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Die wahren Delegitimierer

Die wahren Delegitimierer

Menschen, die sich für die Grundrechte einsetzten, wird „Delegitimierung des Staates“ vorgeworfen — nicht dagegen marktradikalen Privatisierern.

Wer war das? Wer war es, der große Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge in die Hände privater Unternehmen überführte? Wer forderte die Zurückdrängung des Staates? Wer forderte die Unterordnung des Staates unter die Naturgesetze eines freien, deregulierten Marktes? Wer forderte die Verschlankung und damit die Selbstentmachtung des Staates? Waren das die friedlichen Bürger, die mit Grundgesetzen spazieren gingen und „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“ skandierten? Oder waren das nicht vielmehr jene Marktradikale, die über Think-Tanks Einfluss auf Politik, Medien und Bildung nahmen und die ganze Gesellschaft auf ein System abrichteten, in dem die Marktlogik jeden Bereich des Lebens durchdringt?

Wann wurde jemals die Bertelsmann-Stiftung der Staatsdelegitimierung bezichtigt? Diese auf dem Papier gemeinnützige Stiftung ist in der Praxis nicht gemeinnützig, sondern nur gemein. Gemein in der Art und Weise, wie sie dafür Lobbyarbeit macht, um das öffentliche Gemeinwesen in private Hände zu überführen.

Wann mussten die marktradikalen Lobbyisten sich je gefallen lassen, als „Staatsdelegitimierer“ bezeichnet zu werden, als sie sich dafür einsetzten, folgende Bereiche — teilweise — zu privatisieren, die vormals in staatlicher Obhut lagen?

  • Das Rentensystem
  • Den Wohnungsmarkt
  • Teile des öffentlichen Nahverkehrs
  • Die Wasserversorgung
  • Die Telekommunikation
  • Das Gesundheitswesen

Die (Teil)Privatisierung all dieser Bereiche wurde im Grunde jedes Mal mit dem gleichen Argument begründet — der Staat sei nicht effektiv genug, private Anbieter seien wesentlich effizienter, da sie durch die Marktlogik getrieben dazu gezwungen wären, die Leistung an die Spitze zu treiben. Kurzum wurde stets der Staat mit der behaupteten Ineffizienz delegitimiert (1).

Das Staatswesen, welches gemeinhin und inbrünstig als Demokratie bezeichnet und hochgehalten wird, verkommt zu einer Fassadendemokratie, wenn es nicht gar immer schon eine Fassade war. Wer heute jedoch darauf hinweist, macht sich paradoxerweise der Staatsdelegitimierung verdächtig. Frei nach Kurt Tucholsky könnte man sagen:

„In Deutschland gilt derjenige, der auf die Fassade hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der die Fassade aufrechterhält.“

Staatliche Delegitimierung im Außen

Die Staatsdelegitimierung im Sinne der marktkonformen Elitendemokratie beschränkt sich nicht allein auf das Ausbeuten des Gemeinwesens. Sie zeigt sich auch in der Auslagerung nationalstaatlicher Parlament-Kompetenzen an übergeordnete Instanzen wie der EU oder an der Kopplung ebendieser Kompetenzen an die Entscheidungen internationaler Organisationen. Das aktuellste und mustergültigste Beispiel hierfür wäre der in Arbeit befindliche Pandemievertrag der WHO, der — so er in Kraft tritt — die Gesundheitsorganisation dazu ermächtigt, auf statistischer Willkür basierend die Nationalstaaten zu tiefgreifenden Infektionsschutzmaßnahmen zwingen zu können.

Wie sehr kann ein Staat mehr delegitimiert werden, als wenn seine Organe gezielt geschwächt werden oder ihm Organe wie die Ministerpräsidentenrunde transplantiert werden, die im Grundgesetz so nicht vorgesehen sind? Die parlamentarischen Befugnisse werden zunehmend auf internationale Organisationen, Konzerne oder direkt an Superreiche übertragen. Ursula von der Leyens „Thank you Bill for Leadership“ steht hierfür symbolisch.

Sonstige Staatsdelegitimierung

Der Vollständigkeit halber seien hier weitere Formen realer Staatsdelegitimierung aufgeführt, die in Deutschland nie sonderlich skandalisiert oder medial hochgejazzt wurden:

  • Wenn Anti-Deutsche ihre Deutschland-Hass-Parolen lautstark in der Öffentlichkeit und im Netz skandieren, hatte das seltene bis gar keine mediale Empörung zur Folge. Im Gegenteil erhalten manche Anti-Deutsche wie die Band Feine-Sahne-Fischfilet sogar noch Unterstützung vom Bundespräsidenten. Was könnte einen Staat mehr delegitimieren, als der dazugehörigen Nation die Existenz abzusprechen und den Hass ihr gegenüber unverhohlen auszusprechen?
  • Der Ruf „No border, no nation, stopp deportation“ (zu Deutsch: „Keine Grenzen, keine Nationen, stoppt Abschiebung“) hatte noch nie eine Debatte entfacht über eine Gefahr durch Staatsdelegitimierer aus links-grün-liberalen Kreisen. Dabei fordert dieser Aufruf doch gerade das Auflösen von Staatsgrenzen und damit letztlich die Auflösung der Staatengebilde, worunter dann ja auch Deutschland fiele. Diesen Demonstrationen wurde jedoch trotz der Parole nie Staatsdelegitimierung vorgeworfen. Hingegen muss sich die Demokratiebewegung diesen Vorwurf anhören, während auf ihren Demonstrationen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie protestiert wird.

Toxische Staat-Bürger-Beziehung

Das derzeitige Verhältnis von Staat zu Bürger und umgekehrt erinnert doch arg an eine toxische Beziehung. Statt „du liebst mich nicht mehr!“ wird einander der Vorwurf „du legitimierst mich nicht mehr!“ an den Kopf geworfen.

Das sich von der Lebensrealität der Menschen abschirmende Regierungsviertel in Berlin Mitte fühlt sich durch die regierungskritischen Proteste delegitimiert. Und die Regierungskritiker im Lande fühlen sich wiederum delegitimiert durch das Diffamiert-, Ignoriert- und als Teil der Gesellschaft Nicht-repräsentiert-Werden.

Im Rubikon-Bestseller „Corona-Staat“ fand der Jurist Alexander Christ sehr passende Worte für dieses wechselseitige Verhältnis:

„Gutes Recht (...) unterstreicht den Wert des Rechtssubjekts. Es ist geprägt von Achtung vor dem Einzelnen und seinen unverbrüchlichen Grundrechten. (…) Im gesetzgeberischen Idealfall findet man eine wechselseitige Legitimierung von Gesetz und Gesetzesgeber vor. Das Gesetz wird durch den guten Gesetzgeber legitimiert. Der Gesetzgeber wird durch das gute Gesetz rückbestätigt. Ich möchte daher sagen: Gutes Recht unterstreicht die Würdigkeit des oder der Rechtsetzenden. Umgekehrt delegitimiert ein schlechtes Gesetz den Gesetzgeber. Während der Corona-Zeit fand ich nur schlechte Gesetze“ (2).

Die politische Philosophie hält ebenso etliche Beispiele bereit für die Selbstdelegitimierung von Regierenden durch schlechtes Regierungshandeln. Thomas Hobbes Konzept des Leviathans sieht vor, dass es den im Leviathan vereinigten Untertanten gestattet ist, sie gar gefordert sind, sich gegen diesen aufzulehnen oder sich von ihm abzuwenden, wenn der Herrscher, respektive der Leviathan durch unfähiges oder böswilliges Herrschen gegen den Gesellschaftsvertrag verstößt (3).

Der Konfuzianer Xunzi vergleicht das Volk mit dem Wasser und den Herrscher mit einem Boot, welches auf diesem Wasser schwimmt. Solange der Herrscher sich durch gutes Regieren auszeichnet, trägt das Wasser sein Boot. Delegitimiert er sich durch schlechtes Handeln, kann das Wasser wiederum sein Boot zum Kippen bringen (4).

In den letzten zwei Jahren — wenn nicht schon davor — hat der Staat allerhand dafür getan, sich selbst zu delegitimieren und nun wirft er seinen Kritikern vor, ihn delegitimieren zu wollen.

Die selbstdelegitimierenden Taten des Staates der letzten zwei Jahre seien hier zur Erinnerung grob und sicherlich nicht vollständig aufgelistet:

  • Das Annullieren des nicht genehmen Wahlergebnisses bei der Thüringen-Wahl im Februar 2020 (5),
  • Die Suspendierung der Grundrechte auf unbestimmte Zeit (6),
  • Die Diskriminierung und Erpressung der Menschen mit den Covid-Genspritzen,
  • Das Totalversagen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal,
  • Die stümperhafte oder absichtsvoll herbeigeführte Energiekrise,
  • Die sich eingeschlichene Grundhaltung, Krisen nur noch anzukündigen, statt sie abzuwenden.

Und die Kritiker hingegen wollen nichts weiter erreichen als eine Abkehr vom seit März 2020 bestehenden Maßnahmenstaat und zurück zum Normenstaat, wie er bis Anfang 2020 Bestand hatte. Der Maßnahmenstaat, wie ihn Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel in „Der Doppelstaat“ beschrieb, ist ein in seiner unbeschränkten Willkürlichkeit gewaltsam agierender, keine Rechtssicherheit garantierender Staat. Er koexistiert mit dem Normenstaat, der wie in funktionalen Demokratien vorgesehen, auf der Grundlage von Gewaltenteilung und ordentlicher Rechtssetzung- und -sprechung basiert. Der Maßnahmenstaat kennt jedoch einen politischen Sektor, in welchem die Rechtswillkür vorherrscht, während im politisch irrelevanten Rechtssektor die „alte“ Rechtssicherheit gilt (7).

Noch einmal klar und deutlich: Die Maßnahmenkritiker delegitimieren keinen Staat! Den Maßnahmenstaat delegitimieren sie nicht, denn er ist qua seiner grundgesetzwidrigen Konstitution bereits von Anfang an delegitimiert.

Und den Normenstaat von 2019 delegitimieren die Kritiker ebenfalls nicht, im Gegenteil — sie wollen ihn zurück haben!


Quellen und Anmerkungen:

(1) Vergleiche Engartner, Tim: „Staat im Ausverkauf: Privatisierung in Deutschland“, Frankfurt am Main, 2016. et alii
Vergleiche Müller, Albrecht: „Meinungsmache: Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen“, München, 2009, Seite 202 fortfolgende.
(2) Siehe Christ, Alexander: „Corona-Staat: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Menschlichkeit zur Pflicht“, München, 2022, Seite 190.
(3) Vergleiche Hobbes, Thomas: „Leviathan“, Neuwied, 1966, Zweiter Teil, Kapitel 21, Seite 163 fortfolgende.
Vergleiche Noll, Alfred J.: „Thomas Hobbes: Eine Einführung“, Köln, 2019, Seite 82.
(4) Vergleiche Baron, Stefan; Yin-Baron, Guangyan, „Die Chinesen: Psychogramm einer Weltmacht“, Berlin, 2018, Ullstein-Verlag, Seite 306 fortfolgende.
(5) Vergleiche Unger, Raymond: „Vom Verlust der Freiheit“, München, 2021, Seite 55 fortfolgende.
(6) Vergleiche Christ, Alexander: „Corona-Staat: Wo Recht zu Unrecht wird, wird Menschlichkeit zur Pflicht“, München, 2022, Seite 124.
(7) Vergleiche Fraenkel, Ernst: „Der Doppelstaat“, Frankfurt am Main / Köln, 1974, Seite 21 bis 26.
Vergleiche Schmitt, Carl: „Politische Theologie“, Berlin, 2021, Seite 14 bis 19.
Vergleiche auch die grafische Darstellung, wie sich der Maßnahmenstaat in den Normenstaat einnistet und stückchenweise von innen heraus einnimmt in: Agamben, Giorgio: „Homo sacer: Die souveräne Macht und das nackte Leben“, Frankfurt am Main, 2019, Seite 49


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