„Mit seinem Glück, seiner Gefahre, der Krieg, er zieht sich etwas hin.(…)/ Jedoch vielleicht gescheh’n noch Wunder, der Feldzug ist noch nicht zu End!“ (Bert Brecht: Mutter Courage).
Die ukrainische Gegenoffensive und der Westen
Kommentatoren aus Militär und Medien haben monatelang spekuliert, ob die Gegenoffensive der Ukraine den russischen Aggressor noch in diesem Jahr in eine unhaltbare Lage bringen und damit ein Ende des Krieges einläuten könnte. Inzwischen bleiben größere Erfolge aus, die Russen sind besser vorbereitet als erwartet, und der Traum einer Rückeroberung des gesamten Territoriums von 1991 rückt in weite Ferne.
Präsident Selenskyj beschuldigt die USA, die NATO und alle seine Unterstützer in Europa, nicht genug und nicht schnell genug die entscheidenden Wunderwaffen geliefert zu haben. Es bleibt aber dabei, dass der Westen vermeiden will, selbst immer stärker in die Kämpfe hineingezogen zu werden. Deshalb liefert er auch weiterhin nur Waffen und Ausrüstung, unterstützt die Ukraine moralisch sowie politisch und finanziert ihren Krieg massiv.
Dass sich die EU inzwischen auf einen längeren Kriegsverlauf einstellt, zeigt das Treffen der Außenminister in der letzten Woche in Brüssel. Außenkommissar Josep Borrell schlug dabei ein Sonderbudget von 20 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre vor, um die „Sicherheit und Widerstandskraft“ der Ukraine zu stärken. In der Praxis bedeutet das die weitere Lieferung von Waffen und Ausrüstungen samt der damit verbundenen Ausweitung der Waffenproduktion in den Mitgliedsländern selbst.
Das Finanzierungsinstrument der sogenannten Friedensfazilität droht damit zu einer Kriegsanleihe zu werden. Beschlossen ist das Sonderbudget allerdings noch nicht, denn es würde den Finanzrahmen der Europäischen Friedensfazilität sprengen, der für die Jahre 2021 bis 2027 nur jeweils 5,7 Milliarden Euro vorsah, und auch diese schon außerhalb des normalen EU-Haushalts. Außerdem wird bezweifelt, dass Ungarn bereit wäre, dem zuzustimmen.
EU und USA: Die Lastenverteilung bei der Ukraine-Hilfe
Seit vielen Jahren sind wir Europäer gewöhnt, dass die USA höhere Verteidigungsbeiträge fordern, die berühmten 2 Prozent des Sozialprodukts (BIP) nach NATO-Vorgaben. Während das eigentlich finanzschwache Griechenland mit 3,6 Prozent noch vor den USA rangiert, Großbritannien und alle osteuropäischen Mitglieder deutlich oder knapp über 2 Prozent, bildet Deutschland mit etwas mehr als 1,5 Prozent das Schlusslicht. Die Zahlen stammen aus 2021.
In Anbetracht der gesamten Wirtschaftsleistung ist der deutsche Verteidigungshaushalt beachtlich, aber für Schelte und Forderungen ist der Prozentbetrag wirkungsvoller. Immerhin sind Produktion und Verkauf von deutschen Waffen und Waffensystemen wieder der Weltspitze nähergekommen. Unsere erfolgreichste Waffenschmiede, Rheinmetall, will zusammen mit dem Staatskonzern Ukroboronprom in der Ukraine eine Panzerfabrik bauen und rechnet „in den nächsten zehn Jahren“ mit einer sehr hohen Nachfrage. Aus Moskau wird dazu signalisiert, dass die Fabrik, wenn sie gebaut wird, ein legitimes Ziel sei.
Bisher haben die USA mit Abstand am meisten in die Ukraine und ihre Verteidigung gegen Russland investiert. In seinem „Ukraine Support Tracker“ (Datensatz Ukraine Support Tracker, Kiel Institut) listet das Kieler Weltwirtschaftsinstitut die Aufwendungen aller an der Hilfe beteiligten Länder auf. Die USA führen bei der Militärhilfe von insgesamt knapp 75 Milliarden Euro mit einem Beitrag von fast 43 Milliarden.
Die amerikanischen Gesamtaufwendungen für die Ukraine liegen bei fast 77 Milliarden Dollar, das sind 0,33 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Summe an sich erscheint riesig, ist aber nur ein Bruchteil der Zinszahlungen für Staatsschulden, die sich 2021 auf 475 Milliarden Dollar beliefen. Der Gesamtbetrag aller internationalen Zusagen für militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe bis Ende Mai 2023 liegt bei 165 Milliarden Euro, mehr als die Hälfte davon militärisch.
Die Waffenlieferungen stammen oft aus heimischen Restbeständen wie die gerade gelieferte Streumunition der USA. Mit 7,5 Milliarden leistet Deutschland nach den USA die zweitgrößte militärische Unterstützung, nicht zuletzt die hochgelobten Leopard Panzer. Wie weit die Ausbildungskosten für ukrainische Soldaten in Deutschland mit eingerechnet sind, wird nicht aufgeschlüsselt. In diesem Bereich sind die USA und viele europäische Länder weit stärker und länger engagiert.
Ukrainische Absolventen der Kurse auf deutschen Truppenübungsplätzen kritisierten letzte Woche, dass die Bundeswehr keine ausreichende Drohnenschulung anbiete, da wären sie an der Front zu Hause sehr viel weiter. Man merke, dass die deutschen Soldaten eben keine Fronterfahrung hätten.
Eine Ausweitung der Ukraine-Hilfe durch Privatisierung
Was in den deutschen Medien bisher noch nicht berichtet wurde, veröffentlicht die führende außenpolitische Zeitschrift der USA, Foreign Affairs, am 19. Juli 2023 in ausführlichen Details. Die Defizite der staatlichen Programme, auch der NATO, die oft durch die eigene Planung und ihre Bürokratien verzögert werden, versuche inzwischen „eine veritable Armee von privaten Akteuren und Nichtregierungsorganisationen (NRO)“ zu beschleunigen und zu ergänzen.
Die spendenfinanzierte „Sabre Training Advisory Group“, eine NRO in der Ukraine, bildet Soldaten für spezielle Gefechtssituationen aus. „Anomaly“, eine andere ukrainische NRO, beschafft Sanitätsmaterial und bildet Soldaten medizinisch weiter, weil viele Bataillone ohne entsprechende Ausstattung in den Kampf geschickt worden seien. Beide NROs klagen über mangelnde Hilfe der US-Armee und der NATO-Bürokratie.
Der Autor des Artikels unterstreicht die politische Bedeutung solcher privaten Initiativen, weil sie die Vernichtungskraft (lethality) des ukrainischen Militärs entscheidend erhöhen können, ohne dass die westlichen Geberländer in den Verdacht geraten, den Konflikt zu eskalieren. Wie die Kampftaktik der Kosaken im 16. Jahrhundert könne eine solche Hybridisierung des Krieges zum Vorbild für künftige Kriege in anderen Erdteilen werden, der Ukrainekrieg als Experimentierfeld für die Kriege der Zukunft. Viele weitere Gruppen außerhalb der Ukraine liefern dringend benötigte Ausrüstung, Schutzwesten, Helme, Schlafsäcke, Erste Hilfe-Material und Ersatzteile für Waffen und Fahrzeuge.
Unterstützergruppen wie der „Ukrainische Weltkongress“, eine NRO in Kanada, sammelte 40 Millionen Dollar und kaufte gepanzerte Fahrzeuge. „Blau-Gelb Ukraine“, eine NRO aus Litauen, liefert ein billiges, aber wichtiges Ersatzteil, um die amerikanischen M-4-Gewehre immer einsatzbereit zu erhalten. „Spirit of America“, die einzige von der US-Regierung offiziell unterstützte NRO, hilft bei der Reparatur von defekten Fahrzeugen und bei der taktischen Weiterbildung ukrainischer Offiziere. Der „Ukraine Defence Fund“, eine ukrainische NRO, die von einem ehemaligen Unternehmer aus dem Silicon Valley geleitet wird, hat durch die Bereitstellung von Drohnen die Treffsicherheit der Artillerie dramatisch erhöht. Um ein russisches Ziel zu zerstören, brauchen sie nur noch fünf Granaten anstatt vorher sechzig.
Das Spendensammeln für den guten Zweck treibt gelegentlich recht seltsame Blüten, manchmal am Rande einer makabren Geschmacklosigkeit oder Blasphemie. So verkauft die NRO „Saint Javelin“ beispielsweise Modeartikel mit militärischen Spezialmotiven. Javelin, die panzerbrechende Kleinrakete als Aufnäher in der Hand einer Heiligenfigur, oder Badeshorts mit HIMARS, dem größeren Raketenwerfer, Nachfolger der Stalinorgel aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Begeisterung der Autoren des Artikels für eine solche Vergesellschaftung des Krieges erinnert fatal an die Beschwörungen eines berüchtigten Propagandaministers im Zweiten Weltkrieg.
Quelle: Saint Javelin Official
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