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Applaus ohne Hände

Applaus ohne Hände

Wer jetzt richtig Kohle machen will, der investiert in Applaussimulations-Applikationen: Die haben nämlich Hand und Fuß. Anders als die, die diese App brauchen werden. Eine ziemlich tragische Glosse.

Deutschland: Arm dran — und Arm ab

Ein Blick auf die verschiedenen Deutschländer nach großen Kriegen der jüngeren Geschichte lohnt allemal, um sich die vermeintlich goldene Zukunft des aktuell heraufdämmernden Deutschlands vorzustellen. An allen großstädtischen Ecken standen nach dem Ersten Weltkrieg Männer herum, die auf Hilfe angewiesen waren, Veteranen, denen es an Armen oder Beinen mangelte; besonders schlimm traf es etliche, denen der Kiefer weggesprengt, die halbe Gesichtshälfte abgerissen war. Wieder andere, die aber eher selten in irgendwelchen Winkeln einer Großstadt um eine milde Gabe bettelten, sondern in einer Verwahranstalt für psychisch in Mitleidenschaft gezogene Patienten ihr Dasein fristen mussten, litten unter starkem Dauertremor und verweilten in einem Zustand permanenter Angespanntheit.

Die Fronterfahrung war ihnen tief in die Knochen gekrochen und sollte sie auch nicht mehr loslassen. Manche trugen den Verlust ihrer Menschlichkeit in die neue Bewegung, die aus München stammend über das Land kam. Andere wurden zu Pflegefällen und zum Studienobjekt gelehriger Nervenärzte. Dass deren Kinder und Enkel im Zweiten Weltkrieg dann auch unter Drogeneinfluss nach Frankreich aufbrachen, war wohl eine der Lehren aus dem ersten Weltenbrand: Norman Ohler berichtet in seinem Buch beredt über die Drogenpolitik der Wehrmacht. Pervitin lautete die Zauberformel, eine Substanz, die der ähnlich ist, die wir heute Crystal Meth nennen. Dennoch kamen nach dem Krieg natürlich Männer zurück in ihre Heimat, die Stümpfe aufwiesen, wo andere Arme oder Beine hatten. Manche hatten auch gigantische Wasserköpfe — als Folge der Mangelernährung der Kriegsgefangenschaft.

Die Heimgekehrten sprachen wenig von ihren Erlebnissen. Sie stürzten sich in ein kleinbürgerliches Leben, bauten die Bundesrepublik auf — tranken häufig aber auch übermäßig Hochprozentiges und neigten im familiären Umfeld zuweilen zu Gewaltausbrüchen.

Deutschland hatte im 20. Jahrhundert viele Phasen, in denen der Arm ab und in denen es arm dran war.

Und als hätten diese Bilder auf Deutschlands Straßen noch nicht jedem gereicht, schickt sich das Land in diesem Augenblick an, abermals das Straßenbild mit der „kreativen Individualität“ auszustatten, die dem Krieg und seinen Material- und Menschenschlachten gemein ist — und die aus der menschlichen Kreatur einen hilfebedürftigen Zellhaufen formen, dem es an einem gesunden Körper fehlt.

Klatschen nach dem Kriege

Aber auch nach dem Krieg wird man hin und wieder nochmal klatschen wollen. Wenn zum Beispiel im Öffentlich-Rechtlichen darüber schwadroniert wird, warum der Waffengang richtig und konsequent war — und dass die Folgen zwar hart, aber notwendig seien. Irgendwer muss doch dann applaudieren, schon alleine, damit die dort sitzenden Aufwiegler sich wohlfühlen und sich akzeptiert wissen; sie wollen doch auch nur Liebe und Anerkennung. Der Applaus in diesen Studios simuliert aber überdies die Wagenburg, eine Gesellschaft, die sich dem Burgfrieden unterworfen hat — klatschende Hände bei Illner oder Maischberger sollen zum Ausdruck bringen, dass das ganze Land hinter den Weisheiten der Kiesewetters und Strack-Zimmermanns steht.

Wie aber klatschen in einem Land, in dem es weniger Menschen mit den notwendigen Körpergliedern gibt, die es unbedingt braucht, um das bekannte Geräusch allgemeiner Beipflichtung entstehen zu lassen? Wer ein bisschen auf Draht ist, der investiert jetzt schon in Unternehmen, die Applikationen produzieren, die allerlei Geräusche simulieren können: eben auch den tosenden Beifall oder besser gesagt, das Klatschen einer einzelnen Person. Sich auf diese technische Weise begeistert kundtun zu können, das wird Hand und Fuß haben — anders jene, die so einen Dienst brauchen.

Man entschuldige den Zynismus, der aus diesen Zeilen fließt, aber sonst ist es kaum noch zu ertragen, wie die veröffentlichte Meinung in Deutschland mit Menschenleben umgeht. Genauer: mit Menschenleben vor allem junger Männer und auch Frauen, die im Falle einer Eskalation des Ukrainekriegs — die ja noch immer droht, diesmal von europäischer Seite — ihr Leben zum Einsatz bringen müssen. Diese jungen Leute sitzen teilweise in den schon genannten Fernsehstudios und spenden Beifall, als ginge sie das, was in dem dort Gesagten mitschwingt, rein gar nichts an. Entschuldigen Sie nach dem Zynismus nun bitte auch gleich die folgende Offenheit:

Diese Beifallspender tun alles dafür, um selbst zum Krüppel zu werden. Ist das dem blinden Glauben an die Qualität von Titanium-Prothesen geschuldet?

Mit einem Bein im Leben stehen

Wie weit denken diese Leute denn? Den Krieg werden sie nie wieder aus sich herausbekommen. Wer einmal neben seinem verreckenden Kameraden im Schlamm liegt, der vergisst nicht dessen flehentlichen Schreie und den Moment, in dem man bei sich so dachte, dass es vielleicht gut sei, den Kameraden zu erlösen, damit dessen Gebrüll endlich aufhört, endlich ein Ende findet, endlich verstummt. Dazu der stete Geruch des Blutes, der Gestank nach menschlichen Ausscheidungen. Felder voller Leichen, abgerissene Glieder — Arme und Hände, die nie wieder den Kiesewetters und Hofreiters Applaus spenden können. Die Toten werden später als Soldaten erinnert, die den Heldentod fanden. Dabei einigt man sich darauf, ihr jämmerliches Verrecken nicht zu plastisch zu zeichnen, denn heldisch stirbt in so einem Szenario keiner.

Die, die zurückkommen, stehen bestenfalls mit einem Bein im Leben — für manche ist das physisch gemeint. Psychisch trifft es fast alle. Die Veteranen treibt das schlechte Gewissen an. Warum haben sie überlebt? Verstärkt werden diese Zweifel durch den Umstand, dass die Toten Helden sind, die Zurückgekommenen aber oftmals als reine Bürde betrachtet werden. Denen spendet keiner Beifall, sie werden vergessen, vom öffentlichen Diskurs ausgeblendet. Man schämt sich ihrer — sie sind der Makel, der die Kriegsrhetorik zu unterwandern droht. Wer solche sieht, könnte unangenehme Fragen zum Sinn kriegerischer Auseinandersetzung stellen.

Wie lange wird es noch dauern, bis die üblichen Feldherren auf den Stühlen deutscher Talkshowformate beginnen werden, von der Schönheit von Bein- und Armstümpfen zu schwärmen?

Sie zu fetischisieren, zu einer Auszeichnung zu erklären, zu einem Must-have in Zeiten, da Haltung sichtbar gemacht werden soll?

Wir stehen als Gesellschaft erst am Beginn eines Zeitalters schlimmster Menschenverachtung. Was da noch möglich sein wird, hat die Geschichte schon mal gezeigt. Die Erinnerungskultur sollte die schlimmsten Exzesse für alle Zeit unmöglich machen. Aber sie ist gescheitert. Die deutsche Gesellschaft hat die Erinnerungskultur nicht gepflegt, sondern sie sich nur vorgemacht. Jetzt wird sie mehr und mehr dazu bereit, wieder die Jugend des ganzen Landes zu opfern — und sie beklatscht das. Friedrich Merz sagte unlängst im ZDF, dass die Zeiten des Paradieses vorbei seien. Was er aber eigentlich meinte, war wohl, dass wir mit ihm geradewegs in die Hölle hinabsteigen.


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