Am Anfang war das Wort. Nicht nur Bibelkenner wissen, dass das Wort schöpferische Kraft besitzt und Realitäten gestaltet. Ein Ja oder ein Nein kann Leben retten oder ganze Kontinente verwüsten. Obwohl wir die Macht des Wortes kennen, gehen wir meistens recht unbedarft damit um. Wir twittern und whatsappen uns um die Welt und lassen Wut und Frust hemmungslos in sozialen Netzwerken raus. Anstatt zu argumentieren, werden Beleidigungen und Urteile rausgehauen. Anstatt zu versuchen, eigene Gedanken zu formulieren, wird geliked und gefollowed.
Was in der virtuellen Welt üblich ist, sieht in der realen Welt nicht viel besser aus. Wir kennen unsere Nachbarn kaum, in vielen Familien gibt es keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr und wer die Fensterscheibe seines Autos runterdreht, tut dies meistens, um jemanden zu beschimpfen. Der andere ist sowieso potenziell schuld. Er achtet die Regeln nicht, er verhält sich falsch und will einfach nicht verstehen, dass ich Recht habe, obwohl ich ihm das schon tausend Mal gesagt habe. Und da der andere das genauso sieht, nur andersrum, haben wir die besten Voraussetzungen für Krieg geschaffen — im Kleinen wie im Großen.
Der Irrende, Verkehrte, Angreifende ist der andere. Ich verteidige mich nur oder führe aus. Ich tue, was andere für mich beschlossen haben, und verstecke mich hinter etwas, was einst Menschen wie Adolf Eichmann ermöglicht hat, Millionen Menschen in den Tod zu schicken, ohne mit der Wimper zu zucken: hinter der Amtssprache. Auch heute gibt es einen Ausdruck, hinter dem sich die schlimmsten Menschheitsverbrechen verbergen: Von irgendwas muss man ja leben.
Kommunikation als Waffe
In unserer Zeit bedeutet Kommunikation oft Manipulation: Wie bringe ich jemanden dazu, ein Produkt zu kaufen, das er nicht braucht? Wie schaffe ich es, dass der andere sich so verhält, wie es mir dienlich ist? Offene, respektvolle Gespräche untereinander und authentische Beziehungen verkümmern. Wir tragen schwer an den Urteilen, die wir einander auferlegen, und missbilligen uns gegenseitig oft schon, bevor wir den Mund auftun: Von dem kann ja nichts Gutes kommen. Ich hab’s ja gleich gesagt. Immer hat er, nie macht er ...
Wir haben nicht gelernt, wie wir unvoreingenommen aufeinander zugehen und respektvoll miteinander kommunizieren können. Wir haben sprechen gelernt, doch nicht die Dimension von Sprache erfasst. Wir haben gelernt, uns an den anderen zu messen, doch nicht, friedlich mit ihnen auszukommen. Sonst hätten wir jetzt eine andere Welt.
Seit Mitte des letzten Jahrhunderts hat sich ein Mann Gedanken darüber gemacht, wie es zwischen uns besser laufen kann. Der Psychologe Marshall Rosenberg erfand die Gewaltfreie Kommunikation (1). Klingt erst mal komisch. Um mit dem Konzept etwas anfangen zu können, muss man sich nicht nur darüber bewusst sein, dass Worte gewaltvoll sein können, sondern dass wir selbst von dieser Gewalt betroffen sind. Ein kurzer Rückblick in die Kindheit verschafft meistens Klärung: Äußerungen wie „Wenn du das nochmal tust, habe ich dich nicht mehr lieb“ oder „Du hast versagt“ haben bei vielen von uns tiefere Wunden gerissen als eine Tracht Prügel.
Wenn Eltern dazu in der Lage sind, ihre eigenen Kinder zu verletzten und sogar auf das Schwerste zu traumatisieren, dann fällt es nicht schwer, sich auszumalen, was wir mit „Fremden“ oder „Feinden“ anzustellen in der Lage sind.
Für Marshall Rosenberg sind wir deshalb jedoch nicht schlecht. Er ist kein Vertreter der Vorstellung des Homo Hominis Lupus, die in der Antike angelegt, von den frühen Aufklärern aufgenommen und weitergesponnen wurde und heute jede Form von Gewalt, Manipulation und Unterdrückung rechtfertigt (2). Denn erst die menschenverachtende Idee von unserer eigenen Schlechtigkeit macht es möglich, einander zu manipulieren, zu unterdrücken und zu zerstören.
Das Potenzial in der Verbindung
Um uns einander annähern zu können und Vertrauen zueinander zu fassen, brauchen wir die Vorstellung, im Grunde gut zu sein. Und so steht hinter Rosenbergs Konzept die tiefe Überzeugung, dass wir uns von Natur aus nicht die Köpfe einschlagen, sondern einander wohlgesonnen sind. Wir sind Wesen, die die Verbindung, die Gemeinschaft und die Kooperation zum Leben brauchen wie die Luft zum Atmen. Ohne friedliches Miteinander hätten wir uns überhaupt nicht entwickeln können.
Das vergessen wir leider gern. Es wird uns ja auch anders gelehrt. Von frühester Kindheit an werden uns Messlatten angelegt. Wir lernen, von unseren Schultern und Ellbogen Gebrauch zu machen und uns nichts gefallen zu lassen. Wir glauben an das Recht des Stärkeren und das Gesetz des Dschungels. Und schließlich merken wir nicht einmal mehr, wie sehr wir von Anfang an auf Krawall gebürstet wurden.
Damit sich das ändert, müssen wir uns an etwas annähern, was in unserer verstandesgelenkten Welt gerne belächelt und sogar für gefährlich erklärt wird: unseren Gefühlen. Wie der große Humanist Carl Rogers, dessen Schüler er war, glaubte Rosenberg, dass wir einander nur im Herzen wahrhaftig begegnen können. Beide gehen davon aus, dass wir, wenn das entsprechende Vertrauen geschaffen ist, nicht nur unsere Beziehungskultur verbessern, sondern auch in jeder Hinsicht unsere Selbstentfaltung begünstigen.
Jeder Mensch trägt das Potenzial in sich, das er braucht, um sich seinem Wesen entsprechend zu entwickeln und Lösungen für seine Probleme zu finden. Aufgabe der Eltern, Lehrer, Therapeuten und anleitenden Personen ist es daher, den Zugang zu diesen ursprünglichen Fähigkeiten zu ebnen. Nicht erziehen also, sondern begleiten, nicht bevormunden, sondern vertrauen, nicht manipulieren, sondern sich frei entwickeln lassen.
Das jedoch geht nicht in einem System, das Knechte, Kanonenfutter und Konsumenten braucht. Hier wird den Menschen erzählt, sie bräuchten Autoritäten, die sie zurechtbiegen und auf den rechten Pfad bringen. An dem Maße, wie wir heute die Lösungen für unsere Probleme einkaufen, lässt sich erkennen, wie weit wir davon entfernt sind, in unsere Fähigkeiten zu vertrauen. Daran, wie wir anderen begegnen, lässt sich ablesen, wie sehr wir einem System dienen, das den gesamten Planeten in Schutt und Asche zu legen droht.
Zugang zum Gefühl
Eigentlich ist es ganz einfach, es künftig anders zu machen und einander friedlich zu begegnen. Wir müssten nur unser übliches „du hast aber ...“ in ein „ich fühle ...“ umwandeln. Davon ablassen also, den anderen verändern zu wollen und uns unseren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zuwenden. Es ist nur eine kleine Drehung — ein Halbkreis sozusagen —, die wir vollziehen müssen. Von dieser Bewegung hängt nicht nur die Qualität des Zusammenlebens mit unseren Partnern, Kindern, Verwandten, Freunden, Nachbarn und Kollegen ab, sondern auch der Weltfrieden.
Das ist einen Versuch wert. Der erste Schritt in der gewaltfreien Kommunikation ist es also, seinen Gefühlen zu begegnen. Anstatt den anderen zu beschuldigen und sich selbst zu rechtfertigen geht es darum, möglichst passende Worte für das zu finden, was gerade in einem abgeht.
Welche Gefühle lösen eine Situation, eine Begegnung, ein Streit in mir aus? Nicht „Ich fühle, dass du im Unrecht bist“ oder „Ich fühle, dass es hier zu viele Ausländer gibt“, sondern: „Ich fühle mich unsicher, zerbrechlich, einsam, peinlich berührt, nervös, betrübt, ...“
Die Liste unserer Gefühle ist lang und sollte an jedem Kühlschrank hängen. Wichtig ist, keine Interpretationen oder Werturteile mit dem eigenen Gefühl zu vermischen. „Ich fühle mich missachtet/betrogen/zurückgewiesen“ machen den anderen zum Täter und einen selbst zum Opfer. Doch genau dieses Spiel soll überwunden werden. Gewaltfreie Kommunikation befähigt dazu, sich nicht abhängig vom Verhalten des anderen zu machen, sondern die Verantwortung für seine Gefühle selbst in die Hand zu nehmen, sich darüber klar zu werden, welches Bedürfnis nicht erfüllt worden ist und ein Angebot für eine Verbesserung zu machen.
Beobachten, Fühlen, Bedürfnisse wahrnehmen, Bitten
Die gewaltfreie Kommunikation vollzieht sich in insgesamt vier Schritten. Sie beginnt mit einer Beobachtung: Was ist tatsächlich geschehen? Eine Beobachtung ist grundsätzlich wertfrei — und nach Jiddu Krishnamurti die höchste Form der menschlichen Intelligenz. Die Beobachtung interpretiert und beschuldigt nicht und sie verzichtet auf Worte wie „immer“, „nie“, „zu wenig“, „zu viel“, „Egoist“ und „Idiot“. Ist die erste Hürde genommen, kommt die zweite: die Äußerung des eigenen Gefühls.
Danach wird ein Bedürfnis formuliert, keine Strategie oder gar Erpressung nach dem Motto „Wenn du das machst, dann bin ich dir wieder gut“. Die Bedürfnisse sind bei uns allen in etwa gleich. Jeder braucht ein Dach über dem Kopf, Kleidung und zu essen, Sicherheit und Wertschätzung, Zuneigung und die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Wenn ich also mein Bedürfnis formuliere, dann kann ich davon ausgehen, dass der andere es versteht. Das verbindet. Hier stehen sich nicht mehr Feinde gegenüber, sondern Menschen, die aus demselben Stoff gemacht sind. Daraus ergibt sich ein Friedensangebot in Form einer Bitte — nicht einer Forderung. Forderungen stoßen ab und werden nur widerwillig, unter Zwang oder aus Angst erfüllt. In keinem Fall bringen sie Menschen zusammen.
Das Resultat sieht dann in etwa so aus: „Wenn ich sehe/höre/..., dass/wie ..., dann fühle ich mich ... Denn ich habe das Bedürfnis, ... Bist du einverstanden, dass ...?“ Bei der letzten Formulierung sollte nicht so etwas herauskommen wie „dass du mir meine Wünsche von den Lippen abliest und immer mit mir einer Meinung bist.“ So funktioniert Zusammenleben nicht. Wenn wir auch alle etwa die gleichen Bedürfnisse haben und ähnliche Gefühle kennen, so sind wir doch grundverschieden. Und das ist gut so.
Was wäre das Leben langweilig, wenn wir uns alle immer nur bestätigend zunicken würden! Das Schlimmste aber wäre, dass wir uns selbst nicht erkennen würden. Denn nur in der Konfrontation mit dem anderen lernen wir uns selbst kennen, nicht nur unsere Gefühle und Bedürfnisse, sondern auch unsere Grenzen. Mit der gewaltfreien Kommunikation lernen wir, darauf keine Mauern und Festungen zu errichten, sondern uns gegenseitig einzuladen und gemeinsam zu üben.
Hier können Sie das Buch bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.
Stimmen zum Buch:
„Ich möchte allen Menschen raten, mutig zu sein, und sich nicht durch Angst erdrücken zu lassen. Wer mutig ist kann freudig und gewaltlos seinen Weg gehen. Das ist bestimmt nicht immer einfach. Aber Mut öffnet Türen, die sonst verschlossen bleiben. Die in diesem Buch abgedruckten Texte zeigen, wie wichtig Mut im 21. Jahrhundert ist.“
Dr. Daniele Ganser, Friedensforscher
„Das ist ein ganz besonders Buch, denn mit jedem seiner vielfältigen Beiträge werden Sie eingeladen, ermutigt und inspiriert, sich mit all jenen zu verbinden, die künftig nicht mehr gegeneinander, sondern miteinander leben wollen.“
Dr. Gerald Hüther, Sachbuchautor und Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung
„In einer Zeit, in der regressive Kräfte sehr von den Verunsicherungen in unserer Gesellschaft profitieren, brauchen wir Mutmacher mit einem langen Atem. Menschen, die uns mit Fakten und Bildern speisen, die uns an unser eigenes Potential für Veränderung und Glück erinnern. Danke Rubikon! Für dieses Buch und für eure gesamte Arbeit.“
Veit Lindau, Autor und Bewusstseinsforscher
„Dieses einzigartige Buch macht großen Mut zur Veränderung. Es verwandelt Verzweiflung in Hoffnung, Wut in Liebe und ist ein kraftgebender Kompass durch schwere Zeiten. Für mich eines der wertvollsten Bücher der letzten Jahre.“
Jens Lehrich, Autor und Comedian
„‚Nur Mut!‘ ist ein Buch, das den Leser dazu auffordert, sich selbst zu ermächtigen. Wer sich im aufrechten Gang den Problemen dieses Planeten entgegenstellt, macht sich zwar angreifbar, kann von sich aber behaupten, in der Stunde der Bewährung seine eigene Angst besiegt zu haben. Ohne solche Menschen hat unsere Spezies keine Zukunft. Die Belohnung für gelebten Mut ist ein Leben, in dem die Angst nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.“
Ken Jebsen, investigativer Journalist
„Nur, wenn wir uns selbst und unsere Gefühle erkennen, wenn wir unser Unbewusstes bewusst machen und aus dem kollektiven Stockholm-Syndrom, auf das man uns von Kindertagen an festgelegt und zu dem man uns erzogen hat, aussteigen, können wir wirkliche Liebe, vor allem aber unsere tägliche Unterdrückung erkennen. Dann können wir aus dem inneren wie äußeren Gefängnis aussteigen und unser eigenes Leben leben, in dem wir zu fühlen beginnen, was gut und ungut, was richtig und gelogen, was Liebe und was Ausbeutung und Unterdrückung ist. Wider den Gehorsam! Die Wahrheit schlummert in jedem von uns.“
Jens Wernicke, Autor und Publizist
Quellen und Anmerkungen:
(1) Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation, Jungferman Verlag Paderborn, 10. Auflage 2012
(2) Homo homini lupus (lat.): der Mensch (ist) dem Menschen ein Wolf; Grundprämisse der Staatstheorie des englischen Philosophen Thomas Hobbes
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