, giga.de und kino.de gehört Ströer zudem das Nachrichtenportal t-online.
Am Anfang war Ströer
Es war t-online, namentlich Lars Wienand, mit dem die Diskreditierung des Journalisten Patrik Baab begann. Das Portal meldete, dass da ein deutscher Journalist in Begleitung eines Deutschrussen unterwegs sei, um die — im offiziellen Duktus — Scheinreferenden in Lugansk, Chersow und Doneszk zu beobachten. Dabei rückte man seine journalistischen Beobachtungen in die Nähe der offiziell berufenen Wahlbeobachtung. Wahlbeobachter war Baab allerdings zu keinem Zeitpunkt. Die Konsequenzen aus dieser Berichterstattung sind weitläufig bekannt, Patrik Baab verlor seine Lehrtätigkeit und wurde sukzessive zu einem Paria seiner Zunft degradiert.
Ausgerechnet Ströer wirbt also damit, dass wir alle Ukrainer sind — während es eine Plattform aus dem Hause Ströer war, die damit begann, die Arbeit von Patrik Baab zu skandalisieren. Überhaupt noch ein Wort zu Ströer: Großkunde dieser Werbefirma, die in den Bereichen Außen- und Onlinewerbung wirkt, ist die Deutsche Bahn und damit der Bund — also der Staat. Auf allen Bahnhöfen in Deutschland finden sich Displays dieses Unternehmens, die mit Werbung und Unterhaltungsbeiträgen gefüttert werden. Das Portal t-online ist insofern also — flapsig formuliert — als eine Art „Staatsbetrieb“ einzuordnen.
2005 hat die Deutsche Bahn ihre Tochtergesellschaft Deutsche Eisenbahn-Reklame (DERG) für 140 Millionen Euro an Ströer verkauft. Ganz sicher ein Schnäppchen — auch wenn keine Zahlen existieren, wie viel die Deutsche Bahn oder die Kommunen für Werbung an Ströer DERG Media Jahr für Jahr überweisen, lassen sich mittels Preisliste Rückschlüsse ziehen. Dort werden fantastische Summen präsentiert, die letztlich vom Steuerzahler stammen.
Und es ist geradewegs grotesk, dass die Causa Baab dort ihren Anfang nahm: Bei dem Medium eines Unternehmens, das wesentliche Erträge durch den Bund erwirtschaftet — dort wurde die Recherche eines Journalisten vor Ort diskreditiert, die „versprach“, die in der deutschen Medienlandschaft vertretenen regierungsnahen Behauptungen zum Krieg in der Ukraine zu zerstreuen.
Oder zumindest neu einzuordnen. Dass dieses Unternehmen sich mit Projekten gemeinmacht, die von einem ukrainischen Politiker initiiert wurden, der qua seiner Stellung zur Propaganda in eigener, das heißt ukrainischer Sache verurteilt ist, spricht wirklich Bände.
Kulturzeit macht genau das, was sie Baab unterstellt
Im September 2022 war Baab auf Recherchereise gewesen, in kurzen Clips berichtete er von dem, was ihm dort begegnete. In Rostow zeigte er zum Beispiel Handel und Wirtschaft, die eben nicht von den westlichen Sanktionen betroffen waren — das empörte hierzulande einige. Mittlerweile ist es fast schon salonfähig, die Wirkungslosigkeit westlicher Sanktionen zu thematisieren. Spiegel Online versuchte im Zuge der beschlossenen EU-Verhandlungen mit Moldawien und der Ukraine das Narrativ von der schädigenden Sanktionswirkung nochmal neu zu beleben. Aber all die Wiederholungen der Narrative wirken müde — kriegsmüde. Wach ist man hingegen beim Diskreditieren derer, die schon vorher die Eindimensionalität westlicher Kognitivkriegsführung aufs Tapet brachten.
Und so erlebt Patrik Baab mehr als ein Jahr nach seiner Reise, wie sich der deutsche „Ukrainismus“ noch immer mit seiner Person beschäftigt. Wie neulich die Kulturzeit auf dem Sender 3sat. Die leitete einen etwa zehn Minuten langen Beitrag zu seinem Auftritt in Kamenz — wir sprachen erst vor einigen Wochen mit dem Kamenzer Oberbürgermeister Roland Dantz — mit den Worten ein, dass Baabs Buch eine Reihe zweifelhafter Theorien beinhalte. Etwa die These, dass der ukrainische Präsident von den Amerikanern gekauft und dass der Krieg ein Stellvertreterkrieg der NATO sei. Das sprach Moderatorin Ariane Binder mit einer Selbstverständlichkeit herunter, als könne man dergleichen noch nicht mal im Traum behaupten — und trotz öffentlichen Protestes gegen den Text, so sagt sie, hat der OB von Kamenz mit Baab eine Lesung und Gesprächsrunde veranstaltet.
Proteste gegen Texte also: Das ist die neue Normalität in Deutschland. Besser als Texte zu sammeln und zu verbrennen allemal. Oder ist es die Vorstufe? In diesem kurzen Einleitungssatz, der so lapidar dahingesagt wurde, steckt alles drin, was in der Debattenkultur schiefläuft. Ein funktionierender Diskurs diskutiert dem Wortstamm nach über Texte — er protestiert nicht gegen sie.
Man fragt sich zudem, wie man es so voller Inbrunst schaffen kann, die These des Stellvertreterkrieges als Propaganda abzutun? Seit etlichen Monaten erleben wir, wie der Westen, geführt von USA und NATO, der Ukraine Hilfeleistungen zukommen lässt — was beinhaltet: Waffen, Panzer und militärische Ausbildung. Selbst kämpft man nicht, man lässt aber kämpfen: Wie nennt man das?
618 Fußnoten versus Haltungsnoten
Vielleicht haben die Kritiker Baabs ungewollt recht: Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat im Mai 2022 festgehalten, dass die Ausbildung ukrainischer Soldaten durchaus einen Kriegseintritt Deutschlands bedeuten könne. Ist das keine Stellvertreterschaft mehr? Sind wir also im Krieg mit Russland, wie selbst die Außenministerin es einst schonungslos offen behauptete? Der Beitrag der Kulturzeit strotzt nur so von Oberflächlichkeit — er tut genau das, was er Baab unterstellen will: Einfach behaupten. Baabs Buch führt aber so viele Quellen auf, dass man den Anmerkungsapparat nur online abgestellt hat. 618 Fußnoten hat Baab angemerkt — auf über 60 Seiten. Der Beitrag der Kulturzeit hat keinen solchen Apparat in der Hinterhand – es stünde auch nicht viel drin, außer vielleicht etwas über Haltungsnoten.
Was sollte auch dort nachzulesen sein? Dass die Historikerin Anna Veronika Wendland, die den Stein in Kamenz ins Rollen brachte, zwar zu sehen war, Baab der Propaganda bezichtigt, aber nichts Inhaltliches vorbrachte? Wie schon in ihrem Brief an Oberbürgermeister Dantz, in dem sie allerlei behauptete, nichts aber argumentativ belegte. Schlussendlich wollte sie mit auf die Bühne, wie sie Dantz schrieb, denn auch sie „habe gerade ein Buch publiziert, das sich mit der Rolle von Gewalt und Gewalterfahrung im ukrainischen Nationsbildungsprozess beschäftigt. Ich könnte es vorstellen und mit dem Publikum diskutieren“. Wendland ist mit einem Ukrainer verheiratet und zusammen mit Professorin Ricard Vulpius, die Dantz einige Tage danach auch einen Brief zukommen ließ, Mitglied der Deutsch-Ukrainischen Historischen Kommission.
Der Beitrag stückelt einige Bilder zusammen, arbeitet mit Kontaktschuld – weil Baab mit der als umstritten gelabelten Alina Lipp oder dem als umstritten bezeichneten Sergey Filbert zu tun hatte, kann seine Arbeit nicht stimmig sein. Das Team der Kulturzeit lauert Kamenzer Bürgern vor dem Veranstaltungsort auf, fragt penetrant, warum sie heute Abend hier seien. Man hört viel Missmut, viel Enttäuschung über die öffentlich-rechtlichen Medien. 3sat rückt diese Aussagen in die Ecke von Verschwörungsmythen und Querdenken, ohne es explizit zu sagen. Woher die Skepsis kommt, kümmert die Berichterstatter nicht. Der Auftrag lautet, Kamenz unter Druck zu setzen. Denn Oberbürgermeister Dantz lädt vielleicht bald wieder einen kritischen Kopf ein – vor Baab war bereits Gabriele Krone-Schmalz zu Gast.
Das Kulturzeit-Stück fokussiert sich darauf, dass das Team die Veranstaltung nicht filmen durfte. Als habe Dantz etwas zu verbergen, als müsste Baab seine Betrachtungen verstecken — „so blieben die Thesen von Patrik Baab im Stadttheater an diesem Abend unwidersprochen: Ein Trauerspiel in Kamenz“: So schließt der Bericht ab. Dabei wird simuliert, dass Baab Geheimwissen weitertrage. Doch gibt es unzählige Interviews und gefilmte Veranstaltungen mit seiner Person zum Thema. Auf die griff die Kulturzeit ja auch zurück, zeigte Ausschnitte — und widersprach, wenn auch ohne Substanz und nur auf ideologischer Gefühlsebene.
Die Kamenzer Opposition
Dantz kommt auch zu Wort, er sagt, er sei kein Oberlehrer, er sei Oberbürgermeister. Die Kulturzeit lässt es so aussehen, als habe er keinen Sinn für sensible Themen. Am Ende sprechen unglückliche Kamenzer. Die gäbe es nämlich auch. Sie werden als Mitglieder der Plattform Stadtwerkstatt vorgestellt. Darunter ein Mann namens Alex Theile, der Dantz als „Zensor“ betitelt. Die Kulturzeit erwähnt nicht, dass Alex Theile Politiker der Linken ist, der schon vorher im Streit mit Dantz gelegen hat.
Im Mai 2021 beschwört Theile eine „Meinungsdiktatur in Kamenz“. Man liest, dass Theile Dantz vorwarf, in Corona-Zeiten nicht linientreu gewesen zu sein. Später organisierte er — zusammen mit Peter Sondermann, der im Beitrag der Kulturzeit auch als Kritiker zu sehen war — eine Veranstaltung pro Corona-Maßnahmen und forderte das Rathaus auf, diese Demo zu unterstützen. Vielleicht beginnt nun mancher zu ahnen, wie es zwischen Theile und Dantz bestellt war, schon lange bevor Baab in die Stadt kam und der Ukrainekrieg begann.
Theile formierte sich in den letzten Jahren als Widersacher Dantz‘, forderte den Rücktritt des parteilosen Stadtoberhauptes — beziehungsweise fragt rhetorisch in die Runde, ob er noch tragbar sei. Zurecht oder nicht: Das ist an dieser Stelle unerheblich. Wichtig ist: 3sat hätte beleuchten müssen, dass Theile der regionalpolitische Kontrahent des Roland Dantz ist. Gezeigt hat man ihn als Bürger ohne politischen Background. Von einer Diktatur kann wohl indes keine Rede sein, wie Theile behauptet. Die Kamenzer scheinen mehr als zufrieden mit Dantz zu sein. Seit 2004 ist er im Amt, die letzte Bürgermeisterwahl gewann er ohne Gegenkandidaten. Würde eine unzufriedene Bürgerschaft nicht jemanden aufstellen, um Dantz aus dem Amt zu bekommen?
Tom Fugmann zeigt sich für den Bericht der Kulturzeit verantwortlich. Der Journalist fiel mehrmals wegen „tendenziöser Berichterstattung“ auf. 2014 rückte er Bürger in die rechte Ecke, was Beschwerden hervorrief. 2016 berichtete er einseitig über Mark Bartalmai und macht das vor allem mit der ‚„psychologischen Schiene“‘. 2021 erklärt die Berliner Zeitung, dass Fugmann für den MDR einen falschen Bericht über einen Neonazi-Mord vorgelegt hat. Dergleichen Vorwürfe gibt es etliche. Immer wieder wirft man ihm vor, dass er Berichte tendenziös gestaltet. Kann man dem Bürgerprotest im Beitrag glauben?
Die Ukraine, Selenskyj und die Amerikaner
Im Jahr 2018 wusste Fugmann noch zu erzählen, wie korrupt die Ukraine wirklich ist. Das ‚„Mexiko Europas“‘ nannte er das Land damals. Dass die Ukraine unter Präsident Selenskyj ein weniger korrupter Ort geworden sei, wird er nicht ernstlich glauben — dennoch leitete man den Bericht mit den Worten ein, dass es eine zweifelhafte Theorie sei, wonach Selenskyj gekauft sei. In der Ukraine fassten die Amerikaner bereits seit langem Fuß: BlackRock ist da — und Mister Pompeo übernimmt auch Aufgaben. Das Land ist längst in amerikanischen Händen — und man darf die Wahnsinnsidee, mit der Ukraine über einen EU-Beitritt zu sprechen, auch unter dieser Perspektive sehen: Wenn man die Ukraine nicht europäisiert, dann gehört sie den Amerikanern alleine.
Die Parolen des Durchhaltens werden seltener, die Menschen sind kriegsmüde — da hat die oberste Außendienstlerin schon recht. Aber die Verfolgung derer, die nicht auf Kurs sind, die nicht auf Linie einschwenkten, als es verlangt wurde, die bleibt bestehen. Der Trubel um den Journalisten Baab begann ausgerechnet bei einem ‚„Medium“‘, dass Werbung und Nachrichten vermischt, wie kein zweites im Lande.
Das sagt viel über die Güte der Berichterstattung in Deutschland aus. Wird aber ausgeblendet, denn Propaganda und ideologische Staatsmedien, das sind Begriffe, die nur auf Russland angewandt werden.
Eines hat die Kulturzeit am Ende aber vergessen: Während Baabs Buch prominent zu sehen war, ging die Historikerin Wendland, die auch ein Buch schrieb, wie wir von ihr wissen, vollkommen leer aus, man zeigte es nicht — Pech gehabt. Und alles für die Katz …
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