Rubikon: Herr Reichelt, völlig aufgelöst riefen Sie heute Morgen bei unserer Redaktion an und baten um ein Interview. Wo brennt‘s denn?
Bei uns brennt es, denn jetzt, wo unsere Beiträge auf Facebook niemanden mehr erreichen, zerfallen alle unsere schönen Werbeverträge zu Asche! Das schadet unserer Glaubwürdigkeit, aber viel wichtiger noch: unseren Bankkonten!
Wie schrecklich! Aber nun mal eins nach dem anderen: Sie werden auf Facebook zensiert? Wie das?
Es kam ganz plötzlich: Wir alle arbeiten wie gewohnt an unserer täglichen Ablenkungs-Ausgabe, um Millionen Menschen in Deutschland vom eigenständigen Denken abzuhalten, da ploppt völlig aus dem nichts bei unserem Tech-Team die folgende Nachricht auf:
„BILD wird nur eingeschränkt ausgeliefert, da wiederholt Clickbait geteilt wurde.“
„Clickbait“? Was soll das denn heißen?
Das wussten wir zunächst auch nicht, aber zum Glück konnten wir auch hierzu unsere wichtigste Recherchequelle, Wikipedia, zu Rate ziehen. Dort steht, dass man Clickbait betreibt, wenn man reißerische Überschriften verfasst, Nullinformationen zu Sensationen aufbauscht und Artikel nur schreibt, um die Leser zum Draufklicken anzuregen, damit man anschließend Werbeeinnahmen generieren kann. Der Vorwurf trifft uns also völlig überraschend!
Das glauben wir sofort. Aber nun betreiben Sie ja immer noch das auflagenstärkste Käsebla..., äh, pardon, die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands. Trifft Sie die Zensur denn wirklich so hart?
Ja, allerdings! Mal ganz unter uns: Wer sich eine unserer Zeitungen am Kiosk kauft, ist schon blöd genug, und meistens wissen die Kunden nach ein, zwei Artikeln auch entsprechend mit unserer Papierverschwendung umzugehen: Ab in den Müll damit. Unser eigentliches Geschäft liegt dagegen im Netz und in den sozialen Netzwerken, denn dort verbreiten sich Falschinformationen und Empörungsjournaille wirklich herrlich schnell! Sogar Grünen-Politiker lesen mittlerweile unsere Beiträge. Sie malen sich ja nicht aus, was uns da jetzt an Werbeeinnahmen durch die Lappen geht! Deshalb müssen wir, wo die BILD nun auf Facebook zensiert wird, alle Kanäle zur Aufmerksamkeit nutzen — ja, sogar seriöse.
Schön, dass Sie da an uns denken. Wir helfen natürlich gerne. Werden denn noch andere Qualitätsmedien auf Facebook zensiert?
Quantitätsmedien, bitte. Aber ja, das ist ein ausuferndes Problem. Vor allem die auf jugendlich getrimmten Ableger großer Tageszeitungen werden von Facebook ins Visier genommen. Bento zum Beispiel hat diese Nachricht ebenfalls erhalten. Das ist das „junge Magazin“ vom Spiegel, weil dessen Stammkundschaft mit Smartphones gelegentlich Probleme hat. Wie sollen die denn jetzt noch diese ganzen Internet-Indigenen (gemeint sind Digital Natives, Anm. d. Red.) erreichen? Außer gelangweilten Halbtags-Studenten liest die doch niemand! Oder die Kollegen bei watson: Deren Slogan „News ohne Bla Bla“ ist ja an sich bereits Clickbait, alles außer dem „Bla Bla“ können Sie streichen.
Watson, das sind doch die, die auf unabhängig und frisch machen, aber tatsächlich vom Werbegiganten Ströer finanziert werden?
Ganz genau, sehr geschätzte Kollegen. Wirklich ein vorbildliches, hauseigenes Sprachrohr eines Börsenriesen; so muss man‘s machen! Deshalb wird Ihnen übrigens auch an deutschen Bahnhöfen ständig Werbung für watson angezeigt: Die Bildschirme, über die das flimmert, gehören allesamt Ströer. Erkennen Sie meist am Schriftzug rechts, und diese Platzierung ist auch ein verstecktes politisches Statement, da bin ich sicher!
Klingt ja verdächtig nach Verschwörungstheorie …
Ach, jetzt machen Sie mal halblang. Die wahre Verschwörung ist doch offensichtlich: Gigantische Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley untergraben seit langem neben der persönlichen Privatsphäre auch noch die Denkweisen der Bürger überall auf der Welt. Das ist ein Riesenproblem, denn damit nehmen die uns von der BILD die Jobs weg — Sie sehen, es sind wieder mal die Ausländer schuld!
Jetzt müssen auch wir uns der Willkür dieser Unternehmen beugen. Und sogar Vater Staat wächst die Sache langsam über den Kopf. Es läuft also gerade eine enorme Rollenverschiebung ab: Statt dass unsere deutschen Spitzenpolitiker der Bevölkerung wie gewohnt die Hucke voll lügen und wir Medien das dann unkommentiert nachplappern, entscheiden die Könige des Internets — und das sind eben die üblichen Verdächtigen — was wir sehen, was wir lesen, was wir denken. Und am meisten sieht und liest und denkt dann die NSA.
Meinen Sie, dass Artikel 13 hier Starthilfe geleistet hat?
Ach quatsch, Artikel 13 war Flugbegleitung — gestartet sind diese ganzen krummen Machenschaften schon längst! Und wenn Sie schon oft geflogen sind, dann wissen Sie, dass Flugbegleitungen super sind: Die trösten einen mit einem heißen Handtuch hinreißend über den Schaden hinweg, den man der Umwelt antut.
Nicht umsonst hat mein guter Freund Mathias Döpfner, der Chef des Springer-Verlages, höchstpersönlich für Artikel 13 geworben. Aber jetzt fliegt uns die ganze Sache wohl um die Ohren. Denn womit Sie Recht haben ist, dass seit der Durchsetzung von Artikel 13 alle Medienanstalten heiß laufen und mit Uploadfiltern herumexperimentieren.
Um es mit der FDP zu sagen: Löschen first, Bedenken second.
Dass YouTube die Videos der brennenden Notre-Dame als „9/11 Fake News“ gebrandmarkt hat, war ja auch kein Zufall. Da sehen Sie mal, wie gut diese Filter funktionieren. Uns steht also noch einiges ins Haus!
Das ist ja alles richtig und wichtig, Herr Reichelt, nur über eine Sache wundern wir uns noch. Sie schreiben doch nun wahrlich nicht gegen Konzerninteressen an. Auch Systemkritik findet man bei Ihnen nicht. Warum also nimmt Facebook gerade Sie ins Visier?
Das ist es ja: Wir wissen es nicht. Und glauben Sie, da könnte man mal eben so mir nichts, dir nichts nachfragen? Fehlanzeige! Wir befinden uns hier im rechtsfreien Raum; wenn Facebook jemanden zensieren will, geschieht es. Ich schätze mal, dass die nur eine Art von Konzerninteressen zulassen — ihre eigenen. Wahrscheinlich saß nicht einmal ein Mensch am Rechner, als irgendein Algorithmus diese Zensur beschloss. Praktisch, oder? So muss sich auch niemand verantwortlich fühlen. Wenn Regierungen und Gerichte weiterhin tatenlos bleiben, wenn wir uns diese Misere weiter gefallen lassen, dann wird sich die Lage noch weiter verschärfen, bis unsere Privatsphäre restlos ausgehöhlt ist und keines unserer Rechte mehr greift.
Da hilft nur noch eins: Abschalten.
Spaß beiseite!
Genug der Satire! Tatsächlich betrifft die obige Nachricht nicht die BILD-Zeitung, sondern unseren Facebook-Auftritt — und ist bierernst gemeint. Wie sehr hier mit doppelten Standards gemessen wird, dürfte offensichtlich sein. Das war allerdings nicht die erste und einzige Einschränkung, die Facebook kürzlich auf den Auftritt des Rubikon anwandte.
Wir nutzen Facebook seit unserer Gründung im März 2017, um unsere Artikel auf Social Media zu verbreiten. Zu Beginn hatten wir mit keinerlei Einschränkungen zu kämpfen. Die Artikel gingen relativ viral, wir konnten eine beachtliche Anzahl an Menschen erreichen. 2018 begann unsere Reichweite dann langsam, aber kontinuierlich zu sinken, obgleich unser Bekanntheitsgrad anstieg. Durch clevere Grafiken und Bild-Designs konnten wir den Rückgang gut kompensieren.
Weiterhin kam allerdings dazu, dass die Facebook-Seite — unabhängig davon, von welchem Rechner aus wir uns einloggten — extrem langsam war. Eine Gelbwesten-Aktivistin berichtete uns von ähnlichen Erfahrungen, nach denen ihre Interaktionen auf Facebook längere Ladezeiten verzeichneten, nachdem sie begonnen hatte, systemkritischen Content zu posten. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie nervenzehrend es ist, wenn jeder Klick auf Facebook mehrere Sekunden braucht, bis die gewünschte Interaktion endlich erfolgt. Dass dies ein technischer Defekt bei Facebook allgemein ist, schließen wir aus. Ein Unternehmen, welches vergangenes Jahr einen Umsatz von 55 Milliarden US-Dollar erzielen konnte, erlaubt sich solche Fehler nicht — jedenfalls nicht zufällig.
2019 nahmen die Einschränkungen — auch genannt „Shadow-Banning“ — massiv zu und während unserer Umwelt-Sonderausgabe Anfang Oktober auch eine neue Gestalt an. Diese Sonderausgabe hatte es an systemkritischen und subversiven Texten nur so in sich und triefte an Gedankengut, welches „den Eliten“ eindeutig zuwiderlief. Wir hätten eigentlich damit rechnen müssen, dass wir irgendeine Form der Zensur zu erwarten haben.
Zuerst wurde uns die Funktion gesperrt, Beiträge zu planen. Was zunächst harmlos klingt, ist in Wahrheit ein erhebliches Problem. Damit man auf der Welle des Facebook-Algorithmus so surft, dass die maximale Reichweite generiert wird, müssen die Beiträge in einem Intervall von zwei Stunden gepostet werden. Mit der Funktion, den Veröffentlichungs-Zeitpunkt einzustellen, war die Aufgabe immer binnen zwei Minuten am Morgen erledigt. Jetzt allerdings, wo wir die Beiträge nicht mehr planen können, müssten wir uns alle zwei Stunden einen Wecker stellen, um die Artikel zu posten. Und mal ganz ehrlich — die Zeit haben wir wirklich nicht! Hinzu kommt die zeitraubende Wirkung von Facebook. Loggt man sich einmal ein, gerät man sehr schnell in den Bann der Facebook-Chronik und verliert sich in der Hypnose des Ewig-Weiter-Scrollen-Wollens.
Und als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, wurde unsere Reichweite nun zusätzlich — und ganz unverhohlen — eingeschränkt. Diesmal sogar offiziell von Facebook angekündigt. Die Begründung: Wir würden Clickbait betreiben.
Das muss man sich natürlich mal auf der Zunge zergehen lassen:
Facebook wirft uns vor, Clickbait zu betreiben, obwohl wir jedes Mal den Teaser hinzufügen, in welchem die Leser sich noch vor dem Anklicken einlesen können, ob der verlinkte Artikel für sie interessant ist. Clickbait per definitionem würde bedeuten, den Teaser wegzulassen und lediglich mit reißerischen Überschriften zu locken.
Weiterhin stellt sich die Frage, ob ein wie auch immer programmierter Algorithmus zu dieser Feststellung gekommen ist — oder ob wir einen persönlichen Blockwart haben, der sich entweder jeden Artikel durchgelesen hat und auf dieser Grundlage zu der Schlussfolgerung gekommen ist, dass unsere Artikel allesamt Clickbait seien, oder der uns aus ideologischen Gründen einfach nicht mag.
Dass uns nun Clickbait vorgeworfen wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn Clickbait besteht neben der visuellen Verlockung des Rezipienten zum Klicken vor allem aus der Gestaltung der Überschrift, die bewusst die „spannende“ Pointe weglässt, um den potenziellen Leser anzulocken. Ein Beispiel wäre: „DAS sagt Greta Thunberg über Rubikon!“ Solche Titel lesen Sie bei uns jedoch nicht.
Welche Konsequenzen ziehen wir daraus? Grundsätzlich ist Facebook bereits ein sterbender Internet-Gigant, der zu Beginn dieses Jahrzehnts zwar von enormer Größe war, aber mittlerweile bei Menschen unter 25 immer weniger Anklang findet. Instagram ist derzeit der digitale „place to be“. Um dabei mitzuhelfen, Facebooks Sterbeprozess zu beschleunigen und die ohnehin schwindende Relevanz zu mindern, werden wir vermutlich zum nächsten Jahr den Zuckerberg verlassen. Was nutzt dieser immense, nervenaufreibende Aufwand, wenn wir nahezu niemanden damit erreichen? KenFM hat es bereits vorgemacht und mit einer stoischen Lässigkeit den Facebook-Account mit einer Viertelmillion Likes pulverisiert.
Dass wir stattdessen zu Instagram gehen, ist sehr unwahrscheinlich. Instagram ist eine Plattform der kurzweiligen Unterhaltung, die den Nutzern nur eine äußerst geringe Aufmerksamkeitsspanne abverlangt. Denselben Aufwand auf Instagram zu betreiben und zu hoffen, dass sich die dortigen Nutzer spontan und konzentriert längere Artikel zu Gemüte führen, scheint kaum fruchtbar. Außerdem gehört auch Instagram zu Facebook. Wir werden uns daher insbesondere auf unsere Interneteite, unseren Auftritt bei Human Connection und unseren YouTube-Kanal fokussieren, um unsere Video-Redaktion auszbauen und auch mit Bewegtbildern stärker präsent zu sein.
Und auch dort werden wir keinen Clickbait betreiben — versprochen!
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