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Freiwillige Unfreiheit

Freiwillige Unfreiheit

Die pandemische Notsituation ist nicht vorbei, wir treten vielmehr in eine neue Phase ein, in der die Bevölkerung sogar nach Maßnahmen schreit.

Wenn wir die Geschehnisse der letzten beiden Jahre an Gretchenfragen festmachen wollten, gäbe das ungefähr so eine Chronologie der Fragestellungen ab: „Glaubst du an Corona — oder nicht?“, „Hältst du dich an die Maßnahmen - oder nicht?“, „Triffst du dich noch mit Freunden — oder nicht?“, „Bist du schon geimpft — oder nicht?“ und zuletzt „Trägst du weiter Maske im Supermarkt — oder nicht?“. Und? Tun Sie es? Tragen Sie sie dort zwischen Süßkramregal und Fleischtheke? Die Mehrzahl tut es jedenfalls noch in Supermärkten.

Immer öfter vernimmt man jetzt sorgenvolle Äußerungen der Bevölkerung, weil die Politik sich erdreistete, einige Maßnahmen nicht zu verlängern. Ja, dass die Bundesregierung die Bundesländer nicht ermächtigte, damit die weiter strikt durchgreifen können: Für viele fühlt sich das ganz offenbar an wie ein regelrechter Demokratieabbau. Ohne Maßnahmen in allen Lebensbereichen zu leben, nehmen viele als Chaos wahr.

Wer jetzt noch glaubt, die Pandemie ziehe vorüber, täuscht sich vermutlich. Denn nach zwei Jahren ist es endlich so weit: In Deutschland hat die Angst endgültig gesiegt. Die Bürger brauchen gar keine Pflichten mehr — sie verpflichten sich freiwillig.

Maßnahmen, bitte mehr Maßnahmen!

Die meisten haben den Erfolg der Maßnahmen so verinnerlicht, dass sie noch immer daran glauben. Selbst jetzt noch, da täglich bis zu 350.000 positiv getestete Menschen gemeldet werden, klammert sich ein Großteil der Deutschen an eine Maskenpflicht, die ganz offenbar nicht hält, als was sie versprochen wurde — genauer gesagt hat man diese Pflicht zum Tragen einer Maske zuletzt sogar noch verschärft, die vermeintlich wirksamere Staubschutzmaske Modell FFP2 zur Pflicht erkoren. Und dennoch stiegen die neu gemeldeten Fälle.

Kommt da einer mal auf die Idee, nach der Wirksamkeit der Maßnahmen zu fragen?

Nein, natürlich nicht. Denn man hat der Gesellschaft ganz klar gesagt, dass Zweifel nicht erlaubt sind. Noch immer gilt Händewaschen als das oberste Gebot. Gut, Hygiene schadet nie. Aber schon recht früh war klar, dass es sich nicht um eine Schmierinfektion handelte, Hendrik Streeck saß schon im April 2020 bei Markus Lanz und erklärte, dass er Abstriche von Türklinken in „erkrankten Haushalten“ gemacht hat, deren Mitglieder in Quarantäne geschickt wurden. Resultat: Kein Virennachweis. Dennoch stehen bis heute überall Desinfektionsmittel herum.

Der Glaube an die Maßnahmen geht so weit, dass die Polizei in Frankfurt bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen gerne mal durchsagt, dass alle Teilnehmer ausreichend Desinfektionsmittel mit sich zu führen haben. Mittlerweile sieht man ja wieder Menschen, die sich per Handschlag begrüßen. Aber es „schrecken“ noch immer viele davor zurück. Das Infektionsrisiko nach Händeschütteln ist aber vermutlich recht gering. Sich zuzuwinken könnte gefährlicher sein, als sich die Hand zu geben, denn immerhin wirbelt man beim Winken Aerosole auf, die sich gerade in der Luft bewegen.

Die Überzeugung, dass die verordneten Maßnahmen tatsächlich vor einer Infektion schützen, ist im Bewusstsein der meisten Menschen nach zwei Jahren Pandemie so tief verankert, dass dieser Moment, da die Maßnahmen nun sukzessive auf den Prüfstand kommen, sich für nicht wenige im Lande wie eine Lebenskrise anzufühlen scheint. Wie ein Augenblick, da einem jeder Sinn im Leben verloren geht. Das ist besorgniserregend, denn faktisch befinden wir uns in einem Stadium, da klar wird, dass Maßnahmen nicht einfach nur ertragen werden — sie werden angebetet, als Medizin betrachtet, man giert nach ihnen.

Der homo pandemicus nimmt jetzt nicht einfach nur noch hin: Er genießt es, weil er wirklich, absolut und überzeugt an das glaubt, was man ihm gepredigt hat in all der Zeit.

Die totale Kontrolle

Dieser ganzen Zugewandtheit zur Fortführung der Maßnahmen geht ein grobes Missverständnis voraus: Nämlich jenes, dass der Mensch stets und überall die Kontrolle über alle Geschehnisse erlangen kann. So wurde das ja auch von Anfang an suggeriert. Da wurden Modelle ausgerollt, in denen es Hunderttausende Tote ohne Maske, Abstand und Kontaktverboten gab — und solche, die diese Maßnahmen einrechneten und auf weniger Tote kamen. Verifiziert war aber nirgends, dass die Maßnahmen überhaupt das Infektionsgeschehen beeinflussen. Es wurde lediglich angenommen. Und vergleicht man die Zahlen in den strengen Corona-Kontrollstaaten, wie Deutschland einer war und ist, mit denen in den weniger strengen Ländern, Schweden sei hier als ewiges Beispiel genannt, ernüchtert man ganz schnell.

Sicherlich haben wir in den letzten Monaten oft gelesen, dass in Schweden mehr Menschen pro Hunderttausend Bürger starben als hierzulande. Aber die Unterschiede sind in dieser Statistik nuanciert. Außerdem ist die Interpretation dessen, was denn nun ein Covid-Toter ist und was nicht, nach zwei Jahren immer noch schwammig. Aber wer mal die Wellen übereinander legt, wird feststellen: So viel Unterschied ist da zwischen Deutschland und Schweden nicht. Und das verwundert, denn wenn Maßnahmen das Infektionsgeschehen eindämmen sollen, müsste man das an sinkenden Graphen und dezenteren Wellen sehen können.

Mit Beginn dieser Pandemie machte man den Menschen klar, dass man etwas tun könne. Dass es aber unter Umständen so sein könnte, dass das menschliche Tun oder Unterlassen bestenfalls zweitrangig ist, wenn ein Virus umgeht, wagte keiner auszusprechen. Denn wer gibt schon gerne seine totale Machtlosigkeit zu?

Am Ende kamen dann lächerliche Hygienekonzepte heraus, die das Maskentragen im Lokal auf dem Weg zur Toilette zur Pflicht machten, während man einen Meter daneben, am Tisch sitzend, in lustiger Runde ohne Maske plauschte. Die Menschen fingen an, das Wort „Maßnahme” mit Rettung, Sicherheit, Kontrolle gleichzusetzen. Sie trugen jetzt die Maske auch alleine im Wald. Szenarien von dauerhaft fliegenden Mikropartikeln aus Hollywood-Seuchenfilmen beeinflussten wohl offenkundig ihre Vorstellungswelt.

Wer jetzt alleine im Wald mit einer FFP2-Maske herumlief, war kein Spinner mehr: Er hatte die Kontrolle.

Über seinen kleinen Kosmos — und alles was darüber hinausging, gab man vertrauensvoll in die Hände der Maßnahmenpolitik.

Die totale Kontrollabgabe: Entscheidet ihr für uns!

Erinnert sich eigentlich noch jemand an jene Politiker, die die Deutschen gerne mal wegen ihrer Vollkasko-Mentalität kritisierten? Denn die Bürgerinnen und Bürger würden hierzulande immer nach dem Staat rufen, beklagten sie. Der könne aber nicht alle Sorgen der Welt beheben. Der Vorwurf, einer solchen Mentalität zu frönen, kam in den meisten Fällen von solchen Politikern und Wirtschaftsleuten, die einen schlanken Staat bevorzugten, der sich der Probleme der Menschen nur noch im äußersten Notfall annehmen sollte.

Dennoch ist der Vorwurf auch nie ganz falsch gewesen. Eine Kinderbetreuung für berufstätige Eltern, die in Allerherrgottsfrühe beginnt und pünktlich zur Primetime endet: Die kann es nicht geben. Soll es auch gar nicht. Wer in einem solchen Fall nach staatlicher Rundum-Betreuung schreit, der kann nicht erwarten, dass Staat und Gesellschaft da Lösungen präsentieren. Im Zweifel, so hart muss man das sagen, sollte man seine Familienplanung frühzeitig überdenken und sich überlegen, ob man überhaupt Zeit und Muße für ein familiäres Zusammenleben aufbringen kann.

Die Vollkasko-Mentalität scheint sich aber in Zeiten des Verordnungs- und Maßnahmenstaates drastisch ausgeprägt zu haben.

Immer wieder hatte man in den letzten Monaten das Gefühl, dass die Mehrzahl der Menschen im Lande froh war, dass ihnen Politik und Medien das Denken abnahmen.

Vorschriften machten die Sache für sie leichter, denn sie vermittelten Orientierung. Sie mussten sich ja nur daran halten. Damit lagen sie immer richtig. Trafen sie auf einen Zweifler, machten sie schnell einen großen Bogen um ihn, denn da drohte Gefahr, ein Abkommen vom richtigen Weg, den andere in ihrer Weisheit vorbestimmt und vorgewalzt hatten.

Über viele Monate in einem Staatswesen zu leben, in dem man von Woche zu Woche neue Maßnahmen annehmen, alte Maßnahmen ablegen musste, hat letztlich zu einem fatalen Kontrollverlust über das eigene Denken und die eigene Lebensplanung geführt. Das Leben „in den Maßnahmen“, die einem übergestülpt und keiner demokratischen Willensbildung unterworfen, ja nicht mal einer wissenschaftlichen Auswertung unterzogen wurden, haben zu viele in die Resignation getrieben.

Wann dann der resignative Moment kam, wo sich der Stress in Dankbarkeit wandelte, weil da jemand einem die schweren Entscheidungen abnahm, kann in diesem Land wohl nur endgültig beantwortet werden, wenn es hierzu eine Maßnahme gibt, die die Beantwortung einer solchen Frage vorschreibt.


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