Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
In der Logistikbranche

In der Logistikbranche

Wer eine Bestellung online aufgibt, nimmt die Arbeitskraft derer in Anspruch, die die Waren zurichten: Sie verwalten und bestücken gigantische Lager — und sind systemrelevant.

Roberto De Lapuente: Herr Schmitt, seien Sie gegrüßt. Sie arbeiten in der Logistikbranche, sprich in einem Lager. Wann haben Sie zuletzt einen Film oder eine Serie gesehen, in dem ein Lagerarbeiter Held der Geschichte war?

Gregor Schmitt: Wahrscheinlich noch nie. Ich gucke zugegebenermaßen lieber Krimis oder irgendwelche absurden Komödien. Mir fällt aber ein Tatort ein, indem ich eine Szene mit einem Lagerarbeiter gesehen habe. Und anscheinend fand es der Regisseur wohl nicht wert, irgendjemanden, der sich mit dem Job auskennt, zu fragen. Da hat einer einen Hubwagen geschoben, so wie es mit Sicherheit keiner, der auch nur zwei Wochen lang Lagerarbeit gemacht hat, machen würde.

Mir fällt ein Film ein: Nomadland, ein vielgelobter, oscarprämierter US-Film, in dem Menschen ohne festen Wohnsitz einmal im Jahr bei Amazon anheuern und dort „eine Chance“ bekommen. Dort wurden also Arbeiter, Lagerarbeiter genauer gesagt, benutzt, um Amazon in ein helles Licht zu rücken. Sie arbeiten nicht bei Amazon, Herr Schmitt. Der Grad Ihrer Ausbeutung ist, so hoffe ich inständig, nicht ganz so hoch wie bei diesem Handelsriesen?

Diesen Film habe ich nicht gesehen. Ich arbeite aber tatsächlich nicht bei Amazon. Ich habe mal geschaut, was bei Amazon gezahlt wird. So ganz katastrophal schlecht ist das nicht. Reich wird man damit allerdings auch nicht. Von Leuten, die da gearbeitet haben, habe ich gehört, dass die unter einem ziemlichen Zeitdruck stehen. Das kenne ich so nicht.

Ich arbeite in einem kleinen mittelständischen Lager — und da ist das alles ein bisschen entspannter. Allerdings ist man da natürlich auch hin und wieder mehr in der Pflicht, dann vielleicht mal ein bisschen länger zu machen. Und reich wird man erst recht nicht, weil es sich die kleinen Läden halt nicht leisten können. Wenn man sieht, was der Chef für ein Auto fährt, so kann sich ungefähr vorstellen, wie es dem Laden geht.

„Bei uns ist nicht ein einziger Tag wegen Corona ausgefallen“

Bei Amazon sind die Arbeitsbedingungen — so heißt es immer wieder — nahezu prekär. Das Unternehmen führt einen Kampf gegen Gewerkschaften und Betriebsräte. Kennen Sie in Ihrem Unternehmen solche Exzesse auch?

Wir haben natürlich keinen Betriebsrat in so einem kleinen Laden. Bisher hat noch keiner einen gegründet. Es gab durchaus schon mal Gespräche darüber, wenn irgendwelche interne Aufregung entsteht, dann kommt das Thema Betriebsrat schon mal hoch. Selbst wenn man keinen Betriebsrat hat, Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu sein, finde ich auf jeden Fall immer sinnvoll.

Ich bin Mitglied bei ver.di. Wobei die Gewerkschaft ist eigentlich auch ein ziemlicher Sauhaufen. Seit rund 20 Jahren kriege ich deren Presseorgan publik: Während der Coronazeit gab es in der Zeitung ziemliche Hetze. Gerade gegen Leute, die sich nicht impfen lassen wollten.

Die Logistikbranche hat 2023 einen Umsatz von 330 Milliarden Euro gemacht — laut Statistischem Bundesamt. Die Zahlen steigen Jahr für Jahr. Einen kleinen, einen eher unwesentlichen Einbruch gab es 2020 — wir wissen warum: Corona war schuld. Oder sagen wir besser: Die Maßnahmen? Sie waren nicht im Homeoffice zu jener Zeit, richtig?

Bei uns ist nicht ein einziger Tag wegen Corona ausgefallen. Wir haben sogar auf zwei Schichten umgeschaltet, weil die Firmenleitung Angst hatte, dass bei einem Corona-Fall der komplette Laden zugemacht wird.

Sie sagten im Vorgespräch, dass Sie sogar fünf statt sechs Tage die Woche arbeiten mussten — wegen dieser Schichtumstellung. Ihre Arbeitsbelastung war also durchaus höher …

Ja, so ähnlich war es. Es wurde jede zweite Woche sechs Tage gearbeitet, um so wieder auf die Wochenstunden zu kommen.

Sie waren also systemrelevant — in dieser Pandemie sogar ganz besonders, weil die Kundschaft zuhause auf Waren wartete, die es im Laden nicht mehr zu holen gab. Eigentlich ein tolles Gefühl, wenn man für das System unabkömmlich ist, oder?

Ich habe zu der Zeit in einem Bekleidungslager gearbeitet. Es ist halt die Frage, wie systemrelevant Bekleidung ist. Die meisten Leute haben ja mehr als volle Kleiderschränke zu Hause.

„Der Wiederholungsfaktor ist ziemlich hoch“

Es gibt Leute, die sagen, man kann nie genug haben …

Ich habe auch von solchen Leuten gehört. Wir haben auf jeden Fall deutlich mehr Umsatz gemacht, weil die Firma in der Coronazeit ihr Online-Geschäft ausgebaut hat. Das hieß, dass wir jede Menge Zeitarbeiter eingestellt haben.

Etwas über 600.000 Menschen in Deutschland arbeiten in verschiedensten Funktionen in der Logistik — die Zahlen stagnieren seit Jahren. Wie lange sind Sie schon in diesem Geschäft tätig? Würden Sie Ihre Arbeit als körperlich anstrengend einschätzen?

Anfang der Neunzigerjahre habe ich angefangen. Davor Abi, Ausbildung, Bundeswehr — habe auch studiert, aber festgestellt, dass das nichts für mich ist. Mein Job kann durchaus körperlich anstrengend sein, je nachdem was man macht. Ich war jetzt die letzten Jahre eher in leitenden oder organisatorischen Funktionen unterwegs. Das heißt aber nicht, dass ich mich aus dem ganz normalen Tagesgeschäft rausklinken kann.

Was die körperliche Belastung angeht: Wenn man sich selber an die Belastungsgrenze bringt und nicht über entsprechende Hilfsmittel verfügt, kann das sehr anstrengend sein.

Aber es gibt ja Stapler oder sogenannte Schnellläufer, auf die man hinten eine Palette mit Waren draufpacken kann, die man kommissioniert. Man macht da nicht zehn Kilometer am Tag, sondern man steht eigentlich die meiste Zeit auf diesem Schnellläufer und packt und pickt die Sachen zusammen, die sich aus den Aufträgen ergeben.

Zahlen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belegen dies. 80 von 100 Gefragten aus der Logistikbranche erklären da, dass das Arbeiten im Stehen eine massive Belastung sei. 71 Prozent empfinden die wiederkehrenden Arbeitsvorgänge als unglaublich belastend. Ist das bei Ihnen auch so, dass Sie immer dieselben Arbeitsabläufe haben?

Grundsätzlich ist der Wiederholungsfaktor ziemlich hoch. Man geht mit dem Auftrag los und stellt den Auftrag zusammen. Und das wiederholt sich natürlich in dem Moment, in dem man mit dem ersten Auftrag fertig ist. Dann geht es wieder von vorne los. Da gibt es schon eine starke Wiederholung. Das kann sehr ermüdend sein, je nachdem, wie doll man sich dabei konzentrieren muss.

Im Vorgespräch sagten Sie mir, dass die Müdigkeit nach einer Schicht durchaus ein Problem ist. Fällt es Ihnen danach schwer, sich beispielsweise mit komplexen politischen Themen auseinanderzusetzen? Ist Zerstreuung in solchen Momenten die Alternative des Augenblickes?

Das hängt ein bisschen von der Belastung am Tag ab — aber ja. Es ist ja nicht jeder Tag gleich anstrengend. Es gibt Abende, da geht man relativ locker in den Feierabend und ist aufnahmefähig, kann sich stundenlang konzentrieren. Es gibt aber auch genauso die Tage, wo man sich denkt, jetzt ist es aber auch mal gut, jetzt will ich nur noch die Füße hochlegen und den Fernseher anmachen. Das haben andere Jobs aber natürlich auch.

„Es gibt Parteien, die haben so gut wie keine Praktiker in ihren Reihen“

Fühlen Sie sich in der veröffentlichten Meinung als offenbar systemrelevant mit eigenen Händen arbeitender Mensch abgebildet? Kommen Ihre Sorgen in den politischen Debatten vor?

Gute Frage. Ich fühl mich teilweise ein bisschen falsch wahrgenommen, gerade wenn es um die finanzielle Belastbarkeit geht. Da sehe ich generell Leute, die in etwa das verdienen, was ich verdiene, in derselben Position. Wenn über günstige Elektroautos geredet wird und dass die nur 30.000&nbspMEuro kosten, da brauchen wir uns gar nicht drüber zu unterhalten. So was kommt doch überhaupt nicht in Frage, weil es einfach zu teuer ist. Hubertus Heil ist jetzt für mich zum Beispiel kein komplett rotes Tuch, den Mann finde ich eigentlich ganz brauchbar …

Das haben Sie schön ausgedrückt …

Aber er ist jetzt nicht unbedingt ein Praktiker. Er hatte beispielsweise mal vor, das maximale Gewicht von Paketen, die zugestellt werden sollen, auf 10 Kilo zu beschränken. Das ist unrealistisch. Also da muss man mal auf dem Teppich bleiben. Im Allgemeinen wiegen Pakete durchaus mehr.

Dann gibt es aber auch einfach so politische Parteien, die so gut wie gar keine Praktiker in ihren Reihen haben. Das sind in erster Linie die Grünen — und bei den Linken ist es mit Praktikern auch nicht so ganz weit her, obwohl man es eigentlich bei denen am ehesten denken sollte.

Im Bundestag sitzt niemand, der als Arbeiter definiert werden könnte. Man gebraucht dieses Wort heute ohnehin selten. Als sei es ein Anachronismus. Politische Betrachter, die der Ampel kritisch gegenüberstehen, machen sich zum Beispiel über Katrin Göring-Eckhardt lustig, weil die einst Küchenhilfe war. Es gibt viele gute Gründe, die Grünenpolitikerin zu kritisieren: Was halten Sie aber von der Fokussierung der Kritik auf einen angeblich „billigen Job“? Empfinden Sie solche Reduzierungen als ehrabschneidend?

Ich nehme mal an, sie wird ihre Gründe gehabt haben, warum sie eine Zeit lang als Küchenhilfe gearbeitet hat. Inzwischen hat sie ja einen relativ gut dotierten Job.

Ja, das befürchte ich auch …

Ich vermute, dass ich einiges dazu beitrage, dass sie so gut bezahlt wird. Aber gut, das ist eine ganz andere Sache. Ich habe grundsätzlich immer ein bisschen Probleme mit Leuten, die sich für was Besseres halten. Jetzt ist es ja so, dass sie sich ganz offensichtlich und auch öffentlich darüber ärgert, wenn man sie als ehemalige Küchenhilfe tituliert. Und wahrscheinlich springt sie deswegen einfach drauf an und die Leute reiten da ein bisschen drauf rum. Aber es ist natürlich schon ganz schön armselig. Nur weil die Leute halt einen solchen Job machen oder gemacht haben, darauf rumzureiten, das braucht man eigentlich nicht zu machen. Das ist affig.

„Wer von der Arbeiterklasse redet, macht sich schnell lächerlich“

Das sind Arbeiten, die notwendig sind in dieser Gesellschaft. Darüber muss man sich nicht lustig machen. Aber man muss jetzt aber auch nicht wie Göring-Eckhardt protestieren, weil das immer wieder thematisiert wird. Schämen braucht man sich dafür nun wirklich nicht.

Es stimmt, dass es eine ganze Menge Leute im Bundestag gibt, die jetzt nicht direkt mit ihrer Hände Arbeit Geld verdienen. Einer fällt mir aber ein: Tino Chrupalla von der AfD. Der war Maler-Meister, hatte seinen eigenen Betrieb.

Ich sagte eingangs, dass wir lange Jahre die klassenlose Gesellschaft gepredigt bekamen. Haben Sie den Eindruck, dass es heute weniger Wertschätzung für Berufe wie den Ihrigen gibt? Sprich: Hat die Indoktrinierung, wonach es keine Klassen mehr gibt, letztlich gefruchtet?

In England beispielsweise, da redet man ja noch von der Working Class. In Deutschland hat das sehr abgenommen. Von der Arbeiterklasse redet hier eigentlich niemand. Also Leute, die von Arbeiterklasse reden, die laufen schnell Gefahr, sich irgendwie der Lächerlichkeit auszusetzen.

Wenn ich kurz dazwischen grätschen darf: Ich habe stets den Eindruck, wenn jemand sagt, er ist Arbeiter, dann erntet er mitleidige Blicke, ganz nach dem Motto: Naja, er hat es versucht, aber irgendwie hat er es nicht geschafft und jetzt ist er halt als Arbeiter „hängengeblieben“.

Ich gehe damit relativ offensiv um. Die wenigstens lassen sich davon jetzt abschrecken oder machen sich lustig darüber. Man fragt schon mal, wie das so ist, wie man sich das vorstellen kann.

Aber ich kriege natürlich mit, dass Leute wie ich nicht dazugehören. Und das obwohl Bäcker, Maurer oder Dachdecker den ganzen Laden am Laufen halten. Auch die Feuerwehr und die Polizei übrigens. Eigentlich sollten die sich alle mal ihrer Wichtigkeit für dieses Land bewusst werden.

Es gab Zeiten, in denen hat man voller Stolz gesagt, dass man Arbeiter ist. Das ist zugegeben lange her. Aber unter Umständen wäre es ein Fortschritt, wenn wir wieder solche Zeiten bekämen. Man muss sich nicht verstecken für das, was man macht. Man tut Wichtiges, ist systemrelevant, wie wir gesehen haben. Sie, Herr Schmitt, waren es ebenso wie Kassiererinnen. Und trotzdem werden solche Berufe geschmäht.

Das möchte ich mal sehen, wenn da keine Kassiererin mehr sitzt. Wobei diese Leute, die schon jetzt immer an diese digitalen Kassen gehen, sorgen natürlich dafür, dass es immer weniger von ihnen gibt …


Sie möchten auch über Ihren Arbeitsalltag sprechen, Ihre Arbeitserfahrungen mit uns teilen? Melden Sie sich bitte bei uns unter: roberto.delapuente@manova.news.


Arbeiter? Klasse! Der Podcast für die Ungehörten: Gregor, Lagerarbeiter


Manova sammelt keine nutzerbezogenen Daten. Auf YouTube, Spotify und Co. haben wir leider - noch - keinen Einfluss. Wenn Sie den Inhalt wiedergeben möchten klicken Sie bitte auf diese Box. Dann werden gegebenenfalls einige Ihrer Nutzungsdaten durch die jeweilige Plattform erfasst.




Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

VG-Wort Zählpixel

Weiterlesen

Die Politik der Verzweiflung
Thematisch verwandter Artikel

Die Politik der Verzweiflung

Donald Trumps Wahl ist vermutlich nicht die Lösung, aber sie ist ein Symptom dafür, wie groß die Probleme der US-amerikanischen Gesellschaft bereits geworden sind.

Nazis wie wir
Aus dem Archiv

Nazis wie wir

Die inflationäre Verwendung des Nazi-Begriffs entkernt und zweckentfremdet diesen — mittlerweile ist er zu einer Worthülse verkommen.