von Adriana Sprenger
„Was machst Du denn eigentlich so beruflich?“ — Diese Frage wird in einem Gespräch mit neuen Bekanntschaften oft recht früh gestellt. Menschen definieren sich selbst durch ihre berufliche Tätigkeit und werden in der Gesellschaft darüber definiert. Arbeit bestimmt unser Leben. Wir gehen nicht nur jeden Tag arbeiten, um Geld zu verdienen. Wir gehen arbeiten, um weiterzukommen, um unser Selbstwertgefühl zu steigern und unser Leben strukturiert zu halten. Jeder hat einen anderen Antrieb, der ihn täglich aus dem Haus jagt und in das Arbeitsleben laufen lässt.
Nun gibt es einen Bereich der Arbeitswelt, der für mich selbst nie wirklich präsent war. Einfach, weil ich selbst noch nie damit in Berührung gekommen war. Dies hat sich jedoch schlagartig geändert, als ich — noch relativ unwissend — einen Job als Personaldisponentin bei einem bayrischen Personaldienstleister angenommen habe. Zum einen bin ich froh, diese Erfahrung gemacht zu haben, da ich sonst niemals eine Sensibilität für dieses und auch viele andere Themen entwickelt hätte. Doch habe ich mich nie so leer und fehl am Platz gefühlt wie sehr oft in dieser Zeit.
Allgemeine Definition
„Zeitarbeit bedeutet ,Arbeiten auf Zeit‘: Eine Arbeitnehmerin beziehungsweise ein Arbeitnehmer (der Leiharbeitnehmer) hat einen Arbeitsvertrag mit einer Verleihfirma (dem Verleiher) geschlossen. Die Verleihfirma setzt sie beziehungsweise ihn daraufhin befristet bei einem oder mehreren Kunden (dem Entleiher) ein.“ So lautet also die offizielle Definition auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit, die Hand in Hand mit den sogenannten Verleihern zusammenarbeitet. Hier herrscht reger Austausch, um auch das Nichterscheinen zu Vorstellungsgesprächen zu sanktionieren.
Zudem heißt es auf der Seite der Bundesagentur: „Zeitarbeit (Arbeitnehmerüberlassung) ist eine Möglichkeit, die Zeit zur nächsten Festanstellung zu überbrücken.“ Und in der Rubrik „Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt“ vom Januar 2019, in der sich alles rund um das Thema „Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit“ dreht, steht geschrieben: „Zeitarbeit bietet jungen Menschen, Geringqualifizierten und Ausländern eine gute Einstiegsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt.“ Klingt gut, oder?
Gelebte Wirklichkeit
Ich kann leider aus eigener Erfahrung sagen, dass ein gelungener Einstieg ins Berufsleben oder eine kurze Überbrückung zur nächsten Festanstellung ganz anders aussieht. Zumindest im Bereich der Helfertätigkeiten, die den größten Teil des Leiharbeitssektors ausmachen (1). Die meisten Mitarbeiter, die bei Personaldienstleistern unter Vertrag stehen und gerade verliehen werden, wandern von einem zum nächsten, da die betriebsbedingte kurzfristige Kündigung meist nicht lange auf sich warten lässt. Sei es wegen saisonaler Schwankungen oder der internen Auftragslage. Die Aussicht auf eine Festanstellung wird hier lediglich als Lockmittel benutzt, das sich in den meisten Fällen nur als leere Versprechung entpuppt.
Die Lebensläufe dieser Menschen waren und sind in der Regel ein Sammelsurium aus kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen aller regionalen Personaldienstleister. Somit ist dies keine Überbrückung und schon gar nicht ein Einstieg, sondern ein unerträglicher Dauerzustand.
Es heißt ja auch Dienstleistung — somit gilt der Slogan „Der Kunde ist König“. Der Kunde hätte die Stellen immer gern so schnell wie möglich besetzt. Am besten schon gestern. Das ist keine leichte Aufgabe für die dortigen Disponenten.
Versuchen Sie doch einmal, eine körperlich anstrengende Helfertätigkeit im Dreischichtbetrieb mit lächerlichen Fahrtkostenerstattungen und ohne reale Aussicht auf eine Festanstellung für unter 10 Euro die Stunde an den Mann oder an die Frau zu bringen.
Dies geht nur mit schön- und vor allem gut Zureden — verständlicherweise! Denn wir Menschen brauchen einen Antrieb, einen Grund, um eine Arbeit zu verrichten. Wenn das weder Geld noch gute Arbeitsbedingungen noch eine gewisse Art von Sicherheit ist, dann schwindet jegliche Motivation. Daher kam es nicht selten vor, dass man als Disponent — trotz Verabredung mit dem Mitarbeiter — letztlich alleine vor den Toren des Kunden stand und nach Ausreden und Entschuldigungen suchte.
Natürlich gibt es auch vertraglich festgesetzte Richtlinien, welche auch diesen Kunden an sogenannte „Abmeldefristen“ bindet. Dies sollte — auch den Arbeitnehmer — vor prompten Entlassungen schützen. Jedoch wird hier seitens des Dienstleisters oft ein Auge zugedrückt, wenn es um die Kundenzufriedenheit und weitere Zusammenarbeit geht. Das heißt: Der Personaldienstleister sorgt mit allerlei Tricks für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Leih-Arbeitgeber es wünscht.
Kommt es, wie schon erwähnt, zu einer Abmeldung des Mitarbeiters durch den Kunden — sprich Arbeitgeber — und steht zudem kein Nachfolgeauftrag für den Mitarbeiter an, wird jede noch so ethisch oder moralisch verwerfliche Methode dafür genutzt, sicherzustellen, dass auch ja kein Geld mehr umsonst ausgegeben wird. Sei es durch das Einsetzen von Urlaubstagen, das Sammeln von unterschriebenen Fehltagen oder das Anbieten von noch mieseren Jobs. Hier werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die letzten Tage des Beschäftigungsverhältnisses kostenfrei zu überbrücken und das Auflösen desselbigen so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Ganz nach Wunsch des Arbeitgebers.
Teil des Systems
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich diese Thematik nicht von Anfang an durchblickt habe. Besser gesagt: Ich wollte sie nicht sehen. Man gibt den Menschen Chancen zu arbeiten, die sonst keine Möglichkeiten dazu hätten. Man hilft Menschen sozusagen zu überleben. So die internen Stimmen. Wie anmaßend diese Aussage rückblickend eigentlich ist!
„Hätten sie halt was Richtiges gelernt, dann wären sie nicht auf uns angewiesen.“ Was ist etwas Richtiges? Gibt es richtige und falsche Arbeit? Arbeit ist Arbeit, die gerecht entlohnt werden muss.
Allein jedoch der Begriff „leihen“ sollte alle Alarmglocken erklingen lassen. Menschen leihen Menschen aus. Dieses System hat keinerlei Mehrwert für die Beschäftigten.
Und genau dieses System ist mittlerweile das Fundament einer ganzen Branche. Einer Branche, die Preise für die Arbeitskraft von Menschen verhandelt, diese verleiht und auch noch gönnerhaft die Meinung vertritt, damit etwas Gutes zu tun — schließlich wären genau diese Menschen ja gar nicht in der Lage, sich selbst eine Arbeit zu suchen.
Dass gerade wegen der Institutionalisierung dieses Zwei-Klassen-Arbeitsmarktes vielen Arbeitssuchenden kaum noch eine andere Möglichkeit bleibt, wird geflissentlich ignoriert.
In den letzten 15 Jahren hat sich die Anzahl der Leiharbeitnehmer etwa verdreifacht — auf über eine Million Menschen. Die „Reform“ von 2017 hat viele Schlupflöcher gelassen. Sowohl Lohn- als auch Leistungsdruck — auch auf die Festangestellten — steigen an; Interessenvertretung ist Fehlanzeige. Zeitarbeiter haben keine Lobby, sie können schnell und unkompliziert entlassen werden, völlig ohne Kündigungsschutz, Sozialauswahl oder Abfindung. Lebensplanung und — weiter in die Zukunft gedacht — eine Alterssicherung, die diesen Namen verdient, bleiben so eine Illusion.
Ich möchte hier an § 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ erinnern und an den gesunden Menschenverstand appellieren, dass ein solches System Gift für unsere Gesellschaft ist.
Quellen und Anmerkungen:
Adriana Sprenger, Jahrgang 1993, ist schon seit sie denken kann auf der Suche nach dem Sinn. Diese Suche führte sie schon über einige Stationen — angefangen mit einer kaufmännischen Ausbildung, über Jobs in unterschiedlichsten Unternehmensstrukturen und eine längere Reise, bis hin zu ihrem derzeitigen berufsbegleitenden Studium der Wirtschaftspsychologie. Das schöne Leben im noch schöneren München hält sie jedoch nicht davon ab, über den gesellschaftlichen Tellerrand zu blicken und genau diese Suche weiterzuführen.
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