Im Frühjahr des sich verabschiedenden Jahres kam ein junger Mann zu bundesweiter Berühmtheit. Spiegel TV berichtete über sein Engagement in Gräfenhainichen. In seinem Heimatort in Sachsen-Anhalt radelt er durch die Straßen, angetan mit Helm und neongreller Warnweste und schrieb Falschparker auf — auch solche, die er nur für Falschparker hielt. Unter seinem bürgerlichen Namen kennt ihn kaum jemand, Niclas Matthei lautet der — bekannt wurde er als Anzeigenhauptmeister. Als dieser wurde er zum Meme, zum Popstar der Social-Media-Gesellschaft, ja zur Prominenz: Wenngleich eher gehasst als geliebt — denn Denunzianten haben erfahrungsgemäß einen schweren Stand.
Gegen Ende des Jahres trat der Anzeigenhauptmeister im neuen Gewand auf. Nun sah er aus wie Robert Habeck. Weil ein Rentner bei X ein Bild des Wirtschaftsministers postete, über dem der Schriftzug „Schwachkopf Professional“ zu lesen war, hat er höchstpersönlich Anzeige erstattet. Bald darauf rückte die Polizei an, durchsuchte die Wohnung des Mannes und überrumpelte auch die behinderte Tochter des dringend Tatverdächtigen. Schon im Sommer dieses Jahres und damit Monate vor Schwachkopfgate, wie man den Vorfall in den Netzwerken nannte, wurde publik, dass dieser Robert Habeck fleißig Anzeigen erstattet und erstatten lässt: 700 sollen es zu diesem Zeitpunkt innerhalb eines Jahres gewesen sein.
Ein Jahr wachsender Hysterie
Offiziell gehe er so gegen Hassnachrichten vor, teilte sein Stab den Medien mit. Habeck fühlt sich als Getriebener — Anfang des Jahres wollte er mit seiner Familie von einer Fähre steigen, die ihn vom Urlaub auf der Hallig Hooge zurück aufs Festland brachte. Protestierende Bauern stellten sich — nicht sehr dominant, wie man später erfuhr — in den Weg. Habeck und die Presse machten aus dem Vorfall einen Skandal, ließen die Bauern wie einen wütenden Mob aussehen. Erst kürzlich griff Habeck seine Erfahrungen vom Anfang des Jahres nochmals auf: Damals habe er an Rücktritt gedacht, erklärte er. Er rang sich aber durch, weiterzumachen — was daran wahr, was Legende ist, weiß nur Habeck selbst. Er ist mittlerweile Kanzlerkandidat der Grünen. Und seine Anhänger fabulieren, was sich alles ändern wird, wenn er es tatsächlich schafft. Realitätsbezug im Angesicht schlechter Prognosen:
Mit einer Partei, deren Selbstwahrnehmung frappierend an jene einer Sekte denken lässt, ist Realität ganz offenbar nicht zu machen.
Nicht nur Habeck beklagte sich über den Fährenvorfall. Praktisch die gesamte politische Kaste sprang ihm zur Seite. Die im Wege stehenden Landwirte waren an Harmlosigkeit nicht zu überbieten, aber die Politik wähnte plötzlich ein Bastille-Erlebnis heraufziehen. Dass sich da welche in den Weg stellen, um Politiker aufzuhalten: Vereinzelt gab es das bereits — Ricarda Lang hatte das auch schon erlebt, ihre Staatskarosse musste manchen Schleichweg durch besuchte Dörfer nehmen. Aber dass man jetzt dem Minister und Vizekanzler so mitspielte: Das traf viele Politiker. Und so steigerten sie sich in einen Verfolgungswahn hinein. Immer tiefer, immer hysterischer. Im Laufe des Jahres 2024 geriet man so weit, dass in deren Augen jedes kritische Wort zu Person und politischer Arbeit als neuer Anschlag auf die Integrität der politischen Klasse begriffen wurde. Man wurde dünnhäutig — und mauserte sich zum Anzeigenhauptmeister.
Einige Vorreiter gab es ja bereits in den Jahren zuvor. Man denke nur an Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP. Der Spiegel berichtete schon im Mai 2023, dass sie 250 Anzeigen im Monat erstattet. Die Rechtsanwälte Markus Hainz und Joachim Steinhöfel setzten sich mit deren „Geschäftsmodell“ mehrfach auseinander — früh wiesen beide auf die Systematik hin, mit der die Frau, die selbst gerne, laut und auch beleidigend auftritt, gegen solche vorgeht, die ihr lästig sind.
Faktenfinder wurden 2024 so gut wie überflüssig
Wie Habeck ließ auch Strack-Zimmermann verkünden, es gehe nur gegen den Hass und habe sonst keine Motive. Was beide verkennen: Die Bürger, die sich drastisch artikulieren, haben sonst keine Möglichkeit, sich gegen die politische Macht im Lande zu positionieren. Um es mit drastischen Worten zu formulieren: Das ist deren Plenum, deren Öffentlichkeit, ja auch deren einzige Wehrhaftigkeit und damit Trost der politischen Ohnmacht, die sie empfinden — und die auch tatsächlich existiert. Juristisch dagegen vorzugehen bedeutet, ihnen das Wort ganz und gar abzuschneiden — und ein Zeichen zu setzen, besser erst gar nichts Kritisches mehr zu sagen. Man raubt dem Bürger damit das Privileg als Souverän: eine eigene, wenn nötig auch kräftige, derbe und sogar sprachlich unangemessene Kritik äußern zu dürfen. Hat es je einen solchen Anschlag auf den Souverän gegeben?
Nein, wir erleben hier nicht die Bastille, sondern die Köpfung des Souveräns, um im Bild zu bleiben.
Wie schon beschrieben, ging die Politik schon vor dem Jahr 2024 gegen Menschen vor, die sie als lästig erachtete. Nicht nur zivilrechtlich geschah das, sondern auch, indem man staatliche Dienste modifizierte, auch pervertierte und neu ersann, um sie gegen eine Meinungsfreiheit zu positionieren, die nicht im engen Tunnel des Gerade-noch-Sagbaren verweilt, sondern weit darüber hinausgeht und sich Freisinn erlaubt. Faesers Haldenwang gab es schon vor diesem verlöschenden Jahr. Aber 2024 verdichtete sich dieser ganze Staatsumbau.
Gab es in den Jahren vorher noch immer Bemühungen, die politische Entwicklung schönzureden, das strikte Vorgehen sich vom Volk abwendender Volksvertreter zu entkräften, so scheint sich 2024 die Wahrnehmung vollends verändert zu haben. Man versuchte jetzt erst gar nicht mehr, die Bürgerferne zu kaschieren, die Entfremdung von denen, die sie gewählt haben, zu vertuschen. Die Feigenblätter sind verwelkt. Und das welke Blatt des Feigenbaumes wirkt wie die Pflanze des Jahres 2024.
Natürlich hat die noch amtierende Außenministerin schon 2022 verkündet, dass sie für die Ukraine einstehe, ganz egal, was ihre Wähler wollen — und 2024 hat sie es mit Robert Habeck zusammen auch nochmals unterstrichen: Eben verkündete der Bundeskanzler das Ende der Ampelkoalition, da traten beide auf und salbaderten ausgiebig über die Ukraine und dass die Hilfen weitergehen müssten. Mehr Bürgerverachtung ging im Grunde nicht. 2022 gab es aber noch findige Faktenfinder, die versucht waren, Baerbocks Äußerung zu glätten. Zwei Jahre später stehen diese Faktendreher, die ja nur Dienst taten, um die Welt im Sinne der Regierung umzudeuten, fast vor der Arbeitslosigkeit — sie sollten dafür sorgen, dass sich die politische Kaste nicht genieren muss, indem sie es so drehten und wendeten, dass am Ende etwas herauskam, was vernünftig und verantwortungsbewusst klang. Deutungshoheit nennt man das wohl. Und nun geniert sich gar keiner mehr; die politische Kaste wähnt sich als majestätische Klasse, die unantastbar sein soll, und findet daran nichts peinlich.
Politiker als Opfer
Nehmen wir doch mal die Sicherheitspolitik. In diesem Jahr schien die Gewalt auf Deutschlands Straßen so sehr anzuwachsen, dass selbst Nancy Faeser reagieren musste. Sie versprach mehr Kontrollen — an den Grenzen und auch bei Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkten. Es sollte kein Weihnachtsmarkt in Deutschland zu einem Solingen-Erlebnis werden. In der nordrhein-westfälischen Stadt wurden im August mehrere Menschen von einem 26-jährigen Syrer auf offener Straße bei einem Stadtfest erstochen. Faeser wies die Städte an, auf wichtigen Plätzen Schilder aufzustellen, die das Mitführen eines Messers verboten. Im Dezember berichteten Medien von den Kontrollen der Polizei. Man sah, wie sie Handtaschen älterer Damen durchwühlten — bei einer fanden sie ein kleines Taschenmesser, während die Kamera dabei war. Ein Messer, das mehr Nagelknipser als alles andere war. Die Frau wusste von dessen Existenz in den Tiefen ihrer Tasche nichts. Der Polizist nahm eine Ordnungswidrigkeit ins Protokoll. Einige Tage später fuhr ein Mann saudi-arabischer Herkunft in den Magdeburger Weihnachtsmarkt.
All das ist nicht Sicherheitspolitik — es ist die Simulation davon: Und damit die Verhöhnung der Bürger. Die dürfen verhöhnt werden — Minister und andere Majestäten aber nicht.
Das Jahr 2024 war eindeutig das Jahr der Schwachköpfe. Derer hatten wir vorher schon einige. Mal mehr, mal weniger stark. Dass man es aber nicht mehr aussprechen durfte, ohne Gefahr zu laufen: Das wurde 2024 kultiviert — und zur Selbstverständlichkeit erklärt. Dieses Jahr barg einen massiven Rückschritt in freiheitlichen und demokratischen Fragen. Die Tendenz war nun auch nicht neu, wir erleben seit spätestens 2020 nur noch Jahre voller Demokratieabneigung, die bei gleichzeitiger Simulation einer Demokratieförderung stattfindet. Aber 2024 ist das Jahr, in dem sich die Verantwortlichen endgültig von der lähmenden Schamhaftigkeit verabschiedet haben, die man dann und wann, immer seltener zwar, immer zaghafter nur, wahrnahm, die aber als Gefühl offenbar noch irgendwo verankert war — als Atavismus gewissermaßen, den man nicht so leicht loswird.
Nun aber hat man sich der alten Gefühle entledigt. Die politische Kaste hat sich so verrannt in die Idee, dass sie eigentlich Opfer sei — und damit verabschiedet von der Tatsache, dass sie selbst kandidiert hat und von niemanden gezwungen wurde —, dass sie jegliche Restscham endgültig ablegen konnte. Die Protagonisten nehmen sich mehr und mehr als Wesen wahr, die sich der Gesellschaft geopfert haben — und daher einen Anspruch auf absolute Unantastbarkeit haben sollten. Verpackt wird das in eine nicht näher definierte Demokratieförderung, die im Wesentlichen Haltung verlangt, Verteilungsfragen aber selbstverständlich aus dem Weg geht.
Innerhalb dieser Demokratieförderung nehmen sich immer mehr politische Protagonisten nicht mehr als Volksvertreter wahr, sondern als spirituelle Führer, ja als Priesterkaste.
Und über den Herrn Pfarrer, so war es früher gute Tradition, sagt man nichts Schlechtes …
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