Jedem von uns dürfte die Begrifflichkeit der sogenannten ,,sozial Schwachen“ schon einmal begegnet sein. Regelmäßig kann man sie in den Medien lesen und hören, seien es staatliche oder private.
Auf den ersten Blick mutet diese Begrifflichkeit noch recht harmlos an. Man könnte sie einfach nur als eine kleine weitere Blüte der Politischen Korrektheit ansehen, die sich in einem positiven Sinne um Rücksichtnahme bemüht. In einem negativen allerdings um euphemistische Verschleierung gesellschaftlicher Realitäten.
Wer also die Anstrengung unternimmt, sich diese Wortkombination und die Kontexte, innerhalb derer sie verwendet wird, genauer anzuschauen, den wird Erschreckendes erwarten.
Frau von Garrel fasste es jüngst zum Beispiel als ein Synonym für ,,wenig gemeinschaftsdienlich bzw. -förderlich“ auf. Dieses an sich richtige Verständnis des Begriffes "sozial schwach" wird von den Massenmedien bedenkenlos auf die Armen und Bedürftigen übertragen und noch weiter zugespitzt, die somit einer enormen Verachtung preisgegeben werden.
Auf subtilste Weise wird an dieser Stelle eine (künstliche) "Verklammerung" von zwei Sachverhalten hergestellt, nämlich dass Armut und Asozialität zwingendermaßen zusammengehören würden.
Zur Armut passt das Asoziale wie bekanntlich die Faust aufs Auge. Die ökonomische Lage wird also an charakterliche Defizite gekoppelt. Oder einfacher gesagt: Wer arm ist, der muss demgemäß einfach ein (Voll-)Proll sein.
Dass eine derartige Konzeptualisierung bei Lichte betrachtet recht naiv erscheint, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung. Gerade im ach so ,,christlichen Abendland“ hätte es hingegen schon etwas sehr Komisches, wenn man sich mit dieser Einstellung im Kopfe die christliche Heilsfigur ,,Jesus“ ansähe, einen bettelarmen Menschen, der dem christlichen Glauben nach das Wenige, was er besaß, auch noch in brüderlichster und solidarischster Weise mit seinen Freunden und Leidensgenossen teilte.
Ja, der sogar seinen Feinden und Mördern vergeben haben soll.
Und auch, wenn man mir einwenden mag, dass es Jesus doch gar nicht gegeben hätte, so finden sich doch mehr als genug ähnliche Beispiele des edlen Armen. Not kann nicht nur entzweien, sondern auch umso enger zusammenschweißen, eine Hoffnung, die uns Mut und Kraft geben kann und sollte.
Aber die große Frage ist natürlich: Was ist das Ziel des Ganzen? Es ist bekannt, dass es Denkfabriken gibt, die große Arbeit auf dem Gebiet der (Sprach-)Manipulation leisten. Unter anderem produzieren sie neue Begriffe, die gegenwärtige verdrängen sollen, die zu direkt und vor allem unmissverständlich sind. Aber nicht nur das: Es werden ebenfalls bereits bestehende umgedeutet, verdreht und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Motivation dahinter ist meines Erachtens keineswegs so etwas wie eine ,,humanistische Sprachpflege“ – wie sie die Fruchtbringer ihrerzeit zu betreiben pflegten – sondern eher deren genaues Gegenteil: sozialdarwinistische Sprachverdrehung.
Eine normalerweise nicht verneinbare gesellschaftliche Tatsache soll umgedreht werden: Eigentlich sind die Reichen und Besitzenden die sprichwörtlichen Asozialen, da sich die meisten an der Finanzierung des (Sozial-)Staates in keiner erwähnenswerten Weise beteiligen. Im Gegenteil, oft weigern sie sich sogar vehement, angemessene Beiträge zum Gemeinwesen zu leisten.
Ihr Geld dümpelt stattdessen in Hedge-Fonds, Aktien und sonstigen ,,Finanzprodukten“ vollkommen sinnbefreit und ungenutzt herum. Mit anderen Worten: Sie sind dem Wortsinne nach die tatsächlichen sozial Schwachen, denn obwohl sie locker in der Lage wären, mithilfe ihrer Vermögen der Gemeinschaft dienlich zu sein und sie zu fördern, enthalten sie sie derselben vor.
Von daher gilt die Devise, die Volker Pispers und Hagen Rether sinngemäß einmal so formulierten:
Die, die den Sozialstaat zertrümmerten und jene, die sich ihrer moralischen und solidarischen Beitragspflicht zum Gemeinwesen entzögen, die seien die wahrhaftigen ,,sozial Schwachen“, die wahren Asozialen!
Manfred Kühling, Jahrgang 1995, ist streitbar und Student der Germanistik und Philosophie. Seit jeher genießt er die Provokation, gerne auch mit einer gehörigen Menge Sarkasmus und Ironie – was nicht zuletzt dem sozialen ,,Stall“ zu verdanken sein dürfte, aus dem er ursprünglich stammt: der Hartz-IV-Unterschicht. Er gehört zur Gruppe der sogenannten ,,Bildungsaufsteiger“, wobei er sich selbst keineswegs so sieht. Trotz Bildung und Anstrengungen dümpelt er wie unzählige andere in gleichbleibenden wirtschaftlich prekären Verhältnissen dahin. Euphemismen und Verschleierungen gesellschaftlicher Realitäten sind ihm ein großer Dorn im Auge. Sein erklärtes Ziel: die Bekämpfung des neoliberalen Neusprechs, insbesondere dessen sozialdarwinistischen Flügels.
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