1
Struktur ist eine schöne Sache. Wenn man es damit jedoch übertreibt, wird sie zur Bremse, und der Fluss des Lebens gerät ins Stocken. Die Wissenschaft hat es mit der Struktur. Sie hat es sehr mit der Struktur. Inzwischen hat sie es viel zu sehr, mit der Zerpflückung der Dinge, mit der Zerlegung der Welt. Der Bogen ist lang überspannt. Irgendjemand sollte ihr Einhalt gebieten. Die Dosis macht das Gift. War es nicht so? Ist es nicht immer noch so?
Bekanntlich gibt es nichts Neues unter der Sonne — ganz unabhängig von Fortschritt, Evolution und iPhone 10 bis 15. Jeder, der etwas anderes behauptet — na ja, der behauptet eben was anderes, der versucht sich noch dem Dasein zu entwinden, wie es ist, hinein in eine sorgenfreie Zukunft, die es dennoch niemals geben wird, die es niemals geben kann.
In holdem Irrtum hinzutreiben, das ist zwar der Jugend edle Zier, doch wenn man alt wird in der Leugnung der Wirklichkeit des Lebens, das ist fatal. Leugnung, Leugner — wie leid ich dieses Wort bin, man mag es nicht mehr schreiben. Immer schade, wenn die Sprache eine Vokabel verliert, weil sie leer geleiert wurde — von Gedankenlosen, von Hemmungslosen,
von Menschen, die in ihrem Leben noch kein Gedicht geschrieben haben.
Drosten, Wieler, Lauterbach: Schreibt mal nur ein paar Zeilen. Setzt euch mal hin und schreibt mal nur ein paar ehrliche, ein paar wirklich persönliche Worte!
Es muss kein Sonett werden — ein Elfchen würde uns schon reichen. Nur: Etwas mehr als ein Reim von Merkel auf Ferkel oder von Holz auf Scholz sollte schon drin sein. Denn ein Reim ist noch kein Gedicht. Das weiß jeder, der die Begegnung mit dem leeren Blatt riskiert hat.
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Der Mikrochip kam geflogen, eines Tages — „aus heiterem Himmel“ kann man nicht sagen.
Es war so in den 1960ern bis 1970ern, und die Welt war grau aus anderen Gründen. Die Welt hatte andere Sorgen. Die Leute starrten auf den Nuclear Overkill und weg vom Hunger in der Dritten Welt.
Natürlich gab es auch Simon und Garfunkel einst im Central Park, denkwürdig im warmen Sonnenuntergang: Are you going to Scarborough Fair? Säusel, säusel … Oh, New York, wie warst du uns ein Stolz. Oh, New York, wie warst du uns ein Wunder, wie warst du uns ein monumentales Zukunftsversprechen. If you are going to San Francisco... Kalifornien, wie warst du uns eine Happy-Hippie-Landschaft. Es gab teilweise Glück in den 70ern und es gab teilweise Kitsch, und gerne genommen wurde damals wohl Kitschglück oder war es Glückskitsch...? However — so war das damals.
Der Mikrochip, die kleine Digidigi-Bastelei aus den US-Tech-Garagen schlich sich unauffällig durch die Hintertüren des Planeten
Und heute, fünfzig Jahre später, wer hätte das gedacht, kommt der letzte Cowboy aus Gütersloh und sucht die Freiheit irgendwo, oho — aber sicher nicht in Kalifornien.
Wahrscheinlich hat man inzwischen selbst in Ostwestfalen die Suche nach der Freiheit aufgegeben. Wahrscheinlich sucht der Kuhjunge von heute — E-Zigarette, puff puff, nicht vergessen! — nur noch freien Speicherplatz auf seinem Endgerät.
Obwohl er ständig anbaut, wird die Platte immer voller und voller von all dem Müll,
den Bill und die Tagesschau ihm täglich leaken: Must see! Must have! Must believe!
Don’t question the bullshit, wenn er dir nur digital um die Ohren fliegt.
Quarantäne kann so einsam sein.
3
Logbuch des Planeten Erde. Wir schreiben den 30. November 2021:
Es regnet aus Kübeln, und das zu Recht. Schließlich geht heute eine Ära zu Ende. 72 Jahre Bundesrepublik Deutschland sind endgültig vorüber. Mit der Abweisung der Verfassungsklage gegen die Bundesnotbremse ist der letzte Sargnagel eingeschlagen und die Grundrechte sind forever perdu. Der schwärzeste Tag der Nachkriegszeit.
Das muss man erst mal wegstecken.
Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen. Der Kapitalismus ist am Ende. Der Krieg ist am Anfang.
Wie die Projektile sich wandeln über die Zeit. Wer hätte gedacht, dass Nadeln mal zum Geschoss der Zukunft würden. War das nicht Voodoo, diese Sache mit den Nadeln? Sind wir wieder im Mittelalter angelangt, oder gar in irgendeinem finsteren Hokuspokuskult der Vorzeit? Günther Uecker, wie warst du Avantgarde. Wohl dem, der die Nagelbilder von Uecker im Portfolio hat. Euer Börsenwert wird shooten, und Düsseldorf ist und bleibt doch das heilige Mekka der Kunst. Tote Hosen, wer kann euch propagandistisch das Wasser, wer kann euch Holzköpfen die Spritze reichen...?
Oder ist die Nadelorgie einfach die neue Akupunktur aus China, but diesmal in supermodern? Hypa, hypa! Stellen Sie sich nicht dem Fortschritt in den Weg! Wir werden jetzt alle Kinder vom Bahnhof Zoo. Null Problemo! In meiner Stadt werden wir jetzt alle Kinder vom Hinterausgang am Bahnhof, da wo samstags immer der schicke Wochenmarkt ist. Die Oberstadt holt sich hier ihre Spezialkäse aus Frankreich ab, mundgeblasen, handgeklöppelt, alles Bio und natürlich ungespritzt — Gentechnik niemals oral, immer nur intravenös!
Direkt daneben an den U-Bahntreppen liegen die Junkies und Heimatlosen auf ihren Schlafsäcken. Aber welch Wunder — Halleluja! der heilige Strahlenkranz, Corona, überbrückt sogar die soziale Kluft.
ALLE wollen die Spritze: Olivgrüne Yuppies wie altgrüne Junkies, alle wollen viele neue frische Nadeln, pieks, pieks. Endlich vaccst zusammen, was zusammengehört!
Die Autobahnen des Lebens werden jetzt fünfspurig ausgebaut. Ach, was sag ich, großspurig werden die ausgebaut, richtig großspurig. Das wird ne ganz neue Zeit, das wird ne ganz neue Ära! Noch einmal im Chor: Halleluja! Wie sprechen es die Wissenschaftler mit ihrem irren Blick über die Brille hinweg: Hören Sie auf zu denken. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie können uns vertrauen. Und dann kommt dieser eine magische Satz, gegen den du einfach nicht argumentieren kannst:
Wir haben alles gezählt!
Albert Speer hätte seine Freude an der Sache mit den Nadeln. Einfach MEGA, dieses Mega-Projekt!
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Im Bilderbuch sieht der kleine Junge von morgen die Welt von gestern. Er sieht, wie sie steigt und fällt. Leben und Glas — wie leicht bricht das. Geh nicht raus auf die Straße, kleiner Schoolboy, es ist zu gefährlich. Geh nicht hinaus in den Garten, kleines Mädel. Viel zu giftig ist es dort für so ein wunderbares Wesen wie dich. Die Natur ist so bedrohlich. Der Wald ist so gefährlich. Die Wildnis ist ein Biodschungel voller Gemeinheiten für kleine Menschenkinder. Halte dich fern von der echten pulsierenden Wirklichkeit. Sonst können wir dich leider nicht schützen. Oh, schaurige Lebenswirrn, wie hängen wir am roten Zwirn.
Da, mach das Neonlicht an und schau auf den Bildschirm, blink, blink: Gar schöne Spiele spielt er mit dir. Und bist du nicht willig — ich muss jetzt los, bis bald. Wir sehen uns dann. Lösch die Lupinen. Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit — du weißt schon — wird sichtbar nun am Horizont.
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Zeitung des Planeten Erde, wir zeichnen den 6. Dezember 2021:
Der Nikolaus im roten Mantel uriniert in ein paar Schuhe, die vor einer Haustür stehen: Natürlich komm ich auch zu Ungeimpften, sagt die Sprechblase neben dem pissenden Weihnachtsmann. Hoh, hoh, die Braunschweiger Zeitung hat Humor. Die Braunschweiger Zeitung hat ihren ganz eigenen Humor — die Literatur bricht hier ab // dem Schreibenden, dem Lesenden, dem Fühlenden wird schlecht bei diesem Gekritzel aus dem Giftschrank der Widerlichkeiten. Ist das mit Wohlstandsverwahrlosung allein noch zu erklären? Möge Bielefeld doch wirklich existieren und Braunschweig vor Scham im Erdboden versinken. SOS ans Universum: Ich bin ein Mensch, holt mich hier raus! Holt mich raus aus dieser Irrenanstalt.
Was soll da noch kommen. Was kommt als nächstes. Wann fällt der erste Schuss. Wann fällt der letzte Schuss. Und was, verdammt noch mal, wird dazwischen alles passieren, wenn dieser Zivilisationsbruch weitergeht...
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Wir leben im besten atheistischen Gottesstaat aller Zeiten. Die Hygiene-Taliban sind auf den Straßen. Der Wissenschaftsfundamentalismus hat seine ganz eigene Scharia ausgerufen. Dreimal täglich verneigen wir uns alle in Richtung RKI: Dein Reich komme, dein Wille geschehe. Dein ist die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit: AHA!
Irgendwo im Land hört man leise, ganz leise einen Tropfen auf die Erde fallen — platsch platsch. Wasser, vom Himmel geschickt, fällt sacht auf Mutter Erde nieder und benetzt den winzigen Samenkrümel einer Blume im Gras. Das Körnchen regt sich.
Ein erstes Blatt schwenkt die Fahne der Unschuld und nach und nach entfaltet sich eine strahlende Blüte ganz ungeniert mitten in den Neuen Deutschen Faschismus hinein.
Und nicht mal trampelt ein derber Soldatenstiefel rüde auf ihr herum — auf leisem Schuh schleicht sich der große Bruder von heute in die Hirne der Hypnotisierten.
7
Logbuch des Planeten Erde: Wir schreiten am Montagabend dem 13. Dezember 2021 mit kaum fünfundzwanzig Freunden zwischen acht und achtzig Jahren im Spaziergang auf einem Fußweg durch ein kleines Stadtteilwäldchen, einige Lichterketten im Dunkeln hier und da, wie Glühwürmchen zur Weihnachtszeit — sehr beschaulich, sehr idyllisch. Plötzlich, Autoscheinwerfer direkt hinter uns, grell und blendend. Wir treten auf die Straße am Ende des Parks. Blaulicht hinter uns, vor uns, überall — Mannschaftswagen der Polizei, ungläubig zähle ich acht, zehn, zwölf Fahrzeuge. Seitentüren öffnen sich. Leute in Uniformen steigen aus. An einer Hausecke umstellt man uns. Im Vorgarten nebenan schimmern unschuldig die Christbaumkerzen.
Der Vorwurf: Versammlung, ja, Fackelzug gar allen Ernstes... Nichts von alledem ist der Fall. Mein Geist sprachlos, mein Gefühl bleiern, wie taub. Eine Freundin, die bis dato noch keine einzige Demo, keinerlei Berlin-Schikane mitgemacht hatte, fällt aus allen Wolken: Ich versteh die Welt nicht mehr. Doch, sag ich, jetzt gerade beginnst du sie zu verstehen.
Die Atmosphäre ist angespannt, breitbeinig verstellen uns die Robocops den Weg. Es ist wieder noch eine Umdrehung weiter, anders selbst als in Berlin, seit zwei Jahren schon. Am nächsten Morgen erst dämmert mir:
Die Uniformen waren zwar noch Polizei, aber das ganze Gehabe, die Gestik und Mimik waren anders — Militär! Militär im Einsatz gegen die eigenen Bürger.
Immerhin ist ein etwas gemütlicherer Senior-Sheriff dabei und vermittelt, entschärft die Lage. Wir kennen ihn von vergangenen Events. Seine letzten Jahre im Dienst hat er sich sicher anders vorgestellt. Er ist der Typ, der nach dem Job eigentlich nur die Füße hochlegen und seinen FC siegen sehen will. Wie lange kann man sich raushalten, wie lange kann man sich zwischen allem hindurch winden?
Leonard Cohens The Future kommt mir in den Sinn: Things are gonna slide, slide in all directions. There ll be nothing you can measure anymore. There ll be the breaking of the ancient western code, your private live will suddenly explode. There will be phantoms, there will be fires on the road... Natürlich hätte Cohen anstelle von Dylan den Nobelpreis verdient gehabt. Die Mutter und ihre wunderbare achtjährige Lichterkettentochter sind immerhin grad noch im Wäldchen entschlüpft. Ein bisschen Glück auf unserer Seite.
8
Das Leben ist meistens — andererseits macht es ja auch Spaß. Man sitzt ganz gerne mal mit Wein im hohen Gras und bestaunt den Sonnenuntergang. Doch nun versackt die Welt als Ganzes und Europa geht den Bach am runtersten — Europa verabschiedet sich Big Time diesmal. Was für ein Crash der Kulturkoordinaten!
Wer hätte gedacht, dass die Renaissance noch mal so ihre Umkehrung erfährt, und nicht nur in Italien. Mittelalter im Hightech-Schick scheint der neue Approach allüberall.
Damien Hirst taucht eine Schweinehälfte in Formaldehyd und stellt sie ins Museum. Must have! Must buy! Must be große Kunst! Vielleicht haben wir es nicht besser verdient. Es ging ja schon lange bergab. Machen wir uns nichts vor. Spätrömische Dekadenz nicht nur in London, nicht nur in der Kunst. Der Verfall ist allgegenwärtig. 100 Mios für Messi, 200 für Neymar und dann: Lauf, du Sau! Christian Eriksen, der Wikinger höchstselbst — welch Sinnbild, ugga ugga — sackt wie von der Axt gefällt zu Boden und die Fußballwelt schaut zu. Gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen, heißt es im Blätterwald. Die Zirkuspferde auf dem grünen Rasen entdecken gerade die Kehrseite der Medaille in ihrem Business. Vielleicht mal das Kleingedruckte checken — deal with the devil, wird da wohl irgendwo zu lesen sein.
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Logbuch des Planeten Erde. Es geht auf Silvester: Vor uns liegt Jahr 02 der neuen Zeitrechnung: n. Cr. (also nach Corona). Im Jahr 21 v. Cr. — ehemals 1999 — bin ich noch extra nach Karlsruhe gefahren in den Kernschatten der denkwürdigen Sonnenfinsternis damals. Innerhalb einer Minute verschwand das Tageslicht und die Sterne funkelten auf. Und als der Mond die Sonne exakt bedeckt hatte, erschien am Himmel der berüchtigte Strahlenkranz, die Corona, rund um das pechschwarze Loch von Sonne und Mond — Atem beraubend und Ehrfurcht gebietend wie nichts jemals zuvor. Ein überdimensionales himmlisches Auge sah auf den Globus herab. Big Brother is watching you!
Der globale Überwachungsstaat hat nun den Fuß auf den Planeten gesetzt. Sein Footprint ist totalitär. Wo er hintritt, wächst kein Gras mehr. Und wer etwas anderes behauptet, der muss wohl ein Poet sein oder ein Weichzeichner der Geschichte...
Mit dieser Attitude hat wohl schon Columbus einst amerikanischen Boden betreten. Some adjustments of what it means to be human — das brauchen wir, wenn es nach Monsieur Schwab geht, das kriegen wir doch hin, das machen wir doch mit links, das kann doch nur ne Kleinigkeit sein. Some adjustments — jetzt stellen Sie sich mal bitte nicht so an!
Und nun werden wieder Kontinente erobert allüberall.
Dein, mein, unsere Körper aus Fleisch und Blut, das sind die Kontinente, an denen die Schiffe des Impfimperiums an Land laufen.
Eine dunkle Zeit nimmt ihren verhängnisvollen Anfang. Orwell und Huxley im Doppelpass. Huxley spielt den Ball zu Orwell, Orwell wieder zu Huxley und dann: Schuss! Impfschuss auf den Tor von heute, ehemals Bürger genannt, inzwischen als Burger zumeist treffender beschrieben...
Der Tod der Aufklärung unter Laborbedingungen, er spielt sich vor unseren Augen ab.
Der megatechnische Pharao fordert seinen Tribut. Jeder hat seinen Beitrag zu leisten.
Massenmenschhaltung is coming home. Kreative Zerstörung kann so funky sein.
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Sekten kommen und gehen.
Nach Heaven‘s Gate in den 90igern ist es nun also Gate’s Heaven auf Erden, der uns alle selig machen soll.
Halleluja! So sei es. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.
Die Nadeln der Tanne im Garten sind eisüberfroren und blitzen im Licht der Morgensonne. Auf dem Ast vor dem Fenster sitzt mal wieder der Eichelhäher. Ein paar Federn von einem seiner Brüder liegen hier auf meinem Schreibtisch. Das schillernde Blau hat eine sehr schöne verspielte Struktur.
Quellen und Anmerkungen:
Vom selben Autor erschienen im Rubikon Literatur-Salon
„Sog aus der Zukunft“, „Meine kleine heile Meile“, „Cogito, ergo: dumm“ und „Der einsame Planet“.
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