Bundesregierungssprecher Steffen Seibert ist sehr entspannt, als er im Pressesaal seinen Platz am langen Rednerpult vor der blauen Wand im Hintergrund einnimmt. Er habe soeben erfahren, dass unser Journalismus-Kollege Herr Jung heute nicht anwesend sei und dies nehme einiges an Druck weg, wie er gleich zu Beginn der Konferenz offenlegt. Da meldet sich auch schon einer unserer Kollegen zwei Stühle neben uns:
„Herr Seibert, auch wenn ich im Vorfeld bereits vermute, dass sie dem nichts hinzuzufügen haben, möchte ich Sie dennoch fragen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Beschluss über die Einführung der Impflicht und der zurückliegenden Lobbytätigkeit des Gesundheitsministers Spahn bei Politas gibt?“
Seiberts Wangen werden wieder rot. Er blickt verlegen auf sein Pult, weicht den Blicken der Journalisten aus und blickt flüchtig nach links und nach rechts.
„Dem liegen mir keine Informationen zugrunde.“
Ein Kollege direkt neben uns hebt die Hand.
„Herr Seibert, wenn man sich auf der Democracy App ansieht, wie die Bürgerinnen und Bürger abgestimmt haben, lässt sich doch eine gewisse Diskrepanz erkennen. Hat die Bundesregierung keinerlei Bedenken, dass diese Pflicht nicht mit dem Willen des Volkes vereinbar ist?“
Seibert holt tief Luft.
„Ich werde mich zu etwaigen Inhalten dieser dubiosen App nicht weiter äußern und verweise auf mein Statement zu russischen Trollaktivitäten, die unsere Demokratie gefährden. Die nächste Frage bitte.“
Wir sind dran.
„Herr Seibert, vor einer Woche haben wir in Deutschland den 30. Jahrestag des Mauerfalls zelebriert. Dabei ist dem aufmerksamen Beobachter nicht entgangen, dass die DDR rückblickend immer sehr kritisch betrachtet und als Unrechtsregime dargestellt wird. Wie kommt es dann dazu, dass sich die Bundesregierung dazu entschließt, ausgerechnet eine strenge, die körperliche Unversehrtheit betreffende Pflicht aus eben diesem Regime einzuführen?“
Seibert: „Nun, wie Sie sicherlich wissen, ist es nicht das erste Mal, dass wir etwas aus der DDR adaptieren. Denken Sie nur an den Grünpfeil an westdeutschen Ampeln, welchen wir aus der DDR übernommen haben.“
Wir fallen ihm ins Wort: „Herr Seibert, Sie weichen schon wieder vom Thema ab!“
Seibert: „Nein! Ganz und gar nicht. Ich bin Ihnen zutiefst dankbar, dass Sie mir den Grünpfeil als perfekte Überleitung zugeworfen haben. Die Einführung der Impfpflicht war lediglich der Anfang einer ganzen Welle von Maßnahmen, die unser Land sicherer machen sollen. Dazu haben wir uns ganz genau angesehen, woran die Deutschen eigentlich hauptsächlich sterben und festgestellt, dass die tödliche Erkrankung durch Masern lächerlich gering ist. Das letzte Kind, welches an Masern verstorben ist, wurde 2015 registriert. Seither sind mehr als dreihundertmal so viele deutsche Bürger zwischen 0 und 15 Jahren allein im Straßenverkehr verstorben. Das steht in gar keinem Verhältnis und deswegen wird es jetzt nach einigem Hin und Her endlich ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen geben.“
Sicherheit für alles und jeden!
Nach und nach schießen die Hände in die Höhe. Alle merken, dass nun innerhalb der Bundesregierung ein neuer Wind weht.
„Die Bundesregierung wird sich nun auch die Gefahren zur Brust nehmen, bei welchen sie in der Vergangenheit zu nachlässig war beziehungsweise die Alleingänge der CSU toleriert hat“, so Seibert weiter. „Ich spreche hier von der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung durch CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmid. Ich weiß! Ich weiß! Das ist eigentlich keine Sache der Bundesregierung, sondern eine Entscheidung auf EU-Ebene, aber das nehmen wir ja in anderen Bereichen ebenfalls nicht so genau. Was die Bundesregierung dazu bewogen hat, Glyphosat von nun an zu verbieten, sind die Zahlen aus den USA. Dort gibt es bei knapp 330 Millionen Einwohnern über 42.000 Klagen gegen den Bayer-Konzern aufgrund der krebserregenden Wirkung dieses Unkrautvernichters. Auf die deutsche Bevölkerung umgerechnet wären das in etwa knapp 11.000 Klagen. Dagegen sind die Masernerkrankungen Peanuts! Und wissen Sie, wo Glyphosat noch enthalten ist?“
Seibert holt unter dem Tisch einen Flachmann hervor und nimmt einen tiefen Schluck. Erstauntes Raunen geht durch den Saal.
„Ganz genau. Im (hicks) ... Alkohol. Genauer gesagt im Bier. Mit oder ohne Glyphosat hat Alkohol eine verheerende Wirkung. Nicht nur auf die eine oder andere SPD-Politikerin, sondern auch auf die Gesundheit unserer Bürger. Jährlich sterben in unserem Land 74.000 Menschen durch Alkoholkonsum!“
Er nimmt nochmals einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann.
„74.000 Bürgerinnen und Bürger! Hicks. Und wir reden über eine notwendige Impfpflicht! Sie entschuldigen bitte, dass ich so frei bin, nun hier öffentlich und vor der Kamera zu trinken. Ich ertrage mein eigenes Gestammel nicht, welches ich hier immerzu zum Besten geben muss, um ja nicht mit dem heißen Brei in Berührung zu kommen. Aber nun kann ich mich outen, denn die Bundesregierung wird von nun an, statt Milliarden in die tödliche Aufrüstung zu investieren, diese Gelder lieber in die Prävention von Alkoholsucht stecken. Ein Angebot, welches auch ich in Anspruch nehmen werde.“
Die anwesenden Journalisten applaudieren begeistert. Seibert nimmt einen weiteren Schluck und hebt den Flachmann kurz an, um auf die Meute anzustoßen. Er fährt – schon leicht lallend – fort:
„Von nun an werden wir uns vor dem Hintergrund der Zahlen über die Alkoholtoten auch nicht scheuen, auf Konfrontationskurs mit der CSU zu gehen. Wir werden das Münchner Oktoberfest als das benennen, was es ist – der größte Drogenumschlagplatz Deutschlands! Größer als der Frankfurter Bahnhof oder der Görlitzer Park. Wir werden ein Alkoholverbot einführen, wie es selbst die New Yorker in den 20er Jahren nicht kannten!“
Eine revolutionstrunkene Stimmung hat den Pressesaal erfüllt. Wir entschließen uns, das ganze live ins Netz zu streamen ... doch die Internetverbindung ist – in Berlin Mitte – zu schwach. Da kommt uns ein Gedanke.
„Herr Seibert!“ rufen wir dazwischen.
„Jaah, bitte?“ Er setzt gerade den Flachmann mit einer hektischen Handbewegung ab, und ein großer Klecks Whisky tropft auf seinen weißen Hemdkragen.
„Was ist eigentlich mit 5G?“ fragen wir ihn über die tosende Menge hinweg.
„Scheiße Mann! Weg damit!“ Er lockert die Krawatte unter seinem Hemdkragen mit einer feierlichen Gestik.
„Es wäre natürlich sehr unverantwortlich, diese Technik auf unsere Bevölkerung loszulassen, wenn die Unschädlichkeit noch nicht bewiesen ist, aber einiges dafürspricht. Die Deutschen haben sich eh schon daran gewöhnt, weltweit das langsamste Internet zu haben.“
Völlig geflasht verlassen wir die Bundespressekonferenz. Wir kommen an den 19 – nicht 20 – Stelen vorbei, an denen je ein Artikel des Grundgesetzes eingraviert ist. Gerade als wir daran vorbeigehen, wird von der Polizei die zweite Stele – genau wie die Stele mit Artikel 20 des Grundgesetzes – mit Artikel 2 des Grundgesetzes entfernt. Dort steht in Absatz 2 geschrieben:
„Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung/?id=636
(2) https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/134/1913452.pdf
(3) https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/masern-im-osten-ein-fast-gewonnener-kampf-13452275.html
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