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Mehr Liebe, bitte!

Mehr Liebe, bitte!

Ein liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen verändert die Welt.

Das blaue DDR-Fahrrad meiner Oma ist älter als ich und bestimmt ebenso schwer. Ich lege die Einkaufstasche in den Korb auf dem Gepäckträger, schiebe es aus dem Hausflur und radle los. Die ehemalige Kleinstadt in Südbrandenburg hat ihre Blütezeit hinter sich.

Ein paar der alten Plattenbauten stehen noch. So wie der meiner Oma. Viele andere haben sie abgerissen. Immer, wenn ich hier war, hatte ich bisher den Eindruck: Die Mauer steht noch. Zwar sind einige Blöcke abgerissen worden, doch der Ort blieb grau und wenig reizvoll – einmal abgesehen von den ausgedehnten Kiefernwäldern rundherum.

Dieses Mal entsteht in mir ein anderes Gefühl. Beim Vorbeiradeln auf dem Weg zum Supermarkt beobachte ich die Leute. Jugendliche und Familien harken Laub. Der Bürgermeister hatte zum Frühjahrsputz aufgerufen und die Beteiligung scheint groß. Andere Teenager hängen zusammen im Park ab – auf einem speziell für sie neu gemachten Platz. Sie hören Musik und lachen.

Überhaupt sehe ich mehr junge Leute als früher. Die kleinen, alten Gebäude der Innenstadt sind renoviert, ein paar Familien sind wie ich mit dem Fahrrad unterwegs.

Ich halte am Supermarkt und gehe hinein, um für meine Oma ein paar Besorgungen zu machen. Vor mir an der Kasse stehen zwei übergewichtige, ungepflegte Männer. Als erste Reaktion gehe ich auf Abstand. Sie sind so aufmerksam und machen Platz für meine Waren. Ich bedanke mich. Sie lachen fröhlich zurück: „Immer wieder gern.“ Ihre Art berührt mich.

Sie verwickeln die Kassiererin in ein kleines Gespräch und bringen auch sie zum Lachen. So ein liebevoller Umgang an einem Samstagmorgen mit riesig langen Schlangen an allen Kassen überrascht mich. Hatte ich doch gerade in letzter Zeit durch die Medien den Eindruck, wir ließen uns alle spalten und gegeneinander aufhetzen.

Beim Mittagessen erzählt meine Oma mir, dass die Flüchtlinge, die ursprünglich in einem leer stehenden Block gegenüber ihres Hauses untergebracht werden sollten, nun auf andere Blöcke verteilt wurden. Zuerst hatte sie etwas Angst vor den Fremden, doch jetzt berichtet sie, wie süß die Flüchtlingskinder sie im Park immer mit „Hallooo“ begrüßen, obwohl sie sie nicht kennen. Sie macht mehrmals nach, wie die Kleinen das „O“ in die Länge ziehen und lacht.

Irgendwann geht unser Gespräch auf ein anderes Thema über: die Unterschiede zwischen ihrer und meiner Generation.

Wo ist die Liebe?

Immer, wenn Oma von ihrem Leben erzählt, merke ich, dass da nicht viel Platz für Liebe war. Als Kriegskind ging es für sie und ihre Mutter ausschließlich ums Überleben. Eine ganze Generation von Menschen in Deutschland, die traumatisiert wurde. Für Zärtlichkeit war kein oder kaum Raum.

Die Eltern, oft nur die Mütter, erzogen ihre Kinder nach bestem Wissen. Pflicht, Ordnung und Fleiß standen an oberster Stelle, schließlich sollte es ihnen einmal besser gehen. Zärtlichkeit und Gefühle gehörten für viele von ihnen nicht zum Alltag.

Inzwischen leben wir im relativen Wohlstand. Das Land wurde seit 1945 wieder aufgebaut, doch unsere Gefühle brauchen anscheinend länger, um aufzutauen. Vielleicht ist es auch einfach die Aufgabe meiner Generation, sich dieses Aspektes anzunehmen?

Seit dem Zeitalter der Aufklärung lernten wir Menschen, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Seitdem hat er das Sagen und bestimmt unser Handeln. Das hat uns als Menschheit sehr weit gebracht. Die Medizin hat große Fortschritte gemacht, wir rasen mit Autos und düsen mit Flugzeugen durch die Welt, Bodenheizung und optimierte Matratzen schenken uns ein wohliges Heim und wir leben länger als unsere Eltern und Großeltern. In Supermarktregalen und Imbissbuden finden wir eine Fülle an Essen und Getränken, soweit das Auge reicht. Fischbrötchen und Waffeln hier, Bockwurst und Eisbecher da.

Und dennoch haben wir den Eindruck, wir blicken nur in trübe Gesichter. Lesen und hören ständig von Depressionen und Krankheiten. Deshalb überraschte mich die positive Stimmung an diesem sonst so „trist“ von mir empfundenen Ort. Hatte ich sie bisher übersehen?

Oder bahnt sich in den kleinen Situationen des Alltags ganz subtil und natürlich doch ein Wendepunkt an? Sehnen wir uns nicht alle nach mehr Liebe und Menschlichkeit? Und warum widme ich dem Thema einen Artikel? Vom netten Plausch im Supermarkt wird der übergewichtige oder kranke Mensch schließlich auch nicht glücklicher oder gar gesünder. Oder vielleicht doch?

Die heilsame Kraft der Liebe

Wir haben die Liebe unterschätzt. Bisher gilt dieses Thema als private Angelegenheit der Menschen, aber nicht der Gesellschaft, der Politik, dem Weltgeschehen oder der Gesundheit. Warum es sich lohnt, dies zu ändern, erklärt Marianne Williamson in ihrem Buch „Rückkehr zur Liebe“:

„In einer in den 70er-Jahren an der University of Ohio/USA durchgeführten Studie über Herzerkrankungen wurden Versuchskaninchen mit toxischen, cholesterinreichen Substanzen ernährt, womit eine Verstopfung ihrer Arterien erreicht werden sollte, wie sie durch eine vergleichbare Ernährung beim Menschen auftritt. Bei allen Versuchsgruppen gab es übereinstimmende Ergebnisse, mit einer Ausnahme: Eine Gruppe wies seltsamerweise sechzig Prozent weniger Krankheitssymptome auf. Nichts in der Physiologie dieser Kaninchen gab Aufschluss über ihre hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Giftfutter, und nur durch Zufall entdeckte man, dass der mit dem Füttern beauftragte Student die Tiere gern hochnahm und streichelte. Er hielt jedes Kaninchen vor dem Füttern ein paar Minuten lang liebevoll auf dem Arm und dies allein schien auszureichen, dass die Tiere mit dem Gift in ihrer Nahrung fertig wurden. Wiederholungen des Experiments, in denen je eine Gruppe neutral behandelt wurde, eine andere mit Zuwendung, erbrachten vergleichbare Ergebnisse. Auch hier lässt sich der Mechanismus, der solche Widerstandsfähigkeit hervorbringt, kaum durchschauen. Schließlich ist es doch verblüffend, dass die Natur in den Geist des Kaninchens eine Immunreaktion einprogrammiert hat, die von menschlicher Zärtlichkeit ausgelöst werden kann“ (1).

Wenn wir versuchen, die immensen Probleme der Menschheit in Angriff zu nehmen, suchen wir nach großen, abstrakten Lösungen. Doch Liebe und Zuneigung kann jeder von uns jeden Tag an seine Mitmenschen verschenken, so wie die beiden Männer im Supermarkt. Durch Scherze, durch Aufmerksamkeit, durch ein Lächeln, durch Umarmungen.

Zugang zur Liebe

Liebe lässt sich natürlich nicht erzwingen. Also ist die Frage: Wie können wir die Liebe in uns wecken? Die gute Nachricht ist, dass es ganz einfach ist, wenn wir nur den Willen dazu haben.

Die Tür zur Liebe ist die Dankbarkeit. Wenn wir uns mindestens einmal am Tag bewusst machen, wofür oder für wen wir uns dankbar fühlen, dann entsteht daraus ein ganz sanftes Gefühl der Liebe. Am besten gelingt dies, wenn wir uns fünf Minuten Zeit nehmen, um diese Dankbarkeit aufzuschreiben. Vielleicht sind wir dankbar, weil uns jemand in der Straßenbahn den Platz überlassen hat, vielleicht sind wir dankbar für die zwitschernden Spatzen, für unser Auto, für den Sonnenschein.

Wenn wir diese kleine Übung regelmäßig durchführen, füllt sich unser Körper nach und nach mit immer mehr Liebe für immer mehr Details und Menschen. Dies macht auf Dauer vielleicht nicht nur uns gesünder, sondern auch unsere Gesellschaft.

Einen Versuch ist es wert.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Marianne Williamson: „Rückkehr zur Liebe“, S. 239-240


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