Corona bringt es an den Tag: Wir leben uns auseinander. Aus einstigen Vertrauten werden Fremde, Gegner, manchmal Feinde. Ein tiefer Riss zieht sich durch die Gesellschaft. Viele von uns sind bestürzt und erschüttert. Wie ist es möglich, dass auch langjährige Weggefährten in den Ereignissen nicht dasselbe erkennen wie man selbst? Wie kann der andere nur so verschlossen sein, so abweisend, so ignorant? Hat man sich denn von Anfang an in ihm getäuscht? Haben wir dort Gemeinsames gesehen, wo in Wirklichkeit immer schon Unverständnis war, Offenheit dort, wo die Tür schon immer verschlossen war?
Ich gehöre zu den Menschen, die die neuen Gepflogenheiten schockieren und verletzen. Andere scheinen sich kaum daran zu stören, dass sie sich nicht mehr frei bewegen können, dass das soziale und kulturelle Leben blockiert ist, dass Millionen ins Elend getrieben werden und zugrunde gehen. Sie sehen es nicht so. Sie sind nicht wie ich darüber empört, dass uns allen im wahrsten Sinne des Wortes die Luft zum Atmen genommen wird, dass Kinder regelrecht gekidnappt werden und alte Menschen an Einsamkeit sterben. Sie setzen auf Abstand, Masken und die Entwicklung eines Impfstoffes.
Ich respektiere das. Jeder hat die Freiheit zu denken und zu tun, was er für richtig hält. Dennoch fühle ich mich tief verunsichert und verwundet, wenn liebe Freunde, kluge, gebildete und sensible Menschen, die Dinge auf so gegensätzliche Weise sehen. Hatten wir nicht bisher ähnliche Werte und Ideale? Haben wir uns nicht vom selben Geist inspirieren lassen, dieselben Lieder und Dichter geliebt? Wer von uns irrt sich? Wer ist auf dem falschen Weg? Oder ist letztlich jeder Weg der richtige?
Das Ende der Dialektik
Ich vermisse euch! Wie gerne ginge ich mit euch zusammen durch diese Zeit, wie gerne spürte ich euch in meiner Nähe im aufkommenden Sturm. Wie gut täte es, das vertraute Lachen zu hören und im Bewusstsein der grundsätzlichen Übereinstimmung gemeinsam weiterzugehen. Doch der Ton zwischen uns ist scharf geworden und unsere Blicke weichen einander aus. Verwunderung, Misstrauen und Ärger haben Vertrauen und Wärme abgelöst. Tief gräbt sich eine Kluft zwischen uns. Auf verschiedenen Schollen treiben wir auseinander und blicken uns fassungslos nach.
Was ist hier los? Für die einen geht es um ein paar gerechtfertigte Maßnahmen zur Eindämmung eines Virus, für die anderen um einen tiefen und grundsätzlichen Wandel nicht nur unserer Gesellschaft, sondern der gesamten Menschheit. Für mich geht es um unser aller Überleben auf diesem Planeten. Wie wollen wir weiterleben? Wollen wir Vertrauen oder Kontrolle? Kooperation oder Isolation? Natürliches oder künstliches Leben? Individuelle Freiheit oder die Überwachung der Massen? Geht es mir um meinen Komfort oder um das Wohl aller, um mein Seelenheil oder um die Illusion einer kurzfristigen Sicherheit?
In meiner Wahrnehmung schließt sich hier das Gegenüberliegende aus. Beides geht nicht.
An dieser Stelle unserer Geschichte müssen wir uns für eine Richtung entscheiden: Krieg oder Frieden? Ein bisschen Frieden geht nicht, so wie es nicht möglich ist, ein bisschen schwanger zu sein.
Wir können nicht Gott lobsingen und dem Teufel die Schuhe putzen. Entweder bin ich für ein Leben in Freiheit, für eine Welt, in der für alle Platz ist und die Menschen im Einklang mit der Natur zusammenleben, oder ich bin dagegen. Hier muss ich Position beziehen. Ja oder nein? Hier greift die Dialektik nicht. Hier kann nicht aus These und Antithese eine Synthese entstehen, sondern nur ein dicker, brauner Brei.
Vieles von dem, was uns gelehrt wurde, hilft uns heute nicht nur nicht weiter. Es verwirrt auch unsere Sinne. Sich für eine Richtung zu entscheiden, ist kein vereinfachender Manichäismus, kein gefährlicher Nährboden für Radikale und Extremisten, sondern lebenswichtig. Will ich Frieden oder will ich ihn nicht? Hier muss ich die Kreuzung verlassen, einen Weg wählen und entsprechend ins Handeln kommen.
Wir können uns nicht mehr einreden, dass es Krieg braucht, um Frieden zu sichern, oder dass Gewalt und Hass nötig sind, um zu erfahren, was Zärtlichkeit und Liebe bedeuten. Diese Verwechselung zwischen Polarität und Dualität hat uns auf einen Holzweg geführt. Auch wenn die Erde zwei Pole hat, auch wenn natürliche Kreisläufe Tag und Nacht brauchen und das Leben männliche und weibliche Energie benötigt — in der relativen Welt, in der wir leben, gibt es Dinge, die sich gegenseitig ausschließen. Auch wenn im Absoluten alles gut und alles eins ist — im Relativen können wir fallen.
Hier haben wir die Wahl, uns dem Licht zuzuwenden oder der Finsternis. Doch hören wir auf uns einzubilden, dass das Licht die Finsternis braucht, um zu existieren. Das Licht strahlt überall. Dunkelheit entsteht dort, wo sich ein Hindernis zwischen die Lichtquelle und den Erfahrenden schiebt. Hier entscheiden wir: Baue ich weiter an dem Hindernis oder wende ich mich dem Licht zu? Was wir auch wählen: Unsere Entscheidungen haben tiefgreifende Konsequenzen.
Hand aufs Herz
Mögen unsere Köpfe verwirrt sein — unsere Herzen haben noch Zugang zum Wahren, Guten und Schönen. Sie sprechen eine andere Sprache. Hier spüren wir, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Auch wenn unsere Zivilisation die kalte, berechnende Ratio über alles gestellt hat, auch wenn uns unsere Gefühle immer wieder als etwas Suspektes, Gefährliches verkauft werden und auch wenn uns gesagt wird, das Organ im Zentrum unseres Körpers sei nichts weiter als eine Pumpe: Unsere Herzen schlagen noch. In ihnen pulsiert noch die Kraft, die Gut und Böse voneinander unterscheiden kann.
Was spüren wir, wenn wir in die Welt hinausblicken? Wollen wir wirklich so leben? Fühlen wir uns ehrlich und wahrhaftig wohl, wenn wir uns umsehen? Erfüllt es uns mit Freude und Glück, auf die Straße zu gehen, zur Arbeit, zum Einkaufen? Wie sind die Menschen in den U-Bahnen und Bussen und in den Warteschlangen der Supermärkte? Was sehen wir in den Augen der anderen? Geht es den Menschen um uns herum gut? Sind sie glücklich? Wie ist die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken? Wie geht es den Bäumen und Pflanzen? Dem Boden und den Tieren? Wie sieht der Himmel über unseren Köpfen aus?
Wie geht es den Kindern in der Schule und den Menschen in den Altenheimen? Was mögen die empfinden, die alles verloren haben, die Einsamen, die Flüchtenden, die Kranken, die Sterbenden? Versetzen wir uns an die Stelle der anderen.
Auch wenn wir selbst vielleicht einen schönen Garten und eine geräumige Wohnung haben: Geht es den anderen auch so gut? Und wenn nicht: Was machen wir dann? Schließen wir uns immer mehr in unserer kleinen Welt ein und versuchen, nicht hinauszusehen? Oder öffnen wir uns und lassen auch die unbequemen Fragen zu?
„Was tut mir wirklich gut?“, könnte eine solche Frage sein. Nicht im Sinne von „Was mag ich gern?“, sondern „Was fördert die lebendige Energie in mir? Was lässt mich höher schwingen?“ Mir zum Beispiel tut es gut, mich in einer gesunden, friedlichen und natürlichen Umgebung zu bewegen. Ich liebe die Schönheit und die Klarheit. Es erfüllt mich mit einem tiefen Glücksgefühl, wenn ich mich in Verbindung fühle: mit Menschen, mit Tieren, Pflanzen, Elementen und mit der Mutter Erde. Offene Blicke, ehrliche Begegnungen, warme Berührungen. Das gibt mir Energie. Alles andere muss ich mir nicht antun.
Feindbilder überwinden
Während meiner Krebsbehandlung habe ich darauf geachtet, möglichst nur mit Menschen zusammen zu sein, deren Energie mir Zuversicht gab und Hoffnung. Von den anderen habe ich mich abgewendet. Wer an mir zerrte, wer mir nicht mit unbedingtem Wohlwollen, Respekt und Wärme begegnete, wer mir nicht zuhören wollte, von dem nahm ich Abstand. Da ich die heutige Zeit gleichzeitig als eine Krankheit und als eine Möglichkeit zur kollektiven Genesung erlebe, sind mir meine Erfahrungen mit Heilung jetzt eine hilfreiche Orientierung.
Ich befreite mich zunächst von der Vorstellung, in meinem Körper wachse etwas Feindliches heran. Sicher: Der Krebs konnte mich töten. Ich fürchtete ihn, doch ich wusste, dass die Angst mir bei der Heilung nicht helfen würde. Angst und Stress machen krank. Sie halten uns in der Ohnmacht gefangen. Wir fühlen uns wie gelähmt, ein armes Opfer des Geschehens. Hilflos überantworten wir die Lösung unseres Problems anderen. Meine Entscheidung war es daher, die gängigen Vorstellungen von Krebsmonstern und bösartigen Zellen zu überwinden und das Vertrauen in meinen Körper wiederzufinden.
Lebendige Organismen sind komplexe Systeme, in denen sich die Prozesse nicht irgendwie zufällig abspielen. Führen wir uns nur einmal vor Augen, wie unser Körper zum Beispiel Nahrung verdaut, dann erkennen wir die wunderbare und großartige Intelligenz des Lebendigen. Ob eine einzelne Zelle oder ein ganzer Körper, ein einzelner Grashalm oder ein ganzer Planet — alles, was sich in einem lebendigen Organismus abspielt, vollzieht sich in intelligenten Vorgängen und ist darauf ausgerichtet, das Gesamte möglichst gut und möglichst lange am Leben zu erhalten.
So glaube ich weder an Zufall noch an Determinismus noch an ein böses Schicksal, das uns eins auswischen will. Diese Vorstellungen degradieren den Menschen zu einem hilflosen Objekt, das darauf angewiesen ist, von einer von außen kommenden Kraft gerettet zu werden. Auf dieser vermeintlichen Ohnmacht fußt jede Form von Dominanz, Ausbeutung und Bereicherung. Dies sollte mein Weg nicht sein. Ich wollte nicht von Menschen in Kitteln abhängig sein, von Statistiken, Algorithmen und kalten Instrumenten, und begann, die üblichen Methoden in Frage zu stellen.
Ich fing an, die Geschichten von „bösen“ Zellen, die mit Gift und radioaktiven Strahlen ausgemerzt werden mussten, nicht mehr zu glauben. Es erschien mir zunehmend irrsinnig, eine Krankheit mit aggressiven und oft tödlichen Mitteln heilen zu wollen. Von Heilung sprach auch niemand, nur von Remission. Dieser Maschinerie wollte ich nicht mehr ausgeliefert sein. Hier mache ich nicht mehr mit! Um auszusteigen, musste ich mich vom Gefühl meiner Ohnmacht befreien und in meine Verantwortung kommen.
Ich wusste: Ich war nicht schuld an dem, was mir geschah, sondern zuständig für die Lösung meines Problems. Ich war kein Objekt, mit dem man alles Mögliche anstellen konnte, sondern ein Subjekt in Aktion. Im Zentrum meines Heilprozesses standen nicht Experten und Fachleute, sondern ich selbst. So sattelte ich das fatale Dreigespann Opfer, Täter und Retter ab und machte mich an die Arbeit.
Kollektive Heilung
Alles, was geschieht, trägt eine Information in sich. Ob Krankheiten, Unfälle, Verluste, Konflikte — etwas kommt in den Ereignissen zum Ausdruck. Uns wird etwas vor Augen geführt, was uns bis dahin nicht bewusst war. Wenn wir nun in die Reaktion gehen, auf das Symptom einschlagen und versuchen, es zum Schweigen zu bringen, dann verlagern wir nur das Problem. Es nützt nichts, das Kabel durchzuschneiden, um den Alarmknopf nicht mehr blinken zu sehen. Das Problem wird sich einen Weg suchen und anderswo zum Ausdruck kommen. Das nächste Mal wird es lauter klopfen, wie jeder Botschafter, der nicht gehört wird.
Wenn wir dauerhafte Lösungen finden wollen, können wir ein Problem nicht „wegmachen“, sondern müssen es gewissermaßen „verdauen“. Wir müssen mitten hinein gehen und versuchen, die Information zu entschlüsseln. Was ist die Botschaft? Brustkrebs zum Beispiel steht im Zusammenhang mit Fragen, die das Frausein betreffen. Wie ist meine Beziehung zu meinen Kindern, meinen Eltern, meinem Partner? Was spielt sich in meinem „Nest“ ab? So können wir aus der Ohnmacht heraustreten und die zerstörerische Opferrolle, die immer nach einem Täter und einem Retter ruft, hinter uns lassen.
Wir müssen also an die unbequemen Fragen heran. Nur wenn das Problem beim Namen genannt ist, kann die Lösung erscheinen. Wovor habe ich Angst? Was versuche ich zu schützen und zu verbergen?
Wenn wir uns darauf einlassen, kommen wir an die Sehnsucht hinter der Angst, an das, was wir eigentlich wollen. Damit wird jede Konfrontation zu einer Gelegenheit, in die Heilung zu kommen, körperlich und geistig. Unterbrechen wir die Verbindung nicht! Hören wir hin. Hören wir einander zu. Bleiben wir in Kontakt. Setzen wir uns auseinander. Diskutieren wir und legen wir alle Karten auf den Tisch. Sagen wir, was wir wirklich denken, fühlen, ersehnen. Inspirieren wir uns dabei an der Intelligenz unseres Immunsystems: Wir sind nur dann geschützt, wenn wir uns mit den Ereignissen konfrontieren.
So können wir alle zusammen in die Heilung finden. Licht, Luft und Liebe sind auch hier die Schlüssel. Lassen wir Licht in unsere verstaubten Beziehungen hinein strahlen. Machen wir Platz für Ehrlichkeit. Machen wir Fenster und Türen weit auf und laden die Liebe ein, an unserem Tisch Platz zu nehmen. Trinken wir einen guten Wein zusammen. Er wird nicht allen gleich schmecken. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Dann können wir immer noch entscheiden, ob wir uns auch in Zukunft einladen werden, oder ob unsere Wege sich trennen — ohne Groll, ohne Nachtragen, im Wissen einer grundsätzlichen, unauflöslichen Verbundenheit.
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