„Wenn ich zu dir sagen würde: ‚Du hast schöne grüne Haare‘, wie würdest du dich dabei fühlen?“ — „Ich würde lachen.“ — „Warum würdest du lachen?“ — „Weil ich weiß, dass meine Haare nicht grün sind.“ — „Aha. Und wenn ich sage, dass du ein Monster bist?“
Es bedarf keiner weiteren Worte. Irgendetwas bricht im Inneren auf, wenn wir Zeugen dieses Gesprächs werden. Betrifft dieses Gefühl etwa uns alle? Oder zumindest mehr Menschen, als wir dachten? Es fühlt sich so persönlich an, als wären wir die Einzigen, die es nicht verdient hätten, beachtet und geliebt zu werden. Was macht es mit uns, wenn wir feststellen, dass auch viele andere Menschen sich so fühlen? Was passiert in einer Gesellschaft, wenn wir diese Dinge nun ansprechen, miteinander sprechen, einander zuhören?
Peter sitzt wegen vorsätzlichen Mordes lebenslänglich in einem kalifornischen Gefängnis. Er beging sein Verbrechen, als er 20 Jahre alt war. Vor einer großen Gruppe anderer Häftlinge erzählt er von seiner Kindheit, von seinem Vater, zu dem er aufgeschaut hatte:
„Er war mein Held. Als ich acht oder neun Jahre alt wurde, wurde er nach Mexiko deportiert, und das hat mich am Boden zerstört.“
Ist es nicht gefährlich, sich vor anderen Schwerverbrechern im Knast so verletzlich zu zeigen?
Der Dokumentarfilm „Der weise Schmerz der Seele“ offenbart so manche Vorstellung als Irrglauben und Vorurteil. Er zeigt Gefängnisinsassen, Drogensüchtige und Obdachlose. Peter, Sarah, Jose — Menschen, die in ihrem Leben Traumata erlebt haben, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind, nicht wahrgenommen werden, weil wir alle unbewusst denken, sie seien selbst schuld an ihrem Schicksal.
„Wenn man Menschen dort abholt, wo sie sind, sie wie Menschen behandelt, und nicht versucht, sie zu verändern, eröffnet man ihnen die Möglichkeit der Veränderung“ (Gabor Maté).
Die USA sind das mächtigste Land und eines der reichsten Länder der Welt. Ihre Kultur prägt die gesamte westliche Welt und lockt mit dem Traum vom Wohlstand für alle. Die meisten sehen oder ahnen zumindest, dass dies eine Lüge ist, doch wir thematisieren es nicht. Wir ignorieren das allgegenwärtige Leid, das sich im Außen bei einem Teil der Menschen als Obdachlosigkeit und Kriminalität zeigt, bei einem anderen in Macht-, Alkohol-, Kauf- oder Arbeitssucht. Doch das unsichtbare Leid betrifft uns alle. Ich kenne keinen Menschen, der sich nicht hin und wieder selbst verurteilt oder von seinen Gefühlen abgespalten ist, der nie Angst hat, etwas falsch zu machen, verlassen zu werden oder im Leben zu scheitern, was auch immer das bedeutet.
Bei einem von fünf Amerikanern wird jedes Jahr eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Selbstmord ist in den USA die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren. Jährlich sterben weltweit über 800.000 Menschen daran. An einer Überdosis Drogen sterben in den USA jährlich 81.000 Menschen. Die sogenannte „Autoimmunitätsepidemie“ betrifft 24 Millionen Menschen in den USA. Die miteinander verknüpften Erscheinungsbilder von Angst, chronischen Krankheiten und Drogenmissbrauch sind nach Ansicht von Dr. Gabor Maté normal. Aber nicht so, wie wir vielleicht denken. Der Arzt sagt:
„Trauma ist die unsichtbare Kraft, die unser Leben prägt. Es prägt die Art und Weise, wie wir leben, wie wir lieben und wie wir der Welt einen Sinn geben. Es ist die Wurzel unserer tiefsten Wunden. Ein unbehandeltes Trauma hält schmerzhafte Muster in unserem Leben aufrecht.“
In „Der weise Schmerz der Seele“ begleiten die Filmemacher Maurizio and Zaya Benazzo den Arzt und Bestsellerautor, um herauszufinden, warum die westliche Gesellschaft mit solchen Epidemien konfrontiert ist. Es ist eine Reise mit einem Mann, der sein Leben dem Verständnis des Zusammenhangs zwischen Krankheit, Sucht, Trauma und Gesellschaft gewidmet hat.
Gabor Maté erklärt, dass wir nicht durch schlimme Erlebnisse traumatisiert werden, sondern dann, wenn wir mit dem Schmerz allein sind und niemand uns hilft, diesen zu verarbeiten. Somit sind sowohl Menschen traumatisiert, die in ihrer Kindheit schreckliche Erfahrungen wie den Verlust eines Elternteils, Obdachlosigkeit oder Gewalt erlebt haben, als auch Menschen, die keine emotionale Bindung erfuhren. Bleiben diese Traumatisierungen unverarbeitet, prägen sie unser aller Verhalten und somit auch unsere Gesellschaft.
Maté gibt uns eine neue Vision: Eine traumainformierte Gesellschaft, in der es Eltern, Lehrern, Ärzten, politischen Entscheidungsträgern und Juristen nicht darum geht, Verhaltensweisen zu korrigieren, Diagnosen zu stellen, Symptome zu unterdrücken und zu verurteilen, sondern die Ursachen zu verstehen, aus denen beunruhigende Verhaltensweisen und Krankheiten in der verwundeten menschlichen Seele entspringen. Er weist uns den Weg zur individuellen und kollektiven Heilung.
Nach den Dreharbeiten zu ihrem Dokumentarfilm gestehen die Regisseure:
„Als wir mit diesem Film begannen, dachten wir, dass wir zu den Glücklichen gehörten, die eine glückliche Kindheit hatten. Wir dachten, dass Traumata durch schlimme Dinge verursacht werden, die den Menschen widerfahren; wirklich schlimme Dinge: Krieg, Mord, Gewalt, sexuelle Ausbeutung ...
Aber Trauma, so erfuhren wir von Dr. Gabor Maté, kann jeden treffen. Individuell und kollektiv tragen wir einen Rückstau an Schmerz mit uns herum, der nie gehört wurde, weil uns Erzählungen fehlen, die uns helfen, die tiefsten Wunden der anderen zu teilen, zu bezeugen und ihnen Raum zu geben. Wir haben die Vision einer Gesellschaft, die die Wahrheit über Scham und den Schmerz unerfüllter Bedürfnisse, die still, aber weit verbreitet sind, anerkennen kann. Traumata können nicht immer überwunden, behoben oder gelöst werden, aber sie können gehört, gehalten und geliebt werden.“
Stellen Sie sich eine über Traumata informierte Welt vor. Stellen Sie sich Ihre eigene Familie und Gemeinde vor. Würden die Lehrerinnen und Lehrer in Ihren Schulen vielleicht anders handeln? Was ist mit den Ärzten, die Ihnen bei der Heilung helfen wollen? Die Richter, die über Urteile entscheiden? Die politischen Entscheidungsträger, die unsere kollektiven Strukturen festlegen, und die Führungskräfte, die wir ernennen, um unsere Stimme zu vertreten?
Die Filmemacher haben die Vision einer Welt, die sich aus dem Kreislauf des Traumas befreit und offener und integrativer wird. Das alles beginnt mit uns. Es beginnt damit, dass wir unseren Wunden über Zuhören, Selbstliebe und Mitgefühl erlauben, uns zu lehren und uns an die Kostbarkeit des Lebens zu erinnern. Dann öffnet die Wahrheit unsere Herzen und unsere angeborene Weisheit beginnt, uns durch unsere Wunden hindurch zu einem neuen, lebensbejahenden Erleben und Verhalten zu führen.
„Es ist ein dynamischer, sich entwickelnder Prozess der Konfrontation mit der Wahrheit, in dem Lösungen entstehen werden. Ein Trauma geht mit einem lebenslangen Unterdrücken einher, mit einem enormen Aufwand an Energie, um den Schmerz nicht zu spüren. Während wir heilen, wird diese Energie für das Leben und unsere Präsenz in der Gegenwart frei. So kann die Energie des Traumas in Lebensenergie umgewandelt werden“ (Gabor Maté).
Hier können Sie — wie 6 Millionen Menschen weltweit vor Ihnen — den Film gegen eine freiwillige Spende, die Sie jedoch auch auf Null reduzieren können, in voller Länge ansehen: thewisdomoftrauma.com.
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