Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Der Krieg, der nie vorübergeht

Der Krieg, der nie vorübergeht

Kriege kommen und Kriege gehen — meint man immer. Aber für die, die im Krieg waren, vergeht der Krieg nie. Für sie gibt es kein Kriegsende.

Sicher, junge Leute halt — woher sollen sie es besser wissen? Der Ruf des Abenteuers, der lässt bei ihnen vor dem geistigen Auge spannende Bilder entstehen, nährt die Hoffnung auf einen Ausbruch aus dem juvenilen Bürgerlichentrott, der schon früh auf Karriere und aalglatte Lebensläufe fokussiert ist. Mal eben im Feld stehen, Gewehr in der Hand, danach eine Runde durch Schlamm und Stacheldrahtverhau kriechen — endlich mal Abwechslung! War das der Grund, warum neulich in Neu-Isenburg, bei einer Veranstaltung mit Sevim Dağdelen und Thomas Carl Schwoerer aufseiten der Friedfertigkeit und Lorenz Hemicker und Mirko Kruppa auf der Gegenseite, anwesende Schüler — nur Burschen übrigens — verdächtig häufig dann begeistert klatschten, als von Waffenlieferungen für die Ukraine und kühner Standhaftigkeit gegenüber dem Moskowiter Luzifer gesprochen wurde?

Auf ins Abenteuer!

Aber sicher, denn in den Köpfen dieser jungen Männer war und ist die fixe Idee vom Krieg gar nicht ausgereift — und falls doch, dann als Vorhaben, dem man nachkommt, wie einer ganz normalen Alltagsverrichtung. Man macht das, was von einem verlangt wird, und geht dann wieder heim; spätestens wenn der Krieg zu Ende ist. Dann geht es zurück in das Hamsterrad bürgerlicher Langeweile, in dieses System, in dem junge Menschen schnell sehr angepasst sein, ein solides Leben planen und ja nicht unvernünftig sein sollen.

Nach dem Einsatz als Soldat nur eben um einen Erfahrungsschatz reicher. Vermutlich ist diese Vorstellung irgendwo im Hinterkopf verankert: An Weihnachten bin ich wieder daheim — und habe was von der Welt gesehen und viel über mich erfahren. Krieg als Workshop. Wer das so einordnet, der hat freilich keine Angst.

„Und dann endete der Krieg ...“ Sentenzen wie diese kennt man aus Geschichtsbüchern. Das Ende des Krieges manifestiert sich in solchen Sätzen, weil das Schießen, das Hauen und Stechen, das Bajonettieren und Auslöschen eingestellt wurde. Die Schlachtfelder leeren sich, die Gräben werden zugeschüttet, Ströme von lädierten Männern — in unserer Zeit auch Frauen — ziehen zurück in die Heimat. Dreckige Gesichter sind zu sehen. Sie lächeln nicht, obgleich das Kriegsende eine gute Nachricht ist, die zu belächeln wert wäre. Die Augen leer und ausdruckslos. Die, die humpeln, wähnen sich im Glück, denn wer humpelt, der hat noch zwei Beine. Die anderen bewegen sich mit zwei Krücken fort, können ihr Glück kaum fassen, denn wer Krücken benutzen kann, der hat noch ein Bein und muss nicht wie ein Sack Kartoffeln auf der Ladefläche eines Lastwagens befördert werden.

Keine Frage, auch diese tristen Bilder sind weit weg vom öden Trott der Bourgeoisie. Zeigen einen Ausbruch aus der jugendlichen Langeweile an. Sie sind nur so viel anders, so viel brutaler, als junge Menschen sich so ein Abenteuer vorstellen — es sind Bilder, die die erwachsenen Handelsreisenden des Krieges, Herrschaften wie Strack-Zimmermann, Kiesewetter oder Hofreiter, den jungen Leuten aus guten Gründen vorenthalten. Sie wollen, dass sich Heer, Aufrüstung und Bereitschaft zum Kriegsdienst heldenhaft und wie ein grandioses Abenteuer anfühlen. Sie simulieren gerne, dass es vielleicht einen Kampf geben wird, der aber irgendwann ausgestanden ist — und dann geht alles weiter wie gehabt. Nur eben friedlich und ohne weitere Gefährdungslagen.

Kriegsenden, die nicht zum Ende führen

Das erste Opfer eines Krieges ist bekanntlich die Wahrheit. Die letzte Lüge ist hingegen, dass der Krieg zu Ende sein wird. Sicher, auf dem Papier steht, dass 1945 der Zweite Weltkrieg endete. Aber war er vorbei?

Für die Soldaten, die ihn am eigenen Leib erlebt haben, egal ob am Leib versehrt oder nicht, endete der Krieg nie. Sie lagen immer noch in Gefechtsstellungen, sahen noch immer die Bilder von Kameraden und Feinden vor sich, die sich ihre Innereien im Leib hielten und nach der Mutter riefen.

Sie rochen noch den Kot, den mancher nicht zurückhalten konnte und der für einen kurzen Augenblick den metallischen Geruch überlagerte, der von den Blutlachen herüberwehte.

Einen menschlichen Körper, der in zwei Teile gerissen wurde, vergisst man nicht so einfach. Wie oft haben unsere Großväter, wenn sie sich in ihrem zivilen Leben nach dem Kriege ein Brathähnchen gönnten, es mit der Geflügelschere teilten, an den jämmerlich krepierten Kameraden gedacht, der so ähnlich aussah, als ein Kettenfahrzeug über dessen Unterleib fuhr? Über die Generation von Männern, die es zurückschafften aus der Gefangenschaft der Alliierten, wissen wir, dass sie schweigsam war — nicht wenige neigten zur Gewalt, schlugen ihre Kinder und Gattinnen. Andere griffen zur Flasche. Sie versuchten nicht einfach nur zu vergessen — sie hofften, dass der Satz aus dem Geschichtsbuch, wonach dieser Krieg 1945 endete, endlich auch für sie wahr würde. Kriegsende: Mehr wollten sie nicht — ein Kriegsende für sich selbst.

Aber die Bilder gehen nicht weg, die Gerüche bleiben einem olfaktorisch vertraut — Verwesungsduft ist eine einprägende Erfahrung, aktiviert einen Urinstinkt: Wo es so riecht, entfernt man sich, denn da lauert der Tod. Aber im Krieg musste man ihn aushalten, mitten im Gestank ausharren, den Urinstinkt überwinden — wider aller menschlichen Konditionierung. Das kann doch nicht spurlos an einen vorbeigehen. Wie sollte man später wieder ein harmonisches, ein fröhliches Leben führen, unberührt von den Schrecknissen der menschlichen Existenz, wenn man über Monate oder gar Jahre solche Grausamkeiten erleiden musste?

Natürlich kamen auch Männer aus dem Krieg zurück in den Alltag, die nicht soffen, nicht schlugen; zum Psychologen ging damals ohnehin keiner. Aber redefreudig war kaum einer. Man konnte das, was in Materialschlachten erlebt wurde, ohnehin nicht in Worte packen.

Und war es richtig, die eigenen Kinder mit bunt ausgeschmückten Erfahrungsberichten vom Krepieren und Verenden zu verschrecken?

Ihr werdet dem Krieg nie entkommen können!

Die Kriegsschuld lastete natürlich auf der Bundesrepublik als Nachfolgestaat des Dritten Reiches. Auch deswegen hat man sich wenig mit den schrecklichen Erlebnissen der heimkehrenden Väter, Ehemänner und Brüder befasst. Sie waren Teil einer nationalen Schmach. Man schämte sich für die Schuld und vielleicht auch noch etwas mehr für die Niederlage auf dem Schlachtfeld. Und so blieb es verdächtig leise im Nachkriegsdeutschland, was die Erfahrungen dieser traumatisierten Generation betraf. Dabei hätten deren „Abenteuer“ ein wichtiges Erbe an die nachfolgenden Generationen sein können, ganz besonders aber eine Erkenntnis: Der Krieg endet nur auf dem Papier. In Geschichtsbüchern und in zurückblickenden Reden.

Was der Satz vom jetzt endenden Krieg aber nicht beinhaltet, sind die Köpfe und Gedankengänge derer, die im Krieg waren. Sie bleiben dort. Mittendrin. Vermutlich für immer. Sie vergessen nie. Der Krieg endet nicht für sie. Er ist Dauerschleife. Nichts ist für sie mehr so, wie es vor dem Krieg war. Kann es gar nicht sein, denn jede Erfahrung macht etwas mit uns. Der Krieg wird auf diese Weise zum Teil der eigenen Persönlichkeit. Auch dann, wenn man ohne körperliche Schäden zurückkam, fühlt man sich dauernd an ihn erinnert. Es reicht schon der Blick eines Kellners, der an einen toten Kameraden erinnert. Ein quengelndes Kind, das ständig nach der Mutter schreit wie jener angeschossene Jüngling, aus dem das Leben wich. Oder der Geruch von gebratenem Fleisch. Trigger, so würde man heute sagen. Damals sagte man: Rücken durchdrücken und weitermachen. Da musste man durch.

Für die jungen Leute, die heute so unbefangen mit einem möglichen Krieg umgehen, die heldenhaft künden, sie würden ihr Land verteidigen, koste es, was es wolle, sei also die kurze Warnung empfohlen: Ihr kommt da nicht mehr raus, wenn es losgeht! Ihr werdet dem Krieg nicht entkommen können.

Ganz egal, was ihr danach tut, wohin ihr flüchtet. Eure Geister werden euch bis an euer Ende begleiten. Die Liebe wird sich anders anfühlen, der Kuchen anders schmecken und gemeinsam verbrachte Feiertage anders einwirken. Der Alkohol wird Fluchtpunkt. Oder Drogen — denn die Drogensucht wird unter Umständen schon im Krieg selbst kultiviert; die Wehrmacht hatte Pervitin, eine Form von Crystal Meth. So hielt man den Marsch und die Grausamkeiten durch. Kaum auf Entzug, setzte die große Depression ein. Kriege sind keine Zeiten für Menschen, die abstinent leben wollen. Und nach einem Krieg kann man einfach keine Gedichte mehr schreiben ...


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Der Krieg, der niemals endet“ bei Overton.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

VG-Wort Zählpixel

Weiterlesen

KI-Ermittler mit Hausbesuchen
Thematisch verwandter Artikel

KI-Ermittler mit Hausbesuchen

Der Bundesrat fordert, dass per Software allerlei Datensätze miteinander verbunden werden, um so die Polizeiarbeit zu stärken. Jetzt ist es wohl an der Zeit, dass sich jeder einen gestreiften Morgenmantel zulegt.