Der Kapitalismus scheint sein Endstadium erreicht zu haben. Immer offensichtlicher und zahlreicher werden die verheerenden Folgen, die er mit sich bringt. Zugleich scheint die breite Mehrheit der Bevölkerung immer noch davon überzeugt zu sein, dass wir im besten aller Systeme leben, das man nur an einigen Stellen etwas korrigieren müsse. Dass Menschen sich gegen einen notwendigen grundlegenden Wandel sperren, hat mit ihrer Funktion im System zu tun.
Trotz Klimawandels, Umweltzerstörung, Flucht und Vertreibung, Kriegen und sozialen Verwerfungen halten selbst die Verlierer des global agierenden Kapitalismus es kaum für notwendig, die Wirkungsweisen unserer Gesellschaft grundlegend in Frage zu stellen. Die negativen Folgen, so meinen viele, lassen sich mit der Verschiebung einiger Gelder schon in den Griff bekommen. Warum sperren sie sich gegen die Einsicht der Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels? Warum verteidigen selbst jene den Kapitalismus, der diese längst schon als überflüssig ausgestoßen hat oder den Druck auf sie immer weiter erhöht?
Prekäre Arbeit, unmenschliche und entwürdigende Behandlungen in einem repressiven Hartz-IV-System, Flucht, Vertreibung, Klimawandel und Flüchtlingsschwemme werden zwar nicht klaglos hingenommen, die Kritik bleibt aber zumeist an der Oberfläche der Symptomebene, und niemand fragt nach den zugrunde liegenden Ursachen.
Doch wer sich nur einige, wenige Gedanken über die Vorgänge auf diesem Planeten macht, wird schnell zu der Überzeugung gelangen, dass der Kapitalismus an sich alle diese Verwerfungen hervorruft. Dass viele Menschen sich dieser Einsicht verweigern, hat einen einfachen Grund.
Der Kapitalismus beschäftigt die Menschen äußerst effizient. Sei es der Zwang zur Arbeit, dem sich jeder Mensch tagtäglich unterwerfen muss, um sein Leben zu finanzieren. Vor allem in der Mittelschicht wird dieser Zwang zudem oft unter dem Label der „Selbstverwirklichung“ verkauft.
Seien es die vielen bunten Konsumgüter, die für Beschäftigung in der knapper werdenden Freizeit sorgen. Arbeit und Konsum halten den Menschen in einer konstanten Dauerschleife der ewigen Beschäftigung, der Ablenkung vom inneren Selbst. Sie lenken die Aufmerksamkeit gezielt auf Äußerlichkeiten.
Dabei halten sie die Menschen davon ab, sich mit sich selbst, ihrer Persönlichkeit, ihren Zielen, Wünschen und Vorstellungen und letztendlich dem Sinn ihres Daseins auseinanderzusetzen. Dankbar nehmen sie daher Arbeit und Konsum an, denn genau das möchte kaum jemand: Sich mit sich selbst zu beschäftigen. Würden sie für einige Zeit die gesamte Beschäftigung beiseitelegen, die Arbeit Arbeit sein lassen und ihr Smartphone abschalten, sich alleine in einen stillen Raum setzen, dann würden sie nämlich bemerken, dass etwas nicht stimmt, und sie würden die große Leere spüren, die sie bis dahin effektiv mit den Beschäftigungsschichten zugedeckt haben.
Sie würden spüren, dass sie ein Leben führen, das nichts mit ihnen selbst zu tun hat, dass sie sich einzig auf eine Funktion im Getriebe einer unmenschlichen Gesellschaft reduzieren lassen, dass alle Beschäftigung, alle Arbeit, der Reisewahn und die bunte Glitzerwelt des Konsums sie in Wahrheit nicht zu erfüllen vermögen. So würden sie schnell anfangen, an dem Sinn ihres Daseins zu zweifeln und zu verzweifeln.
Diese Erfahrung ist jedoch so schmerzhaft, dass die Menschen lieber einen Bogen darum machen und sich mit Freuden auf jede Ablenkung stürzen. So unterwerfen sich die meisten gerne ihrer Arbeit, und sei sie auch noch so prekär, so anstrengend und unmenschlich, seien die Zwänge auch noch so groß, die Gesellschaft auch noch so repressiv, die Alternative wäre um ein vielfaches schmerzhafter. Wichtig ist dann auch nicht, welcher Arbeit nachgegangen wird, ob als Waffenlobbyist, als Baggerfahrer im Braunkohletagebau oder ob es sich um eine simple Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handelt.
Wichtig ist, dass es überhaupt Beschäftigung gibt, die Frage nach der Sinnhaftigkeit bleibt dabei zweitrangig. Verräterisch ist hier auch der Begriff der „Beschäftigungspolitik“, mit der jede Regierung den Menschen sichere Arbeit verspricht. Es geht nur darum, die Menschen auf Trab zu halten, denn eine unbeschäftigte Bevölkerung, die Zeit und Muße hat, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, mit ihren Zielen, Wünschen und Vorstellungen von Sinn und Unsinn, ist nicht erwünscht. Die Revolution wäre dann vermutlich nicht mehr fern.
Doch solche Sorgen müssen sich die Herrschenden kaum machen, denn auch in seiner Freizeit sucht der Mensch nach Ablenkung. Er hinterfragt nicht den Sinn seines jeweiligen Tuns und inwiefern es mit den Vorstellungen des Selbst in Einklang zu bringen ist. Solche Fragen scheinen der Mehrheit der Menschen fern zu liegen.
Das ewige Hamsterrad
So ist es auch kein Wunder, dass Smartphones und soziale Medien, in denen immer etwas Neues zu finden ist, sich so großer Beliebtheit erfreuen. Es verwundert auch nicht, dass der Massentourismus in den letzten Jahrzehnten so sehr zugenommen hat, dass dessen zerstörerische Folgen kaum noch übersehbar sind. Dennoch steigen die Menschen weiterhin ins Flugzeug, um mit ihren Smartphones schlechte Fotos von antiken Sehenswürdigkeiten zu machen, die erfahrene Fotografen schon viel professioneller festgehalten haben.
Man hält sich lieber im Hamsterrad der ewigen Beschäftigung auf, die man im Idealfall noch zu einem erfüllten Leben verklärt. Still sitzen, Ruhe, Alleinsein und nicht minutiös durchgeplante Tage scheinen vollkommen unerwünscht. Sollten solche Momente dennoch vorkommen, so bietet das Internet zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten wie soziale Netzwerke oder Streamingdienste. Nichts scheint unwillkommener zu sein, als ein Zustand, der allgemein als „Langeweile“ definiert wird.
Das Sein ist längst dem Haben gewichen, auf das sich die ganze menschliche Identität fokussiert.
So definiert ein jeder Mensch sich über den von ihm ausgeübten Beruf, also über seine Tätigkeit im Äußeren, mit der er einen Beitrag zum kapitalistischen System leistet. Er definiert sich selbst über das Eigentum, das er anhäuft. Derjenige, der in einer großen Villa mit Privathelikopter residiert, die er dank durch Aktienspekulation verdientes Geld finanzieren konnte, wird allgemein mehr geschätzt als der Arbeitslose, der in einer Sozialwohnung lebt. Wer wenig tut und wenig hat, der steht im Ansehen nicht sonderlich hoch. Doch es sind gerade jene, die viel tun und viel haben, die zur Zerstörung der Welt am meisten beitragen.
Von diesem Drang nach Beschäftigung profitiert der Kapitalismus, denn er hält die Menschen davon ab, ein System infrage zu stellen, das ihnen diese Beschäftigung in vielfacher Weise ermöglicht. Beinahe die ganze Produktion fußt auf diesem Drang. Das schließt auch Rüstungsgüter mit ein, die aus meiner Sicht nichts weiter sind als die mörderischen Spielzeuge mächtiger Menschen, mit denen sie die Aufmerksamkeit von ihrem Inneren weg auf Äußerlichkeiten richten.
Der Kapitalismus reißt also tiefe Wunden in jeden Menschen, die sich in einem Gefühl der Leere ausdrücken. Er tut dies, indem er die Menschen auf ihre reinen Funktionen im System reduziert, sie sich mit Gewalt unterordnet und an seine Mechanismen anpasst. Dabei geht jedem Menschen ein Stück seiner Menschlichkeit, seines Selbst verloren, er wird zu einem winzigen Teil eines Systems, das er weder bewusst erschaffen, noch je gewollt und das auch nichts mit ihm selbst zu tun hat.
Ablenkung in Fülle
Gleichzeitig bietet der Kapitalismus eine Fülle von Möglichkeiten, um von den Wunden abzulenken, die er gerissen hat. Er kanalisiert sie in Form systemverträglicher Beschäftigungen. Diese Ersatzhandlungen, die sich mit den Begriffen Arbeit und Konsum zusammenfassen lassen, haben jedoch zerstörerische Folgen. So wird jede Arbeit zum Sinn des Lebens verklärt, egal, ob sie in der Rüstungsbranche, in Finanzinstitutionen oder Chemiefabriken erfolgt. Der ausufernde Konsum verbraucht zudem erhebliche Ressourcen, hat den Klimawandel extrem angeheizt und frisst immer größere Teile der Natur auf.
So zerstören die vom System erzeugten Verletzungen und die daraus resultierenden Beschäftigungszwänge unsere Lebensgrundlagen und vernichten ungezählte Arten, letztlich den Menschen selbst. Zugleich führen sie zu einer entfremdeten Gesellschaft, die von einer zunehmenden sozialen Kälte geprägt ist. Die Menschen fügen sich in diese für alternativlos erklärten Erscheinungen, wenden sich höchstens von ihren politischen Vertretern ab und anderen zu, die jedoch das grundlegende zerstörerische System nicht in Frage stellen, sondern — im Gegenteil — dieses noch verschärfen wollen. So halten sie umso verbissener am Kapitalismus fest, der sie mit Füßen tritt, dessen Nebenwirkungen immer offensichtlicher werden, getrieben von der Angst vor dem Verlust der Beschäftigung und vor der Konfrontation mit dem eigenen Selbst.
Doch ist ein grundlegender Wandel notwendig, wenn wir nicht nur einen lebenswerten Planeten erhalten, sondern auch die inneren Verletzungen heilen wollen, die der Kapitalismus gerissen hat. Dies ist der einzige Weg in eine lebenswerte, auf Empathie und Mitmenschlichkeit basierende und nachhaltig lebende Gesellschaft.
Ohne Wirtschaftswachstum und Konsum
Der Beschäftigungszwang verhindert diesen Wandel jedoch effektiv. Ein solcher Wandel würde nämlich dazu führen, dass die Menschen den größten Teil ihrer Beschäftigung verlieren. Doch genau diese ermöglicht es ihnen, sich mit dem Äußeren anstelle ihrem Inneren auseinanderzusetzen. Das macht den Wandel leider so schwierig.
Doch unmöglich ist er nicht. Damit beginnen kann jedoch nur jeder bei sich selbst. Ein erster Schritt ist das Abschalten der dauernden Beschäftigung. Selbstverständlich müssen sich die meisten Menschen im derzeitigen System dem Diktat der Lohnarbeit beugen.
Jedem bleibt jedoch Freizeit übrig, und dann hat er die Möglichkeit, die Beschäftigung in Form des Konsums gezielt zu beenden, sich in die Stille zu begeben und auf seine eigenen Gedanken und Gefühle zu horchen.
Dies mag im ersten Moment unangenehm sein und kann sogar zu einem Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Tuns führen. Dieses Gefühl lässt sich jedoch überwinden, nicht, indem man sich erneut mithilfe der Konsumgüter ablenkt, sondern indem man still bleibt, nicht in Panik verfällt und sich von der großen Leere nicht verschlingen lässt. Ruhe, Achtsamkeit und auch Meditation können helfen, diese Leere zu überwinden, und unterstützen einen, zu einem neuen Selbst zu finden. Aus dem Nachlass Erich Fromms ist das Buch „Vom Haben zum Sein“ entstanden, in dem er diese Methoden darlegte und sie durch solche der Selbstanalyse ergänzte. Konsequent angewendet sollen sie zu einem zufriedenen, erfüllten Leben führen, das nicht durch Konsum und Ablenkung bestimmt ist, sondern durch ein sinnerfülltes Tun.
Dies ist die Voraussetzung für eine Welt, die ohne Wirtschaftswachstum und Konsum auskommt, für eine Welt, in der das Miteinander im Vordergrund steht, anstelle des Gegeneinanders. So lautet die Empfehlung für jede Einzelnen, sich aus der Abhängigkeit des kapitalistischen Beschäftigungszwanges zu befreien und zu seinem wahren Selbst zu finden.
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