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Es hat alles aufgehört

Es hat alles aufgehört

„Aus dem Innersten“: Wo alles aufhört, fängt Freiheit an.

Vorbemerkung: Reden kann jeder, sprechen nur wenige? Ist das eine sinnvolle Argumentation? In diesem Text wird dies nur indirekt beantwortet, und zwar durch die Litanei eines Individuums, das zufällig ich bin. Nur der eigene Wille kann entscheiden, ob einer spricht oder redet. Mann kann darin keinen Unterschied finden oder ihn fundamental trennen, so wie ich es tue. Gerede ist für mich die Oberflächenmatrix der veröffentlichten Meinung. Sprechen ist Pathos der eigenen Wahrnehmung, also der eigenen Gefühle. So sprechen, wie man ist. Dies will dieser Text erspüren, ohne eine wirkliche Antwort zu finden. Er ist literarisch und deshalb frei. Er hat keine Väter oder Mütter, die ihn hegen und pflegen. Nein, er ist frei.

Nichts mehr, das ich aufgeben könnte. Alles in mir hat aufgehört. Dieser Weg hin zur Starre, entgegengesetzt der Bewegung. Die meisten bewegen sich. Ich kann es nicht mehr, weil alles in mir aufgehört hat, bis auf mein Herz. Mein Herz schlägt noch weiter, aber sonst hat alles aufgehört. Wenn ich es nur bezeichnen könnte, was aufgehört hat, doch das kann ich nicht. Ich weiß nur, dass mein Herz noch schlägt, alles andere jedoch aufgehört hat.

Es ist ein seltsames Gefühl. Ich möchte nicht einmal sagen, dass es mich schmerzt. Den meisten Menschen würde es doch wehtun, wenn alles in ihnen aufgehört hat. Ja, schreien würden sie vor Schmerz. Ich schreie nicht. Ich beklage mich nicht einmal. Bei wem auch, wo doch alles aufgehört hat.

Aber ich rede noch. Das kann man, wenn man will, von mir behaupten. Dass ich rede.

Ich rede ununterbrochen, vielleicht schreie ich deshalb nicht vor Schmerzen, weil ich ohne Unterlass rede.

Und ich weiß nicht, was ich rede, weil ich ja aufgehört habe. Aber ich rede. Rede die ganze Zeit. Und ich bin erstarrt. Alles an mir ist erstarrt. Bis auf meinen Mund. Der bewegt sich noch. Läuft wie ein Uhrwerk, wie ein gut geöltes Getriebe.

Aber nichts zeigt diese Bewegung an. Keine Uhrzeit, keinen Sinn, dem es unterliegt, nichts. Ich rede nur, aber das ohne Unterbrechung. Selbst wenn ich schlafe, und ich schlafe mit Vorliebe im Stehen, rede ich. Ich rede da genauso, als wenn ich liegen würde oder gehe oder sitze. Ich stehe aber. Und das hat keinen Grund. Oder dass es einen Anlass gegeben hätte.

Obwohl ich gerne auf Anlässe hin etwas unternehme. Zumindest früher war das so. Jetzt ja nicht mehr. Weil ja alles aufgehört hat. Jetzt stehe ich da, erstarrt in meinen Gliedern und rede die ganze Zeit. Und es hat keinen Anlass gegeben, ja es hat nicht einmal angefangen. Das muss man sich einmal vorstellen. Ich rede, und ich rede so, als ob ich nie angefangen hätte.

Vielleicht ist das so, weil alles aufgehört hat. Das ist möglich. Aber solange mein Herz noch schlägt, solange werde ich reden. Das habe ich mir geschworen, obwohl das ja auch nichts nützt, weil ja alles aufgehört hat.

Ob ich deshalb rede? Weil ich mir etwas geschworen habe?

Früher habe ich mir gerne etwas geschworen, habe aber diesen Schwur nie bis zu seiner Erfüllung verfolgt. Immer habe ich vorher aufgehört, aber nicht so aufgehört, dass auf einmal alles aufhört. So wie jetzt, wo alles aufgehört hat. Ich habe immer von Neuem angefangen und konnte mich an diesen Anfang auch immer erinnern. Nicht nur gerne, sondern auch ungerne.

Manchmal mit einer Faust in der Tasche, manchmal mit einem Augenzwinkern und zuletzt auch mit einem törichten Lachen. Doch immer war da ein Anfang. Und jetzt. Jetzt hat alles aufgehört. Ich stehe da, rede die ganze Zeit, weiß um keinen Anfang mehr, bin erstarrt, bis auf meinen Mund, und weiß, dass alles aufgehört hat.

Ob mir jemand zuhört?

Früher war ich immer gerne allein. Ich habe mit Menschen nur unter Qualen verkehrt. Weil ja Menschen einen im Allgemeinen und auch im Speziellen gerne quälen.

Es ist in ihnen angelegt. Die einen spüren es mehr, die anderen weniger. Ich habe es immer sehr intensiv gespürt. So, als ob ich unter einer glühenden Sonne spazieren ginge. Und meine Haut hat früh Blasen geworfen.

Glühend rot wurde ich, am ganzen Körper, wenn mich ein Mensch gequält hat. Und es quält einen ja immer nur ein Mensch. Zwei Menschen oder noch mehr davon können einen nicht quälen. Das wissen die Menschen auch. Deshalb quälen sie nur, wenn sie allein sind.

Dann treffen sie Leute, oft zufällig, aber auch oft gewollt, mit aller Gewalt gewollt, und quälen diesen dann. Mich zum Beispiel. Und jene, die gequält werden, also ich, quälen niemals zurück. Dazu haben sie keine Energie. Sie stehen da und lassen sich quälen, können aber niemanden im Gegenzug quälen. Das ist ihnen unmöglich. So war das einmal.

Jetzt ist es ja so, dass alles aufgehört hat. Darum könnte ich ja zufrieden sein. Aber ich bin es nicht. Weil ich ohne Unterlass rede und nicht weiß, warum ich rede. Geschweige denn was ich rede. Es bleibt auch jetzt ein Rest von Unzufriedenheit, obwohl ja alles aufgehört hat.

Ich weiß nicht, woher das kommt. Es ist auch kein Schmerz, sondern nur eine Unzufriedenheit. Obwohl ja Unzufriedenheit auch schmerzen kann. Mich allerdings schmerzt sie nicht. Es ist etwas anderes. Wenn ich es nur sagen könnte, aber dadurch, dass ich immer rede, kann ich es nicht sagen. Ich komme nicht dazwischen. Ich werde vollkommen beherrscht.

Zum Glück denke ich mir, zumindest ist ja alles vorbei, und wenn alles vorbei ist, ist ja auch alles egal. Aber trotzdem würde ich schon einmal gerne zwischen mein Gerede kommen. Ein, zwei Worte sprechen, das würde schon genügen. Wie zufrieden wäre ich, wie ausgesöhnt mit meiner Geschichte.

Aber so. Stehe ich da, rede ohne Unterlass, mein ganzes Menschsein ist erstarrt, nur der Mund bewegt sich noch. Wenn nicht alles aufgehört hätte, könnte ich es nicht ertragen. So ist alles irgendwie gut. Mein Herz schlägt, es hat alles aufgehört, und deshalb ist alles irgendwie gut. Auch wenn mir niemand zuhört, weil er glaubt, keinen Sinn in meinem Gerede zu erkennen, bin ich doch zufrieden. Irgendwie ist alles gut. Schön, dass alles aufgehört hat.

Ich fühle mich ein wenig wie ein gelber Luftballon, und ich kann nicht sagen, warum er gerade gelb ist. Aber er ist gelb. Ich sehe ihn vor mir. So fühle ich mich wie dieser gelbe Luftballon, der da vor mir schwebt. So in Augenhöhe, etwa zwei Meter entfernt, und so groß wie ein Sparkassenluftballon. Aber ein wenig betrachte ich ihn auch verwundert. Weil es eben nur eine Idee ist und eine lächerliche noch dazu. Eine von vielen Ideen, die ich habe, die aber nie zu einem Entschluss führten.

Ich hatte, so vermute ich, nur deshalb so viele Ideen, weil sie zu keinem einzigen Entschluss geführt haben.

Denn ein Entschluss hätte mich bezeichnet, und es ist mir nichts unangenehmer, als wenn ich mich bezeichnen müsste. Also eine Nadel her.

Aber selbst wenn ich eine Nadel hätte, könnte ich den Luftballon trotzdem nicht zum Platzen bringen, weil ja alles aufgehört hat und ich erstarrt bin, bis auf meinen Mund, der unaufhörlich plappert. So muss ich die ganze Zeit den Luftballon anschauen, und das mache ich auch gerne, aber eben nicht nur. Es bereitet mir auch Unbehagen, weil er eben meine Unfähigkeit zu Entschlüssen aufzeigt. Und das auch noch mit einem leichten, luftigen, tänzerischen Gelb. Wie ich Luftballone hasse. Früher gehasst habe.

Jetzt ja nicht mehr, weil ja alles aufgehört hat. Welch ein Glück, welch eine Anmaßung. Niemand würde es verstehen, wenn ich sagen würde, dass alles aufgehört hat. Niemand würde es verstehen wollen, obwohl es alle wissen.


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