Die Theaterstücke der Stegreifbühnen in der Lobby-Union Indebitamento wurden immer schlechter. Nach der schaurigen Fledermaus-Inszenierung aus Wuhan, bei welchem die Darsteller auf offener Straße tot umfielen, folgte das verhaltensauffällige Sing- und Tanz-Musical „Baby, lass dich impfen“, welches einige Wochen später in derber Publikumsbeschimpfung kulminierte: „Impfgegner sind Bekloppte.“
In der nächsten Phase der Inszenierung wurde das Publikum gezwungen, den Inszenierungen der Stegreiftheaterschauspieler in vermummter Form beizuwohnen. In einigen Nationaltheatern wurde das Publikum wiederholt in bis zu fünf Lockdowns (Ausgangssperren) fixiert und musste die Darbietungen der Polit-Schauspieler im Hausarrest verfolgen. Das Publikum sollte während der Zwangsvorführungen der Stegreifbühnen vor den Televisionsgeräten in definierten Abständen von eineinhalb Metern sitzen und so oft als möglich auch im privaten Haushalt ihr Gesicht verhüllen. Mit dicken Schutzmasken gegen Feinstaub, die zum Abschleifen von Mauerwänden entwickelt wurden.
Angst als erste Bürgerpflicht
In der nächsten Inszenierung erklärten die Polit-Darsteller dem zahlenden Publikum, dass die Teilnahme an einem teilweise wieder selbstbestimmten Leben in der Öffentlichkeit nur möglich wäre, wenn man sich — auf eigenes Risiko — gegen eine neuartige, gefährliche Krankheit, einmal, zweimal, dreimal, viermal und so weiter genverändernde Substanzen injizieren ließe.
Es folgten weitere dramatische Inszenierungen: „Waffen für den Frieden — Frieden durch mehr Krieg — Frieren gegen das Böse“ und so weiter.
Umrahmt wurde der Spielplan durch den Paradigmenwechsel vom Umweltschutz zum Klimaschutz, in welchem nicht mehr der Mensch vor den Umweltschäden der Industrie, sondern das Klima und die Monopolindustrie vor den atmenden Menschen geschützt wird.
Es folgte das permanente Theaterstück „Die Luftsteuer — und warum CO2, das Gas des Lebens und der Photosynthese, böse ist.“ „Wir klimaschützen unsere Stadt.“ Und erhöhen die Fernwärmetarife um 92 Prozent.
Der bisherige Saisonhöhepunkt kulminiert in der derben Stegreif-Posse „Wir halten das Gas zurück“. Der Plot folgt dem Schema von Schilda: Gas, die wichtigste Energiequelle des Wohlstands der Lobby-Union, wird in einer nigelnagelneuen, milliardenteuren Pipeline, die vom Publikum bezahlt und bereits gefüllt wurde, zurückgehalten, weil die Auftraggeber des Stücks — aus sicherer Entfernung über dem großen Teich — es so wollen.
Eine große Herausforderung für die Schauspieler der Regionaltheater in den Nationalstaaten, die sich auch bei diesem derben Schurkenstück an das von den Auftraggebern definierte Drehbuch halten müssen. Sie dürfen jedoch, wie auf einer Stegreifbühne üblich, im Text improvisieren, täuschen und tricksen und nach eigenem Gutdünken auf der Bühne — zur ablenkenden Unterhaltung des Publikums — geräuschvoll auch etwas eigenes Gas gegeneinander entladen … Währenddessen wird es im Theater immer kälter.
Das Publikum kann die Schauspieler alle vier bis fünf Jahre neu wählen, hat aber keinen Einfluss auf die Spielpläne oder die Drehbücher. Zwar ist es möglich, die schlechtesten Darsteller in mühevollen Protesten unter Einsatz ihrer Karriere loszuwerden, aber die Zweit- und Drittbesetzungen der Darsteller sind jedes Mal noch schlechter als die Erstbesetzungen.
Das Stück, das gegeben wird, bleibt dennoch gleich. Es nützt wenig, sich wegen des schlechten Inhalts der Stücke bei den Schauspielern zu beschweren, denn sie sind eben Darsteller in einem Stegreiftheater und nicht die Autoren oder gar die Auftraggeber der Narrative. Wer sein Missfallen des Stücks durch Nichtklatschen oder gar durch Missfallenskundgebungen bekundet, kann von der Saalaufsicht entfernt, durch Qualitätsmedien diffamiert, seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz beraubt oder im Extremfall zu frühen Morgenstunden von Beamten der Theater-Security besucht werden.
Viele Mitglieder des mittelständischen Pöbels versuchen vor den katastrophalen Darbietungen einiger Politdarsteller zu flüchten, aber es nützt wenig, denn in den abendländischen Theatern wird überall das gleiche Stück aufgeführt, nur geringfügig modifiziert durch etwas Lokalkolorit und die jeweiligen Persönlichkeiten der Darsteller in den Nationaltheatern.
Die Kritiken in den publikumsfinanzierten Qualitätsmedien an den Aufführungen sind fast ausnahmslos positiv bis euphorisch. Dennoch wähnen sich immer mehr Zuschauer und Zuschauerinnen im Publikum im falschen Film. Und mit jedem neuen Spielplan, jeder neuen Inszenierung wächst die Erkenntnis, dass sich der Spielplan gegen das eigene Publikum richtet. Aber die meisten im Publikum klatschen dennoch weiter, sie schulden den Banken hohe Kredite für ihre Einfamilienhäuser und für die Ausbildung der Kinder, die sie abzahlen müssen und/oder sie sind Menschen und Organisationen verpflichtet, von denen sie abhängig sind. Staatlich geschützte und unterstützte Monopolorganisationen, für die Wettbewerb etwas für Verlierer ist, sind erklärte Freunde der aufgeführten Stegreifinszenierungen und inszenieren neue Stücke und neuen Inhalt durch öffentlich-private Partnerschaften. Viele im Auditorium fragen sich, warum sich manche Schauspieler wie Idioten verhalten.
Und ewig grüßt das Murmeltier
Denn jeden Morgen beginnt das Theater-Narrativ wieder aufs Neue, werden die Possenstücke immer absurder und frecher. Das Publikum muss für jede Aufführung höhere Preise bezahlen, die Teuerung ist dramatisch, das Publikum reagiert zunächst verwirrt und verängstigt, dann zunehmend verärgert.
Das neue Stück „Planet der Affenpocken“ wird angekündigt. Die Welttheaterorganisation übernimmt die Regie für alle Aufführungen.
Es wird immer kälter im Saal, die Temperaturen sinken, das Angebot am Theaterbuffet wird immer teurer und ist kaum noch leistbar. Das Publikum friert und hungert. Plötzlich, während die Darsteller ihre Texte abspielen, ertönt mitten in der Aufführung hundertfaches, lautes Lachen. Es kommt aus den Mobiltelefonen des Publikums, aus heruntergeladenen mp3-Dateien von lachenden Menschen. Das Publikum sitzt mit eiserner Miene unbewegt im Saal, es lässt die gespeicherten Tonaufnahmen auf den Smartphones lachen. Die Saalaufsicht kann folglich nicht feststellen, wer hier lacht.
Und dann, als das Lachen aus den Mobiltelefonen verstummt, passiert etwas Unerhörtes: Das Publikum wirft seine Sklavenmasken auf den Boden, steht auf, verlässt die Aufführung. Das Publikum kehrt nicht mehr zurück. Die Schauspieler merken nicht, dass sich das Publikum schon verabschiedet hat. Sie spielen ihr Stück weiter, bis der Saal leer ist.
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