Nach Einwanderung der Europäer entwickelte sich in Nordamerika eine neue, unabhängige Staatengemeinschaft: die USA. Innerhalb kurzer Zeit wurden die USA zu einer weltbeherrschenden Hegemonialmacht, die rücksichtslos ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen durchsetzt. Dieses Verhalten legitimieren sie mit ihrer vermeintlich historisch begründeten kulturellen und politischen Einzigartigkeit und einer daraus erwachsenden Sonderrolle. Dieses Selbstverständnis drückt sich aus in der Ideologie des US-amerikanischen Exzeptionalismus.
Um den aggressiven Herrschaftsanspruch der USA verstehen zu können, ist es notwendig, die Ursachen und den Prozess der Herausbildung des US-amerikanischen Exzeptionalismus historisch zu betrachten. Als Historikerin hatte sich die Autorin in ihrer Studienarbeit „Der Weg zum US-amerikanischen Exzeptionalismus. Entstehung, Funktion und Gegenwart“ intensiv hiermit auseinandergesetzt (1).
Der Amerikanische Exzeptionalismus
Die USA betrachten sich als eine außergewöhnliche und einzigartige Nation und dieses Selbstverständnis drückt sich in der Ideologie des amerikanischen Exzeptionalismus aus. Sie sehen sich im Vergleich zu anderen Nationen als so außergewöhnlich, dass internationale Vereinbarungen und völkerrechtliche Regeln nur dann für sie gelten, wenn diese ihnen Nutzen bringen. Die moralischen Kriterien, die sie an andere anlegen, betrachten sie für sich selbst nicht als bindend. Sie sehen sich als „(…) einzigartig gutartiges Imperium (…)“ (2), als wesenhaft gut.
Entsprechend der Ideologie des amerikanischen Exzeptionalismus kann man die Verbrechen von wesenhaft Guten nicht nach gleichen Maßstäben bewerten, wie Verbrechen von wesenhaft Schlechten. Der wesenhaft Gute könne keine Kriegsverbrechen begehen, sondern es kann im Kampf für das Gute in der Welt lediglich vereinzelt zu Kollateralschäden kommen (3). Madeleine Albright, ehemalige Außenministerin der USA, erklärte am 19. Februar 1998 dazu:
„Wenn wir Gewalt anwenden müssen, dann deshalb, weil wir Amerika sind. Wir sind die unentbehrliche Nation. Wir sind groß und wir sehen weiter in die Zukunft als alle anderen“ (4).
Die USA sind der Überzeugung, Gottes Werk zu vollbringen, indem sie anderen Nationen ihre Werte und ihr System bringen (5). Mit diesem Auftrag legitimieren sie ihre Handlungen, die einzig darauf ausgerichtet seien, die Welt zu verbessern.
Hillary Clinton fasste diese Mission am 31. August 2016 in ihrer Wahlkampfrede zusammen:
„Die Vereinigten Staaten sind eine einzigartige Nation. (…).großartiges, selbstloses, mitfühlendes Land. (…) es ist die Stärke unserer Werte und des amerikanischen Volkes, eines, das (…) niemals aufhört zu versuchen, dieses Land und die ganze Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und ein Teil dessen, warum wir eine einzigartige Nation sind, ist, dass wir auch eine unentbehrliche Nation sind.(…). Überall auf der Welt schaut man auf uns und folgt unserer Führung“ (6).
Mit diesem Selbstverständnis begründen die USA ihren Anspruch auf eine führende Rolle in der Welt. Bei der Durchsetzung dieses Anspruchs gehen sie aggressiv und ohne Rücksicht vor. Selbst Kriege, Regime-Changes und Morde betrachten sie dabei als legitime Mittel.
An dieser Stelle ergibt sich die Frage, wie sich ein solches Selbstverständnis und die dahinter stehende Ideologie entwickeln konnten. Aus diesem Grunde soll im Folgenden ein Blick auf die Ursachen und den Prozess der Herausbildung des US-amerikanischen Exzeptionalismus geworfen werden.
Anfänge des westlichen Überlegenheitsgefühls
Das, was sich später als Gefühl der Außergewöhnlichkeit im US-amerikanischen Exzeptionalismus manifestierte, fand seinen Anfang schon lange vorher in Westeuropa, insbesondere in England. Hier entwickelte sich bereits im Mittelalter die religiös begründete Überzeugung einer grundsätzlichen Überlegenheit gegenüber anderen Kulturen und Völkern. Diese Überzeugung hatte einen religiösen Hintergrund, denn sie resultierte aus dem Glauben, England sei, ebenso wie Israel, Gottes auserwähltes Volk und habe eine besondere Rolle in der Welt (7). Damit verband man zugleich einen Sendungsauftrag, um die eigenen, als höherwertig angesehenen Werte, in die unzivilisierte Welt zu tragen.
Die Überzeugung der Überlegenheit sah man bestätigt durch den wirtschaftlichen und machtpolitischen Aufstieg der westeuropäischen Staaten zu Beginn der Neuzeit. In der Folge begannen diese, die Welt zu erkunden, andere Regionen zu erobern und auszubeuten und entwickelten sich zu weltbeherrschenden Mächten. Auch hier nahm England eine besondere Rolle ein, da es sich in großem Tempo zu einer dominanten wirtschaftlichen und politischen Macht mit imperialem Anspruch entwickelte.
Besiedlung Nordamerikas und Gründung der USA
Die Besiedlung der amerikanischen Ostküste zu Beginn des 17. Jahrhunderts (8) durch die Engländer zielte auf eine dauerhafte Kolonisierung des Landes ab. Durch den Einfluss unterschiedlichster Faktoren entwickelten sich die Kolonien dann jedoch anders als geplant. Im Jahr 1776 erklärten sie ihre Unabhängigkeit von England und die USA wurden gegründet.
Die USA sahen sich von Beginn an als eine neue, außergewöhnliche Nation. Denn sie waren nicht nur weltweit die erste Kolonie, die sich vom Mutterland losgesagt hatte. Vielmehr sahen sie die Gründung einer neu gestalteten Republik als ein einzigartiges politisches Experiment und als den Beginn einer neuen amerikanischen Ära.
Allerdings waren die USA zum Zeitpunkt ihrer Gründung eine Nation ohne eigenen geschichtlichen Hintergrund, ohne gemeinsame gewachsene Traditionen und Werte. Aus diesem Grunde wurde frühzeitig begonnen, mittels gezielter Strategien neue kollektive Selbstdarstellungen und -konstruktionen zu konzipieren, um eine nationale Identität zu prägen. Mithilfe vor allem der Medien sowie mit dem Einsatz von neuer Symbolik und neuen Ritualen etablierte man so das Bild einer Nation mit einem eigenen Wertesystem. In diesem Prozess der Prägung des US-amerikanischen Selbstverständnisses spielten die Ziele und Werte der Puritaner, den ersten Siedlern, die sogenannten Pilgerväter, pilgrims, an der Nordostküste Amerikas eine große Rolle.
Die puritanische Prägung des US-amerikanischen Exzeptionalismus
Die Puritaner gehören einer protestantischen Glaubensgruppe aus England an, deren Mitglieder nach den strengen Regeln des Calvinismus leben. In ihrer ursprünglichen Heimat England sahen die Puritaner ihre strengen Glaubensgrundsätze nicht ausreichend verwirklicht. Hinzu kam, dass sie vor allem auf Grund ihrer Reformforderungen verfolgt wurden. In der Endkonsequenz verließen die ersten Puritaner Anfang des 17. Jahrhunderts England in Richtung Nordamerika.
Die Puritaner sahen diese Reise als eine Mission zur Ehre Gottes, um eine neue vorbildliche Welt nach Gottes Gesetzen, ein weißes, angelsächsisches, puritanisches Amerika als the millennial Nation aufzubauen. Dahinter stand, neben der allgemeinen Vorstellung einer Anglo-Saxon Superiority, das Selbstverständnis, Gottes auserwähltes Volk zu sein. Im Gleichnis mit Israel, dem von Gott aus ägyptischer Knechtschaft befreiten Volk, sahen sie sich befreit vom absolutistischen, staatskirchlichen Europa. Amerika galt als das Land der Verheißung auf Freiheit und Hoffnung. John Winthrop (1588 bis 1649), einer der führenden puritanische Prediger erklärte die neuen Siedlungen in Neuengland als city upon the hill, wo die Ideale des menschlichen Zusammenlebens verwirklicht würden. Die neue, auserwählte Nation sollte diese Errungenschaften nun von hier aus in die Welt tragen (9).
Die Vorstellung, Gottes auserwähltes Volk zu sein, bezog man aus der Lehre der sogenannten doppelten Prädestination (lat.: Vorherbestimmung) des Calvinismus. Diese besagte, dass das Schicksal eines jeden Menschen vorherbestimmt sei.
Nur ein von Gott bestimmter Teil der Menschheit sei auserwählt zur ewigen himmlischen Herrlichkeit und zu einem Leben mit Erfolg und Ansehen, der Rest sei der ewigen Verdammnis geweiht.
Aus Angst vor der ewigen Verdammnis suchte man nach Zeichen, zu den Auserwählten zu gehören. Und obwohl die calvinistische Lehre besagte, dass kein noch so gottgefälliges Leben etwas an Gottes Entscheidung ändern könnte, so meinte man doch, auf Erlösung hoffen zu können, indem man hart arbeitete und gottergeben lebte. Den somit im strebsamen irdischen Leben erzielten Erfolg sah man dann als Zeichen der Auserwähltheit, weil man ja davon ausging, dass menschliches Handeln nur durch Gottes Gnade erfolgreich sein kann.
Ein Großteil der englischen Puritaner gehörte zum englischen Mittelstand (10) und war sowohl wirtschaftlich erfolgreich als auch gesellschaftlich etabliert. Daraus schlossen die Gläubigen, zu Gottes Auserwählten zu gehören. Eben diese Puritaner hatten die Mittel und Möglichkeiten, um die alte Heimat zu verlassen und an der Ostküste Nordamerikas eine neue Heimat aufzubauen.
Die von den Puritanern aufgebauten neuenglischen Kolonien entwickelten sich innerhalb kurzer Zeit zu einer starken Wirtschaftskraft. Hierbei spielte, ebenso wie schon zuvor in England, die puritanische Lebensweise eine große Rolle. Denn ein entscheidender Antriebsfaktor dieser Entwicklung war eben die puritanische Lebens- und Arbeitsphilosophie. Sparsame Lebensführung, strebsames Arbeiten und die Reinvestition der Gewinne, all das führte schnell zu wirtschaftlicher Stärke. Dieser Erfolg wiederum bestätigte den Glauben, die Überzeugung, auserwählt zu sein und unter Gottes Schutz zu stehen.
Entwicklung der US-amerikanischen Zivilreligion
Auch wenn die Rolle und der Einfluss der Puritaner nach und nach zurückgingen, so prägen deren Werte, Vorstellungen und Lebensweise das Selbstbild der US-amerikanische Nation und seiner Menschen über Generationen bis heute. Insgesamt jedoch gestaltete sich die Herausbildung des heute bestehenden Selbstbildes sehr viel komplexer. So schuf man mithilfe neu konstruierter „Traditionen“ nicht nur ein passendes Geschichtsbild, sondern zugleich auch eine den Zusammenhalt fördernde nationale Ideologie. Unterschiedliche Inhalte und Argumentationsmuster wurden genutzt, angepasst und vermischt, insbesondere band man religiöse Momente in die säkulare Ordnung und Rhetorik ein.
Im Endergebnis entstand die sogenannte Zivilreligion, eine US-spezifische Mischung religiöser und politischer Konzepte, die bis heute genutzt wird, um politische Handlungen religiös zu legitimieren. Zugleich ersetzte man andererseits den ursprünglichen religiösen Missionsgedanken durch eine politische und zivilisatorische Werte-Überzeugung der US-Nation, die ihre eigenen Werte als vorbildhaft und erstrebenswert für die Welt ansah.
Expansion der USA und deren Legitimierung
Mit der Besiedlung der nordamerikanischen Ostküste verbanden sich zugleich auch expansionistische Pläne, die von Beginn an realisiert wurden. Dabei zog man immer weiter westwärts, ohne die Native American und deren Interessen zu respektieren. Die Ureinwohner wurden als die rechtmäßigen Einwohner und Besitzer des Landes entweder ignoriert oder man strebte an, sie religiös zu bekehren und zu assimilieren. Letztendlich wurden sie nicht nur verdrängt, sondern fast ausgerottet.
Um die rücksichtslose Inbesitznahme zu legitimieren, schuf man Mythen und Konzepte. Eines der bekanntesten Konzepte ist das der sogenannte Manifest Destiny aus den 1840-er Jahren. Mit diesem Konzept gab man der Überzeugung Ausdruck, dass es die offenkundliche Bestimmung (US-) Amerikas sei, sich westwärts auszubreiten, um Freiheit und Zivilisation in die Wildnis zu bringen. Hintergrund dieser Überzeugung war der messianische Glaube, auserwählt zu sein, Gottes Werk zu verbreiten. Mit den Erfolgen bei der Ausbreitung und Besiedelung sah man die göttliche Vorsehung bestätigt.
Diese Ideologie wurde im 19. Jahrhundert ergänzt durch ein sich wandelndes Menschenbild. Es hatte sich ein Paradigma herausgebildet, in dem nicht nur die Kategorie Rasse dominierte, sondern wo zugleich auch die Überlegenheit der weißen Rasse als „wissenschaftlich nachgewiesen“ galt.
Mit diesem Konzept ließ sich die Verdrängung der American Natives gut begründen beziehungsweise rechtfertigen.
Ergänzt wurde dieses Konzept durch den ideologisch aufgeladenen Mythos der Frontier (engl. Grenzland). Dieser Mythos stand als Sinnbild für die sich ständig weiter westwärts verschiebende Trennlinie von Zivilisation und Wildnis und den harten Kampf mit der Natur und den widerständigen Ureinwohnern. Dieser fortwährende Kampf um die Existenz habe einen neuen Menschen geformt, der sich durch Stärke und Mut von seinen europäischen Verwandten unterscheide (11).
Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die USA ihre kontinentalen Grenzen erreicht. Schon vorher jedoch hatte man die überseeische Expansion im Blick und begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts, diese zu realisieren. Dabei wurden von Beginn an immer wieder völkerrechtliche Regeln übergangen, zahlreiche Kriege begonnen und internationale Verträge gebrochen.
Bis heute versuchen die USA, anderen Nationen, je nach eigener Interessenslage, ihre Regeln zu oktroyieren. Staaten, die sich diesem absoluten Herrschaftsanspruch verweigern, werden erpresst oder völkerrechtswidrig angegriffen. Gerechtfertigt wird dies mit moralischen Argumenten, indem sich die USA als weltweite Verteidigerin und Kämpferin für Freiheit und Demokratie erklären. So bezeichnete Bill Clinton am 28. April 1996 die USA als „(…) die größte Kraft der Welt für Frieden und Freiheit.“ und Barak Obama erklärte am 9. April 2007, dass „(…) dieses Land immer noch die letzte Hoffnung auf der Welt ist.“ (12).
Bei der Argumentation bedient man sich immer wieder religiöser Rhetorik und teilt die Welt dichotomisch in böse und gut auf. Auf der einen Seite steht das „Reich des Bösen“, so Ronald Reagan, stehen die „Schurkenstaaten“, so George W. Bush. Auf der anderen Seite, ebenfalls laut George W. Bush stehen die USA als „gute“ exzeptionalistische Macht, welche den Völkern die Demokratie bringen soll.
Die Definition der Rollen beziehungsweise die Zuordnung liegt in der Deutungshoheit der USA, deren religiös-politische Aufgabe es sei, dem Tausendjährigen Reich Christi und dem Ende der Geschichte den Weg zu bereiten. Auf dieser Grundlage wurden und werden konkrete außenpolitische Handlungen und weltweite US-kriegerische Eingriffe legitimiert, wie beispielsweise der Krieg gegen Saddam Hussein im Irak 2003 bis 2011, den George W. Bush als göttliche Mission darstellte (13).
Die globale Rolle der USA — Aussichten
Mit dem Zusammenbruch des alten europäischen Systems nach dem Zweiten Weltkrieg bekam der Begriff des US-amerikanischen Exzeptionalismus für die USA und für die Welt eine neue Dimension. Denn nun begründeten die USA hiermit ihren Anspruch auf die globale Führungsrolle.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Ende der 1980-er Jahre gingen die USA davon aus, die einzige und letzte Weltmacht zu bleiben (14). Der Fokus der außenpolitischen Bemühungen der USA wurde verstärkt auf den eurasischen Kontinent gelegt. Dabei ging es neben der Verfügung über die enormen dort lagernden Ressourcen vor allem um die geopolitisch-strategische Bedeutung Eurasiens. Der US-amerikanische Politikberater und Stratege Zbigniew Brzezinski verglich Eurasien in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“ mit einem „(…) Schachbrett, auf dem der Kampf um die globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird“ (15). Er wies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit hin, die nach dem Zweiten Weltkrieg errungene Vormachtstellung auf dem Kontinent zu erhalten und das Aufkommen einer dominierenden gegnerischen Macht beziehungsweise einer antiamerikanischen Allianz zu verhindern. Denn das Schicksal der USA, so Brzezinski, entscheide sich im Raum von Lissabon bis Wladiwostok (16).
Allerdings gibt es nun ein Problem: Die Geschichte ist nicht, wie es der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Jahr 1989 voraussagte, zu Ende gegangen mit dem endgültigen Sieg des westlichen Liberalismus. Vielmehr ist die Welt gerade in Bewegung gekommen und es kommt zu vielen grundlegenden Veränderungen. Und in diesem Prozess wird die Rolle der USA als einzige und letzte Weltmacht und die Relevanz des US-amerikanischen Exzeptionalismus ernsthaft in Frage gestellt.
Zusammenfassung
Im Ergebnis der Untersuchung zeigt sich, dass die politische Philosophie der USA nicht nur von Beginn an stark religiös geprägt war, sondern dass der Einfluss der biblisch-religiösen Mythologie auf das gesellschaftliche Bewusstsein bis heute ungebrochen ist (17).
Die Hervorhebung des Neuen und Einzigartigen, des leuchtenden Vorbilds, zieht sich als Konstante durch die große Erzählung der US-amerikanischen Identität. Darin drückt sich nicht nur der Wille einer Abgrenzung zu den Wurzeln des alten Europas aus, sondern auch die Gewissheit, den Auftrag zu haben, die Welt nach eigenem Vorbild zu gestalten. Mit diesem exzeptionellen Selbstverständnis der US-Amerikaner entwickelte sich zugleich der argumentative Anspruch, die USA, gods own country, zum Vorbild für die Welt zu erklären und dies auch weltweit durchzusetzen (18).
Die daraus erwachsene Ideologie des US-amerikanischen Exzeptionalismus prägt nach wie vor die US-amerikanische Politik, wo sie als Narrativ für die Lenkung und Mobilisierung der Öffentlichkeit dient. Mittels dieser Ideologie erklärt man den vermeintlichen Anspruch auf eine besondere und führende Rolle in der Welt (-politik) durch die USA. Im Jahr 1973 fasste der US-amerikanische Historiker Thomas Baily das US-amerikanische Selbstverständnis wie folgt zusammen:
„Die amerikanische Variante vom Herrenvolk („Herrenvolk“ von Baily in Deutsch geschrieben — d.Verf.) begleitete uns seit den ersten Tagen der Gründung der Kolonie an der Massachusetts Bay. Die Überzeugung, dass wir das gotterwählte Volk sind und das göttliche Mandat haben, unsere edlen demokratischen Institutionen über den in die Finsternis getauchten Rest der Welt zu verbreiten, ermunterte uns (…) dazu, überall (…) die Bürde des weißen Mannes zu übernehmen. Wir Amerikaner glauben weiterhin, dass wir die mächtigste Nation der Erde (…) geworden sind, weil (…) in unseren Genen etwas Angeborenes ist, das uns zu unserer Größe verholfen hat“ (19).
Für die USA sind deren elitedemokratisches Selbstverständnis, ihr Sendungsbewusstsein, Überlegenheitsgefühl und Missionarismus bis heute relevant. Die US-Amerikaner selbst sehen sich noch immer als die einzig verbliebene Supermacht der Welt und feiern ihre große Vergangenheit als Ausdruck ihrer Einzigartigkeit.
Eine Umfrage von Gallup im Jahr 2010 zeigte, dass 80 Prozent der befragten Amerikaner noch immer an den US-amerikanischen Exzeptionalismus glauben (20).
Demgegenüber zeigt die Fremdwahrnehmung jedoch ein anderes Bild. In umfangreichen globalen Umfragen zeigte sich deutlich, dass die USA von den Befragten als die größte Gefahr für den Weltfrieden angesehen wurden (21). Die stark religiös geprägte Ideologie des US-amerikanischen Exzeptionalismus dient den USA in erster Linie der Durchsetzung eigener Interessen. Man nutzt sie, um damit die massive weltweite Interventionspolitik und Völkerrechtsbrüche von Seiten der USA zu legitimieren. Der Psychologe Rainer Mausfeld bezeichnete den US-amerikanischen Exzeptionalismus als eine „(…) moralische und intellektuelle Pathologie (…)“, die er als „(…) mitverantwortlich für die größten Blutspuren in der Zivilisationsgeschichte (…)“ sieht (22).
Quellen und Anmerkungen:
(1) Die Studienarbeit von Antje Lüth: „Der Weg zum US-amerikanischen Exzeptionalismus. Entstehung, Funktion und Gegenwart“ kann jetzt kostenlos in der open access Voll-Version beim GRIN Verlag gelesen werden: https://www.grin.com/document/1347311.
(2) Charles Krauthammer, zit. in: Mausfeld, Rainer: Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratiemanagement durch Soft Power-Techniken, Seite 20, in: https://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die_Angst_der_Machteliten_vor_dem_Volk.pdf, Zugriff: 7. August 2021
(3) Ebda. Seite 15
(4) Madeleine Albright in einem Interview mit NBCs Today Show, am 19. Februar 1998, in: Etges, Andreas; Fluck, Winfried: American Dreams?, Seite 160, Frankfurt a.M. 2011
(5) Stephen Kinzer (2006). Overthrow: America’s Century of Regime
Change From Hawaii to Iraq. New York: Times Books in:
https://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die_Angst_der_Machteliten_vor_dem_Volk.pdf, Seite 15, Zugriff: 7. August 2021
(6) Hillary Clinton, zit. in: https://www.freitag.de/autoren/ernstchen/hillary-clinton-und-die-unentbehrliche-nation, Zugriff: 27. August 2021
(7) Brandt, Heike: Invented Traditions, Die Puritaner und das amerikanische Sendungsbewusstsein, Seite 28, Passau 2011
(8) Bereits Ende des 16. Jahrhunderts (1584) gründete der britische Seefahrer Walter Raleigh mit Virginia die erste Kolonie in Nordamerika. Die Besiedlung wurde nicht durch England finanziert, sondern von einem privaten Unternehmen, der sog. Virginia Company. Ziel war es, die Handelsmöglichkeiten zu erweitern. Erst im Jahr 1620 landete weiter nördlich in der Massachusetts Bay die Mayflower mit 102 puritanischen Siedlern, den sogenannten Pilgrim Fathers.
(9) Moltmann, Jürgen: Die „Erlöser — Nation“ — Religiöse Wurzeln des US-amerikanischen Exzeptionalismus, in: Die Friedens-Warte Vol. 78, No. 2/3, Schwerpunktthema Amerikanische Weltpolitik, Seite 163 bis 164, Berlin 2003
(10) Gründer, Horst: Welteroberung und Christentum, Ein Handbuch zur Geschichte der Neuzeit, Seite 183, Gütersloh 1992
(11) Menzel, Ulrich: Die Ordnung der Welt, Seiten 852ff, Berlin 2015
(12) Mausfeld, Rainer: Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratiemanagement durch Soft Power-Techniken, Seite 20, in: https://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die_Angst_der_Machteliten_vor_dem_Volk.pdf, Zugriff: 7. August 2021
(13) Moltmann, Jürgen: Die „Erlöser — Nation“ — Religiöse Wurzeln des US-amerikanischen Exzeptionalismus, in: Die Friedens-Warte Vol. 78, No. 2/3, Schwerpunktthema Amerikanische Weltpolitik, Seite 161, Berlin 2003
(14) Brzezinski, Zbigniew: Die einzige Weltmacht, Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Seite 255, Rottenburg 2015
(15) ebenda, S. 16
(16) ebenda, S. 9ff.
(17) Henke, Sergej: USA als Welterlöser? Ideologie und Politik einer Sendungsanmaßung, Seite 15, Berlin 1985
(18) Menzel, Ulrich: Die Ordnung der Welt, Seite 853, Berlin 2015
(19) Henke, Sergej: USA als Welterlöser? Ideologie und Politik einer Sendungsanmaßung, Seite 7, Berlin 1985
(20) Fluck, Winfried: American Exceptionalism: Ein Schlüssel zum amerikanischen Selbstverständnis, in: Lammert, Christian; Siewert, Markus B.; Vormann Boris: Handbuch Politik USA, Seite 3, Wiesbaden 2020
(21) Dietl, Wilhelm: Schwarzbuch Weißes Haus, Außenpolitik mit dem Sturmgewehr, Seite 14, Erftstadt 2004,
Ganser, Daniele: Imperium USA, Die skrupellose Weltmacht, Seite 20, Zürich 2020
(22) Mausfeld, Rainer: Die Angst der Machteliten vor dem Volk, Demokratiemanagement durch Soft Power-Techniken, Seite 15, in: https://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die_Angst_der_Machteliten_vor_dem_Volk.pdf, Zugriff: 7. August 2021
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