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Teuflisch gut

Teuflisch gut

Nur wenn wir uns selbst nicht mehr für die Guten halten und die Gegenseite für die Bösen, kann es Frieden geben.

Saddam Hussein, Manuel Noriega, Baschar-al-Assad, Osama bin Laden, Muammar al-Gaddafi, Hugo Chávez, Wladimir Putin, Donald Trump — wir wissen ganz genau, wo sich das Böse auf der Welt gerade verkörpert. Nur ein Krieg noch. Nur noch einmal Zähne zeigen, dann sind die Bösen überwunden und die Guten an der Macht. Dann hat man über die Unmenschen gesiegt, die Psychopathen und Monster, die die Welt bedrohen. Ganze Völker werden vernichtet, um sie sozusagen vor sich selbst zu schützen. Kollateralschäden sind egal. Frieden hat eben einen hohen Preis.

Die Guten, das sind die, die sich die Regenbogenflagge an den Balkon hängen und die aktuelle Klimapolitik unterstützen, die für möglichst viele Ausländer sind, für Dragqueens in Kindergärten und für Transfrauen auch in geschützten Frauenräumen. Die Bösen sind diejenigen, die nicht bereit sind, für den befohlenen Anstand zu zahlen, die Putinversteher und Trumpsympathisanten — vor allem aber die, die Zweifel daran äußern, dass die Bösen genau dort zu finden sind, wohin der offizielle Finger zeigt.

Alles Gute kommt nicht von oben

Vor allem die vergangenen Jahre haben offenbart, wie schnell Menschen bereit sind, die zu hassen, die sie hassen sollen. Es sind dieselben, die auf Befehl Juden verfolgt haben und in den 1960er Jahren im Milgram-Experiment bereit waren, andere mit Stromstößen zu quälen und sogar zu töten, weil es ihnen von oben befohlen wurde. Sich selbst hielten sie dabei für Wohltäter. Sie taten, was eine von ihnen anerkannte Autorität ihnen vorschrieb.

In einer hierarchisch aufgebauten Gesellschaft hat derjenige recht, der ganz oben steht. Wer es bis dahin geschafft hat, ist der Beste. Hätte er es sonst so weit gebracht?

Nur der Stärkste gewinnt im Dschungel des Lebens. So stehen sich die, die sich bis vor Kurzem noch die Hand reichten, in einem von oben orchestrierten Scheidungskrieg gegenüber, bei dem die einen das Böse bei den Zweiflern, Schwurblern und Gefährdern der Demokratie verorten, und die anderen bei der Elite der Superreichen.

Auch umgekehrt: Die Guten, das sind die, die sich nicht von den Politikern und Leitmedien manipulieren lassen, und die Bösen die, die den Leitmedien noch vertrauen und sich manipulieren lassen. Die Guten sind die, die das System durchschaut haben, und die Bösen die, die noch in diesem System arbeiten. Welcher Blase wir auch angehören: Wer so denkt, sitzt denselben Mechanismen auf wie diejenigen, die er verurteilt.

Die Würde des Menschen ist antastbar

Hinter denen, die Böses tun, so schreibt der amerikanische Philosoph Charles Eisenstein, stehen in der Vorstellung der meisten Menschen die, die böse sind. Umgekehrt gelten die als gut, die Gutes tun (1). Tat und Täter werden gemeinhin miteinander gleichgesetzt. Oft wird hierbei nicht nur die Tat als unmenschlich erklärt, sondern gleich der ganze Mensch. Die Unmenschen kann man dann behandeln, wie man will. Sie sind ja keine Menschen.

Mit dieser Einstellung sind wir in einer Welt gelandet, in der uns nichts mehr heilig ist. Bedenkenlos werden Menschen getötet und ganze Landstriche zerbombt, wenn die, die dort leben, zu den Bösen gehören. Selbst das Leben von Kindern ist nichts wert, wenn sie am falschen Ort geboren wurden und es um die gute Sache geht.

Dahinter steht die Vorstellung, dass wir nur das eine oder nur das andere sein können. Wir sind entweder gut oder böse, entweder geizig oder knauserig, entweder liebevoll oder aggressiv. Die einen werden idealisiert und die anderen verteufelt. Entsprechend verstehen wir die Welt nicht mehr, wenn bei einem von den Guten am Ende herauskommt, dass er ein Vergewaltiger war, ein Betrüger, ein gemeiner Rassist.

Gestürzte Ikonen

Im vergangenen Sommer wurde Frankreich durch die Enthüllung erschüttert, dass der für seine Taten hochgeachtete 2007 verstorbene Abbé Pierre systematisch und von seiner Kirche geschützt sexuellen Missbrauch an Kindern und Frauen betrieben hat. Auch der tibetische Lama und spirituelle Meister Sogyal Rinpoche, Autor des Buches „Das tibetische Buch vom Leben und Sterben“, hat Machtmissbrauch betrieben.

Mahatma Gandhi soll vergewaltigte Frauen nicht als Menschen angesehen und seine Frau als sanftmütige dumme Kuh bezeichnet haben. Mutter Teresa soll Gelder veruntreut und Kranken und Sterbenden in ihren Häusern Hilfe verweigert haben. Mancher spirituelle oder politische Führer war keineswegs so lauter, wie er dargestellt wurde.

Angesichts derartiger Enthüllungen verlieren viele das Vertrauen in ihresgleichen. Während es bei den Bösen ganz einfach ist — sie sind immer böse — sind wir bei den vermeintlich Guten schwer enttäuscht, wenn sie nicht immer gut sind. Der Mensch ist eben von Grund auf schlecht. Soll er doch so schnell wie möglich wieder von der Erdoberfläche verschwinden.

Die Waffen niederlegen

Es gibt noch eine andere Möglichkeit, als im Selbstmitleid zu versinken. Eine Krebserkrankung hat mich dazu gebracht, fundamental in Frage zu stellen, was als gut und als böse bezeichnet wird. Krebszellen werden gemeinhin als „bösartig“ bezeichnet. Wie Monster fressen sie sich durch unseren Körper und breiten sich in uns aus. Hinterhältig überfallen sie uns und bedrohen unser Leben.

Ich wurde Zeugin, dass Krebs tödlich sein kann. Doch bösartig ist die Krankheit nicht. Wie könnten Körperzellen böse sein? In der Natur gibt es kein Gut und kein Böse. Wir Menschen sind es, die die Dinge so bezeichnen. Die Geschichten von den bösen Körperzellen, das habe ich während meiner Erkrankung so erlebt, sind darauf ausgerichtet, den Menschen genug Angst zu machen, dass sie die — sehr lukrativen — Behandlungsmethoden über sich ergehen lassen (2).

Wie in den Schauermärchen vom bösen Wolf stehen — ganz in Weiß — Heerscharen von Experten dem Krebs gegenüber. Doch anders als im Märchen stirbt nur allzu oft der Patient. In Deutschland ist Krebs neben Herz-Kreislauferkrankungen die Todesursache Nummer eins. Ganz offensichtlich funktionieren die Behandlungen nicht so, wie die Forschung weiszumachen versucht. Dennoch werden weiterhin die ganz harten Waffen ins Feld geführt und die vergiftenden und schwer schädigenden Medikamente gegen den bösen Krebs verabreicht.

Während der Behandlung wurde für mich klar, dass chemische Giftstoffe und radioaktive Strahlung keine heilsame Wirkung auf meinen Körper haben. Für eine Zeitlang ist der Krebs vielleicht „besiegt“. Es wird so scharf geschossen, dass erst einmal keine Krebszellen nachzuweisen sind. Doch um dauerhaft zu heilen, braucht es etwas anderes als den Griff in die Munitionskiste.

Wohl jeder, der einmal krank war, hat erfahren, dass vor allem Ruhe und Entspannung nötig sind, um wieder gesund zu werden. Stress und Angst wirken sich schädlich auf den Genesungsprozess aus und sind das Letzte, was einem kranken Menschen guttut. Was heile werden soll, braucht keine Angst vor dem Bösen und keine Hoffnung, dass die Guten gewinnen.

Heilung braucht keinen Krieg, sondern Vertrauen, Zuversicht, Wärme, Frieden und Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, welche Lebenssituation, welche Haltung, welche Art von Mangel die Krankheit ausgelöst haben können.

Auf die Probe gestellt

Wenn wir individuell und gesellschaftlich heilen wollen, müssen wir die Konstrukte von Gut und Böse überwinden, die uns immer wieder zu Kriegen verführen, die vor allem uns selber schaden. Der eigentliche Grund für den Unfrieden in der Welt besteht in unserer Art, die Dinge zu interpretieren. Wir sind in ein Paradies hineingeboren worden und haben es selbst zur Hölle gemacht. Diese Hölle gibt es nicht wirklich. Sie verschwindet, wenn wir damit aufhören, alles in sie hineinzuwerfen, was wir nicht sehen wollen.

In der Hölle schmoren die Teile von uns, die wir nicht anerkennen, das, was wir, um von uns selber abzulenken, als „böse“ bezeichnen. Es ist unsere Weigerung, das Gute und das Schlechte in uns zu akzeptieren, die uns aus dem Paradies vertrieben hat. Sie hat uns zu Lügnern gemacht, zu Scheinheiligen — und letztlich zu Kriegsherren, die das einstige Paradies in Schutt und Asche legen.

Wenn wir ehrlich sind, dann wissen wir, dass wir auch böse sein können. Jeder von uns kann das. Ich spreche nicht von Notwehr oder davon, dass wir einen anderen Menschen töten könnten, wenn er unser Leben bedroht. Ich spreche von den kleinen Teufeln in uns, die uns neidisch machen, niederträchtig, argwöhnisch, rachsüchtig, geizig und hart. Mit glühenden Zangen stellen sie uns immer wieder auf die Probe: Na, wie verhältst du dich jetzt?

Wer hier wegschaut, der wird zum Spielball seiner niedrigsten Eigenschaften. Nur wer anerkennt, dass er auch das sein kann, was er nicht sein will, hat die Wahl. Er kann sich entscheiden, wie er sich verhält. Ich kann jetzt kleinlich sein. Doch ich wähle meine Fähigkeit zur Großzügigkeit. So kommt der freie Wille zum Ausdruck, der uns so oft ausgeredet wurde, um uns zu willfährigen Untertanen zu machen, die bereit sind, den dunkelsten Absichten zu folgen und sich dabei einzubilden, sie ständen auf der richtigen Seite.

Integrieren statt ausstoßen

Stellen wir uns eine Welt vor, in der wir die Dualität zwischen „gut“ und „böse“ mit anderen Adjektiven zum Ausdruck bringen. Die Frage ist dabei nicht, wie die anderen sich verhalten, sondern wie wir es tun. Wie geben wir uns? Nachtragend oder verzeihend, verschlossen oder offenherzig, aggressiv oder liebevoll? Die wichtigste Frage, die wir uns in dieser Welt im Wandel zu stellen haben, ist diese: Was wähle ich?

Es hängt von uns ab, ob wir weiterhin das Monster füttern, das anderen die Schuld in die Schuhe schiebt, oder ob wir Verantwortung für unsere Fehler übernehmen. Das Schlimme ist nicht, dass wir Fehler machen. Das Schlimme ist, dass wir auf ihnen beharren und versuchen, sie zu vertuschen, indem wir sie auf andere projizieren und diese zu Teufeln machen.

Wenn wir Frieden wollen, müssen wir etwas ändern. Menschen machen Fehler. Fehler kann man korrigieren. In Kulturen, die wir als „primitiv“ bezeichnen, werden Menschen, die anderen Schaden zugefügt haben, nicht beschämt, beschuldigt oder ausgestoßen. Sie werden in die Mitte der Gemeinschaft genommen. Hier sagen die anderen, was sie an ihm schätzen. Anstatt das Schlechte zu bestrafen, wird das Gute gestärkt.

Solche Menschen brauchen keinen Hitler, der auf den Plan tritt, niemanden, auf den sie das Böse projizieren. Der nach innen gerichtete Mensch entzieht dem Bösen die Leinwand und gibt ihm keine Gelegenheit, sich im Außen zu manifestieren. Ihm müssen die eigenen Schattenseiten nicht ständig vor Augen geführt werden. Er hat sie integriert. Er hat verstanden, dass es das Gute und das Böse eigentlich nicht gibt. Es gibt nur Unbewusstes, was uns noch nicht bewusst geworden ist und darauf wartet, verwandelt zu werden.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) https://charleseisenstein.substack.com/p/more-naivete-please
(2) Kerstin Chavent: Die Waffen niederlegen, Scorpio 2019

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