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Region im Dauerfeuer

Region im Dauerfeuer

Die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld denkt in ihrem neuen Buch über die Geschicke von „Bilad asch-Scham“ (Großsyrien einschließlich Palästina) nach.

Um all die heutigen, so zahlreichen Konflikte in der Westasien-Region, und insbesondere in Palästina, verstehen zu können, ist es unabdingbar, auf die Vergangenheit zu schauen und hier wiederum insbesondere die arabische Sicht auf das Geschehen ins Blickfeld zu nehmen. Die Völker in Nahost waren und sind die Hauptleidtragenden eines nicht durch sie verschuldeten Zweiten Weltkriegs und einer nicht von ihnen geteilten Judenfeindlichkeit, die im Holocaust ihren schrecklichen Höhepunkt fand.

Und dennoch gibt die „deutsche Staatsräson“ heute vor, was als „antisemitisch“ zu betrachten ist — nämlich jede noch so leise Kritik am Staat Israel.

Karin Leukefeld weist darauf hin, dass hier wohlweislich verschwiegen wird, dass nicht nur Juden, sondern auch Araber Semiten sind, „Antisemitismus“ sich also gegen sie selbst richten würde.

Die klare und übersichtliche Darstellung der geschichtlichen Ereignisse in der westasiatischen Region, die der Westen „Nahost nennt, die die Araber aber als Bilad asch-Scham bezeichnen“, und zu der Syrien, Palästina, der Libanon und Jordanien gehören, weist Karin Leukefeld als ein Gebiet aus, in dem sich „ab etwa 3000 vorchristlicher Zeitrechnung städtische Kulturen entwickelten“ und wo schon im Altertum wichtige Handelswege von Ost nach West und von Süd nach Nord verliefen.

Die Autorin beschreibt den Aufstieg und Niedergang des Osmanischen Reiches, den Wettstreit der europäischen Kolonialmächte um die Vorherrschaft, insbesondere auf den Weltmeeren, und stellt fest:

„Der Imperialismus war die bestimmende Ideologie der (west-)europäischen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert, in dem Großbritannien seine größte Machtausdehnung erreichte.“

Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte 1916 die Aufteilung der arabischen Provinzen laut dem zwischen Großbritannien und Frankreich geschlossenen Sykes-Picot-Geheimabkommen und die Inangriffnahme des zionistischen Projekts „jüdischer Staat in Palästina“, dem Anfang der Landnahme durch jüdische Siedler aus Europa.

Es folgten der Zweite Weltkrieg, dessen Ende und die Staatsgründung Israels auf palästinensischem Boden. Fazit:

„Israel war bereits zur Zeit seiner Gründung 1948 ein koloniales Siedlerprojekt“, ein „Siedlerstaat“, errichtet nach dem „Vorbild der großen Kolonialstaaten“, die die „einheimische Bevölkerung entweder unterworfen oder dauerhaft marginalisiert“ hatten.

Erneut ging die Region in einen Krisen- und Kriegsmodus über, der bis heute anhält und mit Vertreibung der einheimischen Bevölkerung, Zerstörung der Infrastruktur und Siedlerkolonialismus einhergeht; davon betroffen: arabische, drusische, alawitische und kurdische Stämme. Ausführlich geht Karin Leukefeld auf die Versuche des palästinischen Volkes ein, ihr Land zu verteidigen, sei es durch Aufstände, Streiks oder Kriege wie dem Sechs-Tage-Krieg, und deren jeweiliges Scheitern.

Leukefeld beschreibt auch die hoffnungslose Situation der geflohenen Palästinenser in den Lagern, wo sie einem Netz von Schmugglern ausgeliefert sind und ihr perspektivloses Leben, abgespeist mit Almosen, fristen.

„Geopolitik“ heißt die große Klammer, auf deren Konto alle Kriege und Gräueltaten in Südwestasien gehen; ein Moloch, gefüttert mit millionenfachem Tod und unfassbarem Leid der dortigen Menschen.

Es kam zum Jemenkrieg und zum Irakkrieg, proklamiert wurde ein „größerer mittlerer Osten“, „offiziell von den USA als auch von der EU als geopolitische Interessensphäre markiert“, in einer Region, in der auch China und Russland sowie weitere regionale Akteure wie die Golfstaaten, Ägypten, Türkei und Iran Interessen anmelden. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Seeverbindungen, „vom Atlantik durch das Mittelmeer bis zum Indischen Ozean und südchinesischen Meer“.

Was in diesem Zusammenhang als „EU-Nachbarschaftspolitik“ bezeichnet wird, sei „knallharte Interessenspolitik“, die sich mit den Interessen der USA zum Teil deckt oder diese ergänzt, aber mit den eigenen Interessen dieser „Nachbarstaaten“ und denen der anderen Akteure kollidiert. Die Autorin spricht angesichts der daraus resultierenden Kriege und Krisen von einem „Feuerring“.

Wann begann der „zweite Teil des zionistischen Projekts“? Als 2019 der damalige US-Präsident Donald Trump die von Israel besetzten Golanhöhen als zu Israel gehörig anerkannte? Oder als im September 2023 Benjamin Netanyahu auf der UN-Vollversammlung seine neue Karte von Westasien präsentierte, auf der der palästinensische Staat verschwunden war? Schon vorher hatten die USA versucht, die arabischen Staaten mittels des „Abraham-Abkommens“ auf die Seite Israels zu ziehen.

Mit dem 7. Oktober 2023, als die Palästinenser aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet stürmten und viele israelische Zivilisten entführt oder getötet wurden, begann das bisher letzte und blutigste Kapitel in der Geschichte Palästinas. Leukefeld geht auf die Vorgeschichte der Operation „al-Aqsa-Flut“ ein, ebenso wie auf den daraufhin einsetzenden Vernichtungskrieg gegen Gaza, der bisher 45.000 Todesopfer und 111.000 Verletzte forderte.

Leider hat sich die Situation für die Palästinenser, insbesondere derer im Gazastreifen, seit dem Erscheinen von Karin Leukefelds Buch noch einmal verschlechtert.

„Die Achse des Widerstands“ ist durch die Machtübernahme von al-Kaida-Kräften in Syrien, das dadurch jegliche Stabilität einbüßte und vor einer Spaltung steht, gebrochen, während Israel immer unverhohlener und bar jeder Achtung des Völkerrechts militärisch in Syrien, im Libanon und im Westjordanland mit Unterstützung der USA vorgeht. Ein zwischen Israel und der Hamas geschlossener Waffenstillstand ist mehr als brüchig.

Die Frage, ob Israel „Selbstverteidigung“ übt oder einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser führt, ist nach Lektüre des Buches hinreichend beantwortet.

Es wird weiter Widerstand geleistet werden, denn die Hoffnung, dass es „nur noch ein Land geben wird, mit den gleichen Rechten für alle, die dort leben und egal welche Religion sie haben: Palästina“, wird überleben. Alles andere wäre zukunftslos.


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