Ganz zahlenfrei, ganz ohne Statistiken, möchte ich zur Pädagogik dieser Tage Stellung nehmen. Es ist dies meine Meinung, die ich mir als Mensch zum Thema Kindheit und Kinder mache. Aber, weil das heute selten reicht, beziehe ich mich auch auf meine therapeutische Tätigkeit mit Kindern, vor allem den kleinen und sehr kleinen unter ihnen.
In den verschiedenen Regierungen unserer Bundesländer hält man sich noch mit Christian Drostens Einschätzung auf, um eine alternativlose Politik zu perpetuieren. Wer jedoch den Blick auf das Zwischenergebnis einer neuen Untersuchung der Unikliniken Heidelberg, Freiburg und Tübingen wagt, bei der 2.500 Kinder bis zehn Jahre und jeweils ein Elternteil auf das Virus und mögliche Antikörper getestet wurden, fällt dem geneigten Leser folgendes auf: Das Ausbreitungsrisiko von Infektionen mit Covid-19 bei Kindern in Notbetreuung im Vergleich zu den Kindern, die zu Hause betreut wurden, war nicht erhöht.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte am 26. Mai 2020 in Stuttgart (1): „Wir können ausschließen, dass Kinder Treiber des Infektionsgeschehens sind“, „deshalb sei es auch gerechtfertigt, Kitas und Grundschulen bis Ende Juni wieder vollständig zu öffnen.“ Kinder erkranken seltener an Covid-19: „Der Unterschied ist signifikant.“
In diesen wieder geöffneten Schulen herrschen Szenen, die beachtliches komödiantisches Potenzial aufwiesen — wäre der Rahmen nicht so ungeeignet für die Posse. Wer keine kleineren Kinder hat, verpasst hier einiges: Ein groteskes Theater, das jeder pädagogischen Grundlage bitterlich entbehrt. Maria Montessori würde weinen. Wir tun das in Stellvertretung.
Mit Strick auf Abstand
Am 8. Mai 2020, dem Geburtstag unseres Grundgesetzes, machte ich mich mit einer Mitstreiterin in einer oberbayerischen Gemeinde auf, unseren Verein notariell begründen zu lassen, mit dem wir unsere schwer angeschlagene Demokratie zu heilen gedenken. Es war kurz vor Mittag. Das Bild, das sich uns auf einer Hauptstraße bot, war folgendes: zwei Damen, hängend an Stricken, am anderen Ende jeweils zwei Buben. Ein Strick rot, einer gelb.
Der allererste Versuch, die Szene einzuordnen, misslang. Das Bild war nicht Ausdruck einer Protest-Aktion, wie wir zunächst vermuteten. Die Damen machten keinen sehr widerständigen Eindruck. Prompt erklärte sich die Szene: Die Mutter eines der Kinder radelte heran, stoppte rechtzeitig und ausreichend weit entfernt, sodass Buben, nebst Erzieherinnen an der Leine, diese begrüßen konnten.
Der Versuch, diese Szene Freunden zu beschreiben, machte es stets notwendig, zu konkretisieren: „der Strick wird eben auf Spannung gehalten, so wird der Abstand jederzeit gewährleistet“.
Schulschließungen weltweit
Hier soll es nun nicht darum gehen, auf wie viel Geistesgegenwart in der Öffentlichkeit zu stoßen ist, wenn es um die Bedürfnisse von Kindern geht. Bei aller Dringlichkeit in der Sache, möchte ich auch nur kurz zur Situation der ärmsten Kinder auf diesem Planeten Stellung nehmen, die keine Lobby besitzen, aber einen lukrativen Marktwert für Philantropen.
„Die Corona-Krise wirft uns in Fragen des Kindeswohls um Jahre zurück“, so Marc Dullaert, Gründer und Vorsitzender von kids-rights, einer holländischen NGO, die sich für Kinderrechte einsetzt, in deren Jahresbericht (2). Millionen von Kindern würden vermutlich in extreme Armut geraten. Aber auch die Maßnahmen der Regierungen hätten einen desaströsen Einfluss auf viele Kinder.
Die Schulschließungen in 188 Ländern führten zu einem Anstieg an Kinderarbeit und Verheiratungen unter Kindern. Mädchen würden wieder vermehrt als Teenager schwanger und der Anstieg an häuslicher Gewalt während des „Lockdowns“ sei insbesondere für Mädchen verheerend.
Diese Fakten, die ohne Glaskugel vorhersagbar waren, sind eine humane Katastrophe und verschuldet von Regierungen, die sich oft genug als besonders zivilisiert und menschenfreundlich hervortun.
Auch, wenn wir nach Deutschland blicken, müssen wir erkennen, welche Schäden Schul- und Kindergartenschließungen bei einer Vielzahl von Kindern bereits heute verursacht haben. Die Presse bemühte meist den Blick auf die Doppelbelastung der Eltern. „Doppelbelastung“ ist dabei regelmäßig ein verharmlosender Begriff. Wer bereits mit Kindern zu tun hatte, weiß, dass diese ihre Eltern nicht bloß in einer Rolle fordern.
Was hingegen bislang wenig thematisiert wurde, war, was mit den Kindern geschieht, die wenig behütet in Familien aufwachsen, in denen schlichtweg sie für das Problem gehalten werden. Nach der Einsicht „Ich muss arbeiten, aber das Kind ist im Weg“, ergeben sich gehäuft Übergriffe auf diese Kinder. Das liest sich dann in der Presse, wie vom Teamleiter der Kinderschutzhotline und Kinderarzt Oliver Berthold gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) beschrieben:
„Wir werden teilweise wegen Verletzungen kontaktiert, die sonst nur bei Zusammenstößen mit Autos auftreten. Da geht es um Knochenbrüche oder Schütteltraumata“ (3).
Worauf ich hier abstellen möchte, ist die Situation der Kinder, die in unserem Land besonders privilegiert sind: weil ihre Eltern aller Regel nach gebildet und ausreichend vermögend sind, um sich alternative Ansätze in punkto Pädagogik leisten zu können.
Maskierte Beratung?
Es erreichen mich mitunter Anfragen von Eltern, die in meine Praxis kommen möchten und vorab wissen möchten, ob auch ihre Säuglinge Masken zu tragen hätten. So schnell ging das also: Das Durchregieren innerhalb von wenigen Wochen und schon zählt der Atem des neugeborenen Sohns, der Tochter, fast nichts mehr.
Wenn Mütter 2020 ihr Baby im Krankenhaus zur Welt bringen und nach der Geburt feststellen, dass weder ihr Neugeborenes noch sie selbst, neugeborene Mütter, schlafen können, wenn sie dann nach dem Baby im Glasbettchen neben ihrem Bett verlangen, weil ihnen erfolgreich vorgegaukelt wurde, sie dürften ihr eigenes Kind nicht selbst an sich nehmen, dann wird ihnen mitgeteilt, sie dürften das Kind „aber nur auf eigene Verantwortung“ ins eigene Bett nehmen.
Wirklich wahr, das lässt einen ja geradewegs erschaudern! Auf eigene Verantwortung? Also wirklich? Das geht aber weit! Das legt ja verdächtig nahe, dass Eltern wirklich auch nach dem dreitägigen Krankenhausaufenthalt selbst verantwortlich sein sollten. Da mag man fast sagen: Gott sei Dank übernimmt die Verantwortung für unsere Gesundheit seit Mitte März nun der deutsche Staat.
Eine urmenschliche Kompetenz
Im Gespräch mit den Eltern und dem Säugling geht es dann um deren Fähigkeit, in Kommunikation mit ihrem Kind zu treten. Was ich in diesem Fall tue, ist, den Eltern Vertrauen in eben ihre urmenschlichen Kompetenzen zu vermitteln, miteinander in Verbindung zu treten. Ganz konkret, wenn es um die Ausscheidungsbedürfnisse der Babies geht. Wir verstehen, wenn Neugeborene uns mitteilen, dass sie ausscheiden müssen. Und dann helfen wir ihnen dabei. Ausscheidungskommunikation heißt das auf deutsch, vulgo „Windelfrei“. Und auf internatonal: elimination communication.
Eltern können das, selbst bei ihrem ersten Kind — sie sehen, sie lesen und sie verstehen, was ihr Kind ihnen mitteilt. Was bei uns seit einigen Jahren immer bekannter wird, weiß man „natürlich“ eigentlich auf der ganzen Welt. Jean Liedloff hat in ihrem „continuum concept“ schon in den 1970er Jahren davon reden gemacht — allerdings so nebenbei. Daher ist es kaum jemanden je aufgefallen, dass Windeln eine erstens „neue“ und zweitens freilich keine conditio sine qua non in der Realität mit Babies darstellen können.
Kommunikation von Anfang an
Menschen kommunizieren miteinander. Und zwar vom ersten Moment an. Unsere Kinder kommen zur Welt und teilen sich uns mit. Sie übermitteln uns ihre Grundbedürfnisse. Die Lust, die Bedürfnisse seiner Kinder von Anfang an ernst zu nehmen, hat einen Namen: „attachment parenting“ nach William Sears, US-amerikanischer Kinderarzt oder nach der artgerecht-Bewegung: artgerechtes Kinder-Aufziehen (4). Mit diesen Bestrebungen sind wir nun wohl an die Wand gefahren. Oder geht das beides? Kindeswohl aktiv gefährden und trotzdem artgerecht wollen?
Notwendige Voraussetzung zur vollen Ausschöpfung des Potenzials junger Eltern dazu, mit ihrem Kind in Beziehung zu treten, ist, dass diese emotional erreichbar sind.
Sind sie das nicht, weil sie psychisch erkrankt sind oder weil sie unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen oder Medikamenten stehen, so kommt das fein austarierte System ins Wanken. Sind Eltern emotional nicht erreichbar, geraten Babies und auch Kinder in großen Stress. Kinder unter Stress weisen höhere Cortisol-Werte auf, als entspannte Kinder, das ist bekannt (5). Kinder mit dauerhaft erhöhten Stress-Levels sind davon bedroht, selbst psychisch zu erkranken. Auch das ist bekannt. In jedem Fall sind sie weit davon entfernt, ein glückliches Leben zu leben.
Was passiert denn nun, wenn Mama und Papa, wenn Oma und Opa, wenn Erzieherinnen und Erzieher ihr Gesicht hälftig mit einer Maske bedecken? Ja, was liebe Menschen da draußen, mit und ohne Kinder — was wird da wohl passieren?
Kinder geraten in Stress. Kinder können das Gesicht nicht lesen. Sie sind abhängig davon, die Gesichter ihrer Bezugspersonen lesen zu können, um sich selbst emotional regulieren zu können. Ach ja, dazu müssen sie auch zügig und prompt in den Arm genommen werden, wenn sie aus dem emotionalen Gleichgewicht gefallen sind. Sonst droht seelischer Schaden. So viel zu Babies und Kleinkindern.
Das bisschen Mimik?
Aber wie ist das bei Kindern im Kindergartenalter? Zwischen drei und sechs Jahren entwickelt sich die emotionale Stabilität der Kinder in Meilenschritten. Mit jedem Lebensjahr werden Kinder unabhängiger von ihren Bezugspersonen und benötigen sie weniger zur Regulation ihres eigenen emotionalen Zustands. Dennoch ist es ein Fakt, dass auch Kinder dieses Alters angewiesen sind auf die Mimik ihrer Bezugspersonen. Wem ich nicht ins Gesicht blicken kann, den erkenne ich nicht — den verstehe ich nicht.
Das ist ein Grund, weshalb Kinder viele Jahre benötigen, um mit ihren Großeltern telefonieren zu lernen. Kommunikation, ohne das leibhaftige Gegenüber, ist nur hälftig — die wesentliche Hälfte fehlt. Wie nett — das haben unsere Kinder im verordneten „Homeschooling“ gelernt, ja, auch an unseren privaten Montessori- und Waldorfschulen.: Wir brauchen einander in der Wirklichkeit. Darunter ist es nicht gut. Virtuelle Realität darf abdanken.
Und wie ist das bei Kindern im Schulalter? Bei Grundschülern? Bei Schülern zwischen zehn und achtzehn Jahren? Wie ist das bei Ihnen? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie mit maskierten Personen sprechen müssen? Wenn sie einander kennen, dann geht das schon einigermaßen, man versteht sich trotzdem. Ob man sich aber gleich empathisch gegenüber tritt, wie von Angesicht zu Angesicht? Gewiss nicht!
Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit maskierten Personen sprechen, die Ihnen unbekannt sind? Ihnen wird auffallen, dass da etwas nicht so reibungslos verläuft, wie Sie es gewohnt sind. Und nun wird verständlich, wie es unseren Grundschülern und den älteren Schülern mit ihren maskierten Lehrern geht.
Schaden wird billigend in Kauf genommen
Dieser Schaden, der sich tief ins Seelenleben unserer kleinen Kinder frisst, dieser Schaden, der aus verhinderter Kommunikation und verhindertem Kontakt erwächst, wird aktuell billigend in Kauf genommen. Das entspricht im Strafrecht dem sogenannten „dolus eventualis“, dem bedingtem Vorsatz.
Politik, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrer und Lehrerinnen, die sich dem Diktat zur Maske nicht entgegenstellen, nehmen billigend in Kauf, dass den Seelen unserer Kinder Schaden zugefügt wird.
Mutet das absurd an? Wo standen wir denn? Wie viele Eltern erschienen bei meinen Workshops und in der Praxis, weil sie sich der „artgerecht“-Bewegung anschließen mochten! Herbert Renz-Polster, Kinderarzt und Autor, füllt im ganzen Land Vortrags-Säle. Seine Maxime des „Kinder-verstehen“ (6), stand exemplarisch für den Konsens, den man in den letzten wenigen Jahren zum Thema Erziehung oder dem Gegenentwurf des „unerzogen“-Mottos (7), gefunden hatte. Gerade heute ist Jesper Juuls Ableben besonders unerträglich.
Wir sind beeinflusst von den 1980er Jahren. Von einer Zeit, in denen Kinder meist „so nebenher“ liefen, kreierten wir Eltern aus uns selbst eine Bewegung, die ihr Kind oft quasi projektbasiert zum Mittelpunkt des Lebens machten. Dazu nehme ich regelmäßig einen alternativen Standpunkt ein und ermutige Eltern, ihren Kindern die Möglichkeit zu geben, sich entlang ihrer ureigenen Anlagen entfalten zu können.
Und jetzt: Abstand halten, keine kritischen Nachfragen?
Ist das die konsequente Volte, also Kehrtwende in der Haltung zum Kind, die die reproduktive Nabelschau ausleitet?
Liebe Mitmenschen, liebe Eltern: Diese Frage beantworte ich mit einem entschiedenen „Nein“. Ich kann mich nicht mit Maske im Spiegel betrachten und meine Kinder in Schulen und Kindergärten, in Krippen oder zum Sportplatz schicken, in denen ein massiv entgleister Schutzwahn der Kultusministerien umgesetzt wird — an zahlreicher Stelle im vorauseilenden Gehorsam und aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen.
Rechtliche Konsequenzen? Was soll noch kommen? Was ist denkbar, nach der Pflicht zur Bedeckung unserer Nasen und Münder, die wir, ich sage es deutlich, auch zum Atmen benutzen? Was ist denkbar, nach der Pflicht, sich von seinen Freunden körperlich fernzuhalten, die unsere Kinder umarmen möchten? Was ist denkbar, nach der Ausgangsbeschränkung, wenn auch unkompliziert, ohne Passierschein?
Einer der Väter, die meine Praxis besuchen, stellte mir kürzlich eine Frage, die er selbst als beinahe spirituell bezeichnete. Er wollte wissen, weshalb denn nicht bekannt gemacht würde, dass Babies weitaus seltener an Koliken litten, wenn sie „abgehalten“ würden, also, ganz wie wir, große Menschen, nicht in eine Windel ausscheiden müssten, sondern sich an einem geeigneteren Ort erleichtern dürften.
Ich versuchte mich an einer versöhnlichen Antwort. Sie half nicht darüber hinweg: die Lobby der Kinder — wer ist das? Das ist niemand anderes, als wir Eltern. Wer heute möchte, dass seine Kinder in Würde und Freiheit groß werden dürfen, muss die Komfortzone verlassen. Und zwar umgehend — die Zeit drängt!
Im Namen unserer achtzigjährigen Mitmenschen, für die, gemäß offizieller Ansage, in vorauseilender Stellvertretung dieser Wochen regiert wurde, werden unsere Kinder in Sippenhaft genommen.
Hat man diese Menschen gefragt? Natürlich nicht. Die, die noch mündig sind, leiden hinter der Maske, diejenigen, die bereits entmündigt wurden, harren hinter verschlossenen Türen (8) — jetzt ersetzt durch Plexiglas-Scheiben (9).
Lassen Sie uns diesen Wahnsinn beenden. Lassen Sie uns anknüpfen an die Weisheit unserer Kinder. Wenn wir Ihnen jetzt zuhören, statt sie im Regenbogenmalen anzuleiten, wird wirklich alles gut.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/kretschmann-studie-kinder-virus-100.html
(2) https://www.theguardian.com/world/2020/may/26/global-report-disaster-looms-for-millions-of-children-as-who-warns-of-second-peak
(3) „Knochenbrüche oder Schütteltraumata“: Mediziner berichten von massiver Gewalt gegen Kinder — Politik — Tagesspiegel
(4) https://artgerecht-projekt.de/
(5) https://flexikon.doccheck.com/de/Cortisol
(6) https://www.kinder-verstehen.de/
(7) https://www.noz.de/deutschland-welt/familie/artikel/902368/unerzogen-als-erziehungskonzept#gallery&0&0&902368
(8) https://breakisolation.net/#panel1
(9) https://www.tagesschau.de/inland/pflegeheim-besuch-103.html
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.