Es beginnt mit einem scheinbar selbstverständlichen, in Wirklichkeit jedoch bemerkenswerten Fakt: Die meisten Geburten finden noch immer in Krankenhäusern statt. Schwangerschaft jedoch ist keine Krankheit, sondern ein natürlicher Prozess, seit Jahrtausenden bewährt und in alter Zeit nie begleitet von Hightech-Medizin. Suggeriert man jedoch, dass eine „Krankheit“ vorliegt, so kann dies zu übereifrigen Versuchen führen, Probleme zu lösen, die durch die Pathologisierung des Geburtsprozesses erst entstanden sind.
Der Krankenhausbetrieb nämlich weist dieselben Merkmale auf, die uns schon während der Corona-Krise in Atem gehalten haben: Es regiert die Angst vor dem schlimmstmöglichen Szenario. Aus dieser Angst heraus werden Beteiligte einer rigiden Hierarchie unterworfen, die unter Berufung auf die „Sicherheit“ alle Fäden in der Hand hält. Schon in den Stunden der Geburt eines neuen Lebens also regiert in gewisser Weise der Tod, die Furcht vor ihm. Dies zeigt sich in Form vielfältiger Untersuchungen, durch das Anschließen der „Kranken“ an Apparaturen, durch herumwerkelndes, dominant auftretendes Personal.
Man darf bei der Bewertung „modernen“ Gebärens nicht vergessen, dass der heutige Medizinbetrieb in hohem Maße kommerzialisiert ist. Dies bedeutet: Vieles läuft überhastet ab, wird von einem wegen Unterbesetzung chronisch überforderten Personal abgewickelt, das nicht selten „Zeit sparen“ will. Selbst bei einer lebenswichtigen Angelegenheit wie der Geburt ist König Kommerz nicht entmachtet. Ein schneller „Durchlauf“ von Gebärenden, eine auf Abfertigung ausgerichtete perinatale Medizin schont das Krankenhausbudget.
Ebenso werden „Sonderleistungen“ wie der Kaiserschnitt eher inflationär durchgeführt und als kostenintensive Notoperationen mit der Krankenkasse abgerechnet. Für Frauen bleibt dann eine Narbe, Kindern fehlt die Erfahrung, sich aus eigener Kraft „ans Licht“ gekämpft zu haben, somit das Erlebnis von Selbstwirksamkeit.
Nicht selten erleiden Neugeborene auch ein Trauma, indem sie in den ersten Lebensstunden brüsk der Mutter entrissen und auf eine Beobachtungsstation gebracht werden, angeschlossen an Apparate, anstatt geborgen am Körper ihrer Mama zu liegen. Grund für die grausame Praxis sind oft „Sicherheitserwägungen“, wodurch es wieder die Angst ist, die das Zepter schwingt und das eigentlich Natürliche, menschlich Gebotene unmöglich macht.
Entmündigte Mütter
Nicht selten werden Gebärenden auch Körperhaltungen aufgedrängt, die nicht für sie selbst, jedoch für die professionellen Geburtshelfer bequem sind. Allzu oft werden Geburten derzeit „eingeleitet“, so als wolle man erreichen, dass Blumen schneller wachsen, indem man von oben an ihnen zieht. Dies kann, so berichten es Friederikes de Bruins Gesprächspartnerinnen, zu einer Kaskade von Problemen führen, die dann wiederum hektisch gelöst werden müssen. Schon durch das Ambiente in Krankenhäusern verliert die Gebärende einen Teil ihres Vertrauens in den Prozess. Nicht, was die werdende Mutter fühlt und intuitiv für richtig hält, bestimmt dann den weiteren Verlauf, sondern „Werte“, die auf einem Bildschirm angezeigt werden, oder Befehle eines Experten tun dies. Frauen werden nicht selten entmündigt und in einer Situation körperlicher Schwäche und mentalen Stresses herumkommandiert.
Krankenhäuser in Corona-Zeiten haben sogar weitere Eskalationsformen des betreuten Gebärens hervorgebracht. Begleitungs- und Besuchsverbote, Sicherheitshysterie, Testpflicht, Gesichter, die durch Masken verdeckt sind — selbst eine Maskenpflicht für Gebärende während des Geburtsvorgangs war an einigen Orten vorgeschrieben.
Auch wegen Corona haben in den letzten beiden Jahren Frauen verstärkt nach Möglichkeiten gesucht, zu Hause zu gebären. Sie fanden so einen geschützten Raum, der es ihnen ermöglichte, auf die Signale ihres Körpers statt auf Anweisungen von außen zu hören. Meist nur begleitet von einer Hebamme, von ihrem Partner und von guten Freundinnen, konnten sie selbst darüber entscheiden, was sich richtig anfühlte.
Die drei Mütter, die im Interview mit Friederike de Bruin über ihre Erfahrungen sprechen, berichten einhellig über ein Gefühl wohltuender Ruhe und Geborgenheit bei Hausgeburten. Was im Krankenhausbetrieb üblicherweise schon eine Krise auslöst, wird von Mutter, Vater und Hebamme oft sehr gelassen bewältigt — einer intuitiven Körperweisheit folgend. Wie in einem Fall, als nach dem bereits geborenen Köpfchen eines Babys der restliche Körper nicht sogleich folgen wollte.
Selbst sogenannte Risikoschwangerschaften sind, wenn man sich den negativen Suggestionen des Geburten-Business entzieht, vor allem eines: Schwangerschaften. Die bereits 45-jährige Renate empfand ihre Hausgeburt als eine durchweg schöne Erfahrung. Ihr Geheimnis: Sich gar nicht darum kümmern, dass ihr Alter eigentlich ein Problem sein müsste. „Ich habe den Anspruch, dieser Seele das Ankommen hier so gut wie möglich zu machen“, sagt sie — eigentlich ein Anliegen, das alle am Geburtsvorgang Beteiligten teilen müssten.
Die Angst vor dem Leben
Die Einhegung der Geburten durch maschinell gestützte Klinik-Routinen ist ein Symptom der generell vorherrschenden Angst vor dem Leben. Die Angst vor dem Tod ist natürlich auch stets präsent — beides gehört zusammen. Doch diese Grenzen des Lebens — Geburt und Tod — haben für den westlichen „Zivilisationsmenschen“ vielfach etwas Unheimliches. In diesen extremen Übergangssituationen droht Kontrollverlust, Tränen des Schmerzes und des Glücks können fließen, Schleim und Blut werden abgesondert, emotional sind Mutter und Kind in einem Ausnahmezustand.
Gleichzeitig mit den „lästigen“ körperlichen Begleiterscheinungen lässt der Vorgang der Geburt aber auch ein Geheimnis erahnen, demgegenüber die Ratio sich mitunter klein und unzulänglich fühlt.
Damit können Männer oft weniger gut umgehen als Frauen. Der Versuch dominanter männlicher Ärzte, den Geburtsvorgang zu regulieren, ist Ausdruck dieser Angst vor dem Unbekannten, für Männer nur bedingt Nachvollziehbaren. Friederike de Bruin, die als Doula, also als nicht-medizinische Geburtsbegleiterin, und Sterbebegleiterin gearbeitet hat und selbst Mutter ist, ist erkennbar kompetent, was diese Grenzzonen des Lebens betrifft, und führt das Gespräch dementsprechend sehr einfühlsam.
Schwanger ins Gefängnis?
Zwei der Interviewpartnerinnen, Selina Fullert und Eva Rosen, sind übrigens politische Aktivistinnen, die sich noch während ihrer Schwangerschaften intensiv gegen den allgegenwärtigen Corona-Terror engagiert haben. Sie taten dies gewiss auch im Interesse des neuen Lebens, das in ihnen heranwuchs. Warum ist das Thema „Politik“ hier erwähnenswert? Ist es beim Thema Schwangerschaft und Geburt nicht ganz gleich, welche Weltanschauung jemand hat? Nicht unbedingt. Beide Aktivistinnen bekamen rund um Geburt und Wochenbett Besuch von der Staatsgewalt, die sie ohne Rücksicht auf ihren Zustand wegen angeblicher politischer Verfehlungen drangsalierte.
Eine der beiden Frauen bedrohten die Einsatzkräfte sogar mit Gefängnis, sollte sie eine Strafe wegen einer Ordnungswidrigkeit nicht sofort bezahlen. Auf den Einwand der Schwangeren, man könne sie ja nicht kurz vor der Geburt verhaften, antworteten die Ordnungskräfte, es gebe auch im Gefängnis eine Geburtsstation. Die Kaltschnäuzigkeit und Brutalität mancher Staatsorgane macht offenbar vor nichts halt. Die Betroffene musste wegen der Verfolgung, die sie erlitt, kurzfristig auswandern — hochschwanger, wohlgemerkt, was eine entspannte Geburt sicher nicht leichter machte.
Die Priorität der Liebe
Auffällig ist bei alledem, dass politische und medizinische „Machthaber“ oftmals nicht nur die Bedürfnisse der erwachsenen Mütter, sondern auch die der Kinder ignorieren, die naturgemäß in einem sehr vulnerablen, auch psychisch sehr stark beeindruckbaren Zustand auf die Welt kommen. Kinder sollten vor allem in Liebe geboren werden. Der Arzt und Geburtshelfer Michel Odent schrieb:
„Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte bekommen die meisten Mütter ihr Baby, ohne dass ihr Körper Hormone der Liebe freisetzt. Damit steht die Zukunft unserer Zivilisation auf dem Spiel.“
Viele der „Werte“, die in der heutigen modernen Geburtsmedizin vorherrschen, sind der Liebe geradezu entgegengesetzt. Man denke nur an ökonomische Kriterien, Zeitdruck, straffe Hierarchien und das ausgeprägte Kontrollbedürfnis, das auch auf Bereiche übergreift, in denen sich sonst das Leben in seiner ungebändigten Kraft Bahn bricht.
Die schmerzlichen Erfahrungen der letzten Jahre sollten ein gesellschaftliches Umdenken einleiten. Dabei kann es nur eine sinnvolle Richtung geben. Das Gebären muss wieder stärker eine weibliche Angelegenheit werden. Aber leider hat auch in diesem Bereich das männlich-technische Paradigma seinen kontrollierenden Einfluss in einem Ausmaß geltend gemacht, den Frauen vielfach als entwürdigend oder sogar gewalttätig erleben. Wie so viele Lebensbereiche muss auch das Gebären wieder freier werden, natürlicher, ganz dem zugewandt, um das es eigentlich geht: der Liebe und dem Leben.
Friederike de Bruin im Gespräch mit Selina Fullert, Eva Rosen, Katrin Zwanzig et al.
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