Ich möchte noch einmal auf die frühkindliche Traumatisierung zurückkommen, die unzählige Menschen betrifft, ohne dass ihnen das auch nur ansatzweise bewusst ist, und im Erwachsenenleben fatale persönliche und gesellschaftliche Folgen haben kann. Wenden wir uns noch einmal unseren Eltern oder uns selbst als Säugling und Kleinkind zu: Wir sind in jeder Lebensphase zu 100 Prozent von anderen Menschen abhängig. Unser übersensibles Nervensystem, das leider in vielen Fällen nicht adäquat koreguliert wird — beginnt schon im jüngsten Alter, permanent übertrieben nach Sicherheit im Außen zu suchen.
Diese Sicherheit wird manchmal gewährt, in vielen Situationen wahrscheinlich aber nicht. In der weiteren Entwicklung sind die Eltern weiterhin die wichtigsten Bindungspersonen, von deren Zuneigung und Liebe das kleine Wesen ganz und gar abhängig ist. Mit der Zeit ist es aber mehr und mehr in der Lage, seinen Verstand einzusetzen, um sich die Welt zu erklären.
Natürlich nur in einem sehr beschränkten Rahmen — und dies führt nun zu einer weiteren, überaus prägenden Entwicklung: Sobald das Kleinkind versteht, was die Erwachsenen sagen, wird es dies interpretieren — und zwar mit einer ganz bestimmten Färbung. Werten seine Eltern es — meist unbewusst — verbal ab zum Beispiel durch Aussagen wie „Das Dir aber auch immer sowas Dummes passieren muss“, „Es macht Mami wütend, wenn Du so herumschreist“, wird es dies immer zu 100 Prozent auf sich als Person beziehen. Also wird es die Sätze dahingehend interpretieren, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist, dass es als Mensch nicht „gut“ ist.
In diesem frühen Alter ist das kleine Wesen verstandesmäßig nicht in der Lage, zu reflektieren, dass Vater oder Mutter nur seine Aktion kritisieren beziehungsweise dass sie hier nicht als empathischer, mitfühlender Erwachsener reagiert haben. Ich kann es nicht oft genug betonen — wir sind zutiefst soziale, bindungsorientierte Wesen — und diese Orientierung ist besonders in unserer Kindheit überlebenswichtig.
Was das kleine Kind aus den Erfahrungen mit seinen Bindungspersonen und seiner Interpretation dieser Erfahrungen für sein späteres Erwachsensein mitnimmt, kann sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen: zum einen die grundlegende Erkenntnis, dass es so, wie es ist, nicht „in Ordnung“, nicht „gut“ ist.
Ein Kind, das gerne wild tobt und laut ist, muss erfahren, dass es seine Eltern damit nervt und dass „man das nicht tut“. Ein sensibles Kind, das schnell weint, wird vielleicht als „Heulsuse“ tituliert, weil seine Eltern unbewusst durch seine Empfindsamkeit getriggert werden.
Sobald es also in der Lage ist, sein Verhalten zu reflektieren, wird es aus seinem immensen Bedürfnis nach Bindung und Sicherheit versuchen, sich so zu verhalten, wie es vermeintlich von ihm erwartet wird. Und es beginnt ein Prozess der Verleugnung eigener Anteile, die die Bindungspersonen offensichtlich negativ bewerten und deren Ausleben aus Sicht des Kindes die Bindung gefährden könnten.
Des Weiteren ist das Kind permanent auf der Suche nach Sicherheit im Außen — sein frühkindlich geprägtes Nervensystem, das in einer idealen Welt durch empathische Begleitung von außen mehr und mehr in die Lage versetzt würde, sich selber zu regulieren, lernt dies leider fast nie. Beispielsweise ist es nicht hilfreich, einem Kind, das sich vor einem großen, auf ihn zulaufenden Hund fürchtet, zu sagen, es brauche keine Angst zu haben, denn dies suggeriert dem Kind, dass mit seinem Empfinden etwas nicht in Ordnung ist. Besser wäre es, das Kind in den Arm zu nehmen, ihm zu sagen, dass es vollkommen in Ordnung ist, Angst zu haben — und ihm dann zu erklären, woran es erkennen kann, dass der Hund ihm freundlich gesinnt ist.
Das Kind verinnerlicht in seiner weiteren Entwicklung also immer mehr Glaubenssätze, die wie innere Leitplanken dienen und ihm helfen, sich der Zuneigung seiner Bindungspersonen sicher zu sein. Das Fatale ist nun, dass sich dies bis in das Erwachsenenleben hineinziehen kann — die meisten von uns sind durch die geschilderten Umstände nie in die Lage versetzt worden, sich adäquat selber zu regulieren, also Ängste, Verzweiflung, Einsamkeit, Wut et cetera auszuhalten und angemessen zu verarbeiten.
Wir suchen permanent Sicherheit im Außen — und unsere Glaubenssätze sind eine dieser „Krücken“: „Ich darf keine Fehler machen“, „Was wird.... dazu sagen?“, „Ich muss mich mehr anstrengen“. Uns fehlt — ohne, dass wir uns dessen bewusst sind — die innere Reife und es liegt nun an uns, „nachzureifen“, wie es Raymond Unger so treffend bezeichnet. Gehen wir als unreife Individuen durch die Welt, kann dies die Politik wunderbar missbrauchen.
Aus meiner Sicht werden wir bewusst in einem unreifen Bewusstseinszustand gehalten, das heißt unsere permanente kindhafte Suche nach Sicherheit im Außen und nach „Erwachsenen“ in unserem Umfeld wird ausgenutzt.
Also lassen wir uns sagen, was wir zu tun haben und uns „helfen“: „Mutti Merkel“, „Vater Staat“, „die Experten“ oder wie es auf einem SPD-Kommunalwahlkampf-Plakat stand „Wir sind da, wenn Familie uns braucht“. Wir lassen es zu, dass man uns wie Kinder behandelt.
Wem ist schon einmal die heutzutage omnipräsente Infantilisierung aufgefallen? Wir werden überall geduzt, man bietet uns für jedes Thema plumpe Erklärbildchen an und Videos in Kindersprache et cetera. Die Politik verwendet schwarze Pädagogik — also Strafe, Kontrolle, Demütigung, Einschüchterung und Gewalt — und die Bürger akzeptieren dies zu großen Teilen anstandslos. Wir kennen alle die Slogans der PR-Industrie: „Das ist alternativlos“, „die Maßnahmen dürfen niemals hinterfragt werden“. Aus den letzten Jahren gibt es hierfür unzählige Beispiele.
Die fehlende Selbstregulation, also die Fähigkeit, sehr belastende Gefühle auszuhalten und zu transformieren, und das permanente Suchen nach Bindung, um die eigene Sicherheit zu garantieren, führt dazu, dass eine Hypermoralisierung der Gesellschaft als eine Art Ersatzreligion leichtes Spiel hat: Fast jeder verinnerlicht wie damals als Kind simple Glaubenssätze, die nicht hinterfragt werden dürfen, da sie „von oben“ kommen, von Politik, Experten ... Zudem hätte deren Missachtung fatale Folgen hätte, wie den Ausstoß aus der Gemeinschaft, Spott, Häme, Schuldzuweisungen et cetera. Zudem läuft man Gefahr, als Klimaleugner, dem künftige Generationen egal wären, oder als unsolidarischer Impfverweigerer verunglimpft zu werden.
Aus meiner Sicht greifen diese Methoden nicht bei Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes erwachsen geworden sind — und ich möchte hier nochmals ausdrücklich betonen, dass es mir ganz wichtig ist, dies nicht als Abwertung unserer kindlichen Anteile zu sehen, vielmehr sogar als deren Unterstützung und Stärkung.
Erkennen wir mehr und mehr, welche unserer Anteile wir seit langer, langer Zeit unterdrücken und verleugnen, wenden wir uns unseren negativen Gefühlen empathisch zu und werden wir erwachsen — und damit unregierbar und resistent gegen Manipulation! Aus meiner Sicht besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Unwissenheit über Vorgänge, die in unserem Inneren wirken und uns unbewusst beeinflussen und dem Nicht-Erkennen finsterer Dinge in Politik und Gesellschaft:
So, wie die Menschen nicht sehen können oder wollen, wie sie unaufgearbeitete Traumatisierungen, übernommene Glaubenssätze und das Verleugnen ihres wahren Ichs mit sich herumtragen, so wenig wollen oder können sie sich dem Gedanken öffnen, dass es Menschen mit viel Macht gibt, die sie skrupellos missbrauchen und ihnen ohne zu zögern aus sehr niederen Beweggründen schweren Schaden zufügen. Das zu erkennen wäre viel zu schmerzhaft.
Je mehr wir wagen, uns unserem Inneren zuzuwenden, umso mehr Kraft gewinnen wir, auch im Außen stark zu sein. Der Weg zur inneren Freiheit geht über Bewusstsein, also über die Erkenntnis, was das Problem ist. Der zweite Aspekt ist Selbstregulation, also Wege zu erlernen, unser dysreguliertes Nervensystem zu regulieren und der dritte Aspekt ist die Aufarbeitung dessen, was uns möglicherweise in der Kindheit für unser Leben geprägt hat. Seien wir mutig — für inneren Frieden und eine friedlichere Welt!
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