In jedem Jahr findet in einem kleinen südfranzösischen Dorf, in dem es eigentlich nichts weiter gibt als einen Kirchturm, einen Briefkasten und zwei Bushaltestellen, ein besonderes Ereignis statt: Die kreativen und kunstschaffenden Dorfbewohner öffnen ein Wochenende lang ihre Häuser, Werkstätten und Ateliers. Es gibt Schönes und Skurriles, Gespräche und Vorführungen, Tee und Rotwein.
Damit die Besucher ihren Weg finden, werden rote Kieselsteine von Haustür zu Haustür gelegt. So kommen auf unkomplizierte Weise und mit wenig Aufwand die Menschen zusammen. Sie werden neugierig aufeinander und lernen sich kennen und schätzen. Wie von selbst weben sich Verbindungen und Freundschaften von Haus zu Haus. Mit jedem Jahr wird das Netz der Teilnehmenden dichter und die Zahl der Besucher größer (1).
Aus diesem Ereignis heraus entstand die Idee, die Steine und Kiesel, die wir bei jedem Spaziergang zu unseren Füssen finden, gelegentlich aufzusammeln. Nicht, um sie in Fensterscheiben oder auf andere zu werfen, sondern um sie zu gestalten. Ob in leuchtendem Rot, wie bei der Kunstaktion der „Galets Rouges“, oder in einer anderen Farbe — die Idee ist, die Steine mit einem Wort zu beschriften: Freundschaft. Frieden. Harmonie. Verbindung. Freude. Anerkennung. Vertrauen. Offenheit. Hoffnung. Schönheit. Stille. Licht. Zärtlichkeit. Dankbarkeit. Liebe. Glück.
Diese Botschaften sagen: Hier wohnt jemand, der seine Tür öffnet. Vor allem aber möchten sie reisen. Sie möchten dort abgelegt werden, wo Missstimmung und Zwietracht herrschen, Verzweiflung, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Sie möchten zeigen: Hier ist jemand vorbeigegangen, der die Spaltung überwinden und die Menschen zusammenbringen will. Jemand, der es ernst meint damit, um sich herum Frieden zu stiften. Jemand, der in die Welt hinaus ruft: Hier bin ich!
Ich lasse mich nicht verkaufen und verheizen. Ich lasse mir nicht einreden, dass das Leben keinen anderen Sinn hat als den, zu konsumieren und sich gegenseitig abzuhängen und niederzudrücken. Ich glaube nicht daran, keine Wahl zu haben. Ich entscheide mich für die Hoffnung und nähre das Vertrauen, dass ein friedliches Zusammenleben alles Lebendigen möglich ist. Nicht irgendwann. Jetzt. Darum setze ich mit diesem Stein ein Zeichen.
Konzentrische Wellen
Wer diese besonderen Steine in die Welt hinausträgt, der ist sich seiner Macht bewusst. Er weiß, dass er mit jedem Gedanken, jedem Wort, jeder Geste das Ganze mitgestaltet, dem er angehört. Ihm ist bewusst, zu welcher Größe er in der Lage ist und wie weit das Licht, das er anzündet, leuchten kann. Er wird von der Gewissheit getragen, dass er nicht alleine ist, dass wir viele sind, die an dem Netz der friedlichen Verbindungen mitwirken.
Es webt sich von Tür zu Tür, von Ort zu Ort, von Herz zu Herz. Wie ein Stein, der auf die Wasseroberfläche trifft: Nichts kann die Wellen, die sich um ihn herum bilden, aufhalten. Nichts kann sie unterbrechen, als unsere eigene Gleichgültigkeit und Verschlossenheit. Nichts ist einfacher als einen Stein aufzusammeln, ihn mit seiner Botschaft des Friedens zu versehen und ihn dort abzulegen, wo er gebraucht wird. Und nichts ist stärker als ein Wort der Liebe. Wie die Flamme einer einzigen Kerze hat sie die Macht, Licht in die dunkelsten Räume zu tragen. Nichts kann der Botschaft der Liebe widerstehen. Alles Dunkle muss sich letztlich in ihrem allumfassenden Strahlen auflösen.
Ans Werk! Stifte, Farben und Ideen heraus! Wie bunte Friedensbrigaden wollen die Steine ausziehen, wie stille Wächter sich diskret, doch gut sichtbar dort platzieren, wo sie gebraucht werden, um zu sagen: Wir sind da. Du bist nicht alleine. Hab‘ Vertrauen. Mach mit.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Mehr Inspirationen, wie Menschen in Südfrankreich gemeinsam gestalten, erfinden, feiern, essen und genießen in „Und freitags kommt der Austernwagen“, Bod 2019. Hier geht es ausnahmsweise einmal nur um leichte Kost — abgesehen von einigen der Rezepte, die das Erzählte begleiten.
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