von Jürgen Wagner
Ein Sondervermögen für die chronisch kaputtgesparte Truppe?
Der wohlgepflegte Mythos von der angeblich kaputtgesparten Bundeswehr liefert den Nährboden, auf dem Forderungen nach drastischen Erhöhungen der Militärausgaben schon seit Jahren prächtig gedeihen. Dem kann nicht oft und deutlich genug widersprochen werden: So stieg der Militärhaushalt von umgerechnet rund 24 Milliarden Euro im Jahr 2000 bereits deutlich auf etwa 32,5 Milliarden Euro im Jahr 2014 an. Er lag damit auch drastisch über dem eigentlich verbindlich vereinbarten Sparziel vom Juni 2010. Damals war festgelegt worden, alle Ressorts müssten bis 2014 insgesamt 81,6 Milliarden Euro einsparen und die Bundeswehr solle dazu 8,3 Milliarden Euro beitragen. Gemäß dem daran angelehnten Bundeswehrplan sollte der Rüstungshaushalt bis 2014 auf 27,6 Milliarden Euro reduziert werden — ein Beschluss, der augenscheinlich rasch wieder einkassiert worden war.
Doch von da ab ging es mit den Militärausgaben erst richtig steil bergauf: Sie kletterten von 34,3 Milliarden Euro (2016) über 38,5 Milliarden Euro (2018) und 45,7 Milliarden Euro (2020) bis auf 50,4 Milliarden Euro (2022) noch vor der Ausrufung der sogenannten Zeitenwende selbst inflationsbereinigt deutlich nach oben.
Ohne die Mär von der angeblich chronisch unterfinanzierten Bundeswehr wäre es — neben dem Schock durch den russischen Angriff auf die Ukraine — Kanzler Olaf Scholz wohl kaum möglich gewesen, in seiner „Zeitenwende-Rede“ am 27. Februar 2022 das Sondervermögen der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro in Tateinheit mit Militärausgaben von mindestens 2 Prozent des BIP auszurufen. Um nur ein Beispiel unter vielen zu zitieren, behauptete Spiegel Online etwa ohne mit der Wimper zu zucken:
„Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist (…) beschlossene Sache. Es bedeutet eine Zäsur in der deutschen Sicherheitspolitik. Folgen wird eine massive Aufrüstung nach Jahrzehnten, in denen das Militär Schritt für Schritt klein gespart wurde.“ (2)
Damit das Sondervermögen nicht mit der sogenannten Schuldenbremse kollidierte, war eine Grundgesetzänderung erforderlich, für die die Union mit ins Boot geholt wurde. Ergänzt wurde dann in Artikel 87a ein neuer Absatz, der folgendermaßen lautet:
„Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 (Schuldenbremse) nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
Das besagte „Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ (BwFinSVermG) trat schließlich am 1. Juli 2022 in Kraft. Ihm wurde ein — in Ansätzen zumindest bereits lange vor dem russischen Angriff ausgearbeiteter (3) — Wirtschaftsplan angehängt, der Auskunft darüber gibt, welche Projekte aus dem Sondervermögen bezahlt werden sollen, und seither in jeweils aktualisierter Form im jährlichen Haushalt zu finden ist. Von Anfang an erfolgte eine Aufteilung in vier verschiedene in etwa an die Teilstreitkräfte angelehnte Kategorien („Dimensionen“). Für die Dimension „Luft“ waren zunächst 40,9 Milliarden Euro vorgesehen, die „Marine“ sollte 19,3 Milliarden Euro, das „Land“ 16,6 Milliarden Euro und die „Führungsfähigkeit/Digitalisierung“ 20,7 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen erhalten. Hinzu kamen noch die nicht in einer der Kategorien verorteten Posten „Bekleidung“ und „Forschung“ mit zusammen 2,5 Milliarden Euro.
Zwar finden sich im Wirtschaftsplan darüber hinaus auch die einzelnen Projekte, allerdings ohne konkrete Preisschilder, wie der Rechnungshof bemängelte:
„Die Struktur des Entwurfs des Wirtschaftsplans entspricht mit den Sammeltiteln nicht der Vorgabe des BwFinSVermG, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen zu den Vorhaben in jeweils einzelnen Titeln zu veranschlagen. Zwar sind die Vorhaben bei den Sammeltiteln im Einzelnen benannt. Jedoch sind diesen Vorhaben die jeweiligen Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen mangels Einzelveranschlagung nicht verbindlich zugeordnet. Dies entspricht nicht der gesetzlichen Vorgabe und ist nicht transparent.“ (4)
Noch viel schwerer als diese Kritik wiegt allerdings, dass die Bundeswehr von Anfang an versucht hatte, das Sondervermögen massiv zu überplanen. Denn die anfangs ausgelobten Beträge summierten sich zwar exakt auf 100 Milliarden Euro, allerdings „vergaß“ die Bundeswehr, dass aus dem Sondervermögen auch die Zinszahlungen beglichen werden müssen. Diese wurden in den ersten Berechnungen auf 8 Milliarden Euro und inzwischen auf mindestens 13 Milliarden Euro geschätzt (5). Selbst wenn das nicht der Fall wäre, hätte die Bundeswehr das Budget aber dennoch völlig bewusst überplant gehabt, mutmaßlich, um so Druck für weitere Geldforderungen aufbauen zu können. Der Rechnungshof schrieb hierzu:
„Das BMVg erklärte beim Großen Berichterstattergespräch zum Einzelplan 14 am 19. September 2022, dass es 60 Vorhaben identifiziert habe, die es aus dem ‚Sondervermögen Bundeswehr‘ finanzieren wolle. Davon seien 40 Vorhaben bereits eingeplant. Es räumte ein, dass schon die Gesamtausgaben aller bislang eingeplanten Vorhaben den Finanzrahmen von 100 Milliarden Euro überschreiten.“ (6)
Erst einmal hatte sich die Bundeswehr hier aber mit ihrem Versuch verkalkuliert, durch die Überplanung zusätzlich zum Sondervermögen Erhöhungen des Militärhaushaltes im Umfang von zehn oder mehr Milliarden Euro durchzusetzen. Stattdessen musste sie noch einmal ans Reißbrett und ihre Ausgaben reduzieren, was geschah, indem der Posten „See“ auf 8,8 Milliarden Euro und die „Luft“ auf 33 Milliarden Euro gesenkt wurden.
Allerdings wurden im engeren Sinne kaum Projekte gestrichen, sondern allenfalls in der Zahl reduziert; vor allem wurde aber eine Reihe von Vorhaben zeitlich nach hinten und budgetär in den „normalen“ Verteidigungshaushalt verschoben. Betroffen ist vor allem die Marine, der ein Los mit fünf weiteren Korvetten K-130 fast vollständig gestrichen — oder zumindest vertagt — wurde. Auch die Option auf zwei weitere Fregatten F-126 scheint vorerst nicht gezogen zu werden.
Außerdem werden von den ursprünglich zwölf anvisierten Seefernaufklärern vom Typ P-8 Poseidon „nur“ noch acht angeschafft. Wie gesagt, wirklich eingestampft ist keines dieser Vorhaben, wie auch Spiegel Online anlässlich der „Streichungen“ betonte:
„Formal sind die Projekte auch nicht endgültig beerdigt, sondern sollen nun nur nicht mehr aus dem Sondervermögen, sondern dem regulären Haushalt des Ministeriums finanziert werden. Dafür müsste das 50-Milliarden-Euro-Verteidigungsbudget in den kommenden Jahren aber dramatisch wachsen, doch daran mögen selbst die Optimisten im Bendlerblock nicht glauben.“ (7)
Nebelkerzen und die Haushaltsplanung 2024
In diesem Jahr beläuft sich das offizielle Militärbudget zwar „nur“ auf 50,1 Milliarden Euro, es kommen aber nun erstmals relevante Gelder im Umfang von 8,4 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen hinzu. Außerdem müssen noch weitere nicht im Verteidigungshaushalt verortete militärrelevante Beträge nach NATO-Kriterien addiert werden. Die Details, was alles dazugehört, sind unter Verschluss (8), bekannt ist aber, dass unter anderem die Ausgaben für UN-Einsätze sowie der deutsche Anteil von 25 Prozent an den diversen EU-Rüstungstöpfen (Europäische Friedensfazilität, Europäischer Verteidigungsfonds …) hier eingerechnet werden. Auch die Gelder zur „Ertüchtigung“, also zur Ausbildung und insbesondere Aufrüstung „befreundeter“ Akteure — insbesondere der Ukraine —, werden dem allgemeinen Haushalt entnommen und bei der NATO abgerechnet. Die Bundesregierung schätzt diese zusätzlichen Ausgaben im Jahr 2023 auf 9,5 Milliarden Euro, woraus sich ein Gesamtbetrag von 68,1 Milliarden Euro ergibt — viel, allerdings mit rund 1,6 Prozent noch weit unter den anvisierten 2 Prozent des BIP (9).
Stolz geht die Bundesregierung aber inzwischen mit der Ankündigung hausieren, im kommenden Jahr würde dieses Ausgabenziel nun erstmalig erreicht. Hierfür soll die Bundeswehr laut Regierungsentwurf entgegen den bisherigen Planungen 2024 nunmehr 1,7 Milliarden Euro zusätzlich erhalten, wodurch der offizielle Haushalt auf 51,8 Milliarden Euro ansteigt (10). Hinzu sollen 2024 mindestens noch 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen der Bundeswehr kommen. Diese 71 Milliarden Euro liegen allerdings noch weit unter den vom Internationalen Währungsfonds (IWF) prognostizierten 84 Milliarden Euro, die im kommenden Jahr 2 Prozent des BIP abbilden sollen (11). Somit müssten sich die Ausgaben nach NATO-Kriterien deutlich erhöhen, und tatsächlich kündigte Verteidigungsstaatssekretär Thomas Hitschler Ende Juli für 2024 Zusatzausgaben in diesem Bereich von 14,5 Milliarden Euro an, sodass die Zielmarke sogar übertroffen werden dürfte (12).
Da Finanzminister Christian Lindner im kommenden Jahr die sogenannte Schuldenbremse wieder einhalten will, ist im Haushaltsentwurf fast jedes Ressort von teils massiven Kürzungen betroffen — besonders weitreichend sind die rund 600 Millionen Euro, die bei der Entwicklungshilfe eingespart werden sollen. Schließlich hatte die Ampel-Regierung ursprünglich vereinbart, Steigerungen im Verteidigungshaushalt müssten auch bei der Entwicklungshilfe vorgenommen werden:
„Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) rückt davon ab, die Ausgaben für Entwicklungshilfe im gleichen Maß zu steigern wie die für Verteidigung. Dieses Ziel war von der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag festgelegt worden. Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sei diese Festlegung jedoch ‚über den Haufen geworfen worden‘ und ‚nicht mehr realistisch, so bitter das auch ist‘, sagte Schulze dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Es sei ‚ganz offensichtlich, dass mehr in die Bundeswehr investiert werden muss‘, sagte Schulze weiter.“ (13)
Ausgenommen von der Kürzungsorgie sind neben dem Verteidigungsetat nur „Digitales und Verkehr“ sowie „Arbeit und Soziales“, doch diesem Budget soll es in den kommenden Jahren ebenfalls massiv an den Kragen gehen (siehe unten). Angesichts der hier im Raum stehenden Beträge sollte außerdem dringend auf zwei sprachliche Nebelkerzen hingewiesen werden:
Erstens handelt es sich selbstverständlich nicht um ein „Sondervermögen“, sondern um Schulden, die spätestens ab 2031 zurückgezahlt werden müssen. Und zweitens verschleiert das Gerede von den 2 Prozent des BIP die tatsächlichen Dimensionen, um die es hier geht: Denn bei einem geplanten Budget von insgesamt 445,7 Milliarden Euro im Jahr 2024 sind das knapp 20 Prozent des gesamten Haushaltes. Anders ausgedrückt: 2024 sollen die Ministerien Bildung (20,3), Gesundheit (16,8), Entwicklung (11,5), Wirtschaft & Klima (10,9), Wohnen (6,9), Auswärtiges (6,1) und Umwelt (2,4) zusammen immer noch rund 10 Milliarden Euro weniger als das Militär erhalten!
Schwarzes Rüstungsloch
Nicht nur die Verteidigungsausgaben steigen seit Jahren an, noch steiler ging es sogar mit den Rüstungsinvestitionen (Rü-Invest) nach oben, also dem Teil des BMVg-Haushaltes, der allein für die Neuanschaffung von Rüstungsgütern vorgesehen ist. Er kletterte von 4,8 Milliarden Euro (2018) bereits vor dem russischen Angriff auf die Ukraine sprunghaft auf 8 Milliarden Euro (2020) und dann 8,9 Milliarden Euro (2022) deutlich nach oben. Weil aber die Gelder des Sondervermögens primär diesem Bereich zugutekommen sollen, legte Rü-Invest nun noch einmal deutlich auf 16,2 Milliarden Euro (2023) zu, nur um im kommenden Jahr mit einem derzeit geplanten Betrag von 21,9 Milliarden Euro seinen vorläufigen Höhepunkt zu erreichen!
Diese Geldschwemme trifft nun auf ein Beschaffungswesen, von dem sich eines mit einiger Sicherheit sagen lässt: Es funktioniert nicht einmal ansatzweise! Nach einer unglaublichen Pannenserie — praktisch kein Bundeswehr-Beschaffungsprojekt kam in den Jahren zuvor ohne drastische Verzögerungen und teils regelrecht absurde Preiserhöhungen über die Ziellinie — zog Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bereits im Februar 2014 öffentlichkeitswirksam vermeintlich die Notbremse. Als Hauptverantwortliche für die Misere identifizierte sie den Staatssekretär für Ausrüstung, Stéphane Beemelmans, der von seinen Aufgaben entbunden — sprich: gefeuert — wurde, und seinen Abteilungsleiter, Detlef Selhausen, den man kurzerhand versetzte (14).
Im Zuge dessen kündigte von der Leyen auch als ersten Schritt einer neuen „Agenda Rüstung“ eine externe Überprüfung der Bundeswehr-Großprojekte an. Mit dieser Aufgabe wurden die Unternehmensberatung KPMG, die Ingenieurgesellschaft P3 und die Kanzlei Taylor Wessing betraut, die ihre Ergebnisse in Form des Gutachtens „Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte“ am 6. Oktober 2014 an die Verteidigungsministerin übergaben. Darin wurden auf 1.200 Seiten, von denen allerdings nur ein 51-seitiges Exzerpt öffentlich einsehbar gemacht wurde, neun Großprojekte mit einem Gesamtvolumen von 57 Milliarden Euro untersucht, wobei 140 Probleme und Risiken identifiziert wurden, die teils interner Natur, teils aber auch aufseiten der Industrie zu verorten seien. Daher kam das Gutachten zu dem Ergebnis, „dass eine Optimierung des Rüstungsmanagements in nationalen und internationalen Großprojekten dringend und ohne Verzug geboten ist“ (15).
Die Kernaussage des Gutachtens wurde von der damaligen Staatssekretärin für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung, der vorherigen Unternehmensberaterin Katrin Suder, folgendermaßen zusammengefasst: „Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant — und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel“ (16). Auch von der Leyen selbst richtete eine erstaunlich deutliche Kritik an die Adresse der Rüstungsunternehmen: „Wir wollen nicht für Fehler bezahlen, die die Industrie gemacht hat“ (17). Nach solch starken Worten sahen viele Kommentatoren von der Leyen auf „Konfrontationskurs zur Rüstungsindustrie“ (Süddeutsche Zeitung). Die Verteidigungsministerin wolle „mit aller Härte den Rüstungssektor neu ordnen“ (Die Welt) und „bei der Rüstungsbeschaffung aufräumen“ (Wirtschaftswoche) (18).
Doch weit gefehlt: Auf das Rüstungsgutachten folgte der erste Bericht zu Rüstungsangelegenheiten aus dem Jahr 2015, dessen Aufgabe es war, die Defizite im Beschaffungswesen ausführlich offenzulegen. Darin hieß es, die untersuchten Rüstungsgroßprojekte wiesen eine durchschnittliche Verspätung von 51 Monaten auf und lägen insgesamt 12,9 Milliarden Euro über dem ursprünglich geplanten Preis. Die daraufhin eingeleiteten Maßnahmen zur „Verbesserung“ der Lage verpufften allerdings oder gingen gar nach hinten los.
So wird trotz der damals beschlossenen personellen Aufstockung das für das Beschaffungswesen zentrale Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in Koblenz bis heute häufig als wichtiger Teil des Problems identifiziert. Und das unter von der Leyen eingerichtete Beratungswesen glich derart einem Selbstbedienungsladen, dass es sogar zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses wurde. So war es in gewisser Weise nur konsequent, dass im letzten Bericht zu Rüstungsangelegenheiten vor der Zeitenwende vom Dezember 2021 die Verspätungen mit 52 Monaten angegeben wurden und sich die Kostensteigerungen auf 13,8 Milliarden Euro summierten (19).
Auf den ersten Blick kam es seither zu Verbesserungen — sofern eine effizientere Rüstung derart bezeichnet werden kann: Im bis dato aktuellsten 17. Bericht über das Rüstungswesen vom Juni 2023 wird über eine durchschnittliche Verspätung der Großprojekte von 33 Monaten bei Gesamtkostensteigerungen von 11,8 Milliarden Euro informiert. Die niedrigeren Zahlen gegenüber dem Bericht vom Dezember 2021 rühren aber vor allem daher, dass in den letzten Jahren einige der problematischsten Projekte zum Abschluss gebracht worden waren. Gleichzeitig kamen eine Reihe neuer Projekte hinzu, die bislang kaum oder wenig Gelegenheit hatten, drastische Verspätungen oder Kostensteigerungen zu fabrizieren (zum Beispiel F-35A, Boxer, Arrow).
Pistorius: Rüstung im Deutschland-Tempo
Das Beschaffungswesen der Truppe stand bereits vor der Ausrufung der Zeitenwende auch in den eigenen Reihen in der Kritik. Im loyal, dem Magazin des Reservistenverbandes, war etwa zu lesen:
„Deutschlands Rüstung könnte kaum schlechter organisiert sein. (…) Die Großprojekte im Rüstungsbericht des Wehrressorts kennen praktisch nur eine Konstante: Verzögerung. (…) Künftig dürfte die Rüstungsmisere noch drastischer werden. Denn die Schwächen des deutschen Beschaffungswesens lassen sich kaum beseitigen.“ (20)
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte im Mai 2022 eine im Auftrag von Greenpeace angefertigte Studie, die diverse Probleme beim Beschaffungsprozess aufzählte, die Mehrkosten zwischen 35 Prozent und 54 Prozent verursachen würden (21).
Erneute Reformversuche wurden bereits unter Verteidigungsministerin Christine Lambrecht eingeläutet: Anfang Januar 2023 wurde etwa über ein 63-seitiges „Reformpapier“ des Verteidigungsministeriums berichtet, das in den Medien allerdings unisono als vollkommen unzureichend kritisiert wurde. „Lustlos, ideenlos, widersprüchlich“, lautete etwa das vernichtende Urteil in der Welt. Die Zeitung zitierte aus dem Papier selbst, in dem frank und frei eingeräumt wurde, die insgesamt rund 200 Vorschläge würden allenfalls kleine Verbesserungen bringen. Der Reformbedarf sei „grundlegend, vielfältig und gewaltig“, das Maßnahmenpaket „nicht ausreichend, um die Verkrustungen von Jahrzehnten auszubrechen“ (22).
Unter dem bislang noch allseits beliebten Nachfolger Boris Pistorius wurden diese Vorschläge wieder einkassiert — nun soll vor allem das Tempo, mit dem das Geld aus dem Fenster geworfen wird, deutlich erhöht werden. Das war jedenfalls die zentrale Botschaft, die Pistorius Ende April 2023 in einem Tagesbefehl ausgab:
„Oberste Priorität ist für uns alle künftig der Faktor Zeit. Wir setzen für die Beschleunigung da an, wo wir uns selbst Regelungen gegeben haben, die uns stärker einschränken oder bremsen, als es die Gesetzeslage vorsieht. Wo wir uns selbst unnötig Fesseln angelegt haben, werden wir diese nun abwerfen. Ziel ist in erster Linie die schnellstmögliche Realisierung des für die Truppe nutzbaren Produktes.“ (23)
Wie das konkret aussehen soll, erläuterte die damals neu berufene Chefin des Beschaffungsamtes der Bundeswehr, Annette Lehnigk-Emden, im Interview mit dem Security Table im Juni 2023. Während im vorigen Jahr „nur“ 23 sogenannte 25-Millionen-Euro-Vorlagen zur Abstimmung in den Haushaltsausschuss eingebracht wurden, soll diese Zahl rasant steigen:
„Wir werden in diesem Jahr 91 Beschaffungsvorlagen mit einem Volumen über 25 Millionen Euro an den Haushaltsausschuss geben, so viele wie nie zuvor. Bis Ende des Jahres werden nach heutigem Stand zwei Drittel des Sondervermögens vertraglich gebunden sein — und im ersten Quartal 2024 voraussichtlich das volle Sondervermögen.“ (24)
Es soll jetzt also mit Hochdruck mehr Geld in ein System gepumpt werden, das sich bereits vor der Zeitenwende als hoffnungslos überfordert und ineffizient erwiesen hat. Nichts deutet darauf hin, dass der marode Beschaffungsapparat in der Lage sein wird, solch gigantische Steigerungen absorbieren zu können. Im vorigen Jahr wurde beispielsweise erneut ein „mittlerer dreistelliger Millionenbetrag für Beschaffung mangels Kapazitäten im Beschaffungsprozess nicht abgerufen“ (25). Auch verschiedene Überlegungen, wie das Beschaffungssystem „verbessert“ werden könnte, geben wenig Anlass, daran zu glauben, dass sich hier grundlegende Änderungen anbahnen könnten (26).
Vermeintliche Sachzwänge
Wer sich natürlich vor allem die Hände reibt, sind die deutschen Rüstungsunternehmen, die, auch wenn der ein oder andere Auftrag in die USA vergeben wird, alles andere als zu kurz kommen. Dies ist allein schon daran ersichtlich, dass die Aktienkurse der größten börsennotierten deutschen Waffenbauer förmlich durch die Decke schossen (27). Durch das Sondervermögen der Bundeswehr ist erst einmal für die nächsten Jahre gesichert, dass die Gelder weiter sprudeln — die „spannende“ Frage ist allerdings, was passiert, wenn dieser Schuldentopf aufgebraucht ist?
Das in diesem Zusammenhang ausschlaggebende „Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ (BwFinSVermG) legt bis 2026 eindeutige Ausgabenziele fest:
„Mithilfe des Sondervermögens werden im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien bereitgestellt.“ (28)
Für die Zeit nach 2026 kann allerdings bislang von einer rechtlichen Bindung an das 2-Prozent-Ziel keinerlei Rede sein:
„Nach Verausgabung des Sondervermögens werden aus dem Bundeshaushalt weiterhin die finanziellen Mittel bereitgestellt, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden NATO-Fähigkeitszielen zu gewährleisten.“ (29)
Sowohl dem Fähigkeitsprofil der Bundeswehr wie auch dem der NATO muss eine Bundesregierung allerdings explizit zustimmen, und sie lassen sich auch verändern — etwaige Sachzwänge sind also bewusst hausgemacht. Somit passt es ins Bild, dass die Bundesregierung beim NATO-Gipfel in Vilnius das neue Ausgabenziel („Defence Pledge“) der Allianz wie alle anderen Mitgliedsländer abgesegnet hat. Auch hier handelt es sich zwar um keine rechtlich verpflichtende Abmachung, die politische Bindewirkung dürfte allerdings enorm sein — bewusst wurden hier ebenfalls Sachzwänge geschaffen, die es jeder künftigen Bundesregierung egal welcher Couleur enorm schwer machen sollen, von diesen irrsinnig hohen Militärausgaben wieder herunterzukommen. Denn das bisherige NATO-Ausgabenziel war mit seiner Formulierung, die Verbündeten sollten sich bemühen, ihre Militärausgaben in Richtung von 2 Prozent des BIP zu steigern, reichlich vage. Der neue Wortlaut in der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels in Vilnius im Juli 2023 lässt hier nun kaum mehr Spielraum:
„Wir verpflichten uns dazu, jährlich mindestens 2 Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, (um) die neuen NATO-Verteidigungspläne und das Streitkräftemodell mit Ressourcen auszustatten.“ (30)
Zwar wird kein konkretes Jahr genannt, vermutlich soll die neue Regelung aber wohl bereits 2024 gelten — womöglich mit gewissen Übergangsfristen für Länder, die besonders drastische Erhöhungen schultern müssen. Jedenfalls ist relativ klar, dass es sich hier nun um eine feste Untergrenze handeln soll:
„Beim NATO-Gipfeltreffen beschlossen die Regierungen daher eine verbindlichere Sprachregelung: Sie blieben zwar bei der Investitionssumme von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Diese ist allerdings kein Richtwert mehr, der eine Obergrenze beschreibt. Stattdessen sind die zwei Prozent künftig eine Untergrenze — ein Minimum, zu dem die NATO-Länder sich ‚dauerhaft verpflichten‘. Für manche Länder wird das zu erheblichen Mehrausgaben für das Militär führen.“ (31)
In diesem Jahr brechen 19 der 31 NATO-Mitglieder diese NATO-Ausgabenuntergrenze — würde sie im kommenden Jahr umgesetzt, müssten die NATO-Militärbudgets von 1.264 Milliarden Dollar (2023) mindestens um weitere 357 Milliarden Dollar ansteigen (32).
Obwohl es sich hier wie gesagt um keine rechtlich bindende Zusage handelt, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass diese Passage in Zukunft unter Verweis auf vermeintliche Bündnisverpflichtungen unablässig herangezogen werden dürfte, um die berühmten „schmerzhaften Einschnitte“ zu begründen, denen bereits jetzt verbal der Weg bereitet wird.
Rüstung durch Sozialabbau
Gleichzeitig mit dem Haushaltsentwurf wurde auch die Finanzplanung bis 2027 vorgelegt, laut der zwischen 2024 und 2027 Mehrausgaben gegenüber der vorherigen Version von rund 7,3 Milliarden Euro vorgesehen sind (33). Konkret wurden nun für 2025 und 2026 jeweils 52 Milliarden Euro — statt wie bisher 50,1 Milliarden Euro — angesetzt, und für das Jahr 2027 sind nun 51,9 Milliarden Euro vorgesehen (34). Hinzu kommen 2027 noch Ausgaben nach NATO-Kriterien, die von der Bundeswehr-Universität auf rund 8 Milliarden Euro geschätzt werden, wodurch — nach jetzigem Planungsstand, wohlgemerkt — in diesem Jahr insgesamt rund 60 Milliarden Euro zusammenkommen würden (35).
Da das Sondervermögen der Bundeswehr spätestens 2026 verplant sein muss, ergibt sich eine riesige Lücke zu den Militärausgaben von 2 Prozent des BIP, die laut Bundesregierung auch danach ausgegeben werden sollen — nach den aktuellsten IWF-Schätzungen wären das 2027 rund 95 Milliarden Euro (36). Sehenden Auges wird hier also auf eine Situation zumarschiert, in der entweder vollmundig gemachte Zusagen wieder einkassiert werden oder von einem Jahr auf das andere eine Erhöhung der offiziellen Militärausgaben um bis zu 35 Milliarden Euro erfolgen müsste (37). Interessierten Kreisen ist das schon lange klar, und sie begannen frühzeitig damit, den Stimmungsteppich für die anstehenden Debatten auszubreiten. Schon im August letzten Jahres forderte etwa das Institut der deutschen Wirtschaft eine „Verstetigung“ der Zeitenwende nach 2026 mittels dauerhafter Militärausgaben von mindestens 2 Prozent des BIP durch ein „gut 60 Prozent vergrößertes reguläres Verteidigungsbudget“ (38).
Aufgrund der sogenannten Schuldenbremse müsste eine Verstetigung der Zeitenwende auf Kosten nahezu aller anderen Ministerien gehen — vor allem eine Kürzung der Sozialausgaben wäre eigentlich unausweichlich.
Mit beeindruckender Deutlichkeit offenbart ein Beitrag in der Europäischen Sicherheit & Technik, Deutschlands führendem militär- und rüstungsnahen Magazin, die Konsequenzen, die sich hieraus ergeben: Es bedürfe einer „grundlegenden gesellschaftlichen Debatte über die nationalen Prioritäten“, gibt dort Redakteur Ole Henckel zum Besten. Am Ende stehe man aber vor einer simplen Wahl: „entweder die Kürzung sozialer Leistungen oder das Scheitern der Zeitenwende für die Bundeswehr“.
Weiter heißt es in dem Artikel:
„30 Milliarden Euro mehr bräuchte es derzeit im Verteidigungshaushalt, damit dieser eigenständig das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt. Der einzige Posten im Bundeshaushalt, der die Masse dieses zusätzlichen Bedarfes decken könnte, ist der des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Debatte wird sich also um die Streichung von Sozialausgaben für Militär und Rüstung drehen. (…) Der entscheidende Punkt und die damit verbundene Debatte wird allerdings erreicht werden, wenn das Sondervermögen verausgabt ist und man im Bundeshaushalt Prioritäten setzten (sic!) muss. Voraussichtlich wird dieser Zeitpunkt auch mit der kommenden Bundestagswahl zusammenfallen. Rüstung oder Soziales. Dann wird sich zeigen, wie nachhaltig die viel zitierte Zeitenwende ist“ (39)
Debatte eröffnet
Kurz nach dem Gipfeltreffen der NATO-Staats- und Regierungschefs Mitte Juli 2023 kam die Debatte dann in den sogenannten Leitmedien an, indem sich etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) folgendermaßen äußerte:
„Die dringend nötige Wiederaufrüstung der Bundeswehr finanziert Deutschland dank des Sondervermögens mit neuen Schulden. So muss die Ampel nicht an den üppigen Sozialstaat, dessen Ausbau die wahre ‚Friedensdividende‘ nach dem Kalten Krieg war. Aber früher oder später muss auch der reguläre Verteidigungshaushalt deutlich steigen, wenn Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erfüllen will.“ (40)
Einer der wenigen, der hier versucht, in eine entgegengesetzte Richtung zu rudern, ist SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der völlig zu Recht die haltlosen Aufrüstungssachzwänge zurückwies, auf die sich nun berufen wird:
„Es gibt jetzt diese (2 Prozent/BIP) Verabredung der Staats- und Regierungschefs, aber über den Haushalt beschließt der Deutsche Bundestag“ (41). Die Süddeutsche Zeitung interpretierte Mützenichs Äußerungen daraufhin so: „Die Wortmeldung lässt erkennen, dass Teile der SPD keineswegs ihren Frieden mit dem Zwei-Prozent-Ziel gemacht haben“ (42).
Um eine Mehrheitsmeinung handelt es sich andererseits aber ganz bestimmt auch nicht — im Gegenteil. Im selben Artikel kommt deshalb auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) als prominenter Gegenspieler zu Wort, der sich in dieser Frage zudem aller Wahrscheinlichkeit auch noch der Rückendeckung von Kanzler Olaf Scholz sicher sein dürfte:
„Wer die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und die zwei Prozent wolle, ‚der muss am Ende sich auch bekennen, wie er das bewerkstelligen will‘, sagte Pistorius der ARD. Zu entscheiden sei dann, ob man die Schuldenbremse des Grundgesetzes aufgebe oder ‚andere Maßnahmen‘ treffe. ‚Andere Maßnahmen‘ kann hier eigentlich nur die Chiffre sein für Einsparungen etwa im Sozialbereich — ein Vorschlag, mit dem die SPD eher nicht in den nächsten Wahlkampf ziehen dürfte.“ (43)
Pistorius dürfte sehr genau wissen, dass ein Aufgeben der Schuldenbremse nur mit einer Zustimmung der Union möglich wäre, was wohl ausgeschlossen sein dürfte.
Mehr oder minder deutlich plädiert er damit also für drastische Sozialkürzungen zugunsten massiver Erhöhungen des Militärhaushaltes.
Die Debatte ist also eröffnet — es wäre schön, wenn sie von lauten Zwischenrufen der Friedens- und Antikriegsbewegung, der Wohlfahrtsverbände, der Gewerkschaften und allen anderen begleitet werden würde, die sich mit diesem Kurs nicht einverstanden erklären wollen.
Jürgen Wagner ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung und Autor des Buches „Im Rüstungswahn: Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung“ (PapyRossa 2022).
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Zeitenwende heißt Sozialabbau“ beim Gewerkschaftsforum.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2024 (Haushaltsgesetz 2024 – HG 2024), Drucksache 320/23.
(2) Deutschland hat bald größte konventionelle NATO-Armee in Europa, Spiegel Online, 31. Mai 2023.
(3) Tatsächlich lagen spätestens im Oktober 2021 Pläne für ein Bundeswehr-Sondervermögen im Umfang von 102 Milliarden Euro vor. Details wurden aber zur Verschlusssache erklärt und sind öffentlich nicht bekannt. Siehe Wagner, Jürgen: Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung, Köln 2022, Seite 145.
(4) Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags, Entwurf des Wirtschaftsplans des „Sondervermögens Bundeswehr“ für das Jahr 2023, Bundesrechnungshof, 7. Oktober 2022, Seite 6.
(5) Hoffmann, Lars: Zinsen fressen rund 13 Milliarden Euro des Bundeswehr-Sondervermögens, Europäische Sicherheit & Technik, 31. Januar 2023.
(6) Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags, am angegebenen Ort, Seite 8.
(7) Gebauer, Matthias und andere: Verteidigungsministerin Lambrecht streicht Rüstungsprojekte, Spiegel Online, 28. Oktober 2022.
(8) Die Geheimhaltung der konkreten NATO-Kriterien wird von der Bundesregierung folgendermaßen begründet:
„Aufgrund der sich daraus ergebenden verteidigungspolitischen Sensibilität dieser detailscharfen Daten ist die detaillierte Gesamtübersicht der Ausgaben außerhalb des Einzelplans 14, die als Verteidigungsausgaben angerechnet werden, ‚VS-vertraulich‘ eingestuft und wird als Anlage gesondert hinterlegt. (…) Die Antwort ist in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages hinterlegt und kann dort nach Maßgabe der Geheimschutzordnung eingesehen werden“
(Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, Andrej Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rüstungsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland von 1945 bis heute, Drucksache 19/12780, 28. August 2019, Seite 6.). Die Welt schrieb hierzu:
„Seit jeher erinnert die Berechnung der NATO-Quote an eine Geheimoperation. Ganz unterschiedliche Größen gehen ein, offen ausgewiesen werden sie nicht, zumindest nicht vollständig. Jedes NATO-Land rechnet anders. Es ist eine Blackbox, wie das Verteidigungs- und das Finanzministerium bestätigen: ‚Die Alliierten melden der NATO ihre Verteidigungsausgaben regelmäßig in einem festgelegten Verfahren, teilen der NATO aber keine Details mit und tauschen sich untereinander wegen der Vertraulichkeit der Informationen darüber auch nicht aus‘, teilen beide Behörden unisono mit. Deshalb könnten auch gegenüber der Öffentlichkeit keine Details zu den Berechnungen mitgeteilt werden“
(Seibel, Karsten: Von wegen nur neue Bundeswehr-Ausrüstung. Wie Deutschland seine NATO-Quote schönt, Die Welt, 8. August 2023).
(9) Ebenda
(10) In der vorherigen Finanzplanung hätte der Haushalt 2024 auf 50,1 Milliarden Euro stagnieren sollen. Dann war zwischenzeitlich aber sogar einmal die Rede von Steigerungen um 3 Milliarden Euro die Rede. Siehe Groeneveld, Josh/Petersen, Lars: Neuer Haushalt: Lindner will der Bundeswehr nicht mehr Geld geben, räumt der Truppe aber eine Sonderregel ein, Business Insider, 5. Juni 2023.
(11) World Economic Outlook Database, IWF, April 2023. Womöglich reduzieren sich die Prognosen noch etwas, da sich die Konjunkturaussichten seit April deutlich eingetrübt haben, allerdings hat der IWF noch keine aktuelleren Vorhersagen ausgegeben.
(12) Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Thomas Hitschler vom 26. Juli 2023, Drucksache 20/7889. Dies soll wohl unter anderem dadurch erreicht werden, dass künftig auch Zinszahlungen mit in die NATO-Kriterien hineingerechnet werden sollen (Seibel 2023, am angegebenen Ort).
(13) Entwicklungshilfe wird nicht mehr an Militärausgaben gekoppelt, Zeit Online, 8. Juli 2023.
(14) Wagner 2022, am angegebenen Ort, Seiten 94 folgende.
(15) KPMG, P3 Group, Taylor Wessing: Exzerpt — Umfassende Bestandsaufnahme und Risikoanalyse zentraler Rüstungsprojekte, Stand: 30. September 2014. Seite 51.
(16) „Die Bundeswehr beschafft, was sie benötigt — und nicht, was ihr angeboten wird!“, Interview mit Dr. Katrin Suder, Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung, in: Europäische Sicherheit & Technik, Februar 2015.
(17) Von der Leyen kritisiert Rüstungsindustrie, n-tv, 7. Oktober 2014.
(18) Wagner, Jürgen: Agenda Rüstung, in: Wissenschaft & Frieden 4/2015, Seiten 19 bis 22, Seite 20.
(19) Die Rüstungsberichte finden sich unter: https://www.bmvg.de/de/themen/ruestung/ruestungsmanagement/ruestungsbericht
(20) Müller, Björn: Kein Blick fürs große Ganze, loyal, 4. Juni 2021.
(21) Brzoska, Michael: It’s not the money, stupid! Die Hauptprobleme im Beschaffungswesen der Bundeswehr, Greenpeace-Studie, 17. Mai 2022.
(22) Jungholt, Thorsten: Auftrag: großer Wurf — was Lambrecht stattdessen vorlegt, Die Welt, 5. Januar 2023.
(23) Tagesbefehl: Beschleunigung des Beschaffungswesens Veröffentlichungsdatum, bmvg.de, 26. April 2023.
(24) „Vollbremsung und andere Richtung“, Table Security, 13. Juni 2023. Anfang 2023 wurde für das Jahr noch von 70,25-Millionen-Euro-Vorlagen ausgegangen (siehe „Geplant für dieses Jahr: rund 70,25-Millionen-Euro-Vorlagen“, Interview mit Gabriele Korb, Präsidentin BAAINBw, Hardthöhenkurier, 27. Februar 2023).
(25) Griephan-Briefe, Nr. 001/23.
(26) Wenigstens originell war die Begründung, weshalb der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums in dem Gutachten „Bundeswehr besser ausrüsten — aber wie?“ eine deutliche Schwächung der parlamentarischen Kontrolle über die Bundeswehr-Rüstungsprojekte anmahnte. Die „Parlamentsschleife“, also dass Rüstungsprojekte über 25 Millionen Euro von der Exekutive geplant, dann aber vom Haushaltsausschuss noch einmal separat abgesegnet werden müssen, führe dazu, dass einzelne Abgeordnete Partikularinteressen geltend machen könnten:
„Die Parlamentsschleife lädt zu Nachverhandlungen ein. Einzelne Mitglieder des Ausschusses können ihre Zustimmung von Bedingungen abhängig machen, die im Interesse ihres Wahlkreises liegen oder ihren politischen Präferenzen entsprechen. (…) Der Parlamentsvorbehalt ist als zusätzliche Kontrolle gedacht, führt aber dazu, das Vergabeverfahren zu verteuern, intransparenter und lobbyanfälliger zu machen und zeitlich in die Länge zu ziehen“
(Bundeswehr besser ausrüsten — aber wie? Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), 20. April 2023, Seite 7 folgende).
(27) Selbst Airbus, wo der Effekt durch den hohen zivilen Anteil abgemildert war, verzeichnete nach Auslobung des Sondervermögens einen Anstieg um rund 17 Prozent. Bei Rheinmetall kletterte der Börsenkurs sogar um 319 Prozent und bei Hensoldt waren es 243 Prozent. Stichtage jeweils der 30. Dezember 2021 und der 4. August 2023. Airbus: 111,72 Euro (30. Dezember 2021) — 130,84 Euro (4. August 2023); Rheinmetall: 83,06 Euro (30. Dezember 2021) — 264,9 Euro (4. August 2023); Hensoldt: 12,52 Euro (30. Dezember 2021) — 30,48 Euro (4. August 2023).
(28) Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ (Bundeswehr-Finanzierungs- und Sondervermögensgesetz — BwFinSVermG), Ausfertigungsdatum, 1. Juli 2022.
(29) Ebenda. Mitte August 2023 berichtete die Süddeutsche Zeitung, im Zuge der Verhandlungen um das Haushaltsgesetz würde eine Änderung des BwFinSVermG angestrebt, mit der eine rechtliche Bindung an das 2-Prozent-Ausgabenziel auch über 2026 hinaus einhergegangen wäre. Stand Ende August 2023 scheint dieser Versuch zumindest einstweilen aber wieder vom Tisch zu sein:
„Aus dem Entwurf, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, geht hervor, dass die Regierung sich deutlich strikter an das NATO-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung binden will. (…) Auch für die Zeit, wenn das Sondervermögen aufgebraucht sein wird, bindet sich die Regierung strikter. Im Gesetz heißt es bislang nur, dass dann aus dem Bundeshaushalt Mittel bereitgestellt würden, ‚um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr‘ und den deutschen Beitrag zu den NATO-Zielen zu gewährleisten. Nun soll eingefügt werden, dass es sich um Mittel ‚in Höhe von jährlich mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts‘ handeln soll“
(Zwei Prozent ohne Wenn und Aber, Süddeutsche Zeitung, 11. August 2023).
(30) Vilnius Summit Communiqué, Issued by NATO Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Vilnius 11 July 2023, Ziffer 27.
(31) Schluss mit unverbindlich, Süddeutsche Zeitung, 11. Juli 2023.
(32) Defence Expenditure of NATO Countries (2014 - 2023), NATO, 7. Juli 2023, und eigene Berechnungen.
(33) Verteidigungshaushalt 2024 wächst und NATO-Quote wird erreicht, bmvg.de, 5. Juli 2023. Allerdings relativierte Lindner bereits Ende desselben Monats seine eigene Finanzplanung, als er bei Spiegel Online (27. Juli 2023) folgendermaßen zitiert wurde:
„Also meine Absicht ist schon, dass es in den nächsten Jahren sichtbare Aufwüchse auch im Einzelplan 14 gibt. Mindestens wird es keinen Abbruch geben. (…) Also es wird nicht so sein: Wir machen zwei Prozent, und dann plumpsen wir zurück auf 1,4, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist. Das wird sichergestellt.“
Mit seiner eigenen bisherigen Finanzplanung würde aber genau das passieren, was er hier vermeiden möchte — letztlich kündigte er damit für die kommenden Jahre deutlich höhere Steigerungen der Verteidigungsausgaben an, als sie bislang in der Finanzplanung bis 2027 vorgesehen sind. In diese Richtung gehen auch Kritik und Forderungen von Unions-Fraktionsvize Johann David Wadephul:
„Das Kernproblem ist, dass der Einzelplan 14 für die Bundeswehr nicht parallel zum sogenannten Sondervermögen erhöht wird, sondern gerade einmal der Ausgleich der gestiegenen Personalkosten vorgenommen wird. Ansonsten bedient man sich am schuldenfinanzierten Sondervermögen. Aber das ist eine Politik mit ungedeckten Schecks. Denn wenn dieser Topf Ende 2025, wie von der Bundesregierung geplant, leer ist, steht das Verteidigungsressort mit leeren Händen da — mit angefangenen Projekten und einer Finanzlücke Anfang 2026 von mindestens 30 Milliarden Euro zwischen dem bis dahin stagnierten Verteidigungshaushalt und den Ausgaben des Vorjahres. Ich habe keine Vorstellung, wie man diese Lücke dann decken soll“
(Jungholt, Thorsten: „Baerbock trägt erhebliche Verantwortung dafür, dass unsere Soldaten in einer Malaise stecken“, Die Welt, 25. August 2023).
(34) Carstens, Peter: Bei der Bundeswehr wird schon wieder gekürzt, FAZ, 22. August 2023.
(35) Schnell, J.: Zum Verteidigungshaushalt und zur Finanzierung der Bundeswehr in der Perspektive bis 2030. Überblick, Thesen aus militärökonomischer Sicht, Bundeswehr-Universität München, 14. Juli 2023, Seite 21.
(36) Die Bundeswehr rechnet aktuell für 2027 mit einem 2-Prozent-Wert von 96,6 Milliarden Euro (ebenda, Seite 20).
(37) Die tatsächliche Lücke reduziert sich in jedem Fall noch um aus dem Sondervermögen bereits jetzt bis ins Jahr 2027 eingegangene Verpflichtungermächtungen. Deren Höhe ist aber aktuell schwer abzuschätzen.
(38) Röhl, Klaus-Heiner, und andere: Zeitenwende in der Verteidigungswirtschaft? Sicherheitspolitik und Verteidigungsfähigkeit nach der russischen Invasion der Ukraine, IW-Policy-Paper 4/2022, Seite 11.
(39) Henckel, Ole: Die neue Nationale Sicherheitsstrategie — Vorbote einer harten Debatte, Europäische Sicherheit & Technik, 4. Juli 2023. Noch während des NATO-Gipfels legte dasselbe Medium mit demselben Autor noch einmal nach:
„Zudem wird das neue Zwei-Prozent-Minimum von Vilnius, also die massive Erhöhung der Verteidigungshaushalte vieler Mitgliedstaaten, für fundamentale gesellschaftliche Debatten sorgen. Eine Diskussion, die insbesondere Deutschland bevorsteht, sobald das Sondervermögen ausgebeben (sic!) ist“
(Henckel, Ole: Die NATO stellt sich neu auf, Europäische Sicherheit & Technik, 11. Juli 2023).
(40) Der soziale Lindner, FAZ, 17. Juli 2023.
(41) „Auf der Suche nach den zwei Prozent“, Süddeutsche Zeitung, 16. Juli 2023. Eine der wenigen weiteren öffentlich vernehmbaren SPD-Stimmen, die in eine ähnliche Richtung argumentiert, gehört der SPD-Abgeordneten Wiebke Esdar:
„Die Vorsitzende des Bundestagsgremiums, das die Verwendung des Sondervermögens überwacht, die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar, hält von dem Plan nämlich nichts. ‚Ich sehe keine Notwendigkeit, beim Zwei-Prozent-Ziel gesetzlich nachzusteuern, weil wir eine gute Regelung haben‘, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). ‚Und das ist der Fünfjahreszeitraum, der betrachtet wird‘“
(siehe „2 Prozent der Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr: Ampelplan ist umstritten“, RedaktionsNetzwerk Deutschland, 14. August 2023)
(42) „Auf der Suche nach den zwei Prozent“, Süddeutsche Zeitung, 16. Juli 2023.
(43) Ebenda. Auch der SPD-Haushälter Andreas Schwarz, der zusätzlich auch stellvertretendes Mitglied im Verteidigungsausschuss ist, sprang Pistorius zur Seite:
„Wir sind eine internationale Verpflichtung eingegangen, und die müssen wir einhalten. (…) Ich bin zuversichtlich, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel in den Jahren 2024 und 2025 auch mithilfe des Sondervermögens erreichen werden. Für die folgenden Jahre muss die Finanzierung aber über den regulären Verteidigungsetat gesichert sein“
(Brössler, Daniel/Krüger, Paul-Anton: „Mit Tricks zum Zwei-Prozent-Ziel?“, Süddeutsche Zeitung, 23. August 2023).
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