Politische Wetterlagen
Zu Beginn des launischen Monats April hielt sich die US-Finanzministerin Janet Yellen vier Tage in China zu Wirtschaftsgesprächen auf. Wenige Tage später folgt ihr Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem dreitägigen Besuch. Auch US-Außenminister Antony Blinken hat sich auf die Besucherliste setzen lassen und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist für Mitte Juni eingeplant. Bereits im April 2023 hielten sich der französische Präsident Emmanuel Macron und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Peking auf. Sehr viel Aufmerksamkeit für ein Land, dem man ablehnend gegenübersteht.
Denn nach den Äußerungen westlicher Politiker und Medien sind die Chinesen direkt nach den Russen das Volk, mit dem der politische Westen am wenigsten verbindet. Sie leben nicht nach seinen Werten und schon gar nicht tanzen sie nach seiner Pfeife. Während aber Russen und Chinesen bei der Mehrheit der Staaten zunehmend an Einfluss gewinnen, sinkt im Gegensatz dazu die Beliebtheitskurve des Westens weltweit. Nun stellt sich die Frage: „Liegt das immer nur an den anderen oder hat das nicht auch etwas mit dem eigenen Verhalten zu tun?“
Angesichts ihres teilweise anmaßenden Auftretens ist es kein Wunder, dass China westlichen Politikern die kalte Schulter zeigt. Janet Yellen kam nicht gerade als bescheidene Besucherin nach Peking, sondern stellte Forderungen und verteilte Belehrungen. Sie warnte China davor, „Überkapazitäten bei der Industrieproduktion zu schaffen“ (1) und belehrte, „Kursänderungen auf chinesischer Seite seien nötig und angemessen“ (2). Sie trat gegenüber den Chinesen auf, als seien sie ihre Angestellten oder Befehlsempfänger der USA und nicht der größte Industrieproduzent der Welt.
Doch trotz allen selbstherrlichen Auftretens kann eines nicht übersehen werden: Sie alle, die Yellen, Scholz, Macron und von der Leyen kommen als Bittsteller, auch wenn sie alles dafür tun, diesen Eindruck nicht zu erwecken.
Sie kommen in der Regel etwas vollmundig an und fahren ebenso regelmäßig ziemlich gerupft und zurechtgestutzt wieder zurück. Sie wollen es einfach noch nicht wahrhaben, dass sie nicht mehr die Herren der Welt sind, auch wenn sie glauben, weiterhin so auftreten zu können. Der Wind hat sich gedreht in der Welt. Es ist kein Westwind mehr, er weht von Osten her.
Freund und weniger Freund
Sie kommen nicht gerne nach Peking. Es handelt sich eher um eine moderne Bußfahrt nach Canossa. Zudem fällt auf, dass die Vertreter des Westens öfter nach China wallfahren, als chinesische Führer die westlichen Hauptstädte besuchen. Es sind die westlichen Vertreter selbst, die um Termine bitten. Andererseits gibt man in Peking auch deutlich zu verstehen, wen man als Freund betrachtet und wen eher nicht.
Während der russische Außenminister Sergej Lawrow sogar vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping empfangen wird, was sonst nicht üblich ist, werden westliche Besucher auch schon einmal mit der zweiten Politiker-Garnitur abgespeist. Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die sich immer wieder gerne durch besondere Feindseligkeit gegenüber China hervortut, hatte bei ihrer Ankunft in Peking den normalen Besucherausgang am Flughafen nehmen müssen.
Aber die vermeintlichen Herren der Welt kommen auch nicht aus Freundschaft, sondern sie drückt der Schuh. Nicht nur brachte Janet Yellen eine lange Wunschliste mit, zusätzlich rief auch noch US-Präsident Joe Biden zur gleichen Zeit bei seinem chinesischen Kollegen an. Der Einsatz der amerikanischen Doppelspitze sollte den Chinesen wohl klarmachen, wo man auf einen Gesinnungswandel drängt: „Taiwan, die chinesische Unterstützung für Russlands Rüstungsindustrie sowie unfaire Handelspraktiken Pekings“ (3).
Das sind aber nicht die einzigen Probleme Washingtons, wo man von den Chinesen Kooperation erwartet. Da sind auch die „Gefahren im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz und der Kampf gegen den internationalen Drogenhandel mit Blick auf die Fentanyl-Krise in den Vereinigten Staaten sowie der Konflikt um das Videoportal Tiktok“ (4). Das aber sind hausgemachte Probleme der USA.
Dennoch scheint man wie selbstverständlich davon auszugehen, dass die Chinesen den Amerikanern aus ihren selbstverschuldeten Nöten helfen. Doch wieso sollte China das tun angesichts der feindseligen Haltung, mit denen die USA dem Land immer wieder gegenübertreten?
Die Liste der unfreundlichen Handlungen ist lang, und dementsprechend groß ist das Misstrauen bei den Chinesen. Es ist ihnen nicht entgangen, dass regelmäßig Verbesserungen des politischen Klimas, die bei Gesprächen mit Washington erzielt worden waren, in der Folgezeit vor der heimischen Öffentlichkeit wieder in Frage gestellt wurden. Auf amerikanischen Wunsch war zwischen Biden und Xi bei ihrem Treffen in San Francisco die Wiederaufnahme der Militärkommunikation zwischen den beiden Staaten vereinbart worden. Dann schossen die Amerikaner angebliche chinesische Spionageballons ab, und alles war wieder hin.
Den immer wieder geäußerten Beteuerungen der USA nach einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten folgen umgehend erneute Belastungen. Washington droht unverhohlen mit Krieg, weil China angeblich Taiwan militärisch an die Volksrepublik anschließen will. Dabei ist es immer der Westen selbst, der von diesem Vorhaben spricht, während Peking darin nur die äußerste Maßnahme sieht zum Schutz seiner nationalen Interessen.
Darüber hinaus belasten die USA das Verhältnis durch neue, gegen Peking gerichtete Bündnisse wie Aukus oder Quad, für die sie auch ständig neue Verbündete anzuwerben versuchen. Um den Druck gegenüber China zu erhöhen, schüren sie Konflikte oder befeuern diese, wie im Territorialstreit zwischen Peking und den Philippinen um einige Inseln im Chinesischen Meer.
Obwohl China die Freiheit der Meere im Südchinesischen Meer nie eingeschränkt oder bedroht hat, geben die USA seit einigen Jahren vor, diese schützen zu müssen. Dabei sind die dortigen Seewege erst unsicherer geworden, seit die USA und zum Teil auch die NATO-Staaten glauben, durch Manöver und Militärkonvois die Freiheit der Meere garantieren zu müssen. Immer wieder kommt es dabei zu gefährlichen Konfrontationen mit der chinesischen Marine, die es nicht gab, solange die USA keine Passagen durch die Straße von Taiwan erzwingen wollten.
Made in China
Alle diese Handlungen und Verhaltensweisen gegenüber China tragen nicht zur Verbesserung der Beziehungen bei. Dabei ist doch gerade der Westen, hier besonders Europa und Deutschland auf ein gutes Verhältnis zu China angewiesen angesichts der verschlechterten Wirtschaftslage in den eigenen Gesellschaften. Geht es nicht hinein in die Köpfe vieler Entscheidungsträger und Meinungsmacher im Westen, dass man keine Gefälligkeiten von jenen erwarten kann, denen man ständig gegen das Schienbein tritt?
Wie stellen sich die Amerikaner, die von der Leyens und all die von missionarischer Inbrunst getriebenen Grünen eigentlich Politik vor? Die Zeiten sind vorbei, wo man mit Kanonenbooten vor der Küste auftauchen konnte, einige Städte oder Paläste in Schutt und Asche legte, und dann den westlichen Konquistadoren die Häfen geöffnet wurden.
Der Westen ist heute viel stärker auf China angewiesen denn je zuvor. Wenn sie es auch vielleicht selbst nicht sehen oder nicht erkennen und noch weniger wahrhaben wollen, aber ihre Reisediplomatie spricht eine eindeutige Sprache. Man braucht China, tut aber nach außen so, als ob das nicht der Fall wäre.
Denn während westliche Politiker den Chinesen die Türen einrennen, um Gehör zu finden bezüglich ihrer wirtschaftlichen Interessen, Wünsche und Nöte, erobern chinesische Produkte die westlichen Märkte. Doch alle Versuche, diese Produktschwemme durch Zölle oder sonstige protektionistische Maßnahmen fern zu halten, werden wenig Erfolg haben. Und wenn sie gelingen, wird es für den Westen teuer.
Die Kosten für Produkte aus eigener Herstellung werden für die westlichen Verbraucher nur höher werden, die Umsätze und Erträge der westlichen Unternehmen aber dagegen nicht im gleichen Maße steigen. Chinesische „Solarmodule kosten nur noch halb so viel wie vor einem Jahr“ (5). Damit können westliche Unternehmen schon heute nicht mehr mithalten, und für Batterien, E-Fahrzeuge und Windturbinen aus China gelten ähnliche Preisvorteile.
Hier aber gilt wie so oft im Leben: des einen Freud, des anderen Leid. Die europäischen Hersteller schmerzt diese Entwicklung, aber die Importeure chinesischer Waren „freuen sich über günstige China-Importe“ (6). Das betrifft nicht nur den Endverbraucher, denn auch die deutschen Unternehmen leben von den billigen Vorprodukten aus dem Land der Mitte.
Ob die deutsche Autoindustrie noch so gute Verkaufszahlen wird hinlegen können wie in vergangenen Zeiten, wenn sie statt der günstigen Chips aus Asien in Zukunft auf wesentlich teurere „Made in Germany“ zurückgreifen muss? Wenn die Preise von Vorprodukten steigen, dann steigen auch die Verkaufspreise für die Autos in Bereiche, die nicht mehr für jeden Kunden erschwinglich sind. Schon jetzt sinken die Verkaufszahlen deutscher E-Autos dramatisch, seit die staatlichen Zuschüsse beim Kauf weggefallen sind.
Der Westen beklagt diese Produktschwemme und Preisvorteile als „unfaire Handelspolitik und nicht marktwirtschaftliche Praktiken Chinas“ (7). Ihnen sitzt die Sorge um die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Unternehmen im Nacken. Denn gerade in den Zukunftstechnologien wie Elektroantriebe, Photovoltaik und Windturbinen hatte sich die deutsche Klima-Industrie ein neues Standbein auf dem Weltmarkt schaffen wollen. Die Chinesen sind ihnen zuvorgekommen.
Aber es waren nicht sie, die die Globalisierung vorangetrieben haben. Westliche Unternehmen haben auf Investitionen in China gedrängt und bei der Verlagerung von Industrie und Arbeitsplätzen mit den Vorteilen der günstigen Produkte aus China argumentiert.
Daran ließ sich gut verdienen — zu Hause und auf dem riesigen chinesischen Markt. Das hat sich Peking vom Westen abgeschaut. Auf westliche Vorwürfe, dass China mit seinen Überschüssen die Märkte überschwemmt, reagiert die chinesische Zeitung China Daily nicht zu unrecht mit der Feststellung, dass „die westlichen Nationen dies schon seit Jahrhunderten tun“ (8).
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. April 2024: Yellen fordert Peking zum Umdenken auf
(2) ebenda
(3) FAZ vom 4. April 2024: Xi spricht mit Biden
(4) ebenda
(5) ebenda
(6) FAZ vom 23. März 2024: Wer soll das alles kaufen?
(7) FAZ vom 6. April 2024: Yellen warnt vor chinesischer Exportflut
(8) ebenda