System Of A Down ist eine durch und durch US-amerikanische Band. Obwohl alle Mitglieder armenische Wurzeln haben und teilweise woanders geboren wurden, sind sie in der US-amerikanischen Gesellschaft aufgewachsen, haben sich aber einen kritischen Blick auf diese bewahren können. Das verarbeiteten sie in ihrer Musik, als deren Höhepunkt wohl das fulminante Doppelalbum „Mezmerize/Hypnotiz“ betrachtet werden kann, das bereits 2005 veröffentlicht wurde und dem erst 2020 wieder zwei Lieder folgten.
In diesem Doppelalbum zeichnet die Band ein Bild der US-amerikanischen Gesellschaft in der Ära Bush und verdeutlicht dabei etwas, das die deutsche Friedensbewegung bis heute nicht verstanden hat: Krieg passiert nicht einfach durch fehlerhafte Entscheidungen von Politikern — er ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Dabei setzt schon das Eröffnungslied von Mezmerize den Ton, „B.Y.O.B“, was für „Bring Your Own Bomb“ steht — eine Anlehnung an die Aufforderung „Bring Your Own Chair“ ist, die bei US-amerikanischen Open-Air-Events den Zuschauern empfiehlt, ihren eigenen Stuhl mitzubringen.
Krieg wird hier als Event dargestellt, als große Party, welche von hypnotisierten Massen besucht wird und der Einfädelung neuer Geschäfte dient. Zudem Barbarei, die von Frauen mit hohen Absätzen begangen wird, also der High Society mit ihrer Geschäftemacherei. Mit Heuchelei und Hypnose werden die Massen in Bewegung gesetzt.
Hauptsache, die Getäuschten glauben, nicht in einer faschistischen Nation zu leben, während gleichzeitig die Freiheit stirbt und die Menschen für überflüssig erklärt werden. All das kulminiert in der berechtigten Frage: Warum ziehen nicht Präsidenten in den Krieg, warum schicken sie immer nur die Armen? Das Musikvideo untermalt die Botschaft, indem eine gleichförmige Masse schwarz gekleideter Menschen durch die Straße zieht, ihre Köpfe in Helmen, die ein Display statt eines Gesichts zeigen. In diesen erscheinen Worte wie „Gehorche“, „Kaufe“ oder „Gott“ und geben damit die Ideologie der kapitalistisch beherrschten Gesellschaft wieder. Im Hintergrund wehen Flaggen, die ein Zeichen tragen, das sehr an das Symbol der NATO erinnert, rot angeleuchtet aber auch eine Assoziation an die Hakenkreuzflagge des Nationalsozialismus weckt.
Dieser grandiosen Eröffnung folgt eine detailliertere Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, die Krieg hervorbringt. „Revenga“ spielt mit der Vorstellung des „Auge um Auge“ und bringt damit den innergesellschaftlichen Kampf auf den Punkt. Seine Fortsetzung findet er in dem folgenden Song „Cigaro“, in welchem die fortwährende Konkurrenz innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft durch Zeilen wie „Mein Schwanz ist viel größer als deiner“ oder „Meine Scheiße stinkt viel besser als deine“ auf die Spitze getrieben wird.
„Radio/Video“ und „Violent Pornography“ gehen auf die Bedeutung der Medien ein, die zur Sedierung der Bevölkerung eingesetzt werden und damit die Aufmerksamkeit auf Belanglosigkeiten richten oder aber ein Bedürfnis nach Gewalt erwecken und bedienen, gleichzeitig aber auch Gehirnwäsche betreiben. Zwischen Medienkonsum und Gewalt ist noch Raum für Drogenrausch, der zu vollkommener Entfremdung und einer extremen Selbstüberhöhung führt, bildhaft auf den Punkt gebracht mit „Cocaine Makes Me Feel Like I’m On This Song“.
Hin und wieder stellt sich trotz allem die Frage nach dem Tod, die aber verdrängt wird mit der Beschwichtigung „Alles ist in Ordnung“. „Question!“ heißt das Lied, das sich in einer Pseudotiefe mit philosophischen Dingen auseinanderzusetzen vorgibt, letztendlich aber nichts als sinnentleerte Fragen stellt. Hier wird auf die Religion als Weltflucht verwiesen, mit der man sich weltlichen Problemen entzieht. Das Jenseits als Heilsversprecher lenkt davon ab, sich mit dem Diesseits zu beschäftigen. Dann lieber wieder mit der US-amerikanischen Lieblingssportart beschäftigen, Baseball, wie in „Old School Hollywood“ beschrieben. Der Sinn dieser Sportart erschließt sich aber selbst dem Protagonisten nicht. Sie wird vielmehr als Zeitverschwendung erlebt.
„Sad Statue“ fasst den Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft hervorragend zusammen.
Die Freiheitsstatue, Symbol der USA als Vorreiter für die Freiheit auf der Welt, geht als traurige Figur in die Geschichte ein, zusammen mit einer zurückgelassenen Generation, die zwar nicht einverstanden ist, aber machtlos, sich den herrschenden Zuständen entgegenzustellen.
Gleichzeitig werden die einlullenden Rechtfertigungen der herrschenden Klasse ins Absurde überzogen. Vergebung als ultimatives Opfer, denn die Eloquenz gehört immer dem Eroberer. Am Ende folgt noch eine Abrechnung mit Hollywood, dem Traum vieler Menschen weltweit. „Lost in Hollywood“ singt von einer oberflächlichen, falschen Gesellschaft, die Menschen absorbiert, sie zu eigenen Zwecken ausschlachtet und sie dabei vollkommen verändert.
Arroganz, Zynismus und Überheblichkeit herrschen hier; doch die immer wieder ausgesprochene Warnung „You should have never gone to Hollywood“ wird ignoriert, für das Versprechen auf Ruhm, bis es schließlich zu spät ist. „You should have never trusted Hollywood“ schließt das Lied und meint dabei auch den elitären, prätentiösen Teil der USA, der nach außen vermarktet und als das Gesicht dieses Landes dargestellt wird.
Dem ersten Teil des Doppelalbums folgt „Hypnotize“ als zweiter Teil. Wie schon auf der ersten Platte wird die zweite eröffnet mit harten Gitarrenklängen und setzt thematisch die erste fort. Diesmal mit „Attack“ aus der Sicht einer Gruppe von Menschen, die sich der Missstände bewusst ist. Die Menschen wissen um die Kriege, die in Übersee geführt werden (The bombing of all homes and villages), um eine Gesellschaft, die Geschäft und Profit über die Menschen und die Natur stellt (Racing your flags along polluted coasts) und gleichzeitig die eigene Gemeinschaft durch technischen Fortschritt sediert (The cold insincerity of steel machines have consumed our euphoria).
Diese Themen werden auch immer und immer wieder diskutiert (Books illustrate what we already know), und schüren Unzufriedenheit. Alle hoffen auf den Tag, an dem sich etwas verändert (Dreaming of the day that we attack your fetal servitute), doch es bleibt bei einem vagen Traum (We shall attack).
Doch auch in „Dreaming“ bleibt es beim Traum. Dreaming of screaming, also vom Schreien träumen in einer Welt, die Krieg, Privatisierung und Vertreibung erlebt. „We are the prophetic generation of bottled water“, während Menschenrechte der Spekulation und dem Profit unterworfen werden. Dann mit „Hypnotize“ erneut der Verweis auf die mediale Propaganda (Mezmerized the simple minded, propaganda leaves just blinded). Medial hypnotisiert interessieren sich die Menschen nicht für das, was passiert, warum beispielsweise die Menschen am Tiananmen Square waren. Sie kümmern sich nur um ihr eigenes Leben (I’m just sitting in my car and waiting for my girl).
Auf diese Weise dem Nihilismus verfallen, beschäftigen sie sich nur mit ihrem kurzfristigen Vergnügen und den alltäglichen Geschehnissen einer sinnentleerten Massengesellschaft (Crack pipes, needles PCP and fast cars), und glauben an keinen höheren Sinn mehr, an keinen Bezug zu höheren Sphären (When I die, I die). „Stealing Society“ bringt es ganz gut auf den Punkt. Von einer Gesellschaft, die von gemeinsamen Werten zusammengehalten wird, ist nichts mehr zu sehen.
Wohin geht eine solche Gesellschaft? Das fragen System Of A Down in „Tentative“. Auf jeden Fall bergab; eine Welt im Zerfall (We are rotting). Eine Welt, in der Zeremonien die Religion getötet haben, die Menschen sich komfortabel hinter Masken zurückziehen und im Stillen doch alle verängstigt sind, bietet niemanden, der Rettung bringt (No one’s gonna save us).
So wird die herrschende Elite vollkommen entfesselt und kann schalten und walten, wie sie will, und am Ende stellt sich für die meisten nur noch eine Frage: „Where do you expect us to go when the bombs fall?“
Mit „Holy Mountains“ erfolgt ein kleiner Abstecher über Raum und Zeit. Das Lied behandelt den Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich, der in eine Zeit fiel, als der größte Teil der Welt mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt war. Mit den „Heiligen Bergen“ ist das armenische Hochland gemeint, dessen wichtigster Berg, der Ararat, heute auf dem Gebiet der Türkei liegt. Dabei werden gleichzeitig die Ungerechtigkeiten und Heucheleien von Krieg angeprangert und Krieg als Mittel, politische Streitigkeiten zu lösen, angegriffen. Stattdessen wird an die Freiheit appelliert.
Nach einer weiteren Reise durch eine sexualisierte und unselbstständige Gesellschaft, die Frauen zu Objekten degradiert oder in der Männer sich von Frauen abhängig machen, sie wie eine Droge brauchen und ihnen zur absoluten Selbstaufgabe alles zu Füßen legen, endet das Album mit dem Klagelied eines Soldaten (Soldier side). Willkommen auf der Seite der Soldaten, wo niemand außer mir ist. Junge Menschen stehen am Rande ihres eigenen Grabes und warten auf einen Erlöser, der niemals kommen wird. Denn auch Soldaten sind meist Opfer; sie werden in den Krieg geschickt für Ziele, die nicht die ihren sind. Und zu Hause trauert die Familie um ihre Kinder, die im Krieg ihr Leben lassen, und Gott trauert mit ihnen (God is wearing black).
So zeichnet das Doppelalbum „Mezmerize/Hypnotize“ ein größeres Bild, als es die alleinige Fokussierung auf Politiker, die Kriege beschließen, täte. Kriege, so wird deutlich, entstehen aus einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Und in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der Geschäftsinteressen über allem stehen, Heuchelei und Lügen regieren, entstehen Kriege notwendigerweise.
Denn auch die Menschen sind abgelenkt von Propaganda, sediert vor den Fernsehgeräten, abgelenkt mit billiger Unterhaltung, die lediglich die niedersten Triebe bedient. Gleichzeitig befinden sie sich in einem Kampf aller gegen aller, in einem beständigen Wettbewerb um Ansehen, Geld, Arbeitsplätze. Auf diese Weise können sie kaum über den Tellerrand der eigenen Existenz hinausblicken, sind auch durch den technischen Fortschritt ihres Lebensmutes beraubt. So stauen sich Frustration und Wut an, die sich aber nie gegen diejenigen entladen, die für diese Verhältnisse verantwortlich sind. Allenfalls wird von einer Revolution geträumt.
System Of A Down waren für Jugendliche in den frühen 2000ern eine echte Entdeckung. In einem vollkommen einzigartigen musikalischen Mix, der Metal mit ganz und gar außergewöhnlichen Stilen anreicherte, singen sie wie selbstverständlich von Propaganda, der Sedierung der Massen, dem Krieg und zeichnen damit ein Bild der USA in der Ära Bush.
Seitdem hat ihre Musik nichts an Aktualität verloren, haben sich die Zustände nur noch verschärft. Doch die gesamtgesellschaftliche Dimension von Krieg und Gewalt ist geblieben. Heute würde man sie wohl als Verschwörungstheoretiker bezeichnen, wenn sie sich nicht schon so früh mit ihren Botschaften etabliert hätten und als alte Größen der Rockmusik kaum angreifbar sind. Serj Tankian, der Frontmann der Band, hat in seiner Solokarriere dieselben Themen aufgegriffen und auch später immer wieder Bezug auf sie genommen.
So lohnt sich diese Musik auch heute noch, zeigt sie doch auf, wie grundlegend gestört die westlichen Gesellschaften sind und welche Ursachen für Gewalt sie in sich tragen. Will man also Krieg wirksam verhindern, muss man die Gesellschaft als Ganzes vollständig ändern. Das ist die Lektion, die man von System Of A Down lernen kann.
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