Demokratie bei Strafe des Untergangs
Wenn die Interessen der Menschen, der Menschheit, sich nicht entsprechend ihrer ursprünglichen Menschlichkeit durchsetzen können, wird die Spaltung der Gesellschaft nicht überwunden werden können. Auf der einen Seite werden stets die Herrschenden und sich Bereichernden stehen, die sich in Gier und Herrschsucht gegen die Interessen der Menschen und ihr Eingebettetsein in die Biosphäre richten. Auf der anderen Seite werden jene stehen, die den Herrschenden und sich Bereichernden hechelnd nachlaufen müssen, um — wie sie meinen — „gut“ zu überleben.
Die Folge ist, dass die einen nur dem Weg der Gier und der entfremdeten Herrschaftsmacht folgen, auch wenn sie stets anderes behaupten mögen, und die anderen nicht in die Macht kommen, um die Menschlichkeit durchzusetzen — vor allem, weil sie auf Herrschende vertrauen, anstatt auf ihre eigene innere Kraft. Die weitere Folge sind Wildwuchern egoistischer Systeme bis zum Zusammenbruch und Krieg bis zum Untergang.
Diesen Gedanken, dass nur wirkliche Demokratie ein gutes Leben ohne Krieg für die Zukunft der Menschheit sichern kann, formulierte im November 2024 auch Rainer Mausfeld in Reflexion der Schrift des Philosophen Immanuel Kant (1724 bis 1804) „Vom Ewigen Frieden“ in seinem Vortrag, „Warum Krieg?“:
„Die wichtigste Einsicht (von Immanuel Kant) ist, dass Frieden und gesellschaftliche Selbstbestimmung, also Demokratie im ursprünglichen Sinne, als radikale gesellschaftliche Selbstbestimmung untrennbar miteinander zusammenhängen. Nur eine wahre Demokratie kann den Frieden sichern.“ (4)
Die Wurzel des Krieges ist mit Bereicherungs- und Herrschaftsansprüchen verbunden und zerstört die originäre Menschlichkeit.
Diese wird aber von den „einfachen“ Menschen, die weder Herrschaft noch Bereicherung als Ziel vor Augen haben, geschweige denn Krieg wollen, bewahrt, auch wenn vieles schon verschüttet ist und erst wieder ausgegraben werden und in seine lebendige menschliche Daseinsform gelangen muss.
Angesichts der immer komplexer werdenden Systeme, die der Mensch kraft seiner Möglichkeiten und gesteuert durch Gier und Herrschaft vorantreibt, wachsen die inneren Widersprüche. Einerseits gibt es das Herrschaftsansinnen auf imperial abgesicherte, totale Ausbeutung von Mensch und Natur. Andererseits gibt es den Kampf dagegen, in dem sich das originär Menschliche zu verwirklichen sucht.
Das Herrschafts- und Bereicherungsansinnen läuft zwar auf Totalitarismus hinaus, klärt aber die Frage nicht, wer von den Herrschenden wie viel, wo, und wie von der Bevölkerung und der Natur abpressen darf. Das läuft auf Krieg hinaus, auf totalen Krieg. Andererseits jedoch ist die mit dem Menschlichen verbundene Bereitschaft zum Widerstand nicht auslöschbar.
Daher ist Herrschafts- und Bereicherungs-„Recht“ auf Dauer nicht durchsetzbar, wie wir — trotz des gegenteiligen Anscheins — aus der Geschichte der Kämpfe um Demokratie und gegen Herrschaftsansprüche erkennen können. Das läuft auf Revolution hinaus.
Die Zunahme der inneren und aus anderer Perspektive „äußeren“ Widersprüche schreitet über holprige Sprünge der Geschichte unweigerlich auf Implosion — totale Krise — oder Explosion — totaler Krieg — zu, bis schließlich als Ergebnis der „Zivilisation“, in einem Chaos der Irrationalität und Unmenschlichkeit, das Ende der Menschheit erreicht wird, wenn nicht, ja eben genau das, wirkliche Demokratie im Sinne der elementaren Durchsetzung des originär Menschlichen in der Handlungsweise der ganzen Menschheitsfamilie gelingt.
Nehmen wir ein Beispiel, wie das im Kern demokratisch-menschliche Denken sich von Bereicherungs- und Herrschaftsdenken unterscheidet — auch wenn sich durch Propaganda-Irritation der Kern erst mühsam aus dem geistigen Gefängnis wieder befreien muss: Ohne Zweifel steht, wer im Kern Mensch ist, gegen den Völkermord in Palästina und gegen den Missbrauch der ukrainischen Bevölkerung, indem man sie für fremde Interessen dem Krieg und dem Abschlachten aussetzt. Wem es jedoch vor allem um die Aufrechterhaltung der Bereicherungsmöglichkeiten geht, der schreckt auch nicht davor zurück, den Völkermord in Palästina mit Waffen und zynischen, doppelzüngigen Worten zu unterstützen oder die Provokationen gegen den Weltfrieden in der Ukraine vorzubereiten und voranzutreiben.
Beide Beispiele, Palästina und Ukraine, zeigen: Die Bedrohung, die von der Negation wirklicher Demokratie ausgeht, liegt klar vor unser aller Augen:
Sowohl in der Ukraine als auch in Israel sind in der Tat faschistoide (5) Regime unter dem Deckmantel einer Regierung, die angeblich liberal-demokratische Freiheit verteidigt, am Werk (6). Völkermord und Provokation von Krieg, miteingeschlossen die Gefahr der Auslöschung der Menschheit, sind zweifelsohne faschistoide Handlungen.
Ja, es zeigt sich historisch betrachtet sogar noch eine Steigerungsstufe — nicht in der Größenordnung des Verbrechens, aber in der Unverfrorenheit, mit der es publik gemacht wird. Völlig ungeniert wird das genozidale Handeln für jedermann klar erkennbar vor der Weltöffentlichkeit durchexerziert und findet in der westlichen Mainstream-Welt breite Unterstützung durch Propaganda und Waffenlieferungen.
Westliche Vorherrschaft steht über internationaler Demokratie der Völker. Imperialismus und US-amerikanischer Exzeptionalismus bilden ohne Zweifel ein zutiefst antidemokratisches Konzept, auch wenn es mit dem Gefasel über eine „regelbasierte Ordnung“ zynisch als quasidemokratisch angepriesen wird. Und ohne Zweifel wird de facto versucht, die Regeln der Charta der Vereinten Nationen (UN) (7) und der Völkermordkonvention (8) mit der Ersatzbegriff „regelbasierte Ordnung“ auszuhebeln.
Der Wachruf des Entsetzens, der nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs die Voraussetzungen für ein „Nie wieder“ schaffen sollte, wird in ein zutiefst antidemokratisches, zum Erbrechen grausames Karikatur-Korsett gepresst, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Genau das Gegenteil sollte nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe fundamentaler, klar definierter und eben nicht beliebiger Regeln weltweit eine Sicherung von Frieden herbeiführen.
Westliche Demokratie, wie wir sie bisher hatten — die Gewaltenteilung, die Redefreiheit, ja selbst der Rechtsstaat wie auch die internationale Diplomatie zur Friedenssicherung —, wird vor allem durch die westlichen Länder selbst Stück für Stück zurückgedrängt und zerschlagen (9).
In Gaza wurde das durch genozidale Bombardierung und Aushungerung und in Erwartung der finalen Wirksamkeit dieser „Säuberung“ entleerte Gebiet von den Schlächtern schon aufgeteilt (10). Und sollte es zu dieser Aufteilung nicht kommen, so kauft der neue amerikanische Präsident eben mal das Lebensterritorium des mörderisch gequälten Restes des zur Schlachtbank geführten Volkes, wozu der vorherige Präsident die entscheidende Mithilfe leistete. Wie freundlich-entschlossen Faschismus doch wohl sein kann!
Die ich rief, die Geister …
Der Mensch schafft Systeme, vor allem seit der Sesshaftwerdung und dem Beginn der sogenannten Zivilisation, die er zunehmend nicht mehr steuern kann. „Die ich rief, die Geister, werd‘ ich nun nicht los“, dichtete Johann Wolfgang Goethe schon 1797. Die Unsteuerbarkeit ist vor allem ein Ergebnis von Bereicherung und Herrschaftsmacht. Bricht diese Hybris nicht, so erweist sich der Mensch als fehlgeleitetes Projekt der Evolution.
… schaffen vielleicht einen großen Sprung.
Aber gewiss kann aus der Zuspitzung der inneren Widersprüche auch ein Sprung auf eine neue Ebene, eine Fulguration (11), eintreten, die einen neuen Phönix aus der Asche emporsteigen lässt. Da unkontrollierte und hemmungslose Herrschaft und Bereicherung das Hauptproblem sind, muss der Kern der Lösung in einem neuen Transmissionsriemen von der Umsetzung der Interessen der Menschen, also der eigentlichen Menschlichkeit, hin zu Organisation und Mächtigkeit im Sinne einer menschenfamiliären Gesellschaft auf dieser Welt sein. Durch diese müssen Bereicherung und darauf abgestützte Herrschaft und Kriegsbereitschaft ausgeschlossen werden. Das wäre dann der Beginn wirklicher Demokratie.
Alle Vorformen von Demokratie, die ein Bereicherungsrecht nicht ausschließen, sind bestenfalls wie das Üben der Kunst des Fliegens in einem Käfig.
Das gilt für die repräsentative Demokratie wie auch für die Rätedemokratie wie auch für direkte Demokratie wie auch für den sozialistischen „demokratischen Zentralismus“. Wirkliche Demokratie wird erst dauerhaft möglich, wenn neue normative Regeln so etwas wie die Banden eines „Demokratie-Billardtischs“ bilden. Diese Banden müssen die Möglichkeit, aus dem gesellschaftlichen Handeln über ein bestimmtes Maß hinaus privaten Reichtum zu ziehen, durch eine strikte Begrenzung dauerhaft ausschließen. Bereicherung ist zu verunmöglichen. Aus den alten, bekannten Bestandteilen, die durch das bisherige Ringen um Demokratie hervorgebracht wurden, kann dann ein fulgurativer Sprung erwachsen. Fällt das Bereicherungsrecht, schaut die Welt anders aus. Und dabei geht es nicht nur um Regeln in einem nationalen Rahmen, sondern gerade auch möglichst um Regeln für die ganze Welt. Zu Recht spricht Heinrich Leitner von der „unvollendeten Demokratie“, verweist Roland Rottenfußer auf notwendige Alternativen.
Formale Lösungen — ohne Infragestellung der ökonomischen Macht
Die Amerikanische und die Französische Revolution sowie alle späteren bürgerlichen Revolutionen waren Versuche, das Formale zu lösen. Das war auch schon bei der historischen Leistung der ersten demokratischen Revolution im antiken Griechenland unter Solon und Kleisthenes so, wie es Rainer Mausfeld in seinem Buch „Hybris und Nemesis“ aufschlussreich beschreibt (12). Der grandiose Ansturm der antiken griechischen Demokratie wollte jedoch weder die Position der Aristokratie abschaffen, noch die Sklaverei noch die Entrechtung von Frauen. Mit anderen Worten, das Bereicherungsrecht und ungerechte Herrschaft sollten bleiben. Formal jedoch sollte die Gleichheit im Recht der Bürger hergestellt werden, Gesetzte zu machen, die für alle gültig sind — vor allem auch für befristet beauftragte staatliche Machtträger.
Trotzdem das Bereicherungsrecht und die faktische Minderstellung erheblicher Anteile der Bevölkerung nicht aufgehoben werden sollten, war der „formale“ Ansatz zur Demokratie ein großer Schritt hin zu Freiheit und Selbstbestimmung, der notwendig geworden war, weil sich in den Jahrtausenden zuvor ein schier unüberwindliches Bereicherungs- und Herrschaftsrecht etabliert hatte (13). Es ist jedoch klar, dass der erste explizite Ansatz zu Demokratie nicht dauerhaft erfolgreich sein konnte, da die Menschlichkeit durch Sklaverei und Rechtlosigkeit von Frauen und Metöken und durch uneingeschränkte Bereicherungsrechte der lokalen Aristokraten weiterhin mit Füßen getreten werden durfte.
Wie die Geschichte gezeigt hat, kann formale „Demokratie“ eben durchaus mit der Rechtlosigkeit von breiten Bevölkerungsschichten einhergehen, denn formale Demokratie lässt sich auch bloß als Instrument der Entscheidungsfindung innerhalb einer herrschenden Schichte praktizieren.
Das hat dann jedoch nichts mit wirklicher Demokratie zu tun, die nur eine solche sein kann, wenn sie alle Menschen miteinschließt.
Auch die republikanisch-demokratische Revolution in Nordamerika hatte die Frage hartnäckig ausgeblendet, dass logisch zu Ende gedachte, wirkliche, eigentliche Demokratie vor allem die Frage mit im Fokus haben muss, ob es ein Bereicherungsrecht geben darf. Auch bei den amerikanischen Gründervätern war Sklaverei gebilligt (14).
Demokratie versus konzentrierten Reichtum
Im darauffolgenden Jahrhundert wurde dank der Kräfte des Kampfs gegen Unterdrückung die neuzeitliche Sklaverei zurückgedrängt. Stattdessen blühte jedoch sukzessive das „kapitalistische“ Bereicherungs-Steigerungsspiel auf. Etwa 150 Jahre nach der Gründung der nordamerikanischen Republik sollte schließlich ein demokratisch ernannter Richter des Obersten Gerichtshofs der USA (von 1916 bis 1939), der zugleich einer der einflussreichsten Juristen des Landes war, formulieren:
„Wir müssen uns entscheiden: Wir können eine Demokratie haben oder konzentrierten Reichtum in den Händen weniger — aber nicht beides.“ (15)
Man sieht hier klar, woran sich der formale Anspruch auf Demokratie reibt. Wenn das Problem des „konzentrierten Reichtums in den Händen weniger“ nicht gelöst wird, so mögen formale Demokratie-Regelungen noch so gut sein, sie werden gerade an dieser Frage zerbrechen oder unwirksam werden.
Worum es also geht — und wenn das nicht erreicht wird, brauchen wir von echter Demokratie gar nicht zu reden —, ist, eine Bereicherungsökonomie zu beenden.
Was meine ich mit Bereicherungsökonomie? Der Kern ist seit der Moderne, dass es in einer solchen Ökonomie möglich ist, unter dem Applaus aller das zu tun, was die Banken und Schattenbanken ihren reichen Kunden versprechen: „Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten.“ Tatsache ist jedoch, Geld kann nicht arbeiten, es sind immer die Menschen dahinter, die arbeiten und den Reichtum anderer schaffen. Als Grund der Geldvermehrung heißt es letztlich immer, „lassen Sie Menschen für sich arbeiten“.
Die „Arbeit“ die verrichtet wird, um sicherzustellen, dass die stete Umverteilung von unten nach oben organisiert wird, ist letztlich ohne gesellschaftlichen Nutzen, auch wenn sie heute besonders „schlau“ und „gewieft“ erscheinen und teilweise auch noch notwendig sein mag, da Reichtum alles bestimmt und daher alle davon abhängig sind.
Geld zu erlangen ohne Einsatz von gesellschaftlich nutzbringender Arbeit und Leistung, das ist Bereicherung. Wenn das das Hauptziel eines allgemein anerkannten gesellschaftlichen Steigerungsspiels ist, dann ist es eine Bereicherungsökonomie. Nicht das Gemeinwohl steht im Zentrum, sondern jede Chance, irgendwie zu Reichtum zu kommen.
Der Journalist und Filmemacher Tahir Chaudhry fasste diese heute geltenden Verhältnisse unlängst in einem Gespräch zu seinem Buch über den Fall Jeffrey Epstein so zusammen:
„Die internationale Elite der multinationalen Konzerne — wenige hundert Familien, einige tausend Milliardäre — strebt unermüdlich nach mehr Kapital, mehr Macht und mehr Kontrolle. Mit ihrer Dominanz im Finanzsektor und ihrer Beherrschung zentraler Rohstoffe und Produktionsmittel lenken sie über ein dichtes Netzwerk aus Lobbygruppen, Stiftungen, Medien sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen ganze Gesellschaften. Der Bürger wird in einem System gefangen, das ihn durch ständig geweckte ‚Bedürfnisse‘ in endlosen Konsum drängt, während die Profiteure dieser Maschinerie an den Schalthebeln der globalen Macht sitzen.“ (16)
Nachdem sich heute längst stabile Oligarchien des Bereicherungskults an die hauchdünne gesellschaftliche Spitze gesetzt haben, geht es darum, diesen Reichtumsoligarchien die Macht zu entziehen und diese Macht im Sinne echter Demokratie in die Hand der Bevölkerung zu legen.
Karl Marx und die Kommunisten verlangten als Antwort auf die schon vor fast zweihundert Jahren deutlich erkennbare gesellschaftliche Entwicklung die Enteignung. Aber Enteignung bedeutete, wenn wir die realen sozialistischen Umsetzungsversuche im Rückblick betrachten, dass das Eigentum in die Hände des Staates übergeht und eine sich selbst organisierende Wirtschaft nicht mehr möglich ist beziehungsweise grundsätzlich behindert wird (17).
Der neue Weg — wenn man aus den Fehlern der Geschichte gelernt hat — wäre, zu erkennen: Es geht nicht an erster Stelle um Eigentum und Vermögen, es geht vor allem um die Höhe des Einkommens, das aus dem Eigentum legal gezogen werden darf, und auch um die Frage, wer über den Einsatz von gesellschaftlichem Reichtum — auch wenn er privat verwaltet wird — bestimmen soll.
Wenn die Höhe des persönlichen Einkommens begrenzt ist und die Entscheidungen über Investitionen gesellschaftlich-demokratisch getroffen werden, so kann die Verwaltung von Vermögen auch privat sein und die Eigeninitiative weiterhin hochgehalten werden.
Was es aber nicht braucht, sind jene finanzialisierten Sektoren, deren Tun auf nichts anderes ausgerichtet ist, als aus nichts oder aus wenig Geld mehr Geld zu machen. Was ist die Leistung eines Aktionärs? Was ist die Leistung von „angelegtem“ Geld? Was ist die Leistung von Börsenspekulationen, von Hochgeschwindigkeitshandel, von Derivaten, von Schattenbanken, von Steueroasen und so weiter? Oh ja, alle, die solcherart Geld vermehren, haben eine Erklärung, wie wichtig ihr geschäftiges Tun ist.
Aber Tatsache ist: Dieser Sektor ist großteils abgekoppelt von sinnvoller gesellschaftlicher Arbeitsteilung, von der Organisation von gutem Leben für alle durch produktive Arbeit und gerechte Verteilung. Er existiert nur, weil alle vom Geldfluss abhängig sind. Und wer am meisten Geld aus dem Nichts schaffen kann, der macht alle von sich am meisten abhängig. Das kann sich ändern, wenn Geld möglichst in ein neutrales, rein den gerechten Austausch messendes Instrument gewandelt wird. Das wäre die Demokratisierung der Geldmacht. Dort muss Demokratie hin. Die Abschaffung eines „Wie mache ich Geld aus dem Nichts“-Sektors ist notwendig, kann und soll aber sehr wohl mit der Selbstorganisation eines freien Marktes einhergehen. Das kann funktionieren, wenn die Regeln eines übergeordneten Gesellschaftsvertrags die Banden für das freie Spiel der Kräfte klar vorgeben und Geld neutral und demokratisch verwaltet wird.
Wie die völlig undemokratische monopolökonomische Vormacht abgeschafft werden kann, wie die betrügende und erpresserische Geldmacht, wie persönliche Bereicherung aus Eigentum entschieden eingehegt werden können, dazu im dritten Teil dieses Artikels. Sehen wir uns zuerst einige Aspekte formaler Demokratie und ihrer Entwicklung an.
Rätedemokratie, der historisch gewachsene Kern der Demokratie
Die republikanisch-demokratische Amerikanische Revolution hat, was Heinrich Leitner unter sehr aufschlussreichen Verweisen auf Hannah Arendt zeigt, wichtige Ansätze der Rätedemokratie angewandt. Auch Roland Rottenfußer hebt dies hervor und verweist auf die Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth, die darlegt, dass es sich dabei um einen Ansatz handelt, der sich naheliegend aus der Organisation des Zusammenlebens schon bei indigenen, matrilinearen Völkern vor Jahrtausenden entwickelte.
Auch Rainer Mausfeld unterstreicht dies in seinem Buch „Hybris und Nemesis“ (18):
„In den geteilten Normen und in den Wertesystemen von Jäger- und Sammlergesellschaften zeigt sich eine bewusste Ablehnung von Dominanzverhältnissen. Sie verfügen über ein höchst wirksames gesellschaftliches Ethos hinsichtlich eines Umgangs mit Macht. (…) Diese Gesellschaften sind durch eine antiautoritäre Grundhaltung und ein kulturell vermitteltes Ressentiment gegen stabile Dominanzhierarchien geprägt. Es geht dabei (…) um ein Vermeiden von Bedingungen eines Dominiertwerdens.“ (19)
Dieselbe Erkenntnis untermauert auch Uwe Wesel in seiner „Geschichte des Rechts“ (20):
„Das Kollektiv der Horde bestimmt sich selbst. Entscheidungen über Jagd, Abbruch des Lagers und Ort des nächsten werden gemeinschaftlich getroffen. Einzelne haben größere Autorität, besonders die erfolgreichen Jäger, aber sie müssen sich zurückhalten, sind immer, wenn sie es nicht tun, in Gefahr der Lächerlichkeit und können jederzeit überstimmt werden. (…) Jäger sind anarchisch, herrschaftsfrei.“ (21)
Der Gedanke, dass die Rätedemokratie sozusagen den historisch gewachsenen Kern der Demokratie darstellt, ist gewiss von Bedeutung. Räte sind dabei lokale Zusammenkünfte, bei denen die Betroffenen selbst entscheiden, was sie wollen: für sich unmittelbar, aber auch bezogen auf weiterreichende Perspektiven.
Der Verweis von Hannah Arendt darauf, dass alle Revolutionen nach dem Durchlaufen eines „Desintegrationsprozesses“„überall zu der erstaunlichen Bildung einer neuen Machtstruktur (schritten), die keineswegs von Berufsrevolutionären ins Leben gerufen wurde, sondern aus dem Volke spontan erwuchs“, bestärkt die Aussage, dass Räte das ursprüngliche Kernelement von Demokratie sind.
Ein höchst anschauliches Beispiel für das spontane Zurückgreifen auf Räte und unmittelbar wirksame Demokratie in bestimmten historischen Situationen bringt der US-amerikanische Journalist John Reed in seinem Bericht über die Russische Oktoberrevolution von 1917 mit dem Titel „10 Tage, die die Welt erschütterten“:
„Ganz Russland war in Bewegung, schwanger mit einer neuen sozialen Ordnung. (…) Jeder Mann und jede Frau durften wählen; (…) es gab Sowjets, und es gab Gewerkschaften. Die Droschkenkutscher hatten einen Verband; sie waren auch im Petrograder Sowjet vertreten. Und die Kellner und Hotelbediensteten waren organisiert, (…) an der Front (des Ersten Weltkriegs) setzten sich die Soldaten mit den Offizieren auseinander und lernten es, sich mit Hilfe ihrer Komitees selbst zu regieren. In den Fabriken erlangten die Fabrikkomitees Stärke (…). Ganz Russland lernte lesen. Und es las — Politik, Ökonomie, Geschichte. Das Volk wollte WISSEN (…). In jeder Großstadt, fast in jeder Stadt, an der ganzen Front hatte jede politische Partei ihre Zeitung, manchmal mehrere.
Hundertausende von Flugblättern wurden von Tausenden Organisationen verteilt, überschwemmten die Armee, die Dörfern, die Fabriken, die Straßen. (…) Russland saugte den Lesestoff auf, unersättlich, wie heißer Sand das Wasser. Und es waren nicht Fabeln, die verschlungen wurden, keine Geschichtslügen, keine verwässerten Religionen oder der billige Roman, der demoralisiert — es waren soziale und ökonomische Theorien, philosophische Schriften, die Werke Tolstois, Gogols und Gorkis (…). Und dann das gesprochene Wort (…), Vorlesungen, Debatten, Reden; in Theatern, Zirkussen, Schulen, Klubs, in den Sitzungen der Sowjets, der Gewerkschaften, in den Kasernen (…). Versammlungen in den Schützengräben an der Front, auf den Dorfplätzen, in den Fabriken … Was für ein Anblick, die Arbeiter der Putilow-Werke, vierzigtausend Mann stark, herausströmen zu sehen, um die Sozialdemokraten zu hören, die Sozialrevolutionäre, die Anarchisten — wer immer etwas zu sagen hatte, so lange er reden wollte. Monate hindurch war in Petrograd, in ganz Russland jede Straßenecke eine öffentliche Tribüne. In den Eisenbahnen, in den Straßenbahnwagen, überall improvisierte Debatten, überall (…). Und die gesamtrussischen Konferenzen und Kongresse, die Menschen zweier Kontinente in Verbindung brachten — Kongresse der Sowjets, der Genossenschaften, der Semstwos (eine Art „Landräte“), der Nationalitäten, der Priester, der Bauern, der politischen Parteien; die Demokratische Beratung, die Moskauer Beratung, der Rat der Republik. In Petrograd tagten ständig drei oder vier Kongresse. In den Versammlungen wurde jeder Versuch, die Redezeit einzuschränken, abgelehnt. Jedermann hatte vollkommene Freiheit, auszusprechen, was er am Herzen hatte.“ (22)
Wir haben hier also ein Beispiel, wie lebendig sich eine Revolution ankündigt und wie sehr sie im Kern ein demokratisches Bedürfnis trägt.
Wenn wir diese Zeilen lesen, dürfen wir im historischen Kontext jedoch nicht vergessen, dass die Sowjets — also die Räte des revolutionären Russlands, die sich gegen die Zarenherrschaft stellten — sich alsbald einer „Diktatur des Proletariats“ zu beugen hatten, die die kommunistische Partei — die Bolschewiki — gegen die alte brutale Herrschaftskaste mit spiegelbildlicher, aber neuartiger Brutalität durchsetzte (23).
Dieser Artikel wird in den Teilen 2, 3 und 4 fortgesetzt.

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Was verstehe ich unter „originärer Menschlichkeit“? Was der Mensch im Zuge seiner langen Evolution im Rahmen der Biosphäre als Mensch wurde, ist nicht dasselbe wie das, was der Mensch durch die rund 10.000 Jahre Zivilisationsgeschichte wurde. Hier ein paar Beispiele: Originär menschlich sind wir, wenn wir uns gespiegelt durch das lebendige Verhalten von nicht normativ beeinträchtigten Kindern im Alter von etwa ein bis drei, vier Jahren sehen. Originär menschlich sind wir, wenn wir die Gefühle zwischen Freunden, Geliebten und in der Gemeinschaft erleben. Originär menschlich sind wir, wenn wir die Schönheit und das Wunder der Natur und des Universums erkennen. Originär menschlich sind wir, wenn wir uns im Flow des Erkennens, Gestaltens, Verstehens im Einklang mit unseren Empfindungen befinden. Dem originär Menschlichen waren die indigenen Völker, die in einer „eigentlichen Überflussgesellschaft“ (Marshall D. Sahlins) lebten, deutlich näher als viele der heutigen Zivilisationsgeblendeten, die in den engen Häuserschluchten moderner Städte und ihren digitalen Scheingebäuden leben. Originär Menschlich ist, wie das das Leben lebt. Es geht um einen Kern des Menschlichen, den wir alle kennen, der aber stark verschüttet ist durch Systemzwänge, die mit Eigentum, Staat und der „Vertreibung aus dem Paradies“ der Nichterkenntnis verbunden sind. Unser Denken führt zu scheinbar sicherem Erkennen. Aber wie wirklich ist die Wirklichkeit (Paul Watzlawick)? Regelmäßig täuschen wir uns kollektiv über den Grad unserer Erkenntnis der Außen- und Innenwelt. Wenn Sokrates von der Anwendung der Hebammenkunst (Mäeutik) spricht, so meint er vielleicht das Herausschälen der richtigen Erkenntnis, die mit dem Kern des Menschlichen verbunden ist. Erst wenn die „Zivilisation“, die zweifelsohne im positiven Fall auch eine Weiterentwicklung des originär Menschlichen bedeutet, sich von den negativen Zwängen ebendieser Zivilisation befreit hat, wird eine Rückkehr zum Kern unserer Menschlichkeit, dem „originär Menschlichen“, dann eingebettet in Systemregeln, die uns befreien und nicht unterdrücken, möglich sein.
(2) Roland Rottenfußer, Manova, 12. Oktober 2024: „Selbstbestimmung statt Stimmabgabe“, https://www.manova.news/artikel/selbstbestimmung-statt-stimmabgabe
(3) Heinrich Leitner, Manova, 28. und 30. November 2024: „Die unvollendete Demokratie“, https://www.manova.news/artikel/die-unvollendete-demokratie und https://www.manova.news/artikel/die-unvollendete-demokratie-2.
(4) Vortrag von Rainer Mausfeld am 21. November 2024 in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg: „Warum Krieg?“, Westend-Verlag, https://www.youtube.com/watch?v=iVXOZ7PI52c&t=1990s.
(5) „faschistoid“: in Richtung Faschismus tendierend.
(6) Bezüglich Israel ist der faschistoide Charakter der Regierung — so viele Restelemente von Demokratie es auch noch in der einen oder anderen Form geben mag — klar erkennbar. Eine Sammlung von Aussagen der rechtsradikalen Minister und von Netanjahu selbst reichen als Belege, die ich hier nicht breit anführe. Man kann alles im Netz finden. Hier nur ein beispielhafter Verweis auf einen Meinungsbeitrag auf Al Jazeera aus dem Jahr 2022, also lange vor dem 7. Oktober 2023 und lange vor der Ausschreibung des Haftbefehls durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) gegen Benjamin Netanjahu wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: „Netanjahu, der Pate des modernen israelischen Faschismus“: https://www.aljazeera.com/opinions/2022/12/21/netanyahu-is-the-godfather-of-modern-israeli-fascism.
Vergleiche auch: AcTVism Munich: Israelisches Folternetzwerk — Interview mit einem israelischen Holocaust-Forscher, https://www.youtube.com/watch?v=6PzOAgf53eY ; Holocaust-Betroffene verurteilen am Holocaust Memorial Day den Völkermord in Palästina, https://www.youtube.com/watch?v=Posmzxqx4HA; Jochen Mitschka auf apolut veröffentlicht, https://apolut.net/tag/standpunkte/, in die Suchmaske „Jochen Mitschka“ eingeben; die Bücher und Beiträge von Karin Leukefeld, Michel Lüders und Petra Wild.
Auch für die Ukraine gibt es eine Fülle von Belegen, angefangen von der Verherrlichung früherer faschistischer Früher wie Stepan Bandera, der mit den Nazis bei der Ermordung jüdischer Bevölkerung zusammenarbeitete, über das Verbot der Sprache erheblicher Teile der Bevölkerung, die Ausschaltung und Verfolgung von großen Teilen der Opposition, https://www.nachdenkseiten.de/?p=97237, und der Erstellung von Todeslisten für politische Gegner. Ein Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, der im Gefängnis sitzt, leitete unlängst ein Dokument über systematische Folter in ukrainischen Konzentrationslagern an den UN-Sicherheitsrat weiter. Er schrieb auf Telegram: „Ich habe dem Vorsitzenden und allen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates Materialien über die Existenz eines Netzes von Geheimgefängnissen und Konzentrationslagern des SBU (ukrainischer Geheimdienst) geschickt, in denen gefoltert wird und diejenigen getötet werden, die mit dem Selenskyj-Regime nicht einverstanden sind“, https://t.me/dubinskypro/19093?single.
(7) UN-Charta: https://unric.org/de/charta/.
(8) Völkermordkonvention: https://www.voelkermordkonvention.de/.
(9) In seinem Buch „Das 1x1 des Staatsterrorismus — Der neue Faschismus, der keiner sein will“ stellt Ullrich Mies klar, wie weit diese Tendenz bereits Fuß gefasst hat. Klarsicht Verlag 2023.
Aus der Fülle der Anklage gegen diese Entwicklungen zwei aktuelle Belege:
Werner Müller, Manova, „Die Gewaltenfusion“, https://www.manova.news/artikel/die-gewaltenfusion;
Michael von der Schulenburg, NDS, „Das Europäische Parlament dreht durch“, https://www.nachdenkseiten.de/?p=125590.
(10) The Jewish Chronicle: Israel sollte Gaza nach dem Krieg „für immer“ besiedeln, darauf bestehen Minister auf Siedlerkonferenz, https://www.thejc.com/news/israel/israel-should-settle-gaza-forever-after-the-war-insist-ministers-at-settler-conference-ojusldhw ; https://www.newarab.com/news/israelis-plan-gaza-resettlement-conference-enclave-border; https://www.jpost.com/israel-news/article-825512.
(11) Eine Fulguration ist eine unvermutete sprunghafte Veränderung, hin zu einem neuen Ganzen, einer neuen Lösung. Der Druck zu solchen Veränderungen kommt von der Dialektik des „Mehr vom Gleichen“. Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht, sagt ein Sprichwort. Die Dinge schaukeln sich auf, bis innere Widersprüche ein System zerbrechen lassen. Bei einer Fulguration geschieht mehr als das Zerbrechen: Es werden alte, schon bekannte Dinge neu zusammengesetzt, und plötzlich entsteht ein neues System.
Konrad Lorenz, der den Begriff aus der mittelalterlichen Mystik übernahm, zeigte das an einem sehr einfachen technischen Beispiel: Fügt man einen Kondensator und eine Spule richtig zusammen, so entsteht ein Schwingkreis. Dieser ist die Grundlage von Funk, Radio, TV, Satellitenübertragung, kurz, er ist die Grundlage eines großen Teils unserer modernen Technik, mit der wir als Menschheit heute unsere Kommunikation gestalten. Kondensator und Spule für sich haben nicht im Geringsten Eigenschaften, die etwas mit funktionierenden Funkwellen zu tun haben, und trotzdem entsteht aus ihnen etwas Höheres, ein neues Ganzes mit ganz neuen Eigenschaften.
Fulgurationen kennzeichnen aber vor allem lebendige Prozesse. Sie sind ein nicht begriffenes oder nicht begreifbares, aber entscheidendes Element der Evolution und des Daseins. Wörtlich leitet sich der Begriff Fulguration vom lateinischen „fulgur“, Blitz, ab. Wenn Menschen die Dinge neu zusammenfügen, dann ist eine Fulguration wohl der „Blitz der Erkenntnis“. Ich denke, einen solchen Blitz der Erkenntnis gibt es als intersubjektiven Prozess auch in ganzen Gesellschaften, heute wohl vornehmlich einer Weltgesellschaft oder Menschheitsfamilie, wie Daniele Ganser es nennt. Allein, wer mitten in diesen sprunghaften Veränderungen steckt, vermag vielleicht nicht zu sehen, was mit ihm und der Gesellschaft geschieht. Es geschieht trotzdem, und zwar durch das Denken und Wirken des Einzelnen und vor allem durch das kooperierende Denken und Wirken, das sich aus dem Druck des „Mehr vom Gleichen“ formt. Evolution verläuft immer auch in Sprüngen, bei denen aus Krisen heraus plötzlich Neues entsteht. Die Redewendung von der „Krise als Chance“ soll dies andeuten; aber es ist mehr als eine Chance. Eine große Zahl nicht genutzter Chancen führt zur letzten Alternative: notwendiger Vollzug des Wandels oder Untergang. Die neue „Not-Wendigkeit“ greift dabei zurück auf neue Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente, die sich unter dem Deckmantel des Alten entwickelten hatten. So definiert es der Begriff Emergenz. Ich ziehe den Begriff Fulguration vor, weil er das Sprunghafte, das plötzlich aus der Selbstorganisation Auftauchende, betont. Vergleiche Konrad Lorenz: „Die Rückseite des Spiegels“, Piper Verlag 1973.
(12) Rainer Mausfeld: „Hybris und Nemesis — Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt — Einsichten aus 5000 Jahren“, Westend Verlag 2023.
Eine sehr gute Beschreibung findet sich auch bei Uwe Wesel: „Geschichte des Rechts — Von den Frühformen bis zur Gegenwart“, Verlag C. H. Beck 2014, Kapitel 1 und 2.
(13) Das „Bereicherungsrecht“ war über eine starr etablierte Aristokratie festgezurrt. Das heißt aber nicht, dass die Nähe zur Menschlichkeit nicht Kampfthema war. Die „Achsenzeit“, wie sie Karl Jaspers nannte, war getragen von Propheten, Religionen, Philosophen, die nach Regeln des notwendigen menschlichen Verhaltens verlangten, formuliert als Appell an die innere menschliche Daseinsnotwendigkeit vor Gott. Die ökonomischen Regeln waren davon weniger betroffen, obwohl einzelne Herrscher mit einer starken Staatsmacht auch durchsetzen konnten, dass es regelmäßige Schuldenerlässe gab, die zu einer gewissen Rückverteilung von Reichtum und Land führten.
Vergleiche zum Beispiel: Kessler, Rainer, Art. Jobeljahr, in: Das Wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2009;
Erlassjahr: https://cms.ibep-prod.com/app/uploads/sites/18/2023/08/Erlassjahr__2018-09-20_06_20.pdf.
Jubeljahr: https://cms.ibep-prod.com/app/uploads/sites/18/2023/08/Jobeljahr___2018-09-20_06_20.pdf.
(14) Die US-Verfassung enthielt mehrere Klauseln, die Sklaverei implizit schützten. Die Sklaverei wurde als politisch und wirtschaftlich unverzichtbar angesehen, selbst von den Gründervätern, die sie persönlich ablehnten (vergleiche etwa James Madison). George Washington hielt Hunderte Sklaven auf seiner Plantage Mount Vernon. Obwohl er sie in seinem Testament freiließ, tat er dies erst nach seinem Tod und nicht zu Lebzeiten. Thomas Jefferson besaß über 600 Sklaven und zeugte Kinder mit Sally Hemings, einer versklavten Frau. Trotz seiner scharfen Kritik an der Sklaverei („Ein Feuerglocke in der Nacht“) sah er Sklaverei als notwendiges Übel. James Madison und Patrick Henry verteidigten die Sklaverei trotz moralischer Bedenken als wirtschaftliche Grundlage der Südstaaten.
(15) Zitiert nach Paul Schreyer: „Die Angst der Eliten — wer fürchtet die Demokratie?“, Westend Verlag 2018, Seite 13.
Lois Brandeis stand mit seiner Kritik keineswegs alleine da. So kann man von dem späteren Präsidenten der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson (von 1913 bis 1921), folgende Aussagen finden:
Als Gouverneur erklärte Präsident Woodrow Wilson 1911:
„Das größte Monopol in diesem Land ist das Geldmonopol. Solange es das gibt, sind unsere alte Vielfalt, Freiheit und individuelle Entwicklungsenergie ausgeschlossen. Eine große Industrienation wird durch ihr Kreditsystem kontrolliert. Unser Kreditsystem ist konzentriert. Das Wachstum der Nation und all unsere Aktivitäten liegen daher in den Händen einiger weniger Männer, die sich, selbst wenn sie ehrlich handeln und im öffentlichen Interesse handeln, notwendigerweise auf die großen Unternehmungen konzentrieren, an denen ihr eigenes Geld beteiligt ist, und die aufgrund ihrer eigenen Beschränkungen die echte wirtschaftliche Freiheit notwendigerweise ersticken, einschränken und zerstören. Dies ist die größte Frage von allen; und die Staatsmänner müssen sich ihr mit der aufrichtigen Entschlossenheit stellen, um der Zukunft und der wahren Freiheit der Menschen zu dienen.“
Der 1912 ernannte Pujo-Ausschuss stellte fest:
„Weitaus gefährlicher als alles, was uns in der Vergangenheit in Bezug auf die Ausschaltung des Wettbewerbs in der Industrie widerfahren ist, ist die Kontrolle des Kredits durch die Beherrschung unserer Banken und Industrien durch diese Gruppen. (...) Ob die Geldmittel in unseren Banken unter einem anderen Währungssystem größer oder kleiner wären, ist vergleichsweise unerheblich, solange sie weiterhin von einer kleinen Gruppe kontrolliert werden. (...) Es ist unmöglich, dass es einen Wettbewerb mit all den Möglichkeiten zur Geldbeschaffung oder zum Verkauf großer Anleihen gibt, wenn diese wenigen Bankiers und ihre Partner und Verbündeten, die zusammen die Finanzpolitik der meisten bestehenden Systeme dominieren, diese Möglichkeiten in den Händen halten. (...) Die Handlungen dieser inneren Gruppe, wie hier beschrieben, waren jedoch für den Wettbewerb zerstörerischer als alles, was die Kartelle erreicht haben, denn sie treffen den potenziellen Wettbewerb in jeder Branche, die unter ihrem Schutz steht, ins Mark. Ein Zustand, der, wenn er andauert, alle Versuche, normale Wettbewerbsbedingungen in der industriellen Welt wiederherzustellen, unmöglich machen wird. (...)
Wenn die Kreditadern, die jetzt durch die, durch die Kontrolle dieser Gruppen verursachten Hindernisse fast erstickt sind, geöffnet werden, damit sie ihre wichtige Rolle im Finanzsystem frei spielen können, wird Wettbewerb in großen Unternehmen möglich, und Geschäfte können auf der Grundlage ihrer Vorzüge geführt werden, anstatt dem Tribut und dem guten Willen dieser Handvoll selbst ernannter Treuhänder des nationalen Wohlstands unterworfen zu sein.“, https://louisville.edu/law/library/special-collections/the-louis-d.-brandeis-collection/other-peoples-money-by-louis-d.-brandeis (Übersetzung mit DeepL).
(16) Tahir Chaudhry, *Nachdenkseiten vom 30. Dezember 2024: https://www.nachdenkseiten.de/?p=126504.
Vergleiche auch: Werner Rügemer, Nachdenkseiten: „BlackRock im Kanzleramt?“ https://www.nachdenkseiten.de/?p=128643.
(17) Sowohl Wladimir Iljitsch Lenin als auch Mao Zedong erkannten im praktischen Prozess der von ihnen angeführten Revolutionen an, dass die Selbstorganisation wirtschaftlichen Handelns („Markt“) von sehr großer Bedeutung sein kann. Lenin fasste diese Erkenntnis ab 1921 unter dem Vorschlag „neue ökonomische Politik“ zusammen (Rede am X. Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands; Lenins Schrift „Über die Verkehrswirtschaft“), und Mao Zedong verwies schon sehr früh darauf, dass es ein Gleichgewicht zwischen zentraler Planung und dezentraler Initiative geben sollte („Die chinesische Revolution und die Kommunistische Partei Chinas“, 1939; „Über die zehn Beziehungen“, 1956; „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk“, 1957). Wenngleich beide Revolutionäre und Theoretiker dem Markt nur eine vorübergehende Berechtigung zuwiesen, beugten sie sich doch der Realität, die in der Kraft der Selbstorganisation zum Ausdruck kam.
(18) Rainer Mausfeld: „Hybris und Nemesis“, Westend Verlag 2023.
(19) Rainer Mausfeld, am angegebenen Ort, Seite 100.
(20) Uwe Wesel: „Geschichte des Rechts“, Verlag C. H. Beck 2014.
(21) Uwe Wesel, am angegebenen Ort, Seite 20.
(22) John Reed: „10 Tage, die die Welt erschütterten“, Dietz Verlag Berlin, 18. Auflage 1982, Seite 49.
(23) Gert Koenen: „Die Farbe Rot: Ursprünge und Geschichte des Kommunismus“, Verlag C. H. Beck, Kindle-Version:
„Gegenüber dem ‚weißen Terror‘, der eher Züge einer herrenhaften Disziplinierungspolitik alten Stils oder einer desperaten Rache trug, oder gegenüber dem ‚grünen‘ (nationalistischen oder bäuerlichen) Terror, der zwischen Raubmord, Vergewaltigung und Pogrom oder ‚ethnischer Säuberung‘ oszillierte, zeichnete der ‚rote Terror‘ sich durch eine Kälte und Willkür aus, die methodische Züge trug, sowie durch die Kombination sozialer und politischer Mittel und eine schier unbegrenzte Bereitschaft zur Steigerung.“, Kindle-Version, Position 14798.