Das Leben ist kein Ponyhof und das nächste Spiel immer das schwerste. Ja, sicher, das wissen wir und es ist schlimm genug, aber wenn es nur das wäre, mann/frau/divers könnte damit leben. Doch die Welt wird immer unübersichtlicher. So viel ist durcheinandergeraten, und der Irrungen und Wirrungen will es offenbar kein Ende nehmen. Missverständnisse und Sinnestäuschungen, wohin man blickt.
Nehmen wir etwa die E-Zigarette. Die meisten Menschen denken, dabei handelt es sich um diesen designmäßig wirklich vollkommen misslungenen Metallstift, aus dem stoßartig dichter Nebel entweicht, wie einst bei der guten alten Dampfeisenbahn. Dabei ist die wahre E-Zigarette, nämlich jenes Teil, das die klassische Kippe als Suchtmittel abgelöst hat, natürlich nichts anderes als — das Handy, das Smartphone von heute. Es leuchtet, man kann es in den Fingern halten, damit rumhantieren und die innere Unruhe kanalisieren. Und das war, wie jeder mit einem Hauch von Lebenserfahrung wissen könnte, schon immer der wahre, der einzige Grund und Antrieb fürs Rauchen.
Eine andere bedenklich weit verbreitete Legende lautet: Die Menschen werden immer älter. Wie falsch kann man liegen? „Werch ein Illtum!“, um mit Ernst Jandl zu sprechen. Das Gegenteil ist der Fall. Wahres Alter, nämlich Weisheit, Tiefe, Überblick und Besonnenheit, muss man inzwischen fast schon mit der Lupe suchen.
Mit beängstigend steigender Tendenz starren unsere an Jahren Alten bis zum Mittag tief ins Frühstücksfernsehen hinein, gießen dann kurz die einsame Zimmerpflanze und schicken am Nachmittag animierte Smileys und bunte Teletubby-Bildchen an ihre Facebookfreunde mit No-substance-what-so-ever-Inhalt, und dies eben auf jenen E-Zigaretten, mit denen sie nicht aufgewachsen sind und die sie ursprünglich niemals haben wollten. Aber irgendetwas muss zu Weihnachten ja geschenkt werden. Und nun, Siri — kannst du es mir sagen? Was kommt nach dem Tod ...?
Wie viel Unheil hat die Elektronik, der leidige Mikrochip bereits in die Welt gebracht, sollte man ihn nicht noch heute auf den Mars schießen und im Gemüsegarten hinterm Haus noch mal ganz neu anfangen? Überhaupt, den Strom abschalten, das wäre vielleicht eine noch bessere Idee, wenigsten für zwei, drei Wochen — oder Jahre.
Es wird kälter
Schließlich noch dieser Befund — und auf die Gefahr der Selbstbeweihräucherung hin, aber ich war tatsächlich einer der wenigen und habe das schon lange gesagt, und alle Verharmlosung hat einfach keinen Zweck mehr: Es gibt einen Klimawandel auf dem Planeten. Ja, tatsächlich, es gibt einen beängstigenden, einen alarmierenden Klimawandel auf Erden:
Es wird kälter — die Liebe nimmt ab.
Welch oberflächliche Symptombehandlung ist es da, wenn man dem Globus das Fieber misst und meint, man müsse Kühlung verschreiben, ohne die Anamnese zu betreiben und zu sagen: Die soziale Kälte, die Verlorenheit, die existenzielle Unruhe treibt den Menschen im Flugzeug um den Globus, lässt ihn die Heizung anwerfen, wo er nur ist und friert, lässt ihn in Vergnügungen und Ablenkung sich stürzen, nur um dem existenziellen, inneren Frost zu entfliehen.
Zu schlechter Letzt noch folgende Prognose: Während NASA, Elon Musk und Kumpanen Weltraumstationen auf dem Mars herbeifantasieren, ist es wohl weitaus wahrscheinlicher, dass wir unseren eigenen Planeten so weit herunterwirtschaften, dass wir irgendwann selbst als Außerirdische, als Aliens auf Erden in Mondanzügen gespenstisch um die Iglus ziehen.
Kulturpessimismus dieser Sorte ließe sich wohl noch lange fortführen. Gibt es denn gar nichts Positives zu vermelden? Ist auf der Erde ewig mir nichts recht? Ganz ehrlich — ich fand es fast schon immer herzlich schlecht. Die Menschheit dauert mich in ihren Jammertagen. Was soll man zu verschotterten Vorgärten überhaupt noch sagen ...
Und seien wir ehrlich, die Diabolisierung der Welt kam nicht über Nacht im Jahre 2020. Schließlich ging der Diabolisierung die Dieterbohlisierung voraus und manch anderer pseudoinnovativer Freedom-Trash: SUVs fürs Freizeitparadies, operierte Brüste für die Performance im Garten der Lüste, Partyrausch mit Frauentausch — eigene Beispiele bitte anfügen ...
Bayern München wird zum achten, zum zwölften, zum fünfundzwanzigsten Mal in Folge Deutscher Meister. Olé und Halleluja! Das Kleinkind sagt zur Mutter: Lies mir doch noch einmal das Märchen von der schönen Prinzessin vor. Aber das kennst du doch schon in- und auswendig. Gerade deswegen möchte ich es noch mal hören! Also gut: In letzter Minute fiel doch noch das entscheidende zwei zu eins, und wenn sie nicht gestorben sind, dann kicken sie noch heute. Irgendeine frühe Legende des BVB meinte nachher zu seiner Karriere: Ich bin im Leben dreimal um die Erde gelaufen, aber immer dem Ball hinterher. #Stayhome — vielleicht wäre es schon in den 70ern eine gute Idee gewesen ...
Wenn es nicht paradox ist, ist es nicht wahr
Wie klingt das Klatschen mit einer Hand? Nee, echt jetzt. Wie klingt das Klatschen mit einer Hand? Na, keine Antwort parat? Gut so! Ach ja, das gute alte japanische Koan — lässt den Verstand so schön ins Leere laufen, diese ewig ratternde Stimme im Kopf, einfach so, mit Leichtigkeit. Noch mal: Wie klingt das Klatschen mit einer Hand?
Wie der behäbige Boxer doch in die Ringe stolpert, wenn der tänzelnde Ali nur einen leichten Schritt zur Seite macht. Der wuchtige Schwinger rauscht ins Leere und das Schwer- verliert das Gleichgewicht. Klatsch! So klingt das. Zehn, neun, acht, ... drei, zwei, eins: Aus, KO! Das Koan ist der alte und neue Champion, und das Paradox in seiner heiligen Wahrheit rangiert erhaben weit oberhalb jeder noch so raffinierten Logik unserer kleingeistigen Hirne. So sei es und so bleibe es, denn siehe, es ist gut so, wie es ist. Die unbeschreiblich hohen Werke sind herrlich wie am ersten Tag. Oder um den guten Robert Gernhardt zu variieren: Die Wissenschaftler wer'n es nie begreifen — die Pfeifen!
1989 hat der Ostblock einen Schritt zur Seite gemacht, und nun hat es 30 Jahre gedauert, bis der schwerfällige Kapitalismus mit lautem Getöse auf die Bretter kracht. Klatsch! So klingt das. Dabei war es im Grunde ein Schattenboxen von Anfang an: Kommunismus und Kon-sumismus — kneift man die Augen nur etwas zusammen, unterschieden sich die beiden Weltentwürfe von jeher nur in der Reihenfolge der Buchstaben. Das Böse — es ringt immer nur mit sich selbst.
China hat schon übernommen
Und nun, wie heißt es so schön: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte — CHINA. China hat schon übernommen, ja, richtig gelesen. Wir schreiben den Januar 2021, und China hat übernommen. Weltherrschaft is coming home. Heim ins Reich der Mitte. Olé und Halleluja! Der Dritte Weltkrieg — wer hätte das gedacht — war nur ein Hornberger Schießen. Keine Rakete ist gestartet. Das Kapital, Big Money, hat einfach die Seiten gewechselt, still, heimlich und ganz ungeniert und im Verrat natürlich, im Hochverrat, muss man schon sagen — im Hochverrat von allem, was einmal Bedeutung hatte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit –Liebe, Wahrhaftigkeit und Demokratie.
Bald schon schreiben wir das Jahr 2 n.Cr., also nach Corona, und die Welt ist eine andere, die Normalität ist eine neue. Haben Sie's gemerkt? Man hat Ihnen grad den Planet unterm Hintern weggezogen. Aber keine Sorge, ein neuer ist schon in Mache. Lieferando bringt ihn direkt ins Haus. Seien Sie ein Held. Bleiben Sie auf dem Sofa sitzen. Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird alles geben. Sie werden sich nur auf eine Parkbank setzen müssen — Achtung, Abstand nicht vergessen! — und das Maul aufsperren, und die gebratenen Hähnchen kommen direkt hineingeflogen. Halleluja, ist das nicht großartig! So sei es, jetzt und alle Tage. Also, machen Sie sich keine Sorgen. Wir wissen, was wir tun.
Wir haben alles gezählt. Wir sind die Wissenschaft .
Sie können sich auf uns — verlassen Sie bitte nicht den abgegrenzten Bereich! Das ist sehr, sehr wichtig! Dieser Bereich darf überhaupt nie hinter..., na, Sie wissen schon. Haben Sie das jetzt ein für alle Mal kapiert? Demokratie ist eine wunderbare Sache. Man sollte sie ins Museum stellen.
Einer wird bezahlen
Was waren das für Zeiten — doch, es gab sie ja, die Zeiten, als die Helden noch vom Sofa runterkamen. Mel Gibson etwa, der legendäre Braveheart-Highlander, der wäre nicht mit Chips auf der Couch gesessen. 1996 in dem Film „Kopfgeld — Einer wird bezahlen“ lieferte er sich als Familienvater und schwerreicher Airline-Mogul einen heroischen Fight mit dem Entführer seines Sohnes. Anstatt das geforderte Lösegeld zu zahlen, drehte er den Spieß um und setzte die Millionensumme als Belohnung aus für denjenigen, der ihm den Kidnapper bringt, tot oder lebendig.
ICH WILL MEIN GELD — diese Worte ziehen sich als Catchphrase durch die Story, und maximal in die Enge getrieben, läuft der Mann — selbst ein gescheiterter Cop by the way –schließlich komplett Amok, erschießt seine beiden Juniorpartner, gibt diese als Täter aus, bringt den Jungen zurück und präsentiert sich selbst als tapferer Befreier, um auf diese Weise — Ich will mein Geld! — doch noch die Kohle zu kassieren. Wie tief kann man sinken, selbst als Schwerverbrecher, als Finanzfunktionär? Immer geht es noch eine Etage tiefer in Sachen Verrat, Lüge und Selbsterniedrigung. Der Coup geht natürlich trotzdem noch schief. Logo, ohne Happy End kein Hollywood.
Man hätte dieses Bild auch knapper präsentieren können: The Good, the Bad and the Ugly — war auch mal ein legendärer Filmtitel, und liest man ihn als zeitlichen Verlauf, dann läuten wir wohl gerade die letzte Phase ein. Big Money wechselt final die Seiten, knallt kurzerhand die Kumpanen von gestern ab und wandelt sich von bad zu ugly, zu äußerst ugly, muss man sagen.
Silicon Valley, Big Pharma, der gesamte kapitalistische Großbetrieb kann mit der altbewährten Methode die Zitrone einfach nicht mehr weiter ausquetschen — und switched nun mit einem Klick das Betriebsystem um: #IchwillmeinGeld! CHINA lautet nun die Lösung aller Probleme. Vom amerikanischen Traum zum chinesischen Albtraum. Halleluja! Diktatur und Überwachung statt Demokratie und Menschrechte. Schwarmblödheit im Gleichschritt statt Aufklärung und individuelle Selbstbestimmung. Die westlichen Werte von 250 Jahren sind offenbar reif für den Dustbin der Geschichte. War das Kunst oder konnte das weg? Weltherrschaft is coming home. Wie sagt der Chinese: Es ist Zeit vergangen, während du schliefst, Demokratie war eine schöne Sache, aber uneffektiv.
Die Jogger sind schuld
Neulich wurde es mir schlagartig bewusst. Im beschaulichen Bremen sah ich die große Geopolitik plötzlich vollkommen klar: Schwarzer Block, eine Armee von Polizei und ein paar Grüppchen aufrichtiger Querdenker gaben sich im Bürgerpark ein nachmittägliches Katz- und Maus-Spiel, und zwischen allen Fronten liefen in aller Seelenruhe diese Jogger ihre Runden durch den Sonnenschein, und die Joggerinnen natürlich nicht zu vergessen. Wenn es schon mal zum Weltuntergang geht, dann doch bitte gendergerecht — so viel Zeit muss sein. Von keines Gedanken Blässe angekränkelt zogen diese Sportiven survival-of-the-fittest-mäßig ihre Bahnen.
Wir haben eine epische Lage von internationaler Tragweite, und die Jogger gehen joggen.
Die Jogger denken sich, ich lauf hier meine kleine heile Meile, denn meine App sagt mir, dass ich heute noch 3.000 Schritte machen muss. Darauf stecken sie ihr Hirn zwischen zwei Kopfhörer — und der Rest ist Schweigen. Biedermann und Biederfrau im Enthaltungskotau. Diese Jogger sind es, die am Ende an allem schuld gewesen sein werden. Denn ganz zum Schluss wird es doch ein Schritt zu wenig gewesen sein.
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