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Tyrannische Mimosen

Tyrannische Mimosen

Die strafrechtliche Verfolgung eines Mannes, der Robert Habeck als Schwachkopf bezeichnete, ist nicht nur kleinlich und kleinkariert: Sie ist kleinbürgerlich geprägt.

Hier natürlich als „Mundgeruch der Berliner Blase“: Er drängt sich uns mit dieser Geschichte um den Rentner auf, der es wagte, den Wirtschaftsminister mit einer solch ehrrührigen Bezeichnung zu belegen. Es stinkt was im Lande — mehr als aus dem Mund. Dieses Land ist im Griff einer Funktionärskaste, die es geschafft hat, lächerliche Angriffe auf ihre Person zu einem Akt gegen den Staat zu verkaufen. Erst rechtfertigte die zuständige Staatsanwaltschaft die Hausdurchsuchung mit der Beleidigung — dann mit Volksverhetzung. Schade, dass es Majestätsbeleidigung nicht mehr gibt. Und was hätte man eigentlich mit dem Rentner angestellt, wenn es kein „Schwachkopf“, wenn es ein „Arschloch“ gewesen wäre? Wäre er dann in Festungshaft gegangen? Oder Standrecht?

Herrschende kann man gar nicht beleidigen

Aushalten können: Das ist die Qualität, die man haben muss, wenn man an die Öffentlichkeit strebt. Vor vielen Jahren hat das der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den Jungspunden Thomas Gottschalk und Günther Jauch erklärt: Keiner zwang ihn, Parteivorsitzender, keine zwang ihn Bundeskanzler zu werden — also müsse er es aushalten. In der Rückschau wirkt dieser in seiner Amtszeit ständig als provinziell verschriene Kanzler wie ein staatsmännischer Koloss — und neben denen, die heute Politik schauspielern, ist das nicht nur Einbildung, sondern Tatsache: Von Helmut Kohl kann heute mancher etwas lernen.

Der kleinliche Habeck allen voran: Keiner zwang ihn Wirtschaftsminister zu werden – also hätte er manches auszuhalten. Stattdessen bemüht er regelmäßig die Behörden, wie man liest.

Natürlich winden die sich. Erst teilte die Staatsanwaltschaft mit, man habe das Heim des Mannes durchsucht, weil der Minister beleidigt wurde — einen Tag später schob man nach, dass es außerdem um Volksverhetzung ginge. Er hätte auch etwas Antisemitisches in die Welt — das heißt in X — gesetzt. Schon im Frühjahr dieses Jahres soll er ein Bild gepostet haben, auf dem ein SA-Mann mit einem Plakat zu sehen gewesen sei. Darauf zu lesen: „Deutsche kauft nicht bei Juden“. Und er selbst kommentierte das Bild so: „Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!“ So berichtete es die Tagesschau. Lässt sich an diesem Bericht eigentlich die antisemitische Verfehlung festmachen? Ist dies wirklich Befürwortung der SA und des Judenboykotts? Oder könnte das nicht auch so verstanden werden, dass er diese vermeintlich wahren Demokraten von einst, die jüdische Geschäfte boykottierten, gar nicht wolle — man habe ja gewissermaßen schon gesehen, wo solche wahren Demokraten uns hinführten.

Man weiß es nicht — beides ist möglich. Und solange man es nicht genauer sagen kann, sollte man mit Vorsicht darüber sprechen und berichten. Außerdem hat der Vorfall nun wirklich nichts mit Schwachkopfgate zu tun. Denn so oder so: Eine Hausdurchsuchung wegen Beleidigung ist und bleibt auch dann nicht nachvollziehbar, wenn man einen weiteren Tatbestand hinzufügt, der schon Monate her ist. Daher zurück zum eigentlichen Thema: Armin Laschet zeigte indes, dass er eher auf den Spuren Kohls wandelt — die Herrschenden als „Idioten, Schwachköpfe und Deppen“ zu bezeichnen: Das dürfe man in der Demokratie. In Diktaturen allerdings nicht. Hat dieser Robert Habeck etwa Qualitäten, die ihn für ein anderes Staatswesen qualifizieren? Sind seine kleinbürgerlichen Affekte demokratietauglich — oder sind sie nicht etwa ergiebiger in einer Staatsform und Denkschule, die sich das Thema der Ordnung mit einer gewissen Pedanterie und hart am Polizeiruf widmet?

Der Mundgeruch des Spießers

Spontan denkt man da an jene Gestalten, die am Fensterbrett hängen und Falschparker aufschreiben — in modernisierter Form fahren sie durch die Gassen und weisen sich als Anzeigenhauptmeister aus. Kleinkarierte Ordnungsbesessene, denen es nicht um das eigene Recht geht — ihr persönlicher Parkplatz ist ja nicht besetzt —, sondern um die bloße Einhaltung der Regeln um der Regeln willen. Dieses Milieu hat man bis vor einiger Zeit noch das Kleinbürgertum genannt — ursprünglich war damit die Unterschicht des Bürgertums gemeint. Im Laufe der Zeit verstand man darunter auch das sogenannte Spießbürgertum — also eine Gesellschaftsschicht, bei der es für bürgerliche Saturiertheit nicht mehr reichte, die sich aber auch nicht dem Proletariat zugehörig fühlte.

Zwischen den Klassen steckend, so könnte man mutmaßen, entwickelte sich eine Verbitterung, die in Kleinlichkeit mündete und die in der bürgerlichen Gesetzes- und Regeltreue offenbar ein Ventil fand, sich dennoch über jene zu erheben, die sie als gesellschaftlich schwächer erachten.

Das kleinbürgerliche Milieu kultivierte insofern etwas Philisterhaftes. Gesellschaftlich oben nicht andocken zu können, gleichzeitig nach unten um Abgrenzung bemüht sein: Der Kleinbürger sucht nach Identität — den bürgerlichen Kulturkanon kann er sich nicht leisten, die proletarische Subkultur ist ihm zuwider. Eine zentrale Frage bestimmt sein Leben: Wer bin ich? Und diese Frage ist es, die ihn verbittern lässt, die ihn antreibt zur Kleinkariertheit, immer verfolgt von zwei Movens: Sich dem wirklichen Bürgertum beweisen wollen und sich von denen da unten, früher „das Proletariat“ genannt, abzugrenzen.

An dieser Stelle könnte man der Frage nachgehen, ob der große Erfolg der Identitätspolitik nicht auch damit zu begründen ist, dass das Kleinbürgertum grundsätzlich auf einer ewigen Suche ist und sich während dieser Suche hier anbiedert und dort eher absondert. Träfe das zu, so könnte man die woke Schicht, die Grünen insgesamt, als kleinbürgerliches Milieu bezeichnen. Vieles spricht dafür, dass man es bei Leuten wie Habeck mit klassischen Vertretern des Kleinbürgertums zu tun hat. Insofern erklärt sich die Kleinlichkeit, mit der er Zwischenrufe wie jenen, wonach er ein Schwachkopf sei, mit Akribie ahndet und verfolgt. Der Ruf nach der Polizei, nach Ordnungskräften, die die Aufgeräumtheit wieder herstellen sollen: Das ist ein durch und durch kleinbürgerlicher Reflex.

Der Stoff, aus dem die Nazis waren

Und immer auch der Ansatzpunkt für eine totalitäre Politik. Für viele Historiker ist zum Beispiel der schnelle Erfolg der NSDAP mit dem Kleinbürgertum zu begründen: Es war die Basis für den Aufstieg, suchte Ordnung und Stabilität und die nationalsozialistische Partei versprach dies. Der Historiker Richard J. Evans schrieb gar, dass das Kleinbürgertum „das Rückgrat der nationalsozialistischen Bewegung“ war. Die historische Aufarbeitung von Joachim Fest betont immer wieder, wie stark akzentuiert die nationalsozialistische Bewegung von kleinbürgerlichen — und damit auch spießbürgerlichen — Vorstellungen war. Fest:

„Für den Nationalsozialismus war die Anknüpfung an die kleinbürgerliche Tradition von grundlegender Bedeutung.“

Der britische Historiker Ian Kershaw sieht im Kleinbürgertum „eine der tragenden Säulen der nationalsozialistischen Bewegung”. Für Golo Mann waren die Kleinbürger das „Fundament der Bewegung“. Ähnliches konnte man auch bei Detlev Peukert lesen. Es scheint ganz deutlich: Der kleinbürgerliche Elan, die Verhältnisse in ordentliche Bahnen zu lenken — und zwar zuallererst vor der eigenen Haustür —, hat den damaligen Faschismus begünstigt und radikaler werden lassen, als es diese Ideologie in anderen europäischen Ländern jemals war. Der deutsche Kleinbürger setzt darauf, dass Recht geschieht und ihm Gerechtigkeit: Auch wenn der Preis dafür lautet, die Welt untergehen zu lassen — fiat iustitia et pereat mundus, würde man als Lateiner sagen.

So gesehen ist die Forcierung des Ukrainekrieges durch die deutschen Grünen auch als ein kleinbürgerlicher Krieg zu betrachten: Er nährt sich durch den kleinkarierten Moralismus, dem auf internationaler Bühne ansonsten keine Bedeutung zu verleihen wäre und auch dem Konzept der Diplomatie entgegensteht.

Aber auch im Inneren spielt diese Haltung, die eigenen Rechtsvorstellungen auch dann aufrechtzuerhalten, wenn sich abzeichnet, damit mehr Schaden als Nutzen zu erzeugen, eine wichtige Rolle. Man denke nur an die Wärmepumpenpolitik: Und wenn das Land dabei zugrunde gegangen wäre, man hätte es umgesetzt, wäre da kein gesellschaftlicher und später auch politischer Widerstand gewesen. Nicht viel anders bei Schwachkopfgate: Mit seiner Anzeige hat Habeck großen Schaden angerichtet und vielen im Lande den letzten Rest Zugewandtheit zu staatlichen Behörden genommen.

Aber das spielt keine Rolle: Er will, dass alles seine Ordnung hat — weil Regeln nun mal Regeln, Gesetze nun mal Gesetze sind. Steigt der Kleinbürger vom Privatmenschen zum Politiker auf, dann sind Regeln nicht nur Regeln, sondern Regeln sind nur Regeln, wenn er sie erschaffen und in Gesetze gegossen hat:

Endlich ist er wer, kann selbst Ordnung schaffen — oder das, was er für Ordnung hält. Dann schafft es die Kleinkariertheit endlich über das Fensterbrett, von dem aus man Falschparker sichtet, hinaus.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Spießbürger an die Macht“ bei Overton.


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