Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Die Hitlervergiftung

Die Hitlervergiftung

Nazivergleiche dominieren den Bundestagswahlkampf — eine eigentümliche Fixierung, mit der sich Mitte-Links-Politiker zu Rettern stilisieren, in Wahrheit aber das „Dritte Reich“ verharmlosen.

Sie ruft unvermittelt und ohne erkennbaren Zusammenhang mitten im Satz „Hitler“: Stella Lingen, die beim Kölner Treff einen denkwürdigen Auftritt hatte, leidet an dem „Tourette-Syndrom“. Diese Krankheit ist dadurch gekennzeichnet, dass Betroffenen ständig Wörter „rausrutschen“ — häufig solche mit aggressivem und peinlichem Inhalt. Wer an Tourette erkrankt ist, kann das Auftauchen dieser Wörter in seinem Geist nicht willentlich kontrollieren, als ob für Sekunden ihr Unterbewusstsein die Steuerung übernehmen würde. Bei Stella Lingen ist es das Wort „Hitler“ — ergänzt durch scheinbar unsinnige Silben. Das klingt dann zum Beispiel so:

Moderatorin: Du hast jetzt schon ein paar Mal Bemerkungen dazwischengerufen …

Lingen: Hitler

Moderatorin: … was sehr witzig war.

Lingen: Lak Hitler

Moderatorin: Und wir wollen das jetzt mal relativieren. Das ist nicht deine Meinung. Du bist keine Hitler-Verehrerin. Sondern das sind Ticks. Die sind krankheitsbedingt. Du bist mit 25 Jahren angehende Ärztin und du hast das sogenannte Tourette-Syndrom.

Lingen: Da Hitler

Moderatorin: Wann hat sich das zum ersten Mal bemerkbar gemacht bei dir?

Lingen: Bei mir hat das relativ spät angefangen. Die ersten — Hitler — Ticks habe ich vor ziemlich genau 4 Jahren gehabt.

Unbewusster Zwang, „Hitler“ zu sagen

Dieses drastische Beispiel eines Tourette-Syndroms fiel mir in letzter Zeit öfter ein. Denn in so vielen Fällen scheint sich derzeit bei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens das Wort „Hitler“ irgendwie in deren Sätze hineinzuschieben. Und nicht immer ist der Zusammenhang zum Namen des „Führers“ logisch nachvollziehbar — ähnlich wie im Fall von Stella Lingen. „Hitler“, „Nazis“, „1933“ — wie oft haben wir diese Wörter bei jeder passenden und noch öfter: unpassenden Gelegenheit gehört!

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Hitler-Erwähnungen in politischen Debatten und solchen im Rahmen des „Tourette-Syndroms“. Im ersteren Fall werden diese bewusst und im zweiten Fall offenbar an der Verstandeskontrolle vorbei geäußert. Sicher scheint aber: Von Tourette-Betroffenen werden nur solche Wörter unbewusst hervorgestoßen, die erst einmal in deren Unterbewusstsein Fuß gefasst und dort großen Eindruck gemacht haben. Bei Stella Lingen ist dies neben „Hitler“ zum Beispiel auch das Wort „Corona“. Die politische Debatte kann also bei der unbewussten Auswahl der Reizwörter eine wichtige Rolle gespielt haben.

Auffällig ist auch: Es handelt sich meist um „böse“ Wörter, die jemand, der nicht an dem Syndrom erkrankt ist, eher vermeiden und verdrängen würde. Es scheint also ein psychologischer Zwang vorzuliegen, dem Negativen Raum im eigenen Geist zu geben und es anderen aufzudrängen. Besteht hier eine Relevanz für die Tagespolitik? Ja und nein.

Nazi-Vergleiche in politischen Debatten werden zwar einerseits völlig bewusst zur Diffamierung des Gegners eingesetzt, andererseits wirken sie in ihrer Häufigkeit und oft anlasslosen Platzierung manchmal schon zwanghaft.

Friedrich Merz — „Führer“ und „Hindenburg“

Von den unzähligen Hitler-Vergleichen, die ich beobachtet habe, seien hier nur einige aus der jüngsten Zeit erwähnt:

„Stell dir vor, die NSDAP wäre 1932 verboten worden“, heißt es auf der Webseite des „Zentrums für politische Schönheit“, das sich als Teil der sich „gegen rechts“ formierenden Zivilgesellschaft versteht und damit auf ein AfD-Verbot abzielt. Ein Buchtitel, den die Organisation empfiehlt, lautet: „Es ist 5 vor 1933“

Elon Musk schien seine Hand Ende Januar zu einem Hitler-Gruß zu recken. Der Grund dafür bleibt im Ungewissen, der Aufruhr in den Medien war groß, da man einen bewusst eingesetzten Tabubruch vermutete.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach postete im selben Zeitraum anlässlich des Auschwitz-Gedenktags auf „X“:

„Heute, am Tag 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, führen wir die Vogelschiss-Debatte und @_Friedrich Merz hofiert @AfD. Als erster Demokrat sagt er im Prinzip: Wo es mir hilft, lasse ich mich auch von den Nazis unterstützen. Moralisch bankrott.“

Plakate anlässlich der vielen Demonstrationen „gegen rechts“ in den letzten Wochen zeigten unter anderem die Schriftzüge: „5 vor 1933“ und „Friedrich Hindenburg“ — wodurch Friedrich Merz mit jenem Politiker der Weimarer Republik in einen Topf geworfen wurde, der Hitler zur Macht verholfen hatte. Weitere Schriftzüge besagten: „AfD wählen ist so 1933“, „Make Nazis afraid again“, „Wer Nazis wählt, ist ein Nazi“ sowie: „Dort wo du stehst, da kann kein Nazi sein. Wo du deine Stimme erhebst, kann kein Nazi schreien.“ Eine Kombination aus zwei Plakaten kombinierte ein Bild von Friedrich Merz und den Schriftzug „Ich habe die Brandmauer eingerissen“ mit einem stilisierten Hitlerkopf und der Aussage „Nie wieder ist jetzt.“

Auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt rückte Friedrich Merz in einem kritischen Podcast anlässlich des gemeinsam mit der AfD durchgebrachten Entschließungsantrags am 29. Januar 2025 in die Nähe Hitlers. „Es war eine reine PR-Aktion, wo er markieren wollte: Ich bin der stramme Max. Ich bin der Führer. Ich mach das. Und hat dafür den demokratischen Konsens zerstört.“

Und auch der viel gescholtene Friedrich Merz selbst war nicht faul: Anknüpfend an die Tatsache, dass die dritte Bundestagswahl — nach 2025 und 2029 — vermutlich 2033 stattfinden würde, schlussfolgerte der Unions-Kanzlerkandidat messerscharf: „Einmal 33 reicht für Deutschland“.

Zu allem Überfluss sang dann auch noch Herbert Grönemeyer zusammen mit der Band „Silbermond“: „Aber was nicht hilft — sind wir uns da einig? — sind Ideen von 1933“. Die Veröffentlichung dieses Liedes unmittelbar vor der Bundestagswahl ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch der Haltungsbarde die Gleichsetzung AfD = NSDAP unterstützt.

Wer die Debatten der letzten Wochen verfolgt hat, kann all diese Nazi-Anspielungen unschwer deuten:

Die guten Umfrageergebnisse der AfD und die Bereitschaft von Friedrich Merz, mit der Außenseiter-Partei zusammen für einen Antrag zum Flüchtlingsthema zu stimmen, lösten diese Ängste vor einer sich anbahnenden Diktatur mit Millionen Toten aus.

Wenn es sich überhaupt um wirkliche Ängste handelte und nicht um pures Wahlkampf-Getöse.

„Nie wieder Angriffskrieg“ — aber ein bisschen Krieg darf schon sein

Nun aber ein paar „Fälle“, die ich ausführlicher beleuchten will: Ein Beispiel für die Aufladung aktueller politischer Debatten mit Nazi-Verweisen war die Rede von Olaf Scholz am 15. Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Scholz begann seine Rede mit dem Satz: „20 Kilometer trennen uns hier vom nationalsozialistischen Konzentrationslager Dachau.“ Scholz machte darauf aufmerksam, dass US-Vizepräsident J.D. Vance das Lager vor ein paar Tagen besucht habe. Als „zentrale Lehre, die wir Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus der entsetzlichen Erfahrung der nationalsozialistischen Terrorherrschaft gezogen haben“ nannte er den Satz: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Rassismus, nie wieder Angriffskrieg.“

Hier sind die sprachlichen Abweichungen von der geläufigen, kürzeren Formel „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ signifikant. Wenn nämlich nur „Nie wieder Angriffskrieg“ gilt, dann darf sich Nachkriegsdeutschland gegen Wladimir Putin selbstverständlich ohne übermäßige historisch bedingte Skrupel verteidigen. Das ist eine gefährliche Verschiebung der Nuancen, denn aggressive Handlungen können so jederzeit als „Notwehr“ verkauft werden, wodurch Kriege mit deutscher Beteiligung durchaus wieder in den Bereich des Möglichen rücken.

Als nächstes leitete Scholz von Dachau und dem „Nie wieder“ sogleich zur AfD über – auf einer Militärkonferenz wohlgemerkt, die normalerweise nicht der innenpolitischen Auseinandersetzung in Deutschland gewidmet ist:

„Die AfD ist eine Partei, aus deren Reihen heraus der Nationalsozialismus und seine monströsen Verbrechen (…) als ‚Vogelschiss der deutschen Geschichte‘ verharmlost werden. Ein Bekenntnis zu ‚Nie wieder‘ ist daher nicht mit der Unterstützung für die AfD in Einklang zu bringen.“

Immer wieder für eine Pointe gut: der „Vogelschiss“.

Es ist richtig, dass Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Diktum unangebracht war und eine Verharmlosung des „Dritten Reichs“ darstellte. Auch kann und sollte man der Konzentrationslager natürlich gedenken. Kühn ist nun aber die assoziative Verknüpfung von J.D. Vance mit Dachau, Völkermord, „Vogelschiss“ und AfD durch Olaf Scholz.

„Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn Außenstehende zugunsten dieser Partei in unsere Demokratie, in unsere Wahlen und in die demokratische Meinungsbildung eingreifen. Das gehört sich nicht.“

Es ist sachlich gerechtfertigt, dass heimische Politiker darauf bestehen, dass deutsche Wahlen in Deutschland entschieden werden. So aber hat Scholz‘ Rede einen im Grunde beleidigenden Zungenschlag. Da der US-amerikanische Vizepräsident die Europäer in seiner mittlerweile berühmten Münchner Rede mahnte, auf die Bedürfnisse aller Wähler zu achten — gemeint war wohl: auch auf jene der AfD — und die Angst demokratischer Regierungen vor ihrem Wahlvolk kritisierte, sah er sich unversehens in die Rolle eines Unholds gedrängt. So als habe Vance das Gebot des „Nie wieder“ unterlaufen und unterstütze nun in Gestalt der Weidel-Partei quasi eine gefährliche Ideologie des „Gerne wieder Faschismus“. Auffällig ist dabei: Dem amerikanischen Gast ging es um Meinungsfreiheit in Europa heute, dem Bundeskanzler dagegen um den ewig deutschen Kampf gegen die Schatten der Vergangenheit als Mittel zu moralischer Selbstpositionierung.

Offene Grenzen als Lehre von Auschwitz

Ähnlich argumentierte Olaf Scholz auch in seiner Rede am 29. Januar 2025 im Bundestag, als — in zeitlicher Nähe zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz — Union und AfD zusammen für einen Entschließungsantrag zur Begrenzung des Zustroms von Migranten stimmten. „Wir verneigen uns vor ihm und vor allen Opfern des Holocaust“, begann Scholz. Nach einer Kette gedanklicher Verknüpfungen landete der Kanzler dann bei der Forderung nach einer weiterhin sehr liberalen Auslegung des deutschen Asylrechts, das wegen zahlreicher Fälle mörderischer Migrantengewalt in den letzten Monaten unter Beschuss gekommen war.

„Das Recht auf Asyl ist die unmittelbare Antwort auch auf das Grauen der NS-Herrschaft. Damals waren es deutsche und europäische Juden, die an fremden Grenzen abgewiesen wurden. Das, so die Lehre der Geschichte, darf nie wieder passieren.“

Und wieder lief alles auf die eine Pointe zu: Auschwitz mahnt uns vor allem, die Brandmauer zur AfD aufrecht zu erhalten.

„Aber es ist nicht gleichgültig, ob man mit den extremen Rechten zusammenarbeitet. Nicht in Deutschland.“

Dieses „Nicht in Deutschland“ ist ein verräterisches Beispiel für den deutschen Exzeptionalismus der Nachkriegszeit. Grenzen, so könnte man argumentieren, sollten sich für Asylsuchende aus Gründen der Humanität öffnen. Sofern tatsächliche politische Verfolgung vorliegt, was überprüft werden muss. Und sofern das aufnehmende Gemeinwesen nicht mit der Anzahl und der Wesensart der Migrierten komplett überfordert ist. Damit stieße die Aufnahmebereitschaft auf natürliche Grenzen. Normalerweise.

In anderen Ländern, so suggeriert Scholz in seiner Rede, sei die Zusammenarbeit mit extremen Rechten vielleicht verzeihlich; aber „nicht in Deutschland“. Denn dort — so könnte man ergänzen — sei ja noch Schuld wegen bestimmter desaströser Ereignisse vor 80 Jahre abzubüßen.

Während andere, „unschuldige“ Nationen also Migration begrenzen dürften, wenn die Aufnahmekapazitäten und die finanziellen Möglichkeiten des Landes erschöpft seien, sei Deutschland zeitlich unbegrenzt nicht dazu berechtigt. Nicht einmal, wenn sich die Sicherheitslage hier infolge einer Häufung von Messer- und Autoattentaten — begangen überwiegend von Afghanen und Syrern — häuften. Auch wer nicht direkt von Anschlägen betroffen sei, müsse unbegrenzt aufnahmebereit sein, müsse Geld, Raum und Sicherheitsgefühl opfern — im Gedenken an die Opfer von gestern.

„Und der Vergangenheit zugewandt“

Wir haben es also bei dieser Logik mit dem drastischen Beispiel einer ungesunden Beeinträchtigung der Gegenwart durch die Vergangenheit zu tun. „Wegen Hitler“ dürfen wir nicht handeln, wie es die Vernunft, ein Gefühl für Angemessenheit und der natürliche Wunsch nach Selbstbehauptung gebieten würden. „Wegen Hitler“ haben wir die Interessen unserer Gäste — die für sich genommen ja legitim sind — unseren eigenen stets überzuordnen.

„Wegen Hitler“ müssen wir bis ultimo in gebückter Haltung über die Bühne der Geschichte schleichen, müssen klaglos zahlen, teilen und dulden. Das ist der eigentliche Kern dessen, was ich die „Hitler-Vergiftung“ nenne.

Trotz dieser Überlegungen betrachtet ich es als selbstverständlich, dass wir als noch immer relativ gesehen — reiches Land Not Leidenden helfen. Sofern wir davon nicht restlos überfordert sind und in immer mehr Fällen sogar in akute Lebensgefahr geraten. Es ist für mich und wohl für die meisten Einheimischen eine Selbstverständlichkeit, dass es sympathische, friedliche Asylbewerber ebenso gibt wie unsympathische, gewalttätige Deutsche, dass sich Rassismus und der Hass auf ganze Völker in der Art einer „Sippenhaft“ somit verbieten.

Alice im Nazi-Land

Der rationale Kern der derzeit beobachtbaren ausufernden Nazi-Jäger-Attitüde besteht darin, dass man durchaus Bedenken gegenüber einer möglichen Regierungsbeteiligung der AfD hegen kann, die vor allem mit deren ultrarechtem Flügel zu tun haben — welcher übrigens von Alice Weidel ganz aktuell wieder gehätschelt wurde. Ich füge aber hinzu: Ich habe auch Angst davor, dass eine Nancy Faeser oder ein Robert Habeck mit ihrer Politik der Zurückdrängung der Meinungsfreiheit nach der Bundestagswahl einfach weitermachen können wie bisher. Oder davor, dass ein Bundeskanzler Friedrich Merz den Krieg in der Ukraine durch die Lieferung deutscher Taurus-Raketen weiter anheizt, anstatt sich den Friedensbemühungen anzuschließen, die derzeit offenbar von der Trump-Regierung ausgehen.

Auch die AfD-Kanzlerkandidatin agiert in vielen Fällen unbeholfen und zeigt Symptome der „Hitlervergiftung“, mit der sie die ihr feindlich gesinnte Mainstream-Presse immer wieder triggert. So bezeichnete Alice Weidel Hitler in ihrem Gespräch mit Elon Musk als einen „Kommunisten“. Musste das sein? Auch verglich Weidel aggressive Anti-AfD-Demonstranten mit Nazi-Schlägertrupps der 30er-Jahre:

„Diese Massenausschreitungen von Linken, von der Antifa, die erinnert gerade uns Deutschen an unsere dunklen Zeiten, an die Zeiten des Totalitarismus. Im Dritten Reich hatten wir die schlagende SA, die auch auf Andersdenkende eingeschlagen hat.“

Diese Ausschreitungen während einer AfD-Veranstaltung wirkten in der Tat bedrohlich. Dennoch hatte Alice Weidels Bemerkung den Charakter einer Retourkutsche. Man denkt an zwei Kinder auf dem Schulhof, von denen eines ruft: „Du bist ein Nazi!“ Und das andere: „Selber Nazi!“

Geht’s auch eine Nummer kleiner?

Ich kritisiere also nicht eventuelle Bedenken wegen der politischen Ausrichtung der AfD, sondern die Tatsache, dass diese von politischen Gegnern sehr oft unter Verwendung maßloser Übertreibungen vorgebracht werden. In der Fernsehsendung „Wahlarena“ am 17. Februar 2025 fragte ein junger, nach eigenen Angaben homosexueller Mann Alice Weidel:

„Wenn ich mir Ihr Wahlprogramm anschaue, dann habe ich Angst um meine Zukunft. Ich bin homosexuell, und ich habe Angst — übrigens sollten Sie auch Angst haben. Denn Mitglieder Ihrer Partei, die wollen die Homosexuellen vielleicht mal wieder ins Gefängnis oder ins KZ stecken. Wie könne Sie eigentlich Mitglied dieser Partei sein als homosexuelle Person?“

Dieses Beispiel ist für das Phänomen „Hitlervergiftung“ ganz typisch. Zum einen kommt Alice Weidel als Frontfrau ihrer Partei nach dieser Logik die Rolle eines kommenden „zweiten Hitler“ zu, sodass man nur noch darauf wartet, dass ihre Lebensgefährtin Sarah Bossard — dunkelhäutig, homosexuell, mit Wurzeln in Sri Lanka — demnächst als neue Eva Braun präsentiert werden wird. Andererseits sehen besorgte Bürger in der AfD-Vorsitzenden eine potenzielle Insassin eines von ihrer Partei neu zu errichtenden Konzentrationslagers. Eine Nummer kleiner geht es für den neuen deutschen „Antifaschismus“ offenbar nicht.

Der Denkfehler dabei ist: Personen, die sich selbst „Mitte-Links“ verorten, halten die Gedanken und Assoziationen, die sich in ihrem Kopf, ausgelöst durch bestimmte „Trigger“ bilden, für die objektive Realität. „Weil ich in diesem Zusammenhang an Hitler denke, muss der Andere tatsächlich etwas mit Hitler zu tun haben.“

Die Idee hinter „Wehret den Anfängen“ ist: Wer fordert, kriminelle und illegal in Deutschland anwesende Migranten auszuweisen, der ist auch imstande, Millionen Menschen nur wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit ins Gas zu schicken.

Glaubt das eigentlich irgendjemand im Ernst?

Das Zauberwort

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, wollte mal alle skurrilen Auswüchse einer über ihr Ziel hinausschießenden Nazijäger-Mentalität seit 1945 dokumentieren. So standen unter Nazi-Verdacht unter anderem die Pazifisten, die dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geissler zufolge: „Auschwitz erst möglich gemacht“ haben. Weitere stehen Zinskritiker der Schule Silvio Gesells unter Antisemitismus-Verdacht. Naturfreunde und Tiefenökologen wurden unter anderem von der Mutter der deutschen Cancel-Culture, Jutta Ditfurth angefeindet, und selbst Wanderfreunde sahen sich in einen Zusammenhang mit dem „Ahnenkult“ der Nazis gestellt. Ebenso Vegetarier, die den „Führer“ selbst als einen der ihren betrachten können. Und selbstverständlich — wie wir alle wissen: Corona-Skeptiker und Maßnahmen-Kritiker. Schließlich stehen auch Gegner des Massenmords der israelischen Armee im Gazastreifen im Verdacht, Antisemiten und somit Erben Hitlers zu sein.

Schaut man sich diese Liste an — und sie ist beileibe nicht vollständig —, so gewinnt man den Eindruck, dass mittels Nazivergleichen vor allem Vertreter an sich humaner Weltanschauungen zum Schweigen gebracht werden sollen, die bestimmten Machtgruppen in die Quere kommen.

Kaum setzt sich jemand für den Frieden ein, für Freiheit, soziale Gerechtigkeit oder auch für Mitgefühl mit den Opfern von islamistischem Terror, erhebt sich irgendwo ein politischer Moralwächter, und seinem Mund entweicht bedrohlich das Wort, das alle anderen „sticht“, wie der Trumpf in einem Kartenspiel: „Hitler!“

Dieses entfaltet eine einschüchternde Wirkung wir kein anderes. „Und die Welt verfällt in Schweigen, triffst du nur das Zauberwort.“ Wem es entgegengeschleudert wird, der hat ruhig zu sein und sich zu schämen.

Der Balken im eigenen Auge

Man sieht an diesen Beispielen, dass wir dem falschen, den nur vorgeschobenen und destruktiven „Antifaschismus“ unsere Gefolgschaft aufkündigen müssen, um damit zu beginnen, wirklichen Antifaschismus — ohne Anführungszeichen — zu praktizieren. Zu einer Politik, die das „Nie wieder“ ernst nimmt, gehört gewiss auch die Analyse des „Worst of Alexander Gauland“ oder fragwürdiger Äußerungen von Björn Höcke. Dazu gehören aber auch Wachsamkeit gegenüber der akuten Weltkriegsgefahr, die von „guten“ Parteien heraufbeschworen wird, eine gründliche Aufarbeitung der unter dem Stichwort „Corona“ bekannten Angriffe auf unsere Grundrechte, eine klare gesellschaftliche Zurückweisung der grassierenden Verengung des Meinungsspektrums, die Ächtung der Verfolgung von Regierungskritikern durch Polizeibesuche im Morgengrauen, welche inzwischen auch schon in den USA ein äußerst peinliches Bild vom Zustand Deutschlands hinterlässt.

All das sind brandgefährliche Verfehlungen des „unseredemokratischen“ Establishments, nicht der AfD. Insofern haben die in diesem Artikel aufgelisteten „Nazivergleiche“ immer auch den Charakter der Ablenkung und der Schuldprojektion.

Die Menschen in Deutschland sind so beschäftigt damit, die möglichen künftigen Verfehlungen von „Rechtsextremen“ wie Wolfgang Kubicki, Friedrich Merz oder Tino Chrupalla zu bekämpfen, dass in ihrem Kopf kein Raum mehr ist, um die schon bestehenden Probleme zu bemerken, die von der Riege um Scholz, Faeser und Habeck verursacht wurden.

Ein stumpf gewordener Begriff

Ein weiterer gewichtiger Einwand gegen die momentan überhandnehmende Polit-Rhetorik betrifft die Bagatellisierung des „Dritten Reichs“, die darin liegt. Eine hörenswerte Rede über den inflationären Gebrauch des Begriffs „Nazi“ hielt der Wiener Psychotherapeut Raphael Bonelli. Darin sagt er:

„Mir tut es wahnsinnig weh, wenn heutzutage dieses Wort Nazi missbraucht wird, um politisches Kleingeld zu machen.“

Und mit offensichtlichem Bezug zu Alice Weidel:

„Jemanden, der für Israel ist und lesbisch ist und mit einer Lebensgefährtin aus Sri Lanka zusammenlebt, als Nazi zu beschimpfen — ich würde das sanktionieren. (…) Da wird nämlich dieser Begriff stumpf. Und das darf nicht sein.“

Bonelli fügt hinzu:

„Die Nationalsozialisten haben ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Menschheit begangen, das waren Verbrecher. (…) Dass man das heutzutage so bagatellisiert, dass man das in Kauf nimmt, dass die Geschichte verharmlost wird, das halte ich für extrem bedenklich.“

Durch die „Diabolisierung einer demokratischen Partei durch alle anderen Parteien“ werde diese erst recht groß und die Demokratie kaputt gemacht, so Bonelli. Risse man die „Brandmauer“ nach rechts endlich ein, dann würden „die schnell ihren Glanz verlieren“. Eine überbordende Beschimpfung der AfD ermögliche es dieser zugleich, auf ihrem „Opferstatus“ herumzureiten. Bonelli trifft hier einen Nerv.

Gegen Nazis ist alles erlaubt

Nazi-Vergleiche sind die letzte rhetorische Finte einer abgewirtschafteten Rest-Regierung. Es gibt nach allem, was geschehen ist, kaum noch vernünftige Gründe, SPD oder Grüne zu wählen. Und auch der Linkspartei sind viele nach ihrem Versagen in der Corona-Krise noch gram. Nichts könnte die Mehrheit im Land dazu bewegen, als gebrannte Kinder noch einmal auf die links-grüne Herdplatte zu fassen.

Wo sie in keiner Weise mehr durch politische Brillanz zu locken vermögen, versuchen es diese Parteien in ihrer Verzweiflung nun also mit Drohungen. „Wenn Ihr uns nicht wählt“, so argumentieren sie, „könnten Nazis an die Macht kommen. Wir haben ja 1933 gesehen, wohin das führt. Und dann seid Ihr mit schuld.“

Dieses Manöver ist so perfide wie geschickt. Denn was würde man nicht alles tun, um die Machtergreifung von „Nazis“ zu verhindern? Parteiverbote, physische Gewalt auf den Straßen und die Verbreitung diffamierender Behauptungen gehören da noch zu den harmloseren Mitteln. Wenn wirklich Nazis vor den Toren stünden, wäre der Appell an Fairness und einen zivilisierten Umgang miteinander obsolet.

Toleranz mit Intoleranten und Gewaltlosigkeit gegenüber potenziellen Gewalttätern wäre verhängnisvolle „Appeasement-Politik“, die in den Abgrund führt. Im Angesicht des Grauens, das dann drohte, müsste ein kräftiger Akzent gesetzt werden, quasi eine zivilgesellschaftliche Landung der Alliierten in der Normandie.

Das „Jana aus Kassel“-Syndrom

Nicht zuletzt ist der „Kampf gegen rechts“ auch etwas, das der Eitelkeit der Kämpfer erheblich schmeichelt. Die unglückliche „Jana aus Kassel“ wurde 2020 bei einer Querdenker-Demo bekannt durch den Satz „Ich fühl mich wie Sophie Scholl“. Sicher hatte die noch unerfahrene Aktivistin damit zu hoch gegriffen, und entsprechend ungnädig fielen die öffentlichen Reaktionen aus. Heute allerdings haben wir es nicht mit einer „Jana aus Kassel“ zu tun, sondern mit hunderttausenden. Lauter Hans und Sophie Scholls, die „ihre Lehren aus der deutschen Vergangenheit“ gezogen haben und „den Anfängen wehren“, denn „Nie wieder ist jetzt“. Es ist die alte Sehnsucht, auch mal Held oder Heldin zu ein – selbstverständlich ohne sich einer wirklichen Gefahr auszusetzen, was normalerweise eine Grundvoraussetzung für den Heldenstatus ist.

Das Problem besteht auch hier in der Inflationierung der Begriffe. Wenn jeder Sophie Scholl sein kann, wo liegt dann das Besondere am Tod für die Freiheit? Und wenn jeder ein Nazi ist, was ist an diesen dann besonders schlimm?

Wenn ich mich für einen Hammer halte, sehe ich überall Nägel, und wenn ich mich in der Rolle des Retters sehe, findet sich sicher auch jemand, vor dem die Welt gerettet werden muss.

Zwar ist die AfD in all den Jahren antifaschistischen Widerstands in Umfragen auf 22 Prozent geklettert, ohne mich und mein mutig hochgerecktes Schild „Fuck AfD“ wären es aber vielleicht längst 30 Prozent.

Wie so oft findet der „deutsche Geist“ nicht zur Mitte zwischen den Extremen, nicht zu Angemessenheit und Vernunft. In den Tagen vor der Bundestagswahl lassen wir das Spektrum unserer Möglichkeiten willig auf die toxische Alternative „Blockparteien oder AfD“ verengen, ohne zu bemerken, dass die besseren Lösungen vielleicht außerhalb dieser grell erleuchten Boxarena liegen.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Weiterlesen

Die große Gereiztheit
Thematisch verwandter Artikel

Die große Gereiztheit

Im Wahlkampf haben Beleidigungen, Nötigung und körperliche Gewalt ein nie gekanntes Ausmaß angenommen — „führend“ sind derzeit die sogenannten linken Kräfte.

Das Maß ist voll!
Aus dem Archiv

Das Maß ist voll!

Nach ihrer Schand-Berichterstattung zum 1. August 2020 muss die Mainstreampresse massiven Gegenwind zu spüren bekommen — boykottieren wir sie!