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Ausgebremste Schreiblust

Ausgebremste Schreiblust

Frauen veröffentlichen weitaus seltener Texte als Männer. An mangelnder Motivation und Fähigkeit liegt es nicht — eher an struktureller Benachteiligung.

Zum Schreiben braucht man Zeit und Geld

Zum Schreiben braucht man Zeit. Und Geld. Von beidem haben Frauen wenig. Und: Schreiben, bevor es — vielleicht — etwas einbringt, ist teuer. Ist Schreiben zu zeitaufwändig und zu teuer für Frauen? Frauen verdienen weniger als Männer. Viele haben in manchen Lebensphasen kaum Zeit für anderes als für Kinder, Eltern oder sonstige Pfleglinge.Sozialhilfe-Hartz-IV-Bürgergeld-Zeiten fressen alle Kräfte und lassen keinen Raum für Kreativität.

Frauen werden seltener bekocht, umsorgt und bewundert als schreibende Männer.

Ihre Werke werden seltener gedruckt, übersetzt, besprochen, gefördert und prämiert. Frauen kochen, putzen, bemuttern und gehen zur Arbeit. Wenn alles andere getan ist, schreiben sie.

Hoffnungen

  • Kleinere Literaturwettbewerbe schüren die Hoffnung auf erste Veröffentlichungen, aber sie erheben auch oft eine Teilnahmegebühr.
  • Eine Urkunde „Lyrikpreis“, bei der frau gleichzeitig eine Mitgliedschaft bei einem schöngeistigen Verein gewinnt, für die nach kurzer Zeit Beiträge anfallen, ziert die Wand, füllt jedoch nicht den Teller.
  • Ausschreibung für eine Anthologie? Preisgeld gibt’s nicht, aber vielleicht wäre das ja der erste Schritt zum Bestseller? Wird die eigene Kurzgeschichte gedruckt, neben 33 anderen, so ist die Abnahme von ein, zwei oder drei Buch-Exemplaren verpflichtend. Die ambitionierte Jung-Autorin kauft ein Dutzend, da hat sie doch gleich ein paar Werbeexemplare — und Weihnachtsgeschenke für Familie und Freundinnen.
  • Beiträge in Arbeitslosen-, Frauen- und Straßenzeitungen und in engagierten alternativen Medien bringen Wahrheiten auf den Tisch, aber meist weder Butter noch Vegankäse aufs Brot.
  • Ein Stipendium als Stadtschreiberin, für zwei, drei Monate oder ein ganzes Jahr? Die Unterkunft im Turm, Schloss oder Museum, in der Kulturwohnung, auf der Insel oder am See wird gestellt. Aber das Aufenthaltsstipendium, verbunden mit allerlei kulturellen Verpflichtungen, deckt kaum die Miete, die daheim weiterläuft. Also ist auch dieses ehrenvolle Amt eher was für betuchte Singles ohne festen Wohnsitz. Eine seltene Kombi.

Große Chance mit Kleingedrucktem

Es gibt Ausnahmen. 1000 Euro Preisgeld! Eine große Chance für die Schreibwütige.

Sollte ihre politisch relevante Story in die engere Wahl kommen, dürfte sie zum Wettlesen vor Publikum antreten; und wenn der Beitrag genug Daumen-hoch-Herzchen erhält, darf sie eine Woche später nochmal zur Preisverleihung beim Geschichtenfestival, 300 Kilometer von ihrem Wohnort. Zweimal anreisen? Oder lieber gleich dortbleiben?

Reise- und Hotelkosten werden, wie üblich, nicht übernommen. Vom Preisgeld bliebe also nicht viel übrig. Aber wie sonst soll eine Bachmann-Preisträgerin in spe bekannt werden und die nötigen x-zig Follower auf Social Media generieren?

Hups, da ist ja noch was Kleingedrucktes: „Ihre Kurzgeschichte steht bei Auswahl für das derzeit geplante Buch dem Festival drei Jahre exklusiv zur Verfügung.“ Das gilt auch, wenn’s kein Geld gibt, sondern nur ein Büchlein mit ihrem Stückchen darin.

Sie nimmt dann doch nicht am Exklusivwettbewerb teil. Sie braucht Geld. Irgendein Blatt wird doch wohl ein Honorar für ihren engagierten Beitrag zahlen?!

Absagen

Eine Newcomerin schickt ihr Kinderstück an ein renommiertes Jugendtheater. Die Antwort kommt schneller, als ein Speedreader das Werk überfliegen könnte: „Hätten Sie einen Blick in unseren Spielplan geworfen, so wüssten Sie: Das Thema hatten wir vor kurzem schon mal.“

Ehrlicher wäre gewesen: „Ihr Opus weist einen erheblichen Mangel an Vitamin B auf.“ Damit würde auch eine weitere Absage plausibel, die da lautet: „Wir haben uns für einen anderen Personenkreis entschieden.“

Ab in die Schublade

Ach komm, ab damit in die Schublade, zu all den anderen unveröffentlichten Manuskripten und Absagen! Berufung hin oder her, liebe Muse, küss mich sonstwo, es muss jetzt dringend mal wieder Geld reinkommen, ob im sozialversicherungspflichtigen Beruf oder mit egal welchem Job.

Auf Arbeitslosengeld haben Freischaffende keinen Anspruch; 75.000 bundesdeutsche Autoren und Autorinnen zählen zu dieser Gruppe. Und die Künstlersozialkasse? Die nimmt — oder behält — längst nicht jede arme Poetin, die allzu lange keinen fetten Fisch ins Netz bekommt.

Ausgegrenzt

Schreibwettbewerbe sind nicht nur wenig lukrativ; sie sind auch eher was für junge Leute. Eine pensionierte, geschiedene Ex-Richterin, die endlich Zeit zum Schreiben hat, möchte an einem Literaturcontest teilnehmen. Mit 66 Jahren, da fängt das Leben doch an, oder nicht? Leider liegt die Altersgrenze bei 30, wie so oft.

Auch mit 70 schickt sie nichts ein, denn die einzige Ausschreibung, die infrage käme, ist nicht etwa „für Autoren m/w/d“ oder „für Menschen jeden Alters“ oder „für silberne Schreibfüchsinnen“; nein, da steht: „Für Rentnerinnen ü70“. Das klingt ihr dann doch zu unwürdig.

Große Preise mit kleinem Fehler

„Wenn unter 70 Büchner-Preisträgern nur 13 Frauen sind, stimmt etwas nicht“, so die Germanistin Sabine Scholl am 22. März 2022 in Deutschlandfunk Kultur. In der ZEIT vom 1. März 2022 schreibt Tanja Raich:

„Autoren bekommen immer noch die größeren Bühnen, ihre Bücher werden in höheren Auflagen gedruckt und auf größeren Plätzen besprochen, sie werden als Spitzentitel eingeordnet und dominieren die Büchertische, die Veranstaltungsprogramme, die Plätze im Feuilleton. Das hat für Autorinnen existenzielle Folgen, etwa bei der Verteilung von Honoraren und Vorschüssen.“

Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Ausgebremst

Wenn ich von mir schreibe, erzähle ich stellvertretend für viele andere schreibende Frauen.

Die schreiblust-widrigen Prägungen aus der Schulzeit überspringe ich. Meiner Erfahrung nach sind es nicht frühkindliche Schreibhemmungs-Traumata, die Wortkünstlerinnen lähmen und ausbremsen, sondern realbrutale gesellschaftliche Bedingungen.

Keine Hand frei zum Schreiben

Mit 30 Jahren wurde ich Singlemama. Wer ein Baby auf dem linken Arm wiegt und rechtshändig mit dem Kochlöffel in der Suppe rührt, hat keine Hand frei zum Schreiben.

Auch die Schauspielkunst, die ich zuvor zehn Jahre lang ausgeübt hatte, verträgt sich schlecht mit Mutterschaft und Stillen nach Bedarf. Ich sollte besser „erfolgreich“ hinzufügen, denn Ex-Schauspielerinnen stehen im Verdacht, sie hätten ihren Beruf nicht fürs Kind an den Nagel gehängt, sondern mangels Erfolges.

Anträge und Widersprüche

Wenn Säugling, Kochlöffel, Putzbesen und Handwerkskasten mal Pause machten, tippte ich auf meiner Olympia-Reiseschreibmaschine. Keine Romane, sondern Anträge auf Winterkleidung, Kinderschuhe, Heizkostenzuschuss und Waschmaschinenreparatur — denn wie die meisten unehelichen Mütter jener Zeit war auch ich während der ersten Jahre meines Kindes auf Sozialhilfe angewiesen. An Theaterspielen oder Dreharbeiten — also an die Ausübung meines Berufs — war nicht zu denken. Einige wenige über-mutige Versuche gerieten zum Betreuungsdesaster; doch das ist eine andere Geschichte.

1984: D-Mark, Sozialhilfe und Zuversicht

Zurück in die Steinzeit. 1984. Damals gab es noch D-Mark, Sozialhilfe und Zuversicht sowie die Amtspflegschaft für uneheliche Mütter. Immerhin gestand man ihnen schon das Sorgerecht für ihre Kinder zu.

Krippen gab es so gut wie keine, KiTas und Elterngeld noch nicht, private Kinderbetreuung war unerschwinglich, und der Städtische Kindergarten nahm Kinder erst mit drei Jahren auf, jeweils zum Beginn eines Schuljahrs. Meine Kleine musste noch warten. Trotzdem wollte der Sachbearbeiter die Kindsmutter zu gemeinnütziger Arbeit abkommandieren.

Was er nie erfuhr: Just auf dem Höhepunkt der Amtsquerelen erschrieb sich die Schwervermittelbare klammheimlich einen Literaturförderpreis, dotiert mit unglaublichen 3000 Mark.

To-do-Listen und Tagebücher

Falls jetzt jemand sagt: „Na also, die hatte ja doch Zeit zum Schreiben!“ Das Werk hatte ich noch während der Schwangerschaft in die alte Olympiatastatur gehackt.

Nachdem meine Tochter geschlüpft war, kritzelte ich bestenfalls spät abends auf die Rückseite einer To-do-Liste: „Katze zum Tierarzt. Kind noch KH. Wieder keine Zeit fürs TB.“ Für Mütter, denen es genauso geht, ergreift Thomas Mann das Wort. Am 7. Januar 1940 schrieb er in sein Tagebuch: „Müde durch andauernd zu spätes Zubettegehn.“ Ich vermute aber mal, bei Mann waren nicht fieberkranke keuchhustende Kinder der Grund für den Schlafmangel.

Eine prägende Auszeichnung

Während mir bei der Preisverleihung in einem ehrwürdigen Schweizer Rathaus Champagner, Handküsse, Lachsröllchen und Lobreden zuteilwurden, trug ich ein bundesdeutsches Behördenschreiben in der Tasche, einen Bescheid, in dem mir Kompletter Leistungsentzug wegen fehlender Mitwirkung angedroht wurde.

Dass man zur gleichen Zeit geehrt werden kann und verachtet und existenziell bedroht, war eine neue Erfahrung für mich. Sie hat mich nachhaltig geprägt.

Geehrt, verachtet, existenziell bedroht

Das Preisgeld hätte ich als anrechnungspflichtiges Einkommen an die Staatskasse abführen müssen; aber es wurde in bar ausgezahlt, und so habe ich es meinem Sachbearbeiter verschwiegen.

Den Roman, zu dessen Vollendung die Fränkli gedacht waren, habe ich nie fertiggestellt. Stattdessen habe ich mit all den vielen wundervollen Scheinen meine Flucht aus der furchterregenden Fürsorge von Vater Staat organisiert, fehlende Alimente ersetzt, Miete, Essen, Kinderschuhe, Katzenfutter, Heizkosten und Waschmaschinenreparatur bezahlt und vor allem meinen Quereinstieg in die Synchronbranche finanziert.

So ein beruflicher Wechsel braucht seine Zeit, und leider haben freischaffende Gauklerinnen ebenso wenig Anspruch auf Arbeitslosengeld wie Wortkunstmagierinnen.

Ich konnte nicht mehr vor der Kamera oder auf der Bühne und wollte nicht mehr beim Sozialamt in der Schlange stehen. Ich konnte nur werktags arbeiten, tagsüber, zu mamafreundlichen Kindergartenzeiten. Ich setzte alles daran, Synchronschauspielerin zu werden.

Auf zu neuen Ufern!

Filme aus aller Welt

Mein Kind kam in den Kindergarten. Auch ich betrat Neuland: Studios, in der die deutschen Fassungen für Filme aus aller Welt entstehen.

„Aber wie funktioniert das Synchron denn eigentlich genau?“, wurde ich oft gefragt, allerdings noch nie so häufig wie in den letzten Tagen, denn die Bedrohung der Synchronkunst durch KI ist nun in allen Medien angelangt und wird leidenschaftlich und voller Sorge diskutiert.

Schon längst kann KI menschliche Stimmen klauen und neue daraus erschaffen. Zunehmend schnell ersetzt sie Sprecherinnen und Sprecher, aber auch viele andere mit der Synchronbranche verbundene Berufe. KI ist dabei, einen ganzen Berufszweig zu „killen“.

Wenn das lebendige, menschengemachte, menschengemäße Synchrongewerbe erhalten bleiben soll, muss dringend bekannt werden, wie diese facettenreiche Kunst funktioniert.

Da kommt ein kleiner Ausflug in die Synchronwelt doch gerade passend.

Mit Worten jonglieren: Wie ein Synchronbuch entsteht

Grundlage für die Arbeit im Tonstudio ist ein Deutsches Dialogbuch, die Übersetzung des Original-Filmscripts. So ein Synchronbuch ist allerdings weit mehr als eine einfache Übersetzung. Die Synchronbuchautoren — m/w; d hatten wir noch nicht — sehen sich den Film Satz für Satz an und formulieren, Wort für Wort, den Text solange um, bis er lippensynchron auf die Mundbewegungen des Originals passt. Auch Inhalt, Grammatik, Textlänge und Sprachrhythmus müssen stimmen, zudem muss die Sprechweise der jeweiligen Filmfigur angepasst sein, denn ein König redet anders als ein Bauarbeiter.

Pausen, Atmer und Laute aller Art — Husten, Schluchzen, Stöhnen, Lachen, Keuchen und Schreie — alles wird im Synchronbuch verzeichnet. Für die Arbeit im Studio wird das Buch in kleine Film-/Ton-Abschnitte unterteilt, sogenannte Takes, fortlaufend nummeriert und mit Timecodes versehen. Wer Synchronbücher schreibt, jongliert mit Worten und Gedanken, mit Witzen und Gefühlen, und baut dabei Brücken aus buntem Wortmosaik. In früheren Zeiten wurden Dialogbücher auf so etwas wie der guten alten Olympia analog-getippt. Ende der 1980er-Jahre ging es los mit der Digitalisierung. Und nun kommt als apokalyptischer Reiter die KI angaloppiert.

Sprachliche Finessen

Mit dem fertigen Buch geht die Postproduction im Tonstudio weiter. Dort arbeiten Regie, Cutterin und Tonmeister zusammen mit den Synchronschauspielerinnen / Synchronsprechern, Frauen wie Männer gleichermaßen, die zuvor von der Aufnahmeleitung auf die verschiedenen Rollen besetzt wurden. Im Studio wird nun ein Take nach dem anderen einzeln aufgenommen. Früher lag das haptisch so sympathische Synchronbuch dabei auf dem Sprecherpult, heute haben wir einen Bild-Bildschirm und einen Text-Bildschirm vor der Nase.

Zur Fertigstellung des Films bedarf es dann noch weiterer Schritte, die hier jedoch keine Rolle spielen. Nicht selten werden im Studio nochmal Textänderungen fällig, und so lernte ich in den 1980er Jahren beim Synchronsprechen auch allerlei Formulierungstricks und sprachliche Finessen. Und dann kam die Wende.

Die Wende

Nach der Wende gingen viele große Postproduction-Aufträge nach Berlin. Es kam zum ersten Einbruch beim bisher größten Synchronstandort München. Branchenflaute! Und aus den neuen Bundesländern flatterten noch mehr hungrige Vögel an die Synchronfutternäpfe. Zudem wurde ich sweet 40. Not funny, denn ab scary 40 werden die Frauenrollen rar; Frauenfiguren ab 60 sind weitgehend vaporisiert; eine traurige Tatsache, die viel über Frausein in unserer Gesellschaft aussagt.

Not macht erfinderisch

Und weil Elend so gesellig ist und sich gern noch mehr Elend einlädt, wurde unser gemütliches Viertel gentrifiziert und die eineltrige Familie entmietet.

Erst ein Jahr später, kurz vor der Räumung, mit Hilfe von Tantenspende, Makler und Mannesunterschrift, fand ich einen Vermieter, der bereit war, Fräulein Mutter und ihrem Anhang Obdach zu geben. 1991 war das.

Inzwischen waren die Mietpreise explodiert, einige Synchronfirmen hatten schon aufgegeben, und das neue Zuhause war dreimal so teuer wie das vorige. Ich war gezwungen, sehr schnell sehr viel mehr Kohle ranzuschaffen. Not macht erfinderisch.

So wurde ich Synchronbuchautorin. Wenigstens gab es da keine Altersgrenze.

Vom Sprechen zum Schreiben

Unterstützung beim riskanten Berufswechsel erhielt ich von entscheidungsbefugten Synchron-Engeln und einer großzügigen Bankfrau. Allerdings war auch die neuerliche „Erweiterung meines Berufsfeldes“ — zunächst und wieder einmal — mit Ausgaben verbunden. Die Arbeitsgeräte — Monitor, VHS-Rekorder, Fax, Kopierer, PC und Drucker — waren sündhaft teuer und die nötigen Schulungen und Installationshilfen auch nicht umsonst.

Ich habe das Synchronbuchschreiben geliebt; habe es trotz vieler 80-Stunden-Wochen und einiger ungedeckter Schecks überlebt — und nach zehn Jahren und dem zweiten Hörsturz aufgegeben. Das Synchronsprechen ging weiter — und meine Arbeit als freie Autorin begann.

Einfach nur schreiben

In der Komödie „Das Haus in Montevideo“ von Curt Goetz sagt die Mutter vieler Kinder: „Nein, wirklich, Herr Pastor, wenn man nicht ab und zu mal ins Wochenbett käme, hätte man gar keine Erholung!“ So ähnlich erging es mir. Eine mehrjährige Erkrankung verschlang meine Rücklagen, doch ich konnte endlich einfach nur schreiben, was ich wollte.

Ohne Moos nix los

„Ohne Fleiß kein Preis“? Meine Erfahrung ging eher in die Richtung „Ohne Moos nix los.“ Eine mit 4000 Euro dotierte Auszeichnung wäre mir fast entgangen, weil ich krankheitshalber knapp bei Kasse war. Der Beitrag wurde „in Papierform in 5-facher Ausfertigung per Post“ verlangt. Ich konnte mir kaum das Porto leisten, geschweige denn Kopien.

Schließlich half eine Freundin in der Ferne. Ich schickte ihr mein 100-Seiten-Opus; sie kopierte fleißig und illegal an ihrer Arbeitsstelle und übersandte das 500-Seiten-Paket samt meiner Bewerbung direkt an den Veranstalter. Mit Erfolg. Ja, ich hätte mutig sein, den Beitrag der Jury per Mailanhang schicken und schreiben müssen: „Bitte selbst ausdrucken, hab‘ keine Kohle.“ Aber mir waren schon ein paar Synchronaufträge weggebrochen, weil ich mich öffentlich zur Armut bekannt hatte. Noch mehr Mut konnte ich mir nicht leisten. So hat sich auch der Spruch „Ohne Fleiß kein Preis“ bewahrheitet, denn hätte sie nicht so fleißig kopiert …

Ein seriöser Verlag

Die Suche nach einem Verlag ist ein endloser und mörderischer Parcours, in etwa so zermürbend, entmutigend, desillusionierend und suizidgefährdend wie mehrjährige Partnersuche auf einem exquisit-elitären Ver-Paarungs-Forum.

Doch überraschend schnell fand ich einen seriösen Verlag, der mein erstes Buchprojekt zum Buch machen wollte. Nach kurzer Freude gab es einen langen Streit wegen des Titels.

Ich suchte Rat bei einer renommierten Autorin: „Die können doch nicht einfach über meinen Kopf hinweg …?!“ Sie las meinen Vertrag, befand ihn für korrekt und erklärte mir geduldig die feinen Unterschiede zwischen Mitsprache- und Entscheidungsrecht.

Nun hatte ich die Wahl: Bei einem seriösen Verlag unter einem abscheulichblöden Titel veröffentlichen und kuschen — oder: Selbermachen.

Also Selbermachen. Aber … hm.

Self-Publishing, Depperlstrich und Marketing

Selbermachen hat seine Tücken. Hier nur ein paar unzulängliche Hinweise.

Wenn, dann bitte nur bei einem seriösen Self-Publishing-Verlag; bitte nicht ohne umfassende fachliche Beratung; und bitte, bitte nicht ohne professionelles Lektorat und Korrektorat.

Ja, das kostet Zeit und Geld. Aber kein normaler Mensch ahnt den Unterschied zwischen Gedanken- und Depperlstrich. Lektorinnen und Buchhändler kennen und sehen ihn!

Und ein Liebesroman in Kochbuchschrift ist auch nicht der Hit.

Was das Marketing angeht: Auch große Verlage haben keinen großen Etat für Werbung. Beworben werden nur einige wenige Bücher, die ohnehin große Verkaufszahlen verheißen. Ohne emsigen persönlichen Einsatz bei Social Media, ohne Instagram, Facebook und TikTok verkauft man kein Buch; außer an Freundinnen und Verwandte.

Aber die wollen das lieber als Weihnachtsgeschenk.

Die arme Poetin

Das Durchschnittseinkommen der in der Buchbranche Tätigen liegt bei 1.400 Euro monatlich. Brutto. „Nur 5,7 Prozent der Autor*innen in Deutschland können ausschließlich vom Schreiben leben“, berichtet ver.di; und NDR Kultur schreibt:

„Bringt ein unabhängiger Verlag ein Buch heraus, das im Laden 24 Euro kostet, mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren, dann erhält der Schriftsteller 2,24 Euro pro Exemplar. Reich macht das nicht.“

Frauen schon gleich gar nicht: Auch für Lesungen gleicher Länge erhalten männliche Autoren mehr Kohle als ihre Kolleginnen.

Der arme Poet ist nicht nur ein traurig-schönes Bild. Er ist Realität. Die arme Poetin wurde noch nie porträtiert.

Wird Zeit, dass sie ein Gesicht bekommt. Oder: viele Gesichter.


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