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Der Krieg in der Seele

Der Krieg in der Seele

Im Gespräch mit Walter van Rossum sucht der Psychologe Klaus-Jürgen Bruder nach Antworten auf die Frage, warum eine Friedensbewegung, die mit den anstehenden Herausforderungen Schritt hält, bisher ausbleibt.

Walter van Rossum: Herr Bruder, Die Neue Gesellschaft für Psychologie hat zu diesem Kongress eingeladen und auch Sie sind Psychoanalytiker. Hat die Frage von Krieg und Frieden auch eine seelische Komponente?

Klaus-Jürgen Bruder: Ja, alles hat eine seelische Komponente, alles, was wir tun, und was uns widerfährt, weil wir mit einer Seele ausgestattet sind, also auch Krieg und Frieden.

Ihre Frage ist wahrscheinlich, ob diese seelischen Komponenten (allein) den Krieg und den Frieden erklären können.

Und da muss man sagen: nein. Vor allem nicht, wenn wir an die Psychologie eines Individuums denken, aber sozialpsychologische Prozesse spielen auf jeden Fall eine Rolle, aber auch sie nicht allein. Psychische Prozesse stellen Antworten auf vorliegende, sich abzeichnende und erwartete Probleme und Ereignisse dar, wie auch Versuche der Vorbereitung auf diese. Zudem haben Krieg und Frieden natürlich weit reichende psychische und sozialpsychologische Folgen. Deshalb haben wir zu unserem Kongress auch nicht nur Psychologen eingeladen, sondern auch Vertreter anderer Disziplinen, die alle zusammen erst Krieg (und Frieden) mit einiger Aussicht auf Erfolg erklären können oder durch ihre Analysen uns einer Aufklärung näherbringen können.

Ich will Sie nicht erschrecken, doch stellen Sie sich bitte vor, Marie-Agnes Strack-Zimmermann wäre Ihre Patientin. Könnten Sie ihr den Krieg eher im therapeutischen Gespräch oder mit politischen Argumenten austreiben?

Frau Strack-Zimmermann wäre nicht meine Patientin, sie würde nicht zu mir kommen. Ich glaube auch nicht, dass Frau Strack-Zimmermann Therapie-geeignet ist, das wäre ein sehr mühseliger Prozess. Und entscheidend ist: Therapie — im Unterschied zu allen Formen von („schwarzer“) Pädagogik oder Propaganda — ist keine Gehirnwäsche. Sie kann nur als die freiwillige und mühevolle Arbeit der durch den Therapeuten unterstützten Selbstreflexion mit Aussicht auf Erfolg verstanden und unternommen werden.

Und auch allgemein: Warum jemand eine bestimmte Haltung, Einstellung hat, ist nicht pauschal zu erklären, allenfalls in einer Rekonstruktion seiner individuellen Biografie.

Binnen weniger Jahre ist es der herrschenden Öffentlichkeit gelungen, das Wort „Frieden“ gewissermaßen ins Anrüchige zu verschieben. Wie war das möglich?

Ich würde eher sagen: Die Bedeutung von „Frieden“ wurde verändert, dadurch dass die Kriegstreiberei und die Kriegshandlungen als Mittel zum Frieden im politischen Diskurs von Regierung und Medien dargestellt wurden. „Frieden schaffen mit Waffen“: so wurde die Parole „Frieden schaffen ohne Waffen“ pervers umgedreht. Gregor Gysi hat in seiner Bundestagsrede diese Haltung mit Wohlwollen bekräftigt und von Friedrich Merz ist die zynische Äußerung bekannt, Frieden gäbe es auch auf dem Friedhof — für die Soldaten des von ihm mitvorbereiteten Kriegs mit Sicherheit.

Und wie konnte eine breite und bunte Friedensbewegung gleichzeitig den Betrieb einstellen?

Das ist sozusagen die Rückseite der gerade beschriebenen Medaille. Die Schwäche der Friedensbewegung ist die Rückseite der Stärke der Kriegspropaganda.

Die Frage, was die Friedensbewegung selbst dazu beigetragen hat, ist nicht so schematisch, nicht so schnell zu beantworten. In groben Zügen muss man zwei Antworten heranziehen. Zum einen, kurzfristig gesehen, hat die Friedensbewegung unter dem Versagen der Linken im weitesten Sinne während der Corona-Pandemieinszenierung ihre eigene Kraft verloren.

Sie hat sich spalten lassen, indem sie die Coronalüge mitgetragen hat, die Diffamierung der Corona-Kritiker in großen Teilen mitgemacht hat und dadurch nicht mehr zu einem gemeinsamen Handeln bereit ist. Längerfristig gesehen ist dieser Verlust der politischen Kraft der Linken bis in die Jahre des Rollback nach der 68er Revolte zurückzuverfolgen. Gleichzeitig war auch das Thema Krieg in der öffentlichen Diskussion der Bundesrepublik nur wenig präsent, Kriege fanden woanders statt, die Bundeswehr wurde auch abgebaut.

Politik und Medien arbeiten mit allen Mitteln an der Kriegsbereitschaft der Gesellschaft. Ich habe den Eindruck, weite Teile der Gesellschaft verweigern sich dem. Wie sehen Sie das?

In der Tat, Begeisterung, die Bereitschaft, mitzumachen, sind derzeit ganz sicher gering, allerdings: Wir stehen erst am Anfang der Agitation, die neue Regierung ist noch nicht eingesetzt, die Propaganda wird zunehmen. Allerdings werden auch die Folgen der Kriegsvorbereitung, vor allem im sozialen Bereich, massiv zunehmen, was ganz sicher zum Unmut aber auch zur Resignation und Hilflosigkeit führen wird. Ich denke, derzeit herrscht bereits Angst davor und vielleicht sogar eine gewisse Schockstarre, wie es weitergehen wird. Ich hoffe, es wird für die Regierung ein sehr mühseliger Prozess werden.

Worum geht es bei dem Kongress „Krieg und Frieden“?

Wir wollen ein Forum schaffen, auf dem der Kriegsdrohung unserer politischen Klasse, der Politiker und der Medien, kritisch entgegengetreten werden kann, eine Form der Selbstverständigung, des Austauschs von Informationen, Erklärungsversuchen und Ideen der Auseinandersetzung mit dieser Kriegsdrohung.

Es geht um die Selbstverständigung der eigenen Blase. Das ist wichtig. Doch wie kann es uns gelingen, Reichweite über den eigenen Beritt hinaus zu erreichen?

Das ist vor allem die Aufgabe der Straße, des Ortes, auf dem das erreicht werden kann, das ist nicht der Kongress, ebenso wenig wie irgendeine andere Plattform, wie auch Manova. Diese sind tatsächlich Orte der Selbstverständigung, Orte der Diskussion mit Gleichgesinnten, mit dem Ziel des Austauschs der Ideen, Pläne, Analysen und Prognosen, der Reflexion und Selbstkritik. Das ist sehr wichtig und keineswegs gering zu achten. Die Hoffnung besteht allerdings auch, das könnte ein Ziel sein, Analysen, kritische Haltung, Erklärungen in Medien aller Art zu bringen, die über den engen Kreis hinausgehen.

Die Kritik muss „praktisch“ werden, und das wird sie nur an den Orten, an denen wir uns mit dem Gegner konfrontieren. Dem Diskurs der Macht, also den Manipulationen und Verheimlichungen der Mächtigen, widersprechen — im Angesicht der Macht, wie Foucault das formuliert hat.

Wenn ich mir das großartige Programm anschaue, bemerke ich, dass vom Frieden relativ wenig die Rede ist. Warum ist es so schwer, vom Frieden zu sprechen?

Das ist vielleicht auch ein Spiegel der aktuellen kriegstreiberischen Propaganda: Angesichts aktuell drohender Kriege geht es natürlich darum, sich damit auseinanderzusetzen, um den Frieden zu erhalten oder wieder herzustellen. Allerdings gibt es durchaus einige Beiträge, die direkt die Friedensarbeit zum Thema haben, so die der Vertreterinnen der Friedensbewegung in Berlin, Laura von Wimmersperg und Doris Pumphrey, oder auch über den Zusammenhang von Frieden und Krieg, Rudolph Bauer, und ein Beitrag zur Friedenspädagogik von Armin Bernhard.

Herr Bruder, Sie sind noch im letzten Weltkrieg geboren. Spüren Sie den noch in sich?

Ich weiß nicht so recht. Da, wo ich aufgewachsen war, war nicht allzu viel davon zu merken. Aber natürlich indirekt bilden Einschränkungen des täglichen Lebens eine Rolle: außerdem die Abwesenheit meines Vaters, der im Krieg war, den ich auch in Soldatenuniform miterlebt habe. Die wirkliche Bedeutung des Krieges und ihre Wirkung auf die Psyche hat unsere Generation natürlich erst später wirklich erfassen können, die Diskussionen der Achtundsechziger waren dabei ganz entscheidend.

Hätten Sie sich je vorstellen können, dass in der Bundesrepublik Deutschland wieder für einen Krieg gegen Russland getrommelt würde?

Ja, und nein, denn wir sind ja unter der Propagandaschleife „der Russe wird kommen“, aufgewachsen. Dem haben wir entgegengesetzt — wie gesagt: später, als wir selbständig zu denken angefangen haben: „der Russe will keinen Krieg“. Wir hatten natürlich lange nicht gedacht, dass von Deutschland wieder ein Krieg ausgeht.

Allerdings wurden wir schon mal, mit dem Jugoslawien Krieg erstmalig, überrascht.

Aber letztlich hatten wir unsere Wachsamkeit gegenüber der Kriegsvorbereitung durch Deutschland eingeschläfert und die Vorstellung verdrängt, dass in der Bundesrepublik Deutschland wieder für einen Krieg gegen Russland getrommelt würde.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.ngfp.de/

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