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Der Hinterfrager

Der Hinterfrager

Albrecht Müller, Begründer der NachDenkSeiten, gilt als „umstritten“. Aber wer in der derzeitigen Medienlandschaft von allen gemocht wird, hat etwas falsch gemacht. Exklusivauszug aus „Umstritten: Ein journalistisches Gütesiegel“.

Die NachDenkSeiten, für die auch der Herausgeber dieses Buches Beiträge verfasst, hinterfragen immer wieder Lesarten, wie sie im sogenannten Medienmainstream vorkommen, und bieten eigene Perspektiven und Analysen an. Das führt immer wieder dazu, dass sowohl die NachDenkSeiten als auch Müller öffentlich angegriffen werden.

Unter anderem hieß es in einem Beitrag, die NachDenkSeiten seien ein „Verschwörungs-Blog“. In diesem Interview spricht er über seine Erfahrungen als Herausgeber eines Alternativmediums und die Angriffe gegen ihn und die Plattform. Müller wirft zudem einen Blick zurück in eine Zeit, die vermutlich gerade den jüngeren Lesern eher wenig bekannt sein dürfte, und beschreibt, wie er zu dem wurde, was er heute ist: ein kritischer Publizist, der seiner Leserschaft sagt: „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst.“

Deutlich wird in dem Interview auch, warum für Müller der Einsatz für Frieden von großer Bedeutung ist und wie er auf den Krieg in der Ukraine blickt. „Verhandeln statt aufrüsten, sich vertragen statt sich bekämpfen, das geht gegen den Strich des von Interessen geprägten Denkens“, so Albrecht Müller.

Herr Müller, den Begriff „umstritten“ gebrauchen Journalisten und Publizisten immer wieder, wenn Personen mit einer vom Mainstream abweichenden Meinung negativ dargestellt werden sollen. Auch Sie und Ihr Medium, die NachDenkSeiten, stehen oft in der Kritik, weil sie sich herausnehmen, eigene Analysen anzubieten, die von jenen der großen Medien abweichen. Wie sehen Sie das?

Bezüglich des Etiketts „umstritten“ kann man eigentlich nur mit Kopfschütteln reagieren. Es kommt von jenen, die sich an das geläufige Denken angepasst haben, angepasst an einen Wust von Denkfehlern, Vorurteilen und falschen Beobachtungen. „Umstritten“ — das ist ein diffamierendes Etikett.

Gehen wir einen Schritt zurück. Woher kommt Ihr kritisches Denken?

Meine kritische Einstellung zum politischen und gesellschaftlichen Geschehen geht nicht auf Fehlleistungen von Medien zurück oder zumindest nur zum geringeren Teil und keinesfalls ursprünglich.

Sondern?

Ich habe Mitte der Sechzigerjahre, damals wissenschaftlicher Assistent am Institut für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universität München, beobachtet, wie gerade die wirtschaftspolitische Debatte und dort wiederum die Sprache in der wirtschaftspolitischen Debatte von Vorurteilen beladen waren — und bis heute sind.

1966 habe ich dazu einen kleinen Vortrag gehalten im Rahmen eines Kreises des Evangelischen Studienwerkes Villigst. Das Thema lautete: „Über den präjudikativen Charakter der Sprache in der wirtschaftspolitischen Debatte“. Ich zeigte den Kommilitonen, die mehrheitlich aus anderen Fachrichtungen kamen, wie unsere geläufige wirtschaftspolitische Diskussion von Vorurteilen geprägt ist.

„Wachstum“ zum Beispiel ist — der Sprache folgend — aufgeladen mit einer positiven Emotion. „Leistungsbilanzüberschüsse“ — so etwas kann man eigentlich nur positiv beurteilen, so suggeriert jedenfalls die Sprache — Überschüsse, Leistung, das kann nur positiv sein. Diese über die Sprache vermittelten Vorurteile prägen dann auch die Wirtschaftspolitik und Politik allgemein.

Weil Wachstum als gut erscheint, übersah man und übersieht man leicht die ökologischen Folgen und auch die psychischen Folgen bei den vom Stress geplagten Lohnabhängigen. Weil Leistungsbilanzüberschüsse so vorteilhaft klingt, übersieht man die damit verbundenen realen Verluste einer Volkswirtschaft. Wenn nämlich mehr nach draußen exportiert als importiert wird, dann macht man real betrachtet ein schlechtes Geschäft.

Das war also 1966.

Ja, und lange vorher musste ich in der Quarta und Untersekunda, also in der Sieben und Acht, die Kriegsbegeisterung meines Mathematiklehrers ertragen. Er war vorher in der Nazizeit von 1940 bis 1945 Schulleiter desselben Gymnasiums in Heidelberg gewesen, dann nach 1945 degradiert und ohne Kontrolle und Widerspruch der Obrigkeit auf uns losgelassen worden. Lange Strecken des Unterrichts, der eigentlich der Mathematik gelten sollte, mussten wir uns seine Kriegsgeschichten anhören. Das war in der Zeit der Wiederbewaffnung und deshalb nicht ohne politische Bedeutung und auch nicht ohne Bedeutung für die Meinungsbildung von uns Schülern.

Hat dieser Lehrer in Ihnen etwas ausgelöst?

Er löste Widerspruch aus. Auch deshalb, weil ich in einem Kreis von Jugendlichen in meinem Heimatdorf unter dem Einfluss des damaligen, als CDU-Innenminister zurückgetretenen Gustav Heinemann und seiner Mitstreiter Erhard Eppler und Diether Posser zum Skeptiker gegenüber Militär und Rüstung geworden war.

Das heißt?

Wir wollten Frieden und Verständigung statt militärischer Abschreckung und Aufrüstung. Hinzu kamen die als kleines Kind erlebten Bombenangriffe auf die uns umgebenden Städte Mannheim, Heilbronn, Bruchsal, Würzburg. Ich habe den Feuerschein der brennenden Städte am Himmel noch gut in Erinnerung. Das wirkt bis heute.

Und wenn ich heute als umstritten gelte, dann auch deshalb, weil die Ideen von Gustav Heinemann damals umstritten waren und bis heute zumindest von einigen als umstritten betrachtet werden. Verhandeln statt aufrüsten, sich vertragen statt sich bekämpfen, das geht gegen den Strich des gängigen Denkens und vor allem gegen den Strich des von Interessen geprägten Denkens.

Aber doch wohl kaum gegen die Mehrheit der Menschen? Die Mehrheit, ob nun in der Ukraine, in Russland, in Deutschland oder sonst wo, dürfte sehr wohl für Frieden sein.

Die Mehrheit der Menschen ist vermutlich auf friedliches Zusammenleben angelegt.

Damals, in dieser frühen Debatte um die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland, ist mir allerdings etwas begegnet, auf das wir heute wieder stoßen: auf einen penetranten Russen-Hass.

Wie hat sich der Hass damals sichtbar gemacht?

Damals fand dieser Hass seinen Ausdruck in widerlichen Plakaten der CDU, der CSU und dann später der NPD. Hier ist ein Exemplar von damals, vom Wahlkampf 1953: Die Darstellung der Russen als finster und bedrohlich — das gab es damals und das gibt es heute wieder. Ich habe mich damals gegen diese Propaganda gewandt und ich tue es heute. Deshalb wende ich mich gegen die manipulierende Darstellung des Krieges in der Ukraine und seiner Ursachen.

Da sind wir bei einem der Gründe, warum manche Journalisten und Akteure die NachDenkSeiten kritisieren. In den großen Medien und in weiten Teilen der Politik ist der „Böse” eindeutig Russland. Wer nicht in diesen Chor einschwingt, dem begegnen so manche Journalisten und weitere Akteure mit Aggression.

Die alleinige und aggressive Schuldzuweisung an Russland ist nur möglich, weil die Geschichte verkürzt erzählt wird und weil man auf vorhandene Denkmuster zurückgreifen kann. Die Propaganda wird geglaubt, weil Russenhass in Deutschland verbreitet ist — vom Anfang des Jahrhunderts über die Propaganda der CDU und CSU in den Fünfzigerjahren und Adenauers süffisante Kennzeichnung der „Soffjjets“ bis heute.

Stein des Anstoßes waren anfangs, zumindest bei mir, nicht die Medien. Mit einer Reihe von Medienschaffenden hatte ich in wichtigen Phasen meines Lebens ein ausgesprochen gutes und produktives Verhältnis.

Die Medien und Sie lagen also nicht immer im „Clinch“?

Nicht die Medien, sondern die schon immer beobachtbare, dann 1972 im Bundestagswahlkampf blühende und mit viel Finanzmitteln des Großen Geldes inspirierte und geförderte Manipulation war der Stein des Anstoßes. Die Manipulation von Menschen ist das Hauptthema meines Engagements und Gegenstand einer Reihe von Veröffentlichungen.

Im Bundestagswahlkampf 1972 griffen meist anonyme Gruppen und Geldgeber aufseiten der CDU/CSU in den Bundestagswahlkampf ein, mit geschätzten 35 Millionen DM und 100 verschiedenen Anzeigenmotiven, die von eigens gegründeten, sonderbaren Organisationen und Initiativen geschaltet worden waren. Meist anonym und versehen mit Postfach-Adressen.

Als für den Wahlkampf verantwortlicher Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit beim Vorstand der SPD schlug ich vor, diese Intervention des Großen Geldes zum großen Thema des Wahlkampfes zu machen. So etwas war unüblich. Man nimmt doch den Namen des Gegners nicht in den Mund. Das war eine der geläufigen Wahlkampf-„Erkenntnisse“.

Willy Brandt hatte den Mut, meinem Vorschlag zuzustimmen. Seine Kollegen in der Führung der SPD schwiegen, unterstützten uns jedenfalls nicht, auch deshalb, weil sie vermuteten, dass Willy Brandt diese Wahl sowieso verlieren würde. Helmut Schmidt, für den ich dann in seiner Kanzlerzeit ab 1974 als Leiter der Planungsabteilung arbeitete, ließ gelegentlich den Vorwurf fallen, ich hätte mit der 1972er-Kampagne gegen das Große Geld das Verhältnis der SPD zur Wirtschaft beschädigt. Fairerweise ist anzumerken: Diese seine Einschätzung prägte nicht den Charakter unserer Zusammenarbeit.

Der herausragende Wahlsieg mit 45,8 Prozent — nie davor und nie danach wieder erreicht — hat viele Ursachen. Aber eine wichtige Ursache ist die bewusste und wiederkehrende Analyse der Attacke des Großen Geldes. Die offene Thematisierung dieses Anschlags auf die demokratische Willensbildung hat Hunderttausende von Menschen mobilisiert. Sie haben in Gesprächen, mit Buttons und mit Aufklebern ihre Meinung kundgetan und quasi eine Volksbewegung gegen das Große Geld und für die damalige SPD und ihren Bundeskanzler Brandt in Gang gesetzt. Einer der Mitstreiter im damaligen Wahlkampf, Jörg Richter, hat die vielen Anzeigen zusammengestellt, zusätzlich einige Autoren gewonnen und das Ganze als rororo-aktuell veröffentlicht. In diesem Bändchen ist auch ein Beitrag von mir veröffentlicht mit der Überschrift: „Wir sind noch einmal davongekommen“. — Der Titel des kleinen Buches lautete: „Klassenkampf von oben? Oder Angstmacher von rechts. Dokumente und Analysen eines gescheiterten Wahlkampfes“.

Wer für ein solches Buch schreibt, der muss schon per se als umstritten gelten. Und wer die Machenschaften des Großen Geldes beschreibt, der muss ja wohl ein Verschwörungstheoretiker sein. Ich kann jeder Leserin und jedem Leser, die über wirklich entscheidende Vorgänge in der westdeutschen Republik informiert sein wollen, empfehlen, dieses rororo-aktuell Nummer 1658 zur Hand zu nehmen. Es sagt mehr über die Realität der westdeutschen Republik als viele hochtrabende Analysen von Historikern und anderen Professoren.

Wer auf solche Weise Klartext redet, gilt als umstritten. So ist das hierzulande.


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