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Das Ende einer Ära

Das Ende einer Ära

Norbert Härings neues Buch liefert eine brillante Gegenwartsanalyse, leider jedoch keine konkreten Handlungsoptionen.

Unser Wirtschaftssystem befindet sich im größten Umbruch seit seines Bestehens. Zahlreiche parallel ablaufende Finanz-, Produktions- und Logistikentwicklungen addieren sich zu einer schier unüberschaubaren Dimension, in die der einfache Bürger kaum noch einzusteigen vermag.

Norbert Häring liefert hier mit seinem neuesten Werk „Endspiel des Kapitalismus: Wie Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen“ einen perfekten Überblick über diese Gemengelage.

Das Buch adressiert unterschiedliche Ziellesergruppen gleichermaßen: Für den Wirtschaftslaien ist es verständlich und gleichzeitig für den Experten tiefgründig genug. Häring nimmt dankenswerterweise unterschiedliche Leser mit ins Boot.

Das Buch ist in vier Abschnitte aufgeteilt. Für den Finanzlaien ist es ratsam, alle vier Teile zu lesen, denn Häring holt einen bei der Basis ab und geht auf grundsätzliche Inhalte ein, die trotz ihrer Wichtigkeit den meisten nicht bekannt sein dürften.

Was geschieht seit 2020?

Im ersten Abschnitt behandelt Häring die wirtschaftlichen Auffälligkeiten seit 2020. Vielen dürfte gar nicht bewusst gewesen sein, welche dramatischen Entwicklungen sich in der Welt der Finanzen — weitestgehend von den Augen der Öffentlichkeit unbemerkt — zugetragen haben. Gleich zu Beginn wird dem Leser vor Augen geführt, was für eine unverschämte und in der Menschheitsgeschichte beispiellose Umverteilung sich in der neuen Normalität zuträgt. Wir werden als Leser an die unbeschreibliche Dreistigkeit erinnert, mit der Millionen Existenzen in den Lockdown geschickt und damit vernichtet wurden, während die Regierungen der Erde gleichzeitig multinationale Konzerne milliardenfach mit Steuergeldern finanzierten, die allerdings nicht in die Taschen der Belegschaft flossen, sondern als Dividende auf die Aktionäre herabregneten. Erstgenannte mussten sich mit Kurzarbeitergeld begnügen.

Anschließend nimmt Häring noch einmal zwei Institutionen genauer unter die Lupe. Das ist zum einen das Davoser Weltwirtschaftsforum (WEF). Selbst wenn man sich schon näher mit Klaus Schwabs Milliardärsclub befasst hat, zeigt Häring doch den ein oder anderen interessanten Fakt, den man über das WEF bislang womöglich nicht wusste und der einem wahrlich die Spucke nehmen kann.

Zum anderen behandelt er die Rolle der Vereinten Nationen (UNO). Die internationale Organisation schlechthin ist allerdings in dem kritischen Corona-Diskurs etwas aus dem Blickfeld geraten. Häring zeigt auf, dass die UNO in puncto Unabhängigkeit bei Weitem nicht mehr dem Ruf gerecht wird, der ihr vorauseilt. International agierende Kapitalgiganten, die vielfach von der Krise profitieren, üben seit geraumer Zeit einen äußerst bedenklichen Einfluss auf die Organisation aus und tarnen ihre Absichten unter dem Deckmantel der UN-zertifizierten Gemeinnützigkeit. Will heißen: Wo UNO draufsteht, ist schon länger nicht mehr drin, was eigentlich von ihr zu erwarten wäre.

Was geschah vor 2020?

Im zweiten Teil liefert Häring den Leserinnen und Lesern, die mit dem heutigen Wirtschaftssystem weniger vertraut sind, einen rund 100 Seiten starken Crashkurs, in welchem die wichtigsten Grundlagen abgehandelt werden. Es wird grundlegend erklärt, wie Geld eigentlich entsteht — ein regelrechtes Tabuthema. Aber auch die miesen Tricks und politischen Maschen des Kapitals werden erläutert. Dies dient dem Verständnis, der Grundlagenvermittlung des titelgebenden Endspiels des Kapitalismus, das im folgenden Teil skizziert wird.

Die Spätphase des Kapitalismus

Im dritten Teil geht es dann konkret zur Sache. Häring zeigt den ganzen Größenwahn einer offensichtlich von allen guten Geistern verlassenen Elite auf. Er beschreibt, wie erschreckend nah die Dystopie einer durchdigitalisierten, technokratisch dirigierten Welt an unsere Realität herangerückt ist. Als er 2016 damit begann, über die mittlerweile zu seinem Kernthema avancierte Bargeldabschaffung zu schreiben, lag dies noch gefühlt in weiter Zukunft. Häring erweist sich in der Retrospektive als regelrecht prophetisch, hat doch die Zurückdrängung des Bargeldes seine Prognosen teils schon übertroffen.

Aus Angst vor verkeimten Geldscheinen wird mittlerweile fast jede 60-Cent-Butterstulle mit der Smartwatch bezahlt. „Mit Karte bitte!“ kommt so vielen Bürgern selbst im vormals bargeldverliebten Deutschland flott über die maskierten Lippen. Grausig!

Gebündelt präsentiert uns der Wirtschaftsjournalist die zahlreichen Horrorpläne samt der unzähligen Netzwerke, die kreuz und quer miteinander verwoben an dieser Architektur der totalen Überwachung arbeiten: Rockefellers Lock Step, Smart Cities, Smart Homes, Internet of Things, totale Kontrolle und die Unterwerfung der Menschen unter die Allmacht der Algorithmen. Wer sich durch den dritten Teil durcharbeitet, erhält einen sehr guten Überblick über die vielfältigen Great-Reset-Transformationspläne.

Romantische Phantasmen einer sozialen Marktwirtschaft

Nach all dem Lob verdient der letzte Teil etwas Tadel. Hier beschreibt der Autor detailliert und mit Blick auf zahlreiche Lebensbereiche die Zukunftsvision einer wirklich sozialen Marktwirtschaft, die den Kapitalismus eines Tages ersetzen soll. Und die Konzepte sind durchaus plausibel und erstrebenswert.

Was Häring dem Leser allerdings schuldig bleibt, sind konkrete Vorschläge, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Denn gerade der Untertitel, „Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir sie zurückholen“, suggeriert, das Buch böte Antworten auf eben diese Fragen.

Ja, und wie holen wir die Macht nun zurück? Am Ende schlägt man das Buch zu, ohne eine Antwort darauf bekommen zu haben. Auf den letzten anderthalb Seiten wird ganz kurz und ebenso floskelhaft wie unscharf beschrieben, was der Einzelne tun könne — oder auch nicht. Denn was dort dargelegt wird, sind im Grunde genommen Binsenweisheiten: Man solle sich mit Ähnlichdenkenden vernetzen, Diskussionen führen, sich gut und vielseitig informieren, um nicht der Desinformation auf den Leim zu gehen, wenn Sündenböcke für das Systemversagen auserkoren werden. Man solle nicht frustriert sein, wenn man selber nicht so viel ausrichten könne und ein Wandel nicht so schnell und umfassend möglich sei. Irgendwann kämen die Zeiten für Reformen. Wow.

Dieses Schlusswort ist unambitioniert und rechtfertigt keinesfalls den zweiten Halbsatz des Untertitels. Eigentlich dürfte der Untertitel nur lauten: „Wie die Konzerne die Macht übernahmen“. Punkt. Denn wie wir – etwa in Form visionärer Politik – diese Macht zurückholen, wird in diesem Buch nicht thematisiert.

Es wird ein Szenario skizziert, wie es besser sein könnte. Ein Szenario, in welchem die Macht beim Souverän, dem Volk liegt. Aber das „Wie“, also wie wir dort hinkommen, wird komplett ausgespart.

Auch, wie man eine solch nahezu utopische Wirtschaftsordnung gegen die Übermacht der multinationalen Konzerne und ihrer weltweit vernetzten und topkoordinierten Helfershelfer verteidigen soll. Wie soll das genau gehen? Wie soll man solche Reformen gegen Lobbygruppen, Elitennetzwerke, PR-Agenturen, Medienmacht und Geheimdienste durchdrücken? Wie? Darauf wird im Buch leider nicht eingegangen.

Das ist wirklich schade, denn die ersten drei Viertel des Buches sind hoch spannend und eine brillante Zustandsbeschreibung davon, wie undemokratisch es um das Finanzsystem bestellt ist. Für das letzte Viertel hätte man einen anderen Ansatz wählen und entsprechend den Untertitel abändern müssen. Wie wäre es gewesen mit: „Wie die Konzerne die Macht übernahmen und wie wir uns wehren können“? Denn mit finanzieller Wehrhaftigkeit kennt sich Häring aus, wie er in seinen Büchern bewiesen hat.

Im Grunde genommen hätte er sich für einen runden Abschluss nur wiederholen müssen. So beschreibt Häring in seinem Buch „Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen“ ein probates Mittel des Widerstandes: Konsequent alles in bar bezahlen, um die Nachfrage nach Barem weiter hochzuhalten. Wieso wiederholt Häring dies nicht? Gerade heute wäre das so wichtig!

Aber auch darüber hinaus wären in diesem Buch sicherlich noch ein paar Seiten übrig gewesen, um dem Leser einige greifbare Tipps für die finanzielle Selbstermächtigung an die Hand zu geben. Aber sie fehlen. Ein Kontrollblick in das Register zeigt, dass etwa der Begriff „Kryptowährung“ nirgendwo in diesem Buch vorkommt. Dabei wäre — aus meiner Sicht — eine Beschäftigung mit dieser Form des freiheitlichen wie demokratischen Geldes das Mittel schlechthin, um als Souverän die Macht zurückzuerlangen.

Fazit

Häring liefert eine gewohnt qualitätvolle, analytische Zustandsbeschreibung unseres heutigen Finanzsystems. Durch das Lesen des Buches erhält der Leser eine sehr umfassende, detaillierte Beschreibung der egoistischen Absichten und der maßlosen Hybris der Finanz-Elitenzirkel, deren Pläne man oft nur noch als „größenwahnsinnig“ bezeichnen kann. Zudem skizziert Häring eine wünschenswerte Alternative als Orientierungspunkt, als anzustrebendes Ziel. Lediglich bei konkreten Ansätzen der Selbstermächtigung schwächelt das ansonsten sehr starke Werk!



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