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Kriegstüchtig und verhaltensgestört

Kriegstüchtig und verhaltensgestört

Der Spalt, der zwischen Kriegsbereiten und Friedensbefürwortern entstanden ist, basiert auf einer Fähigkeit, die die einen haben und die anderen nicht: Einfühlungsvermögen.

Die Gespräche in Washington wären eigentlich eine Topmeldung wert gewesen. Aber in Deutschland kamen sie nur als Meldung unter vielen vor. Ist denn der Versuch, einem dritten Weltkrieg endgültig in die Knobelbecher zu helfen, nicht gar eine Jahrhundertnachricht? Offenbar nicht. Nicht in Deutschland — denn der Frieden bewegt die Menschen ja nicht, wie wir seit dem letzten Wahlabend in Sachsen und Thüringen wissen, als ARD und ZDF unisono behaupteten, dass die Sorgen vor einem sich auswachsenden Krieg das Wahlergebnis auf keinen Fall bestimmt haben. Das wiederholte man so zwanghaft, dass einem schnell dämmerte: Hier wird was kleingeredet, was recht groß im Raum steht.

Was Krieg ist

Während der Bundeskanzler plötzlich für einen Moment wie ein Friedensbringer spricht und Verhandlungen für möglich erklärt, machte sein Verteidigungsminister vor einigen Tagen klar, dass westliche Waffen, die in Moskau einschlagen, völkerrechtlich unbedenklich seien. Über Krieg und die Bereitschaft, endlich auch kriegstüchtig zu sein, sprechen in diesem Lande etliche so, als handle es sich um die profane Frage, ob man nun am kommenden Samstag der Einladung der Nachbarn zum Grillabend folgen soll oder man doch lieber fernbleibt. Das Wort „Krieg“ nehmen viele in den Mund, wie andere das Wort „Sonnenschein“. Zwischen Tür und Angel wird die Kriegsbereitschaft beschworen — ganz lapidar und nebenbei. Als sei es die normalste Sache der Welt.

Der Krieg wird angeführt wie ein steriler Topos, ein Ort, der einer gewissen Kontrolle unterliegt — den man zwar aufgezwungen bekommt, der aber auch wieder vorbeigeht: Dann kämpft man eben. Wenn es sein muss, dann muss es halt sein! Dieser Fatalismus blendet aus, was Krieg im Kern seines Wesens ist. Klar, man kann sich sicher vorstellen, dass man in einem Krieg einige Tote sehen wird. Vielleicht wird jemand, der an meiner Seite kämpft, auch vor meinen eigenen Augen erschossen. Ausschließen kann man das natürlich nicht. Selbst diese Vorstellung ist noch zu steril, zu sauber und hygienisch — wie ein Krimi aus den Fünfzigern, in denen gemeuchelte Leichen seltsam lebendig und frei von Blut drapiert wurden.

Krieg muss man sich in den drastischsten Bildern vorstellen. Wenn es nicht gerade ein Atomschlag ist, sondern konventioneller Krieg, dann sprechen wir nicht einfach von Toten, die vor unser aller Augen zu sehen sein werden. Nein, wir werden Zeuge von bestialischen Brutalitäten sein. Schädeldecken werden von unserem angeschossenen Nebenmann wegplatzen, Hirnmasse wird verspritzt. Man watet in Blut, hält seinem Kameraden die hervorquellenden Innereien im Torso, während er nach seiner Mutter schreit und seine Ausscheidungen nicht mehr bei sich halten kann.

Der Gestank verwesender Menschen wird zum steten Begleiter. Manchmal stinkt auch nur das vergessene Bein eines unbekannten Soldaten vor sich hin, irgendwo unter eingestürzten Gemäuern.

Der Tod, der auf diese zerfleischende Weise über die kommt, die den Krieg erleben, macht keinen Unterschied zwischen Soldaten, Frauen, Kindern und Greisen.

Wer heute ungeniert davon spricht, er sei bereit für den Krieg, der denke daran. Und der frage sich bitte, wie er glaubt, das je vergessen zu können. Die Wahrheit ist: Er wird es nicht vergessen. Wer den Krieg auf diese Weise erlebte, wird den Krieg nie verlassen. Sein Leben wird, auch später im tiefsten Frieden, ein fortwährender Krieg sein. Ein Blick auf Kriegsveteranen genügt, um das zu erkennen.

Viele berichteten davon, dass sie immer noch im Kriegseinsatz sind. Nacht für Nacht. Manchmal auch tagsüber. Sie halten sich vom Barbecue fern, weil es dort nach verbranntem Fleisch riecht und das Erinnerungen wachrüttelt. Jene Ehemänner und Väter, die aus dem Zweiten Weltkrieg heimkamen und das neue Westdeutschland aufbauten: Wie viele hatten ein Alkoholproblem? Unzählige neigten der Gewalt zu. Oder blieben schlicht verschlossen und unlösbare Geheimnisse für ihre Söhne und Töchter — und ihre Ehefrauen. Sie waren ewige Fremde und Störenfriede in Familien.

Muss man das erlebt haben?

Spricht man heute so lapidar von der Bereitschaft, einen Krieg in Kauf zu nehmen, wäre all das zu bedenken. Der Krieg hat die Neigung, außer Kontrolle zu geraten und das Antlitz der Erde zu einer Hölle zu verwandeln. Brutalität ist da zwangsläufig. Nicht wenige Soldaten bedienen sich der Rauschmittel, derer sie habhaft werden können. Pervertin war das Mittel, das die deutsche Wehrmacht im letzten Krieg einsetzte — Amphetamine, eine Form von dem, was heute viele als Crystal Meth konsumieren. Die Wehrmacht hatte das Mittel gezielt bei der Pharmaindustrie geordert; sie wusste, dass das Berauschen der eigenen Truppe notwendig wird, damit die die Belastungen erträgt. Norman Ohler gibt in seinem Buch „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“ beredt darüber Auskunft.

Wer unbedarft Ja zum Krieg sagt, der sollte auch eine Drogenabhängigkeit für sich einplanen. Der Rausch, der die Zustände erträglich macht — er ist der Fährmann auf einem Ozean aus Blut.

Warum kommt all das nicht denen in den Sinn, die so lax von Krieg und ihrer Bereitschaft dazu sprechen? Glauben sie ernsthaft, dass dann halt Krieg ist, man beendet ihn nach einer Weile, und dann geht es so weiter, wie es zuvor gewesen ist? Woher kommt nur diese grandiose Naivität, so zu tun, als könne man einen solchen Einschnitt einfach abschütteln? Wir leben heute in einer Gesellschaft, die keine falschen geschlechtlichen Anreden ertragen kann, in der Menschen aufgrund dessen in eine Lebenskrise stürzen und dringend einen Schutzraum von der Politik fordern.

Wenn sie das schon als grob, als brutal empfinden: Wie unsäglich traumatisch muss dann erst der Moment für viele in dieser Gesellschaft sein, wenn auf den Straßen die ersten Toten liegen, und zwar entstellt und zu blutigem Brei gesprengt?

Die Generationen, die den letzten Weltkrieg erlebten, wussten das. Sie sprachen nicht darüber. Unsere Großeltern haben uns vielleicht etwas vom Fliegeralarm erzählt, von eingestürzten Häusern, bombardierten Straßen. Sie haben die Details im Regelfall aber ausgeblendet. Für uns — und für sich selbst. Wer erinnert sich schon gerne daran, wie entmenschlicht so ein Kriegstoter zuweilen sein kann? Das verdrängt man lieber, beschwört man nicht. Zu hart war es, dem Trauma zu entkommen.

Die 68er haben das ihrer Elterngeneration zum Vorwurf gemacht. Die sollte endlich aufarbeiten, rausrücken mit der Sprache — das Begehren war natürlich das Recht der Jugend, das man für sich in Anspruch nimmt, ohne das Leben zu kennen. Selbstverständlich schwiegen viele der Alten, weil sie die Verbrechen nicht benennen wollten und konnten — aber ein Stück weit schwieg man eben auch, weil die Hölle kein Ort ist, an den man sich gerne zurückerinnert.

Nun festzustellen, dass man den Krieg gesehen haben muss, um ihn sich bildhaft vor Augen zu führen, würde diesen Artikel ad absurdum führen. Der Autor hat keinen Krieg gesehen. Nicht in Wirklichkeit. Lediglich im Film: Mein erster Kinofilm war „Stalingrad“ von Joseph Vilsmaier.

Ich habe das Kino spät entdeckt, war 15 Jahre alt, als jener Film 1993 ins Kino kam. Wo andere von „Bernard und Bianca“ als erster Kinoerfahrung berichten, war es bei mir dieser deutsche Film mit Bildern von vor die Hunde gehenden Wehrmachtssoldaten. „Stalingrad“ ist ein Antikriegsfilm, daher ungezügelt schonungslos und grausam. Vieler solcher Antikriegsfilme folgten. Sie zeigten mir den Horror ohne falsche Filter. Für eine echte Kriegserfahrung reichte es bei mir nicht — zum großen Glück! Haben die, die mit dem Krieg hausieren gehen, nie auch nur Filme über das Leid des Krieges gesehen?

Zeitalter der Verhaltensgestörten

Was es ganz sicher benötigt, um die Gefahr zu begreifen: Vorstellungsgabe und Einfühlungsvermögen. Die Empathie kommt in dieser Gesellschaft aber immer wieder zu kurz. Nicht nur bei der Frage von Krieg oder Frieden. Man denke nur an die Coronazeit zurück. Es gab einen Teil der Gesellschaft, der nachfühlen konnte, wie es wohl für die Großmutter sein muss, wenn sie unbesucht und isoliert in einem Altenheim ihr Dasein fristen muss — und es gab jene, die sich darüber ganz offenbar gar keine Gedanken machten.

Die einen spürten förmlich am eigenen Leib — aber ohne selbst betroffen zu sein —, wie es für Kinder sein musste, die gesagt bekamen, sie gefährdeten das Leben der Großeltern. Die anderen konnten partout nicht nachvollziehen, was das für das Gemüt eines Kindes bedeutete.

Häufig ist von Spaltung die Rede und davon, wie die Spaltungsmuster der pandemischen Jahre einfach in den Themenkomplex des Ukrainekriegs übergingen. Wenn man in nuce zusammenfassen will, was es ist, das uns spaltet, dann ließe sich feststellen: die Empathie beziehungsweise ihr Fehlen. Die einen haben sie nämlich und versetzen sich in die Lage anderer — die anderen besitzen diese Fähigkeit aber nicht, spüren nur sich selbst und betrachten damit alles, was geschieht, einzig von ihrer Warte aus.

Fehlende Empathie wird medizinisch als dissoziale Persönlichkeitsstörung eingeordnet. Gemeinhin geht diese einher mit einem überbordenden Selbstgefühl und damit einer Überbetonung der eigenen Wichtigkeit, bei gleichzeitigem Mangel an Gefühlstiefe. In etlichen politischen Debatten werden diese Verhaltensmuster bei vielen augenfällig. Diese Verhaltensstörung weist dabei nicht selten narzisstische Züge auf.

Es ist erstaunlich, dass einerseits ein gesellschaftlicher Trend zur starken Emotionalisierung gewisser Themen stattfindet — zum Beispiel bei identitätspolitischen Aspekten —, andererseits aber die emotionale Fähigkeit darbt, sich in andere hineinversetzen zu können. Aber das ist auch erklärbar: Denn nicht selten sind es dieselben Zeitgenossen, denen es an Empathie mangelt, die aber gleichzeitig hochemotional auf Randthemen reagieren. Für sie scheint es eine Art Übersprungshandlung zu sein, ein Empathiesurrogat, das den Empfindungsunfähigen das Gefühl simuliert, doch noch empfinden zu können.

Die Kriegsbegeisterten der Stunde, ob nun in prominenter Position als Politiker oder Medienschaffender oder im privaten Umfeld, als sich mutig gebender Mitbürger, haben wohl in vielen Fällen eine an sich ganz banale Verhaltensstörung als Voraussetzung. Es sind Menschen, die andere Menschen nicht mehr spüren können — und denen es daher an einer gewissen Vorstellungsgabe mangelt.

Wer den Krieg mit Freude angeht, seine Gefahren nicht imaginieren kann, der lebt vor aller Augen eine Verhaltungsstörung aus.

Und obwohl dieses Krankheitsbild nicht ansteckend ist, scheint es nun gesellschaftlich unbedingt geboten, sich davon nicht anstecken zu lassen.


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