Es ist schon einige Jahre her, als dieser ganz besondere Tag in meinem Leben kam, an dem ich Folgendes feststellte: „Ich kann nicht einen Tag länger im Hamsterrad dieser Gesellschaft, in meiner Funktion in diesem gigantischen Getriebe, die ich mir einmal selbst gewählt hatte, weiterlaufen. Nicht einen einzigen Tag!“
Diese Erkenntnis kam mir eines Abends um halb elf. Ich saß auf dem Sofa im Schneidersitz. Ich sehe diese Szene bis heute vor mir, als sei sie erst gestern gewesen. Mein Mann kam herein und fragte mich, ob ich denn nicht schlafen gehen wollte, denn am nächsten Tag würde der Wecker zeitig klingeln und ich müsste zur Arbeit fahren.
Ich sah ihn an und sagte: „Setz dich bitte. Ich muss dir etwas sagen.“ Er kam, schon im Schlafanzug, und setzte sich neben mich. Müde sah er aus, gähnte und rieb sich mit der Hand über sein stoppeliges Gesicht. Ich sagte nur drei Wörter: „Es ist vorbei.“ „Was meinst du damit?“, fragte er mich irritiert, aber ruhig, leicht fröstelnd. Ich antwortete: „Das ganze Spiel. Es ist vorbei. Ich höre auf. Ich kann nicht mehr.“
Es war ganz ruhig, im Zimmer und in mir. Ich war plötzlich hellwach, wie angeknipst. All die Gedanken, die in den letzten Wochen durch meinen Kopf gerast waren, waren plötzlich verstummt. Bis auf eine sehr laute Stimme in mir, die mir sagte: „Stopp!“ Diese Stimme, diese Entscheidung war kristallklar und kam aus meinem tiefsten Innern. Sie duldete absolut keinen Widerspruch.
Nach ein paar Tagen stieß ich im Internet auf die Worte eines für mich heute besonderen Menschen, der mir einige Wochen später im äußersten Norden Deutschlands gegenüberstehen sollte:
„Der Kern dieser Gesellschaft ist das Modell der Maschine. Das Mechanische versucht das Lebendige zu zertrümmern, zu sezieren, und dann von den kleinsten Bausteinen her zu rekonstruieren, aber es erreicht seine Komplexität bei Weitem nicht.
Das Mechanische braucht Hierarchien. Und Hierarchien sind die Parasiten im System. Hierarchische Systeme saugen die aus, die unten sind, damit es denen oben gut geht. Hierarchien kümmern sich nicht darum, dass es euch gut geht. Hierarchien werden euch nicht fördern.
Vergleicht es mit dem Tierreich: Die Arbeitsameise geht‘s nicht gut, sie hat Stress, sie hat Panik. Der Königin geht‘s gut, aber sie ist nicht richtig glücklich. Die Arbeitsbiene ist nicht auf Langlebigkeit projektiert. Am längsten lebt die Königin, und die sucht sich ein neues Volk.
Selbst der Silberrücken bei den Schimpansen herrscht nicht hierarchisch. Es ist ein Fürsorgesystem, das die einzelnen Mitglieder der Gruppe fördert. Insofern ist es ein Netzwerk. Deshalb ist es eine Beleidigung für ein Schimpansen-Männchen, es mit einem Hierarchen in einer Firma zu vergleichen. Wie ist es bei den Fischen? Dem Fisch im Schwarm geht‘s gut. Der Schwarm ist nicht hierarchisch organisiert.
Um euch in einer Hierarchie funktionieren zu lassen, muss ich zuerst eure Gefühle abtöten, denn die Gefühle sind selbststeuernde Regelkreise. Sie geben euch unmittelbar Feedback: ‚Gefällt mir. Gefällt mir nicht …‘ Sie dienen der Selbststeuerung.
Wenn ich das immer wieder bestrafe, schüchtere ich euch ein. Irgendwann kritisiert ihr euch selbst: ‚Heute funktioniere ich nicht gut. Ich war unpünktlich!‘, weil ihr das Leitbild des Roboters verinnerlicht habt. Das Stillsitzen, der Stundentakt … Euch wird vermittelt, dass das das Normale ist, und ihr werdet kritisiert, dass es euch nicht gefällt.
Wenn ich euch gefangen nehmen will, damit ihr mir dient, dann muss ich zuerst ein Moralsystem erfinden, in dem die Gefühle schlecht sind und stören. Auf die sollt ihr nicht hören. Und dann werde ich euch als das Schönste, was es im Leben zu erreichen gibt, das Leitbild der Maschine vorstellen: ‚Alles reibungslos! Alles funktioniert! Diese Eleganz! Dieses Gleichmaß!‘ Es gibt aber nichts Primitiveres als die Maschine!
Und dann werde ich euch immer wieder vergleichen mit einer Maschine: ‚Du störst‘ Du hast eine Tagesform! Die Maschine ist vollkommen! Sie ist gleichbleibend! Wenn ihr das merkt, dass euch das passiert, dann achtet darauf: Woher könnte euer Unwohlsein kommen? Denn wenn das Lebendige abgetötet wird, entsteht ganz viel Unbewusstes und viel Schmerz. Spiritualität bedeutet: Vertraut auf eure Gefühle! Was macht euch glücklich? Wo richtet ihr euch auf? Das kann euer Kompass sein! Vertraut auf eure selbststeuernden Regelkreise!“ (1).
Diese Worte waren der Anfang. Von da an machte ich mich auf die Suche. Letztlich nach mir selbst. Ich stürzte mich in eine ungewisse Zukunft, nahm Ängste in Kauf, Fragen, die mir niemand beantworteten konnte, jede Menge Widerstände im Außen. Niemand konnte mir sagen, was ich tun solle, was richtig oder falsch war. Viele verstanden mich nicht.
Ich hörte aber auf, Antworten und Zustimmungen und vor allem Anweisungen und Erlaubnisse von außen zu erwarten. Ich spürte einen unglaublichen Schub aus meinem Innern, eine ungeheure Kraft, die mich in eine bestimmte Richtung schob, immer stärker. Was war da in mir, das mich scheinbar so ins Ungewisse schob, raus aus der Sicherheit meines bisherigen Lebens? Diese Stimme, diese Energie, die offenbar die Laufrichtung kannte, war stärker als alle meine Ängste. Sie machte keine Kompromisse.
Ich machte mich also auf die Suche nach der Stimme, die an jenem Abend so laut und deutlich zu mir gesprochen hatte und lernte mich dabei selbst kennen, immer besser. Diese innere Energie, erschien sie mir am Anfang auch beinahe selbstzerstörerisch, schien alles da draußen zu übertönen und keinen Widerspruch zu dulden. Dass da etwas aus meinem Inneren kam, das sich so toll anfühlte und mich dabei selbst zerstören wollte, erschien mir absolut unlogisch. Also beschloss ich, blindes Vertrauen in mich zu haben.
Ein paar Monate später stand ich dann jener Frau gegenüber, deren oben zitierte Worte mich über mein Handy elektrisiert hatten und die ich hier mit Ihnen allen geteilt habe, denn ich glaube, dass es vielen Menschen da draußen so geht, wie es mir damals gegangen ist: „Ich kann nicht mehr!“
Sabine Bobert lieferte mir erste Antworten auf die Frage, was da in mir das Ruder in die Hand genommen hatte, und ich begriff, dass etwas mit mir geschah, was Menschen schon zu allen Zeiten geschehen ist.
Was hat mein Erleben mit Corona und unserer derzeitigen Situation zu tun?
Laut schreien wir derzeit hinaus und hoffen auf eine Antwort aus den oberen Etagen der Hierarchien. Wir wollen Antworten und Reaktionen. Doch die da oben scheinen taub und blind. Es ist wie verhext.
Vor vielen hundert Jahren haben wir Hierarchien und Strukturen aufgebaut, um … — ja warum eigentlich? Um die Verantwortung für unserer Leben und diese vielen Entscheidungen, die uns in unserer immer komplexeren Gesellschaft so schwierig erscheinen, an Fachleute delegieren zu können.
Wir alle wollten und wollen immer noch diese Hierarchien, die Entscheider. Wir haben sie gewählt, sie sollen die Verantwortung übernehmen für bestimmte Lebensbereiche, in denen wir uns nicht auskennen, für die wir keine Zeit haben, denn wir müssen ja rennen … im Hamsterrad, immer weiter. Sie da oben sollen endlich handeln, zuhören, eingestehen, einsehen, aufhören, was auch immer …
Ärzte, Juristen und andere kluge Stimmen schreien, schon sehr lange und sehr laut, aber es kommt einfach keine Antwort, keine Reaktion aus den oberen Etagen, als sei die Verbindung unterbrochen.
Warum geschieht das? Können wir das mit unserem Verstand erklären? Ist die ganze Situation nicht inzwischen vollkommen grotesk? Wie kommen wir da raus?
Vielleicht ist der Weg hinaus ganz einfach, er fällt uns nur nicht leicht. Er wäre vielleicht auch für uns sehr einfach und leicht, wenn wir nicht Menschen wären, sondern Computer, und wenn wir nicht durch eine ganz besondere menschliche Fähigkeit darin ausgebremst würden, Würde und Verantwortung zu leben. Es sind unsere Gefühle, die uns handlungsunfähig machen. Es ist die Angst.
Es könnte sein, dass wir jetzt aufgefordert sind, nach vielen hundert Jahren, Verantwortung zu übernehmen: für uns, für unsere Kinder, für unsere alten und kranken Eltern, für die Patienten, die vor uns sitzen. Und das in einem Ausmaß, das wir so gar nicht gewohnt sind — wir haben ja unsere Gesellschaft so gestaltet, dass wir möglichst wenig Verantwortung übernehmen müssen und immer jemanden fragen können, was wir tun sollen und immer irgendein Gesetz oder eine Bestimmung finden, wo geschrieben steht, was wir zu tun haben. Wir konnten ja immer fragen und nachlesen. Schon als Kinder. War ja alles wunderbar geregelt, nicht wahr. In den Schulen, in den Krankenhäusern, auf der Straße, überall. Wie bequem!
Diese Lebensweise wird unsere Kinder umbringen. Wir tun es gerade selbst. Jeden Tag.
Die Stimme in uns
Es ist aber tatsächlich eine Stimme in uns, die uns jederzeit sagt, was wir tun sollen, die uns lenken möchte, seitdem wir auf der Welt sind. Wir haben sie zu unterdrücken gelernt, seitdem wir zum ersten Mal das Wort „nein“ von unseren Eltern hörten, und später von unseren Lehrern. Wir hören immer noch auf diese „Neins“, wir können nicht anders.
Es könnte sein, dass wir uns alle nur retten können, wenn wir nicht mehr auf diese „Neins“ und „Du sollst“ hören, sondern stattdessen auf diese kleine innere Stimme, die immer noch in uns wohnt und zu uns spricht. Sie ist verkümmert, aber wir können sie immer noch sehr leise hören. Wie?
Zum Beispiel wenn wir unserem Kind eine Atemmaske aufsetzen und ihm erklären, dass es diese tragen muss, weil sich andere Menschen anstecken könnten. Wir setzen diesem kleinen Kind die Maske auf, wohl wissend, dass der Sauerstoffgehalt hinter der Maske geringer sein wird, als das Gehirn unseres Kindes zum Funktionieren und Gedeihen braucht. Und wir spüren einen kleinen Schmerz. Da ist eine leise Stimme, die sagt: „Tu es nicht!“
Wir verbieten unseren Kindern auch, ihre Freunde zu treffen. Wir erklären ihnen, warum das gefährlich ist. Wir haben verstanden, dass das gefährlich ist. Unser Verstand hat verstanden, dass das gefährlich ist. Ja, der liebe Verstand! Wir schauen aber in das Gesicht unseres Kindes, spüren seinen Schmerz. Auch wir spüren den Schmerz und das dringende Bedürfnis, die Tür zu öffnen und das Kind nach draußen zu schicken, ohne Maske, zu seinen Freunden.
Wir sind konditioniert und wir warten auf die Rettung, auf eine Antwort von oben, aus den Chefetagen. Vielleicht wird sie aber nicht kommen. Sie kommt nicht mehr. Es ist vorbei. Eine intelligente Kraft hat dies vielleicht beschlossen. Sind wir bereit, dies als Möglichkeit in Betracht zu ziehen? Vielleicht muss unser Leid noch größer werden, bis wir endlich bereit sind, die Verantwortung für unser Handeln selbst zu übernehmen, ohne Erlaubnis.
Jeder Mensch hat in sich diese Stimme, die ihm sagt, was er tun soll, was menschlich ist, in jeder Sekunde seines Lebens. Sie kommuniziert über „fällt mir schwer, tut mir weh“ und „fällt mir leicht, macht mich weit und groß“. Wir müssen sie kultivieren, so schnell wie möglich. Diese Stimme, die wir westlichen Menschen ahnungslos Intuition nennen, heißt im Yoga auch „Atman“. Es ist unsere Seele, unser göttlicher Anteil, den wir so gut wie verloren haben in unserer Gesellschaft.
Dieser göttliche Kern, den wir in keiner Kirche, in keinem Buch, in keiner Person, in keinem Himmel suchen müssen, wohnt in uns und versucht gerade, Kontakt mit uns aufzunehmen. Er sagt uns vielleicht, dass wir unsere Eltern besuchen sollen. Gleich morgen. Er sagt uns, dass wir einen Menschen operieren müssen, wenn wir seine Augen sehen. Wir sind Menschen mit göttlichem Kern, der zu uns sprechen möchte. Hören wir nach Jahrhunderten Taubheit endlich zu! Gott wohnt in uns!
Wenn wir zuhören und tun, was diese Stimme uns sagt, werden wir beschützt werden. Wir müssen Vertrauen, Mut und Liebe gegen die Angst stellen. Drei gegen eins, das ist doch was! Fangen wir doch morgen damit an. Fühlen wir in uns, was diese Stimme sagt. Ich bin mir sicher, sie wird sprechen.
Liebe und Würde werden aus Mut gemacht. Bis jetzt waren wir eher feige. Viele hundert Jahre lang. Ich denke, es reicht! Machen wir uns auf in eine neue Zeit! Und opfern wir nicht unsere Kinder für eine alte Zeit! Wenn wir auf eine Erlaubnis warten, werden wir unsere Kinder opfern.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Auf YouTube zu finden in dem Kanal „Mystik und Coaching“ von Sabine Bobert unter dem Titel: „Ich bin Lebendiges im Netz des Lebendigen“ (vor 1 Jahr, Mitschnitt).
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